Homöopathische Erstverschlimmerung: In der Praxis eher selten

„Erst­ver­schlim­me­rung“ – die­ses etwas böse klin­gen­de Wort beschreibt eine grund­le­gen­de Behand­lungs-Erfah­rung in der klas­si­schen Homöo­pa­thie nach Samu­el Hah­ne­mann. Näm­lich die vor­über­ge­hen­de Ver­schär­fung und oder das Wie­der­auf­fla­ckern von indi­vi­du­el­len Beschwer­den nach Beginn der Behand­lung mit einem rich­tig gewähl­ten homöo­pa­thi­schen Mit­tel. Die Erst­ver­schlim­me­rung wird von Homöo­pa­then als Aus­druck der kor­rek­ten Mit­tel­wahl und als Beginn einer erfolg­rei­chen Hei­lung gewer­tet. Die Erst­ver­schlim­me­rung ist jedoch kei­ne unver­zicht­ba­re Bedin­gung für homöo­pa­thi­sche Behandlungserfolge.

Seit Hah­ne­manns Zei­ten wird leb­haft dar­über spe­ku­liert, wie die­se spe­zi­el­le Hei­lungs­re­ak­ti­on ent­steht. Klar­heit besteht bis heu­te jedoch nicht. Klar ist nur, dass homöo­pa­thi­sche Behand­ler nicht nur das Beschwer­de­bild ihrer Pati­en­ten und die Erst­ver­schlim­me­rung im Auge haben soll­ten, son­dern auch den natür­li­chen Krank­heits­ver­lauf sowie mög­li­che Neben­wir­kun­gen der Behandlung.

In einer gro­ßen Meta-Ana­ly­se, die über 6.000 homöo­pa­thisch behan­del­te Pati­en­ten umfass­te, wur­de jetzt die Häu­fig­keit von Neben­wir­kun­gen bzw. homöo­pa­thi­schen Erst­ver­schlim­me­run­gen unter­sucht. In etwa zwei von drei Stu­di­en wur­den behand­lungs­be­ding­te Neben­wir­kun­gen erfasst und beschrie­ben, das ent­spricht der Häu­fig­keit bei „nor­ma­len“, nicht-homöo­pa­thi­schen Arz­nei­mit­tel­stu­di­en. Meist han­del­te es sich um Magen-Darm­stö­run­gen, Kopf­schmer­zen, Schwin­del oder Haut­be­schwer­den. Die Beschwer­den waren über­wie­gend von leich­ter Ausprägung.

Hin­weis: Neben­wir­kun­gen wer­den in fast allen Arz­nei­mit­tel­stu­di­en sehr häu­fig gemel­det, was jedoch nicht bedeu­tet, dass die The­ra­pie immer die Ursa­che ist. Oft ist es nur die inten­si­ve Beob­ach­tung und Befra­gung im Rah­men von Stu­di­en. Bes­ser wäre des­halb der Begriff „behand­lungs-asso­zi­ier­te“ Neben­wir­kun­gen. Sehr viel sel­te­ner berich­te­ten die homöo­pa­thi­schen Stu­di­en über spe­zi­fi­sche homöo­pa­thi­sche Erst­ver­schlim­me­run­gen, näm­lich nur in etwa 12% der Publi­ka­tio­nen. Über­wie­gend tra­ten auch hier die Pro­ble­me nur leicht aus­ge­prägt und zeit­lich begrenzt auf [1].

Erstverschlimmerung bei Schüßlersalz-Anwendung?

Bei Anwen­dern von Schüß­ler­sal­zen und Schüß­ler-Kom­bi­na­ti­ons­prä­pa­ra­ten wird immer wie­der dar­über dis­ku­tiert, ob es auch bei die­ser The­ra­pie­form zu Erst­ver­schlim­me­run­gen kommt oder nicht. Man­che sagen, da die Schüß­ler­sal­ze bei der Her­stel­lung einer rhyth­mi­schen Ver­dün­nung unter­wor­fen wer­den („homöo­pa­thi­sche Poten­zie­rung“), sei­en Erst­ver­schlim­me­run­gen – genau­so wie in der klas­si­schen Homöo­pa­thie – grund­sätz­lich mög­lich. Ande­re ver­wei­sen dar­auf, dass Schüß­ler­prä­pa­ra­te der­ar­tig neben­wir­kungs­arm sei­en, dass Erst­ver­schlim­me­run­gen prin­zi­pi­ell über­haupt nicht vor­kom­men könn­ten. Die the­ra­peu­ti­sche Erfah­rung zeigt, dass die Wahr­heit irgend­wo in der Mit­te liegt: Es gibt bei der Schüß­ler­salz-Anwen­dung sel­te­ne und meist nur leich­te Erst­ver­schlim­me­run­gen von kur­zer Dau­er. Der Grund ist mit eini­ger Wahr­schein­lich­keit aber nicht das homöo­pa­thi­sche Potenzierungsverfahren.

