Hirsch

Hahnemanns Apothekerlexikon
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Hirsch, Cer­vus elaphus, L. [Riding. Jagdb. Tab. 4. 5.] mit ästi­gem, durch­gän­gig rund­li­chem rück­wärts gebo­gnem Gehör­ne, ein bekann­tes schö­nes, sanf­tes Wild, wovon das Männ­chen gegen den Anfang des März sein Gewei­he abwirft, wel­ches im July wie­der gewach­sen ist, jähr­lich mit einem Ende mehr. Ihre Brunst­zeit ist im August und Sep­tem­ber. Das Weib­chen trägt acht Mona­te und wirft sel­ten mehr als ein Hirsch­kalb. Sie wer­den nicht leicht über drei­ßig Jahr alt.

Man hat dem wei­ßen, har­ten Tal­ge (sevum cer­vin-um), wel­cher kei­ne Vor­zü­ge vor dem Schöp­sen­t­al­ge hat, besond­re erwei­chen­de, zert­hei­len­de und schmei-digen­de Kräf­te zuschrei­ben wol­len. Die man­nig­fal­tig, zuwei­len kreuz­för­mig gestal­te­ten Ver­knö­che­run­gen der Flech­sen im Her­zen und des Anfangs der Aor­ta (Hirsch­kreutz, os de cor­de cer­vi), haben die Alten als ein herz­stär­ken­des und schweiß­trei­ben­des Mit­tel gleich lächer­li­cher­wei­se als das Pul­ver der getrock­ne­ten männ­li­chen Ruthe (priap. cer­vi) in Ruhr, Sei­ten­stich, Hys­te­rie und Impo­tenz gerühmt. Aus den jun­gen Kei­men der Gewei­he (Hirsch­kol­ben, typhae cor-nuum cer­vi), wel­che weich, röth­lich, und gleich­sam wol­licht sind, zogen sie ein kraft­lo­ses destil­lir­tes Was­ser ab.

Gebräuch­li­cher sind noch die aus­ge­wach­se­nen Gewei­he (Hirsch­horn, Cor­nu cer­vi), eine zwi­schen Horn und Kno­chen inne ste­hen­de, sehr fes­te Sub­stanz, wel­che theils geras­pelt (rasu­ra C.C.), theils als fei­nes Pul­ver (C.C. prae­pa­ra­tum), theils durch Kochen auf­ge­löst (Gal­ler­te), theils nach vor­gän­gi­ger Aus­zie­hung der Gal­ler­te durch die Dämp­fe des kochen­den Was­sers, als eine zer­reib­li­che Kno­chen­ma­te­rie (C. C phi­lo­so­phi­ce, s. sine igne prae­pa­ra­tum, Prä­pa­ri­ren, phi­lo­so­phi­sches), theils in offe­nem Feu­er zur Wei­ße gebrannt (C.C. ustum) ange­wen­det wor­den sind, die Pul­ver als angeb­li­che herz­stär­ken­de Mittel.

Wenn die­se Gewei­he, oder statt deren (räth­li­cher) die Klau­en und Hör­ner, des weni­ger übeln Geruchs wegen aber, am bes­ten, die Kno­chen irgend eines Thie­res in Stü­cken zer­schla­gen, in eine guß­ei­ser­ne oder stein­zeug­ne, beschlag­ne Tubu­la­tre­tor­te gethan, bis zu drei Vier­tel damit ange­füllt, und aus frei­em Feu­er im Rever­ber­i­rofen (Ofen) bei all­mäh­lig er-höhe­ter, end­lich bis zum Glü­hen des Bodens der Retor­te ver­stärk­ter Hit­ze tro­cken so lan­ge destil­lirt wer­den, bis die Vor­la­ge nicht mehr warm bleibt, so fin­det man ein hef­tig stin­ken­des Oel (Hirsch­horn­öl, ol. Cor­nu cerui foet­idum), ein ange­flo­ge­nes, mit sol­chem Oele ver­misch­tes rohes Hirsch­horn­salz (sal C.C. cru­dum), und eine brau­ne, mit die­sem Sal­ze geschwän­ger­te, wäs­se­ri­ge Flüs­sig­keit (roher Hirsch­horn­geist, spir. C.C. cru­dus). Die bei die­ser Destil­la­ti­on nöthi­ge Ein­rich­tung der Vor­la­ge, um der Gewalt der ent­wi­ckel­ten Gas­ar­ten auf der einen, und der Ver­min­de­rung der Pro­duk­te auf der andern Sei­te zu ent­ge­hen, fin­det man unter Destil­la­ti­on S. 219.

