Selbstheilung: Vermittler zwischen Krankheit und Gesundheit

Kali­for­ni­scher Mohn

Einer der Grund­be­grif­fe der (Natur-)medizin ist “Selbst­hei­lungs­kraft” oder “Selbst­hei­lungs­fä­hig­keit”. Wäh­rend der Begriff in der “Schul­me­di­zin” kaum Erwäh­nung fin­det, wird er in bestimm­ten Berei­chen der Kom­ple­men­tär- und Alter­na­tiv­me­di­zin (KAM) eher über­stra­pa­ziert. Was hat es nun mit die­sem in der Heil­kun­de und allen Schu­len der Medi­zin zen­tra­len Kon­zept auf sich? Mit Selbst­hei­lungs­fä­hig­keit wird nichts ande­res als die uralte Beob­ach­tung der Men­schen beschrie­ben, dass Stö­run­gen der Gesund­heit, Ver­let­zun­gen oder – vor allem aku­te – Krank­hei­ten sehr häu­fig allei­ne, also ohne wei­te­re Ein­flüs­se von außen, bes­ser wer­den oder sogar aus­hei­len können.

Alle Men­schen ken­nen das Para­de­bei­spiel – die bis zu vier­mal jähr­lich auf­tre­ten­den “Erkäl­tun­gen” (“grip­pa­le Infek­te”). Dabei befällt uns irgend­ei­ner von zehn­tau­sen­den mög­li­chen unter­schied­li­chen Schnup­fen­vi­ren, infi­ziert unse­re Schleim­häu­te in den Atem­we­gen und löst oft unan­ge­neh­me Abwehr­re­ak­tio­nen und Hei­lungs­ver­su­che vor Ort (Rötung, Schwel­lung, Schleim­se­kre­ti­on) und im gesam­ten Kör­per (Krank­heits­ge­fühl, Fie­ber) aus. Lässt also kurz­um einen viel­leicht sogar fie­ber­haf­ten Schnup­fen mit sei­nen bun­ten Sym­pto­men erblü­hen. Irgend­wann (genau­er: nach zwei Wochen) über­win­den die kör­per­ei­ge­nen Abwehr- und Repa­ra­turme­cha­nis­men die “Angrei­fer” von selbst ohne jeg­li­che medi­ka­men­tö­se Hil­fe (auch wenn die Phar­ma­in­dus­trie zahl­lo­se “äußerst hilf­rei­che” Medi­ka­men­te auf den Markt gebracht hat). Die Viren­last sinkt wie­der, die Beschwer­den ver­schwin­den, und die Schleim­haut heilt voll­stän­dig aus (lat. “resti­tu­tio ad inte­grum”). Übrig bleibt eine ver­stärk­te Kom­pe­tenz des Abwehr­sys­tems gegen­über vira­len Krank­heits­er­re­gern, wes­halb der Schnup­fen ger­ne auch als eine “Schu­le des Abwehr­sys­tems” bezeich­net wird.

Thy­mi­an gegen Husten

Die grund­le­gen­den Mecha­nis­men für Erre­ger-Erken­nung und ‑Kon­trol­le, für die Aus­lö­sung von Abwehr- und Hilfs­maß­nah­men und schließ­lich für die Repa­ra­tur von infek­ti­ons- und ent­zün­dungs­be­ding­ten Schä­den sind Aus­druck der fun­da­men­ta­len Selbst­hei­lungs­fä­hig­keit des Orga­nis­mus. Je nach phi­lo­so­phi­scher oder theo­lo­gi­scher Aus­rich­tung hat sich die­se Fähig­keit im Lau­fe der Evo­lu­ti­on über Mil­li­ar­den Jah­re bei allen Lebe­we­sen ent­wi­ckelt und/​oder wur­de uns von Gott geschenkt.

