Gifte

Hahnemanns Apothekerlexikon
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Gif­te sind stark wir­ken­de Sub­stan­zen, wel­che, in grö­ße­rer als arz­nei­li­cher Gabe und am unrech­ten Orte gebraucht, theils bos­haf­te, theils unvor­sich­ti­ge Ver­gif­tun­gen, Tod oder beträcht­li­chen Kör­per­scha­den anrich­ten können.

Des­halb sind nicht blos Mohn­saft, Arse­nik, Sub­li­mat für Gif­te anzu­se­hen, son­dern noch weit meh­re­re unnenn­ba­re Arz­nei­sub­stan­zen, wenn sie in gar zu gro­ßer Gabe von Quack­sal­bern oder unwis­sen­den Aerz-ten ver­schrie­ben, oder vom gemei­nen Man­ne in Men­ge begehrt wer­den, um sie ent­we­der auf ein­mal ein­zu­neh­men oder sie in offen­bar hete­ro­ge­nen Krank­hei­ten zu brau­chen. Was kann ein bis zwei Loth Sal­pe­ter bin­nen weni­gen Stun­den ein­ge­nom­men nicht für lebens­ge­fähr­li­che Zufäl­le erre­gen, was eine gro­ße Gabe Schwe­fel­bal­sam beim Lun­gen­ge­schwür, eine tüch­ti­ge Por­ti­on Hol­z­es­senz im Sei­ten­stich, ein Skru­pel Jal­app­harz für eine Schwan­ge­re, was die unver-misch­ten Mine­ral­säu­ren, die kaus­ti­schen Lau­gen­sal­ze, die dras­tisch, fres­send oder betäu­bend wir­ken­den Pflan­zen und ihre Extrak­te, die Mai­wür­mer, die spa­ni­schen Flie­gen, das Hirsch­horn­öl u.s.w. inner­lich genommen?

Es scheint zwar, als ob die Beurt­hei­lung sol­cher Fäl­le nicht für den Rich­ter­stuhl des Apo­the­kers gehör­te. Man irrt sich aber. Inner­halb des gro­ßen Wir­kungs­krei­ses der thä­ti­gen Men­schen­lie­be und der väter­li­chen Sor­ge für das all­ge­mei­ne Bes­te, den die Natur sei­nes Amtes dem recht­schaff­nen Apo­the­ker vor­zeich­net, gehört auch die­se Obhut, so viel an ihm ist, zu wachen, daß die zum Hei­le der Mensch­heit von ihm ver­fer­tig­ten und auf­be­wahr­ten Mit­tel so wenig als mög­lich durch Miß­brauch Scha­den thun mögen.

Es erfor­dert sei­ne Pflicht, wenn die­se oder ähn­li­che stark wir­ken­den arz­nei­li­chen Din­ge ihm von unwis­sen­den Leu­ten im Hand­ver­kau­fe abge­for­dert wer­den, sie selbst oder durch sei­ne Gehül­fen aus­zu­fra­gen, was sie damit anfan­gen, wozu sie sie brau­chen wol­len, und wenn sie auf einem unrech­ten Wege sind, sie eines bes­sern zu beleh­ren. Dieß ist oft mit etli­chen Wor­ten abgethan. Blos in die­ser Rück­sicht ist es für ihn höchst nöthig, sich die all­ge­mei­nen Wir­kun­gen der Arz­nei­en und ihre Gabe bekannt zu machen.

Eben so ist es des Apo­the­kers Pflicht, wenn ein Arzt aus Ueber­ei­lung oder aus Unwis­sen­heit und Wa-gehäl­sig­keit hef­tig wir­ken­de Mit­tel in all­zu­gro­ßen Gaben ver­schreibt oder äußer­lich zu brau­chen­de dras­ti­sche Din­ge ohne Signa­tur läßt, ihn mit der Behut­sam­keit und Ach­tung, die man sei­nem Stan­de schul­dig ist, unter Vor­zei­gung des Rezepts per­sön­lich zu fra­gen (nicht durch sei­ne Leu­te fra­gen zu las­sen), ob er eine nähe­re Bestim­mung zu geben ver­ges­sen, oder ob die­se Vor­schrift Wort für Wort befolgt wer­den sol­le? Die hie­bei nöthi­ge Behut­sam­keit und Scho­nung des Arz­tes kann nicht leicht zu weit getrie­ben wer­den, vor­züg­lich in Rück­sicht des Kran­ken und des Publi­kums, dem hie­von durch­aus nichts zu Ohren kom­men darf.

