Schwarzchristwurzel

Hahnemanns Apothekerlexikon
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Schwarz­christ­wur­zel, Hel­le­bo­rus niger, L. [Zorn, pl. med. tab. 185.] mit fast blät­ter­lo­sem, nicht sel­ten zwei­blüt­hi­gem Sten­gel und fuß­för­mi­gen Blät­tern, ein nied­ri­ges Kraut mit peren­ni­ren­der Wur­zel, wel­ches auf den öster­rei­chi­schen, stey­er­mär­ki­schen, tyro­ler und andern hohen Gebir­gen an rau­hen Orten ein­hei­misch, in unsern Gär­ten im Jen­ner und Febru­ar wei­ße Blu­men trägt, die vor dem Ver­wel­ken rosen­roth werden.

Die leich­te locke­re Wur­zel besteht aus einem mus-katen­nuß gro­ßen, kug­lich­ten Kop­fe, aus wel­chem rings­her­um ganz kur­ze, geglie­der­te Aes­te ent­sprin­gen, von denen eine Men­ge flei­schi­ge, glat­te, span­nen- und fuß­lan­ge, bei ältern Pflan­zen unter ein­an­der gewirr­te Fasern aus­lau­fen. Blos die­se (Fibrae, Fibril­lae Hel­le-bori nigri, Melam­po­dii) nimmt man, als den kräf­tigs­ten Theil, zum Gebrau­che. Die trock­ne Wur­zel ist äußer­lich schwarz­braun, inner­lich weiß­licht von wid­ri­gem, schärf­lich bit­ter­li­chem Geschma­cke; auf die Bit­ter­lich­keit folgt eine Erhit­zung und die Zun­ge wird davon gleich­sam erstarrt. Der Geruch der frisch getrock­ne­ten Wur­zel beißt in der Nase und ist ran­zicht ekelhaft.

Nicht völ­lig vor der Luft ver­wahrt, ver­liert sie bald einen gro­ßen Theil ihrer Kräf­te, end­lich wird sie fast ganz kraft­los, riecht nicht mehr und schmeckt fast gar nicht. Eben so wird sie durch Kochen unkräf­ti­ger; das destil­lir­te Was­ser besitzt die schar­fen, abfüh­ren­den Kräf­te der Wur­zel. Aus die­ser Ursa­che sind alle Extrak­te dar­aus, des unglei­chen Maa­ßes der ange­wand­ten Hit­ze wegen, unzu­ver­lä­ßi­ge Dinge.

Unge­ach­tet in unzäh­li­gen Büchern seit Jahr­tau­sen­den viel Auf­sehn von der Schwarz­christ­wur­zel, als einem der wich­tigs­ten Gewäch­se, gemacht wor­den ist, so weiß man doch bis jetzt noch fast nichts von ihrer eigent­li­chen Wir­kung. Außer­dem daß man nicht auf­merk­sam beim Beob­ach­ten war, nahm auch bald Die­ser eine fri­sche, bald Jener eine ver­leg­ne Wur­zel zum Gebrau­che, und hun­dert andern Aerz­ten wur­den indeß Wur­zeln von ganz ver­schied­nen Pflan­zen statt der Schwarz­christ­wur­zel aus der Apo­the­ke gereicht. Es gie­bt kein Gewächs in dem Arz­nei vor­ra­the, dem man so unge­scheut in Apo­the­ken eine grö­ße­re Men­ge and­rer Wur­zeln unter­zu­schie­ben sich her­aus­ge­nom­men hät­te. Außer der Grün­christ­wur­zel (der man viel­leicht nicht soviel Unähn­lich­keit, und nur grö­ße­re Hef­tig­keit der Wir­kung vor­wer­fen kann) hat man an der Stel­le der Schwarz­christ­wur­zel auch die Wur­zel des Früh-lings­ado­nis, der Ado­nis Appen­ni­na, des Trol­li­us eu-ropaeus, der Actaea spi­ca­ta, der Astran­tia major, des Fall­kraut­wohl­ver­leih, in selbst des Napell­sturm-huts gege­ben. Wer woll­te bei einer sol­chen sinn­lo­sen Ver­wech­se­lung noch rei­ne Beob­ach­tun­gen über die wah­re Wir­kung der wah­ren Schwarz­christ­wur­zel erwar­ten? Bei vie­len Erzäh­lun­gen wird es sogar sicht­lich, daß die Weiß­meß­wur­zel gebraucht wor­den, wo die Leser die Schwarz­christ­wur­zel im Sin­ne hat­ten. So viel mir bekannt ist, ver­ste­hen die grie­chi­schen Schrift­stel­ler alle­sammt, wenigs­tens bis zum Ori­ba­si-us her­auf, unter dem ein­zel­nen Wor­te Hel­le­bo­rusnie eine and­re als die Weiß­nieß­wur­zel, wie auch die ange­geb­nen Zufäl­le erweisen.

Was man also bei die­ser all­ge­mei­nen Ver­wir­rung unter den neu­ern Schrift­stel­lern gewis­ses abzie­hen kann, besteht etwa dar­in, daß die Schwarz­christ­wur­zel eine gewis­se Ein­ge­schla­fen­heit und Läh­mig­keit in den Glie­dern, und ich set­ze aus eig­ner Erfah­rung hin­zu, gro­ße Angst, Käl­te, erst sehr klei­nen, hin­ten-nach lang­sa­men Puls, durch­drin­gen­des Kopf­weh, plötz­li­che Oede­me, ver­schied­ne zusam­men­zie­hen­de Emp­fin­dun­gen in meh­rern Thei­len des Kör­pers, u.s.w. erregt; und man sagt, sie sei in eini­gen (unbe­stimm­ten) Gemüths­krank­hei­ten, gewis­sen Amenor­rhö­en, in Her­vor­brin­gung des Gold­ad­er­flus­ses, in Was­ser­such­ten (etwa denen von krampf­haf­ter Beschaf­fen­heit des Saug­ader­sys­tems?) in Wech­sel­fie­bern und eini­gen Haut­aus­schlä­gen hülf­reich befun­den worden.

Es soll­te aber kein Arzt je Schwarz­nieß­wur­zel ver­schrei­ben, wenn er nicht über­zeugt wäre, daß der Apo­the­ker sie in sei­nem Gar­ten selbst gezeugt, oder erweis­lich von einem andern Ken­ner erhal­ten hät­te, der sie selbst gezo­gen. Alle im Han­del befind­li­che ist unzu­ver­läs­sig, und alle äuße­re Zei­chen müs­sen bei einer so gro­ßen Anzahl unter­ge­schob­ner Wur­zeln schwer ver­ständ­lich und trüg­lich ausfallen.

Die Vieh­ärz­te bedie­nen sich der Schwarz­christ-wurz­fa­sern statt Haar­sei­le bei Rind­vieh und Pfer­den gegen meh­re­re Krank­hei­ten selbst gegen die Rindviehpestarten.

Die wohl und schnell getrock­ne­te Wur­zel erhält sich sehr kräf­tig, wenn sie gepül­vert und noch völ­lig tro­cken in wohl ver­kork­ten Fla­schen auf­ge­ho­ben wird. Das fei­ne Pul­ver und die ein­fa­che Tink­tur scheint vor allen Prä­pa­ra­ten den Vor­zug zu behaup­ten. Zwei bis vier Gran von ersterm habe ich schon als eine ziem­li­che Gabe befunden.