Der “Innere Archeus”

Wer das The­ma auf­merk­sam ver­folgt, wird über­rascht sein, wie ähn­lich die, letzt­lich auf Beob­ach­tung fußen­den Theo­rien zur Selbst­hei­lungs­kraft über die Jahr­hun­der­te blei­ben. So pos­tu­lier­te Para­cel­sus den “Inne­ren Archae­us” – eine orga­ni­sie­ren­de und form­bil­den­de inne­re Kraft, die als ideel­les Vor­bild des Lebe­we­sens auch len­kend und heil­brin­gend in die Gesun­dung bei Krank­heit ein­grei­fen kann. Das Kon­zept ähnelt ver­blüf­fend der der­zei­tig moder­nen gene­ti­schen Theo­rie, der­zu­fol­ge die im Erb­gut jeden Zell­kerns aller leben­den Wesen ver­schlüs­sel­ten Infor­ma­tio­nen (“Geno­ty­pus”) ihr Erschei­nungs­bild (“Phä­no­ty­pus”) prä­gen. Und zudem eine erfreu­li­che Fül­le an Repa­ra­turme­cha­nis­men vor­se­hen, die bei Stö­run­gen und Abwei­chun­gen des Phä­no­typs vom Geno­ty­pus (also Krank­heit), anlaufen.

Ver­blüf­fend ist auch, dass bereits das Erb­gut selbst, also die Chro­mo­so­men im Zell­kern, eine Viel­zahl von Repa­ra­turme­cha­nis­men besit­zen, mit denen die sekünd­lich, stünd­lich oder täg­lich auf­tre­ten­den Schä­den am Erb­gut mehr­heit­lich erkannt und dann wie­der kor­ri­giert wer­den kön­nen. Selbst­hei­lung ist also eine per­ma­nen­te, meist unbe­merk­te Dau­er­tä­tig­keit in unse­rem Orga­nis­mus. Ent­spre­chend des Mikro­kos­mos-Makro­kos­mos-Kon­zep­tes von Para­cel­sus besitzt also auch die­se unters­te Ebe­ne der Lebens­or­ga­ni­sa­ti­on bereits einen inne­ren Archae­us, genau­so wie alle über­ge­ord­ne­ten Zel­len, Gewe­be, Orga­ne und gan­ze Orga­nis­men (wobei aus natur­wis­sen­schaft­li­cher Sicht die gene­ti­sche Infor­ma­ti­on im Zell­kern letzt­lich der mate­ri­el­le Aus­druck eben die­ses “ideel­len” Archae­us ist).

Selbstheilung ist Grundlage allen Lebens

Alles folgt einer Ord­nung: Auch die Blattentfaltung

Die stän­dig ent­ste­hen­den Erb­gut-Schä­den (ca. 60.000 pro Tag in Säu­ge­tier­zel­len) erklä­ren auch, war­um die Selbst­hei­lungs­fä­hig­keit eine fun­da­men­ta­le Eigen­schaft des Lebens über­haupt ist: Bereits bei der Ent­ste­hung eines Lebe­we­sens und noch viel mehr in sei­nem dann begin­nen­den phy­si­schen Leben begin­nen näm­lich zahl­lo­se Kräf­te ein­zu­wir­ken, die Schä­den, Krank­heit oder Tod aus­lö­sen kön­nen. Krank­heit mag also von uns in höchs­tem Maße uner­wünscht sein, ist jedoch genau­so fun­da­men­tal für das Leben wie die Gesund­heit. Erst unse­re Selbst­hei­lungs­fä­hig­keit erlaubt es, das letz­lich töd­li­che phy­si­sche Leben – sei­nem inne­ren geis­ti­gen Antrieb fol­gend – über­haupt zu leben. Die­se Ein­sicht ist auch Grund­la­ge der Evo­lu­ti­ons­bio­lo­gie, die die Schä­di­gung von chro­mo­so­ma­len Kern­säu­ren (DNA) als Grund­la­ge von Muta­tio­nen eben die­ses Erb­gu­tes ansieht, durch die – manch­mal – etwas schöp­fe­risch Neu­es ent­steht. Viel­leicht etwas Neu­es, das dem inne­ren Archae­us der Schöp­fung selbst und sei­nen Idea­len oder sei­nen Zie­len näher kommt, als die bis­her ent­stan­de­nen Lebewesen.