So wenig ein wür­di­ger Apo­the­ker sichs wird ein­fal­len las­sen, den Arzt zu meis­tern, oder ihm Vor­schrif­ten zu geben, was, wie­viel, und in wel­chen Fäl­len er sei­ne Mit­tel ver­ord­nen sol­le, so wird doch die­ser, wenn er nur die dürf­tigs­te Lebens­art besitzt, eine treu­ge­mein­te und behut­sam unter vier Augen vor­ge­tra­ge­ne Erin­ne­rung von sei­nem arz­nei­li­chen Gehül­fen, dem Apo­the­ker, nicht anders als wohl aufnehmen.

In Län­dern, wo den Quack­sal­bern, Schä­fern, Scharf­rich­tern, Huf­schmie­den, alten Wei­bern u.s.w. kein obrig­keit­li­cher Zaum bei ihrer mör­de­ri­schen Empi­rie ange­legt wird, z.B. wie in Chur­sach­sen, wo die vor­treff­lichs­ten Man­da­te ohne Wir­kung blei­ben, da scheint der gewis­sen­haf­te Apo­the­ker frei­lich nicht viel mehr thun zu kön­nen, als die Ach­seln zu zucken, und dem unwis­sen­den Men­schen­mör­der die ver­fäng­li­chen Waa­ren aus­zu­hän­di­gen (um sich, wie man spricht, das Geld nicht wei­ter tra­gen zu las­sen), weil er sie auch sonst anders­wo kau­fen wür­de. Er kann aber doch etwas mehr thun – ent­we­der ver­wei­ge­re er ihm die gro­ßen Quan­ti­tä­ten gefähr­li­chen Dro­quen, um sein eig­nes Gewis­sen nicht zu belas­ten, oder, wel­ches bes­ser, er bespre­che sich mit ihm über die gefo­der­ten Din­ge, fra­ge ihn über die Gabe und die Krank­hei­ten aus, in denen er sie zu geben denkt, füh­re, wenn die­ser, wie gewöhn­lich, kei­ne Aus­kunft dar­über gie­bt, trau­ri­ge Bei­spie­le von der unbe­hut­sa­men Anwen­dung die­ser Din­ge aus Erfah­run­gen in der Nähe an, und suche ihn zum Nach­den­ken zu brin­gen, oder, wenn er mit aller Mühe hier nichts aus­rich­tet, so gebe er ihm die­se Mit­tel doch nie auf münd­li­ches For­dern, son­dern nach einem schrift­li­chen Zet­tel, wor­un­ter der Emp­fän­ger sei­nen Vor- und Zunah­men, den Ort sei­nes Auf­ent­hal­tes und den Monats­tag gesetzt hat – um ihn der­einst bei gericht­li­chen Unter­su­chun­gen vor­zei­gen zu kön­nen. Den Rath, einem Quack­sal­ber sol­che Din­ge gar nicht zu ver­kau­fen, wür­de ich am liebs­ten geben, wenn ich so viel Selbst­ver­leug­nung hof­fen dürfte.

Wo die Obrig­keit aber stren­ge über die Ein­schrän­kung der After­ärz­te wachet, da neh­me der recht­schaff­ne Apo­the­ker durch­aus kei­nen Theil an den Ver­bre­chen die­ser Leu­te durch Ver­kauf gefähr­li­cher Waa­ren an sie; er ver­wei­ge­re sie ihnen stand­haft, und über­ge­be ihre Zet­tel der Obrigkeit.

