Die Harmonie der Welt

Die Astro­lo­gie stand frü­her in hohem Anse­hen, und sie könn­te heu­te noch eben­so gut daste­hen, wenn sie sich nicht durch zahl­rei­che Vul­gär­as­tro­lo­gen selbst abge­wer­tet hät­te, die harm­lo­se Horo­sko­pe erfin­den und bil­li­ge Bou­le­vard­blät­ter mit plat­ten Pro­gno­sen fül­len. Wofür an die­ser Stel­le gewor­ben wird, könn­te man den huma­nen (gebil­de­ten) Umgang mit der Astro­lo­gie nen­nen, die mehr ist als blo­ßer Aber­glau­be. Für den grie­chi­schen Arzt Hip­po­kra­tes etwa hat­te nie­mand ohne Kennt­nis­se der Astro­lo­gie das Recht, sich Arzt zu nen­nen. Und Johan­nes Kep­ler hat sei­ne Kri­ti­ker – “etli­che Theo­lo­gos, Med­icos und Phi­lo­so­phos” – ermahnt, “daß sie bei bil­li­cher Ver­werf­fung des Stern­gu­cke­ri­schen Aber­glau­bens nicht das Kind mit dem Bad aus­schüt­ten und hier­mit ihrer Pro­fes­si­on zuwi­der handeln.”

Kep­ler selbst hat sich nicht nur des­halb ernst­haft mit der Astro­lo­gie beschäf­tigt, weil er damit wenigs­tens etwas Geld ver­die­nen konn­te, son­dern weil er eine Theo­rie für die Wir­kungs­wei­se der Ster­ne hat­te. Um sie for­mu­lie­ren zu kön­nen, muss­te er jedoch zuerst einen ent­schei­den­den Schritt tun. Noch vor Kep­lers Zei­ten war die Vor­stel­lung einer umfas­sen­den Welt­see­le weit ver­brei­tet. Das gan­ze Uni­ver­sum galt als belebt, so wie man es bei sich selbst spür­te. Kep­ler schaff­te die­se ani­ma mun­di ab und ersetz­te sie durch die Vor­stel­lung von Ein­zel­see­len, die in jedem Stern und in jedem Pla­ne­ten zu fin­den waren.

Mit den See­len der Gestir­ne am Him­mel und den See­len der Men­schen auf der Erde konn­te Kep­ler nun von einem Gleich­klang zwi­schen bei­den spre­chen, und zwar vor allem des­halb, weil bei­de einen Schöp­fer haben, der sie so ange­legt hat, daß sie mit­ein­an­der in Ein­klang kom­men kön­nen. Modern aus­ge­drückt ent­wirft Kep­ler eine Reso­nanz­theo­rie für die Astro­lo­gie, die er als Zeug­nis von Got­tes Wir­ken versteht.

Der Begriff Reso­nanz kann wört­lich genom­men wer­den, denn Kep­ler war der Mei­nung, daß es eine Har­mo­nie des Kos­mos gibt, daß die himm­li­schen Sphä­ren und ihre Bewe­gung eine Musik erge­ben, die wir emp­fan­gen und wahr­neh­men kön­nen. Wir sind dabei Per­so­nen in der wört­li­chen Bedeu­tung, weil dabei etwas durch uns hin­durch tönt – auf latei­nisch per sona­re. “Die Son­ne tönt nach alter Wei­se”, wie es zum Beginn im “Faust” heißt, wenn die Engel den Auf­tritt des Herrn ankün­di­gen. Auch wenn die­se Bemer­kun­gen auf den ers­ten Blick weit aus dem wis­sen­schaft­li­chen Feld her­aus­zu­füh­ren schei­nen, so wür­den wir das Kind mit dem Bade aus­schüt­ten, wenn wir den musi­ka­li­schen Gedan­ken völ­lig igno­rier­ten. Wer sich näm­lich in moder­nen Büchern umsieht, zum Bei­spiel in Bri­an Greens Das ele­gan­te Uni­ver­sum, wird fest­stel­len, daß die heu­ti­ge Phy­sik im Inne­ren fin­det, was Kep­ler außen ent­deckt hat – näm­lich Rhyth­mus und har­mo­ni­sche Bewe­gun­gen. “String­theo­rie” heißt das jüngs­te Kind der Hoch­en­er­gie­phy­sik, der zufol­ge selbst die ele­men­tars­ten Teil­chen wie Elek­tro­nen noch ein Innen­le­ben haben, und zwar in Form von “strings”, also Sai­ten, die man sich auch tat­säch­lich wie die Sai­ten einer Vio­li­ne vor­stel­len kann. Könn­te es nicht sein, daß Kep­ler und die String­theo­re­ti­ker recht haben und wir genau in der Mit­te zwi­schen zwei natür­li­chen Har­mo­nien Platz gefun­den haben und in uns und durch uns die Musik des Kos­mos tönt? Könn­te es nicht sein, daß wir – wie­der wört­lich – Per­so­nen sind, weil wir den inne­ren und den äuße­ren Rhyth­mus, die ato­ma­re und die kos­mi­sche Bewe­gung verbinden?

Makro-Mikro-Kos­mos

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