Gestirne und Gesellschaft

Der sehr deut­sche Dich­ter Ste­fan Geor­ge hat ein­mal bemerkt, daß Alche­mie und Astro­lo­gie etwas gemein­sam haben. Bei­de stell­ten kei­nen alt gewor­de­nen Aber­glau­ben, son­dern vor­ei­li­ge Erkennt­nis dar, denn bei­de las­sen sich als die zu rasch gezo­ge­nen Kon­se­quen­zen eines über­trie­be­nen Ein­heits­dran­ges deu­ten. Geor­ge zufol­ge glaubt die Alche­mie zu fest an die Ein­heit der Stof­fe und über­treibt ihre Wan­del­bar­keit, wäh­rend die Astro­lo­gie zu sehr an die Ein­heit der Kräf­te glaubt und ihre Zusam­men­hän­ge über­zieht. Mit ande­ren Wor­ten, “sie glau­ben und über­trei­ben nur das, was auch die moder­ne Wis­sen­schaft glaubt und sucht.”

Ein­heit und Zusam­men­hang – mög­li­cher­wei­se steckt in die­sem Begriffs­paar die Erklä­rung für die seit Jahr­tau­sen­den unge­bro­che­ne Fas­zi­na­ti­on, die von der Astro­lo­gie aus­geht: “Es ist schon ein erstaun­li­ches Phä­no­men, daß auch heu­te noch, aller “Auf­klä­rung’ zum Trotz, etwa 50% der erwach­se­nen Bevöl­ke­rung in den west­li­chen Indus­trie­na­tio­nen einen “Ein­fluss der Gestir­ne auf das mensch­li­che Schick­sal’ für mög­lich hal­ten, daß etwa 25% von solch einem Ein­fluss gar über­zeugt sind.” [8]

Vie­le nam­haf­te Wis­sen­schaft­ler und Publi­zis­ten – am hef­tigs­ten Hoimar von Dit­furth – haben zwar immer wie­der und meist mit Zor­nes­rö­te im Gesicht nach­zu­wei­sen ver­sucht, daß die Astro­lo­gie nichts ande­res als eine fal­sche Theo­rie zur Erklä­rung nicht nach­weis­ba­rer Tat­be­stän­de ist. Doch was auch immer sie ver­sucht und unter­nom­men haben, am Ende konn­ten sie sich nur über die Hart­nä­ckig­keit wun­dern, mit der Men­schen an Horo­sko­pen hän­gen und Stern­deu­tern lau­schen. Um die­se Nei­gung zu ver­ste­hen, soll­te zunächst klar­ge­stellt wer­den, daß es Unsinn ist, die Astro­lo­gie mit der Astro­no­mie zu ver­glei­chen und nach der Qua­li­tät ihrer Erklä­run­gen zu fra­gen. Es bleibt sinn­los, die Astro­lo­gie als frü­he Form der astro­no­mi­schen Wis­sen­schaft zu ver­ste­hen. Ihr name setzt sich aus den grie­chi­schen Wort­stäm­men astron, “Stern”, und logos, “Geist”, “Sinn”. Astro­lo­gie han­delt also von dem geis­ti­gen Sinn, der in den Ster­nen steckt, wäh­rend die Astro­no­mie mit den Geset­zen (nomoi) zu tun hat, die am Him­mel regie­ren. Mit ande­ren Wor­ten, Astro­no­men fra­gen nach Ergeb­nis­sen von Stern­be­ob­ach­tun­gen und ver­su­chen, natur­ge­setz­li­che Zusam­men­hän­ge zwi­schen ihnen zu for­mu­lie­ren. Und Astro­lo­gen fra­gen nach der Bedeu­tung, die das räum­lich und zeit­lich Mess­ba­re für den Men­schen hat. Ent­spre­chend ver­las­sen sich Astro­lo­gen mehr auf ihre Sin­ne, wäh­rend Astro­no­men sich stär­ker ihrem Ver­stand zuwenden.

Wenn man will, lässt sich an die­ser Stel­le die Tren­nung der zwei Kul­tu­ren erken­nen, von der ein­gangs die Rede war. Astro­no­men wol­len zäh­len, und Astro­lo­gen wol­len erzäh­len, zum Bei­spiel von der indi­vi­du­el­len Emp­fäng­lich­keit für die Tätig­keit der Ster­ne. Sie schmü­cken den Him­mel mit Stern­bil­dern aus und geben den Men­schen das Gefühl, nicht allein in der Wei­te des Kos­mos, son­dern von einer höhe­ren Ord­nung gemeint zu sein.