Für Hand­werks­leu­te, Künst­ler und Vieh­ärz­te, wel­che schar­fe, gif­ti­ge Sub­stan­zen bei ihrem Gewer­be brau­chen, hal­te sich der Apo­the­ker ein eig­nes Buch, (weil ein­zel­ne Zet­tel leicht ver­lo­ren gehen), schrei­be unter dem lau­fen­den Monats­ta­ge die Dro­quen hin, und las­se den Mann durch sei­nes Namens Unter­schrift über den Emp­fang quit­ti­ren. Ein ehren­wert­her Mann aber muß der Unter­schrie­be­ne seyn, wel­cher durch sei­nen guten, unbe­schol­te­nen Namen, oder durch Ansäs­sig­keit für die Gefahr eines Miß­brauchs ste­hen kann, kein Kind, kei­ne Magd, Bedien­ter, Frau u.s.w. Ist der Fode­rer ein dem Apo­the­ker unbe­kann­ter Mensch, so brin­ge er die Bürg­schaft leis­ten­de Unter­schrift unter sei­nem Zet­tel von einer dem Apo­the­ker bekann­ten, ehren­wert­hen Per­son; wel­cher Zet­tel denn an den gehö­ri­gen Ort des Gift­bu­ches ein­ge­hef­tet wird. Ein erfah­re­ner Apo­the­ker wird schon unge­fähr wis­sen, in wel­chen Gewer­ben die­se und jene Gif­te gebraucht wer­den – wel­che nicht – um im zwei­deu­ti­gen Fal­le durch eini­ge Fra­gen nähe­re Erkun­di­gung über die Anwen­dung zu erhal­ten, und wenn dann der Ver­dacht noch wächst, die Mas­re­geln ergrei­fen zu kön­nen, die ihm Gewis­sen und Men­schen­pflicht in sol­chen Fäl­len auf­er­le­gen. Aber auch den unver­däch­ti­gen Hand­wer­kern und Künst­lern gebe er der­glei­chen Din­ge nie anders als unter Erklä­rung der bei Unvor­sich­tig­keit damit besorg­li­chen Gefahr, und der­ge­stalt in die Hän­de, daß die Ein­fas­sung der dras­ti­schen Sub­stanz deut­lich mit ihrer Benen­nung beschrie­ben sei, unter Bei­set­zung des mit grö­ßern Buch­sta­ben ge-schrieb­nen Wor­tes, Gift.

Aber auch unbe­schol­te­ne Leu­te kön­nen mit den Gif­ten blos aus Unwis­sen­heit Scha­den anrich­ten; und des­halb gebe er nie Gif­te, Arse­nik u.s.w. an Köche, Gast­wir­the, Becker, Bier­brau­er, Mehl- und Gemüß­händ­ler u.s.w. wel­che Hei­men (Gryl­lus dome-sti­ca, L.), Scha­ben (Pime­lia mor­ti­sa­ga), Mäu­se, Rat­ten und and­res Unge­zie­fer damit til­gen wol­len, weil sie nicht ver­hin­dern kön­nen, daß davon etwas unver-sehends unter die­se Nah­rungs­mit­tel gera­the, oder, von den Rat­ten und Mäu­sen ver­schluckt, wie­der auf das Mehl, die Grau­pen, den Teig, das Malz u.s.w. gespie­en wer­de, wodurch gan­ze Fami­li­en zuwei­len ver­gif­tet wor­den, wie mir meh­re­re Bei­spie­le bekannt sind. Es gie­bt eben so kräf­ti­ge Til­gungs­mit­tel des Haus­un­ge­zie­fers, wel­che dem Men­schen kei­ne Gefahr brin­gen, die­se schla­ge er ihnen vor, und ver­ach­te groß­müt­hig die weni­gen Pfen­ni­ge Gewinn.

Alle in klei­ner Gabe sehr wirk­sa­men Mit­tel ver­wahrt der Herr der Apo­the­ke am sichers­ten selbst in einem eig­nen, blos unter sei­nem Schlüs­sel ste­hen­den Behält­nis­se, gie­bt die nöthi­ge Men­ge selbst her­aus, und läßt die Zube­rei­tun­gen davon unter sei­nen Augen machen. Hier ver­steht sichs, daß eig­ne, vor­züg­lich glä­ser­ne Mör­sel und Rei­be­scha­len, und eig­ne Wagen zu die­ser Dis­pen­sa­ti­on gehal­ten wer­den, wel­che zu nichts anderm gebraucht, und immer blank und sau­ber gehal­ten wer­den müssen.