Aus dem Nähkästchen der Natur: Die möglichen Krankheitsverläufe

Betrach­tet man die grund­sätz­li­chen phy­sio­lo­gi­schen Mög­lich­kei­ten, wie eine Krank­heit ver­lau­fen kann, wird rasch klar, was über­haupt pas­siert. Allen Men­schen sind min­des­tens zwei der wich­tigs­ten Ver­laufs-Mög­lich­kei­ten jeder Krank­heit klar: Hei­lung oder Tod. Vie­le Kopf­schmerz- oder Rheu­ma­pa­ti­en­ten ken­nen leid­voll eine wei­te­re wich­ti­ge Vari­an­te, die Chro­ni­fi­zie­rung, also das Auf­tre­ten eines chro­ni­schen Krank­heits­ver­laufs. Beson­ders aus der Kin­der­heil­kun­de ist schließ­lich die Syn­drom-Ver­schie­bung bekannt (auch Eta­gen-Wech­sel genannt). Zum Bei­spiel, wenn bei einem Kind ein chro­ni­scher Haut­aus­schlag (Neu­ro­der­mi­tis) medi­ka­men­tös unter­drückt wird, der nach eini­ger Zeit als chro­ni­sche Atem­wegs­er­kran­kung (Asth­ma) wiederkehrt.

Auch die Erst­ver­schlim­me­rung ist ein grund­le­gen­des Reak­ti­ons­mus­ter bei Krank­hei­ten, in dem sich die the­ra­peu­ti­sche Reak­ti­vie­rung von Selbst­hei­lungs­kräf­ten in vor­über­ge­hend wie­der auf­fla­ckern­den oder ver­stärk­ten Beschwer­den oder Funk­ti­ons­ein­schrän­kun­gen aus­drückt. Die Selbst­hei­lungs­kräf­te, die sol­chen Selbst­hei­lungs­vor­gän­gen zugrun­de lie­gen, kön­nen jedoch nicht nur durch homöo­pa­thi­sche Prä­pa­ra­te ange­regt wer­den, son­dern auch durch eine Viel­zahl von unter­schied­li­chen Ver­fah­ren. Die klas­si­sche Natur­heil­kun­de, die Phy­to­the­ra­pie oder die Sport­me­di­zin ken­nen bei­spiels­wei­se vie­le wirk­sa­me Metho­den, bei denen es im von außen oder von innen ange­reg­ten Hei­lungs­ver­lauf sehr wohl auch zu Erst­ver­schlim­me­run­gen kom­men kann. Das glei­che gilt ent­spre­chend für die The­ra­pie mit Schüß­ler­sal­zen oder Kom­bi­na­ti­ons-Schüß­ler­prä­pa­ra­ten wie den JSO-Bicomplexen.

Tipp: Zur Selbst­be­hand­lung mit JSO-Bicom­ple­xen gehört immer eine ver­stärk­te Selbst-Beob­ach­tung. Ver­stär­ken sich bei der Behand­lung einer chro­ni­schen Erkran­kung eini­ge der typi­schen, bekann­ten Beschwer­den für eini­ge Stun­den oder ganz weni­ge Tage, kann dies Aus­druck einer Erst­ver­schlim­me­rung sein. Bei völ­lig neu­en Sym­pto­men soll­te geprüft wer­den, ob die­se nicht durch ganz ande­re Ursa­chen bedingt sind. Sind Beschwer­den einer Erst­ver­schlim­me­rung sehr belas­tend, kann, kann eine Dosis-Ver­rin­ge­rung Erleich­te­rung brin­gen. Ansons­ten soll­te, wie in der Homöo­pa­thie auch, die the­ra­pie­be­ding­te Erst­ver­schlim­me­rung begrüßt und das wohl­tä­ti­ge Wir­ken des jewei­li­gen Heil­mit­tels mit Geduld abge­war­tet wer­den. Aku­te Erkran­kun­gen zei­gen im Hei­lungs­ver­lauf meist kei­ne Erstverschlimmerung.

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Gesund­heits­be­ra­ter, Ber­lin, Juni 2016.
Quel­le
[1] Stub T, Musi­al F, Kris­toff­er­sen AA, Alræk T, Liu J: Adver­se effects of home­opa­thy, what do we know? A sys­te­ma­tic review and meta-ana­­ly­­sis of ran­do­mi­zed con­trol­led tri­als. Com­ple­ment Ther Med. 2016 Jun;26:146–63 (DOI | PMID).