Man miss­ver­steht die Auf­ga­be der Astro­lo­gie völ­lig, wenn man sie nach ihren wis­sen­schaft­li­chen Vor­ga­ben oder den her­vor­ge­brach­ten Natur­ge­set­zen fragt, wie es Hoimar von Dit­furth getan hat, der sich im übri­gen die durch­gän­gi­ge und uni­ver­sel­le Sinn­su­che der Men­schen zunut­ze mach­te, als er sei­nem Buch über die Phy­sik des Uni­ver­sums den Titel Kin­der des Welt­alls gab. Genau nach die­ser Gewiss­heit suchen die Men­schen, die ger­ne ihren Ort in der Welt ken­nen und sich in ihr zu Hau­se füh­len wollen.

Die Geschich­te, die Hoimar von Dit­furth in sei­nem Best­sel­ler erzählt, lässt das Uni­ver­sum wie eine gute Mut­ter erschei­nen, die für ihre Zög­lin­ge sorgt. Die Leser erfah­ren zum Bei­spiel, daß die Son­ne nicht nur das wär­men­de und lebens­spen­den­de Licht aus­sen­det, das wir an schö­nen Som­mer­ta­gen genie­ßen. Sie bringt dar­über hin­aus – als Neben­wir­kung der Licht­pro­duk­ti­on – einen Strom aus Elek­tro­nen her­vor, der uns töd­lich tref­fen wür­de, wenn das Magnet­feld der Erde nicht wäre, das ihn ablenkt. Nun könn­te man auf die Idee kom­men, den Son­nen­wind aus Elek­tro­nen für eine Fehl­kon­struk­ti­on im Kos­mos zu hal­ten, aber genau dies trifft nicht zu. Er hat sogar eine lebens­wich­ti­ge Funk­ti­on, näm­lich die Erde vor den soge­nann­ten Höhen­strah­len zu schüt­zen, die aus den Tie­fen des Welt­alls kom­men. Tat­säch­lich lässt sich auf die­se Wei­se eine wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Geschich­te des Uni­ver­sums erzäh­len, die uns das Gefühl gibt, an einem bevor­zug­ten und geschütz­ten Platz zu leben.

Doch die Wis­sen­schaft hat auch ande­re Sei­ten. Wie eini­ge ihrer füh­ren­den Ver­tre­ter in den letz­ten Jah­ren fest­ge­stellt haben, scheint das Uni­ver­sum immer weni­ger Sinn zu haben, je genau­er es erklärt wird. Tat­säch­lich wird der wis­sen­schaft­li­che Him­mel weni­ger mit ver­trau­ten Bil­dern als mit gigan­ti­schen Staub­ex­plo­sio­nen und fürch­ter­lich wir­ken­den Roten Rie­sen gefüllt, zwi­schen denen sich über­all unheim­li­che Schwar­ze Löcher zu ver­ber­gen schei­nen. Das mag zwar alles theo­re­tisch-phy­si­ka­lisch zu begrün­den sein, doch “erklä­ren ent­wer­tet”, wie der Dich­ter der Gal­gen­lie­der, Chris­ti­an Mor­gen­stern, ein­mal geschrie­ben hat, und das Publi­kum spürt die­sen Ver­lust. Hier deu­tet sich erneut die Kom­ple­men­ta­ri­tät zwi­schen dem all­ge­mein gül­ti­gen natur­wis­sen­schaft­li­chen Gesetz und der indi­vi­du­el­len Suche nach Lebens­sinn an. Die Kon­se­quenz dar­aus ist für den hier ver­han­del­ten Zusam­men­hang klar: Eine ernst zu neh­men­de Astro­lo­gie geht kom­ple­men­tär zu einer wis­sen­schaft­lich kor­rek­ten Astro­no­mie vor und bie­tet ent­spre­chen­de Ein­sich­ten. Wer einen Astro­no­men um Rat fragt, möch­te eine uni­ver­sal zutref­fen­de und mit ratio­na­len Mit­teln erar­bei­te­te Aus­kunft über die Bewe­gun­gen der Gestir­ne. Wer einen Astro­lo­gen um Rat fragt, möch­te Aus­kunft über sein Leben, und an die­ser Stel­le hat Ratio­na­li­tät nicht viel zu sagen. Jeder von uns ist ein Ein­zel­fall, der folg­lich irra­tio­nal ist. Irra­tio­nal sind wir, nicht weil wir “unsin­nig” wären, son­dern weil kein Mensch auf ratio­na­le Erklä­run­gen redu­zier­bar ist.

Die Har­mo­nie der Welt

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