Das stin­ken­de Hirsch­horn­öl (das hit­zigs­te aller Arz­nei­mit­tel wel­ches man jetzt fast blos zur Bereu­ung des Thier­öls, w.s., anwen­det), wird nebst dem Hirsch­horn­geis­te in ein dop­pel­tes, mit Was­ser genetz­tes Fil­trir­pa­pier geschüt­tet, wodurch blos letz­te­rer gehet, mit Zurück­las­sung des Oels, wel­ches man nach Durch­stechung des Fil­t­rums in ein and­res Gefäß flie­ßen las­sen kann.

Um Salz und Geist von ihrer brau­nen Far­be und ihrem stin­ken­den Geru­che mög­lichst zu befrei­en, (weil man nur rek­ti­fi­zir­tes Hirsch­horn­salz und nur rek­ti­fi­zir­ten Hirsch­horn­geist zur Arz­nei brau­chen kann), so schüt­tet man den brau­nen Geist und das schmut­zi­ge Salz mit zwei Thei­len (gegen das letz­te­re gerech­net) gepül­ver­ter Krei­de ver­mischt in einen glä­ser­nen Kol­ben (Destil­la­ti­on S. 213.) und destil­lirt aus dem Sand­ba­de bei sehr gelin­dem Feu­er, bis das Salz in den Helm auf­ge­trie­ben ist, und Wäs­se­rig­keit in die Vor­la­ge über­zu­ge­hen anfängt. Dann been­digt man sogleich die Destil­la­ti­on und ver­wahrt das auf einem Flies­pa­pie­re etwas getrock­ne­te Salz in einer Fla­sche mit ein­ge­rie­bnem Stöp­sel. Da aber dieß so rek­ti­fi­zir­te Salz sich nicht lan­ge hält, ohne wie­der braun und stin­kend zu wer­den, so ver­wen­det man es blos zur Bereu­ung des rek­ti­fi­zir­ten Hirsch­horn­geis­tes (spir. C.C. rec­tif.), indem man es, gleich frisch aus dem Hel­me genom­men, in fünf Thei­len destil­lir­tem Was­ser auf­löst, und in wohl ver­stopf­ten Fla­schen aufbewahrt.

Ange­neh­mer von Geruch und wei­ßer an Far­be berei­tet man das rei­ne Hirsch­horn­salz (sal. C.C. rec­tif.), indem man vier Unzen gepül­ver­ten Sal­mi­ak mit acht Unzen recht trock­ner gepül­ver­ter Pota­sche und einem Quent­chen Hirsch­horn­öle (oder bes­ser Thier­öle) ver­mischt und aus einer glä­ser­nen Retor­te im Sand­ba­de das flüch­ti­ge Salz in die wohl anlut­ir­te Vor­la­ge treibt.

Bei­de, das rek­ti­fi­zir­te Hirsch­horn­salz, so wie der rek­ti­fi­zir­te Hirsch­horn­geist, sind, wie man sieht, Ammo­ni­ak­lau­gen­sal­ze mit fei­nem Thier­öle geschwän­gert, ers­te­res in trock­ner, letz­te­res in flüs­si­ger Gestalt, und bei­de besit­zen ermun­tern­de, anthys­te­ri­sche Kräfte.

Um den bern­st­ein­sal­zi­gen Hirsch­horn­geist (liqu­or C C. suc­ci­na­tus) zu berei­ten, löset man äch­tes Bern­st­ein­salz in kochen­dem Was­ser bis zur Sät­ti­gung auf und wirft so viel gepül­ver­tes rek­ti­fi­zir­tes Hirsch­horn­salz hin­zu, als zur Sät­ti­gung hin­reicht. Soll­te die Mischung trü­be seyn, so wird sie fil­trirt. (Abge­dampft schießt sie zu einem [in Wein­geist auf­lös­li­chem] Neu­tral­sal­ze in fei­nen Nadeln an, Hirsch­horn­bern­st­ein­salz, sal C. C. suc­ci­na­tum. )

Bei­de letz­te­re sind ein in kal­tem Rheu­ma­tism, in Krämp­fen und Hys­te­rie sehr vor­züg­li­ches Mit­tel, und beför­dern die Ausdünstung.

Die Nach­äf­fung des bern­st­ein­sal­zi­gen Hirsch­horn­geis­tes aus Hirsch­horn­geist, Bern­stein­öl und Essig oder Wein­stein hat das Bür­ger­recht in der Pra­xis noch nicht erlangt, und darf statt jenem ohne offen­ba­ren Betrug nicht dis­pen­sirt wer­den. Die ers­te­re Ver­fäl­schung erkennt man an dem auf­stei­gen­den Essig­damp­fe auf Zutröp­fe­lung des Vitriol­öls, die letz­te­re gie­bt mit Blei­zu­cker einen Nie­der­schlag, wel­cher auf glü­hen­den Koh­len einen Dampf wie ver­brann­ter Wein­stein verbreitet.