Eine Brücke zur wissenschaftlichen Medizin

Aus natur­me­di­zi­ni­scher Sicht ist schließ­lich beein­dru­ckend, dass die fun­da­men­ta­le Fähig­keit der Selbst­hei­lung eine Brü­cke zur natur­wis­sen­schaft­lich ori­en­tier­ten Medi­zin schafft, die vie­le Dis­kus­sio­nen und Strei­tig­kei­ten been­den könn­te. Bei­spiel Anti­bio­ti­ka-The­ra­pie: Natur­me­di­zi­ner geste­hen zwar ein, dass vie­le Anti­bio­ti­ka nahe­zu 100%ige Natur­pro­duk­te sind, zum Bei­spiel von Pil­zen gebil­det. Ihnen graust nur vor der über­mä­ßi­gen und feh­ler­haf­ten Anwen­dung. Schul­me­di­zi­ner kön­nen hin­ge­gen durch­aus zuge­ben, dass ihre Anti­bio­ti­ka bei einer schwe­ren bak­te­ri­el­len Infek­ti­on ledig­lich den Infek­ti­ons­druck min­dern, und es so dem Kör­per erst erlau­ben, sich selbst zu hei­len. Ein Anti­bio­ti­kum allei­ne bewirkt eben kei­ne Hei­lung, son­dern hilft ledig­lich dabei, die die Gesund­heit stö­ren­den oder schä­di­gen­den Ein­flü­ße zu ver­rin­gern. Die Hei­lung kann dann nur der inne­re Archae­us bzw. das gene­ti­sche Pro­gramm in den Zell­ker­nen ver­an­las­sen. Und hier müs­sen Natur- und Schul­me­di­zin glei­cher­ma­ßen demü­tig das Haupt sen­ken und erken­nen, was der gro­ße grie­chi­sche Über­va­ter der Medi­zin, Hip­po­kra­tes, bereits for­mu­lier­te: “Medi­cus curat, natu­ra sanat” (“Der Arzt behan­delt, die Natur heilt”).

Ein ent­spre­chend beschei­den gewor­de­ner The­ra­peut wird also erken­nen, dass alle sei­ne Hil­fen nur güns­ti­ge­re Bedin­gun­gen für eine Selbst­hei­lung schaf­fen. Die öffent­li­che Hand wird in glei­cher Wei­se sehen, dass Volks­ge­sund­heit nicht “pro­du­ziert” wer­den kann, son­dern dass die Besei­ti­gung stö­ren­der, also krank­ma­chen­der Ein­flü­ße (Umwelt­ver­schmut­zung etc.) und die Schaf­fung für die Selbst­hei­lung güns­ti­ge­rer Bedin­gun­gen (sau­be­res Trink­was­ser, öffent­li­che Parks, Reduk­ti­on von Schicht­ar­beit etc.) die Gesund­heit von Men­schen pflegt und fördert.

Ordnungsprinzipien ins Leben holen

Lebens­wich­tig: Wasser

Und was kann das Indi­vi­du­um selbst tun? Aus natur­heil­kund­li­cher Sicht ist Vie­les mög­lich: Am Anfang könn­te eine Besin­nung auf natur­heil­kund­li­che Ord­nungs­prin­zi­pi­en ste­hen. Was zuge­ge­ben in der heu­ti­gen Gesell­schaft, die mobil, gesund und immer leis­tungs­be­reit sein muss, im All­tag nicht leicht durch­führ­bar ist. Zu die­sen Ord­nungs­prin­zi­pi­en gehört bei­spiels­wei­se, dem for­dern­den, stres­si­gen All­tags­le­ben Ele­men­te bewuss­ter Ruhe und aus­rei­chen­dem Schlaf ent­ge­gen­zu­set­zen. Auch die Ernäh­rung ist zen­tral. Erhel­len­des zu ihrer Wich­tig­keit lie­fern die Lebens­re­for­mer aus dem 19. Jahr­hun­dert: Dabei sind ihre Vor­schlä­ge moder­ner denn je. Denn Maxi­mi­li­an Oskar Bir­cher-Ben­ner, Alfred Vogel oder Otto Buch­in­ger beschäf­tig­ten sich damals mit den auf­kom­men­den zivi­li­sa­ti­ons­be­ding­ten Erkran­kun­gen wie Über­ge­wicht, Dia­be­tes und Blut­hoch­druck und ent­war­fen vor allem prä­ven­ti­ve Gegen­kon­zep­te. Ein inter­es­san­tes, moder­nes Kon­zept ist übri­gens das Inter­vall-Fas­ten: Ein­mal in der Woche nicht essen, d. h. min­des­tens 24 Stun­den lang kei­ne Nah­rung auf­neh­men, son­dern nur Was­ser trin­ken. Die­ser frei­wil­li­ge Ver­zicht ent­las­tet den Inne­ren Archeus nicht nur in sei­nen Tätig­kei­ten, son­dern kann durch­aus, so bele­gen Stu­di­en, einen wirk­sa­men Heil­reiz set­zen – so bei Über­ge­wicht, All­er­gien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten.