Die Scha­len der Wagen zu so schar­fen Mate­ria­li­en dür­fen nicht aus Mes­sing, wie gewöhn­lich, son­dern müs­sen aus Elfen­bein, Horn, Schild­krö­te, oder von Gol­de seyn, wel­che nicht ange­grif­fen wer­den. Zu die­sen Gif­ten rech­ne ich, wie bil­lig, jene hef­tig wir­ken­den Din­ge, z.B. Euphor­bi­en­harz, Flie­gen­pilz, Kan­tha-riden, Krä­hen­au­gen, Ignatz­boh­ne, Kirsch­lor­ber­was-ser, Mohn­saft, die Extrak­te aller hef­tig wir­ken­den Pflan­zen, Alga­rott­pul­ver, Spieß­glanz­glas, Spieß­glanz-öl, wei­ßen Prä­zi­pi­tat, Tur­bith, Queck­sil­ber­sal­pe­ter, selbst, wenn man will, Brech­wein­stein, Spieß­glanz­le-ber, Kolo­quin­ten, Esels­kür­biß­saft, Gum­mi­gut­te, Skam­mo­ni­um, Jal­app­harz, wei­ße und schwar­ze Nies­wur­zel, Sade­baum, Aetz­stein, Höl­len­stein, Fisch­kör­ner, Kel­ler­hals­sa­men, Gra­na­dill­sa­men, Ste­phans­kör­ner, Spring­kör­ner, Saba­dill­sa­men u.s.w.

Beim Pül­vern und Sie­ben der Gif­te und gift­ar­tig wir­ken­der Dro­quen in Quan­ti­tä­ten muß man die Gesund­heit und das Leben der Arbei­ter wie sein eig­nes in Betrach­tung zie­hen, die Oeff­nung des Mör­sels mit einem glat­ten, wohl pas­sen­den Deckel von har­tem schwe­rem Hol­ze zu bede­cken, wel­cher weit brei­ter als der Mör­sel, und des­sen mit­tel­stes Loch nicht wei­ter als der Schaft der auf- und nie­der­ge­hen­den Pistil­le ist. Hie­bei ist es dien­lich, daß der Schaft durch­aus von glei­cher Stär­ke sei, damit nichts her­aus­stie­ben kön­ne. Oft ist es der zu pül­vern­den Sub­stanz gar nicht nacht­hei­lig, wenn sie mit etwas Flüs­sig­keit besprengt, feucht erhal­ten, und so vor dem Ver­flie­gen ver­wahrt wird.

Das Sie­ben muß in Sieb­ma­schi­nen ver­rich­tet wer­den, deren Boden zur Auf­nah­me des Pul­vers, so wie der Sieb­de­ckel, ganz genau pas­set. Die­se müs­sen zu kei­ner andern Arbeit als zum Sie­ben die­ser fres­sen­den Sub­stan­zen gebraucht, und jedes­mal wie­der gerei­nigt, in einem beson­dern Behält­nis­se auf­be­wahrt wer­den. Der Sto­ßer und Sie­ber muß sei­nen Mund und Nase mit viel­fa­chen Tüchern ver­bin­den, und sich mit sei­ner Arbeit an einen sol­chen Ort stel­len, wo ihm die Zug­luft in den Rücken kommt, wo aber auch der fort­zie­hen­de Staub sonst kei­nem Haus­ge­nos­sen scha­den kann. Die­se Vor­sichts­re­geln sind selbst bei Dro­quen, die man für unschul­dig hält, z.B. bei der Brech­wur­zel, in Acht zu nehmen.

Der Rauch­fang muß zu Arbei­ten in Gif­ten stark zie­hen, und das Labo­ra­to­ri­um geräum­lich seyn. Man muß die unge­üb­ten Gehül­fen vor Gefahr warnen.

Außer den bekann­ten schäd­li­chen Düns­ten muß ich noch ins­be­sond­re vor einer Sub­stanz war­nen, wel­che bis­her nicht in die­sem Rufe stand. Es sind die Aus­düns­tun­gen der nicht völ­lig aus­ge­süß­ten sal­pe­ter­sau­ren Metall­sal­ze, wel­che all­mäh­lig ein sehr ent­kräf­ten­des aus­zeh­ren­des Fie­ber zuwe­ge brin­gen, wie ich über­zeugt bin.