Lebens-Stil-Änderung und Aderlass

Was­ser, Son­ne, Natur, Gesund­heit sind eng mit­ein­an­der verknüpft

Lei­der sind natur­heil­kund­li­che Anord­nun­gen nicht so popu­lär. Denn im Gegen­satz zu schul­me­di­zi­ni­schen Maß­nah­men, die die Ver­ord­nung von Medi­ka­men­ten in den Vor­der­grund stellt, benö­ti­gen natur­heil­kund­li­che Hand­lungs­an­wei­sun­gen per­sön­li­che Mit­ar­beit und die Auf­ga­be so man­cher lieb­ge­wor­de­ner Gewohn­heit. Die Volks­krank­heit Dia­be­tes mel­li­tus (Erwach­se­nen-Zucker­krank­heit) wird bei­spiels­wei­se von der Schul­me­di­zin pri­mär mit Tablet­ten behan­delt. Doch wis­sen­schaft­li­che Arbei­ten zei­gen, dass eine Lebens­til-Umstel­lung eine wesent­lich gesün­de­re und zudem nach­hal­ti­ge Maß­nah­me dar­stellt: Dazu gehö­ren Ernäh­rungs­um­stel­lung, viel Bewe­gung oder Sport, wel­che über einen lan­gen Zeit­raum gesund­heits­för­dern­de Ver­än­de­run­gen des gesam­ten Stoff­wech­sels und damit bei bis zu 80% der Erkrank­ten auch eine Hei­lung des Dia­be­tes nach sich zie­hen kön­nen. Eine ande­re häu­fi­ge Zivi­li­sa­ti­ons­er­kran­kung ist der Blut­hoch­druck. Statt Pil­len lässt sich die­ser mit einem uralten Ein­griff hei­len: Den Ader­laß – die moder­ne Form ist die Blut­spen­de. Aktu­el­le Stu­di­en gezei­gen, dass regel­mä­ßi­ge Blut­spen­den (alle acht Wochen) den Blut­hoch­druck nach­hal­tig regu­lie­ren. Natür­lich sind auch Lebens­stil-Ände­run­gen oft hoch­wirk­sam. Letz­tes Bei­spiel: Schlaf­stö­run­gen. Nicht nur Erwach­se­ne, son­dern auch Kin­der sind immer häu­fi­ger betrof­fen. Die Grün­de kön­nen viel­ge­stal­tig sein. Dau­er­haf­te Über­for­de­run­gen oder Stress las­sen die kör­per­lich, see­lisch-geis­ti­ge Anspan­nung der­art anstei­gen, dass eine Ent­span­nung zur Schla­fens­zeit nicht mehr gelingt. Eben­so wirkt dau­er­haf­ter Medi­en­kon­sum nicht schlaf­för­der­lich. Wer sich abends stun­den­lang vor dem Fern­se­her berie­seln lässt oder per­ma­nent online mit dem Smart­phone die neu­es­ten super­wich­ti­gen Kon­tak­te abruft, kann aus einem ziem­lich bana­len Grund nicht ein­schla­fen: Die Bild­schir­me strah­len blau­es Licht aus. Das Gehirn inter­pre­tiert die blaue Licht­fre­quenz als Mit­tags­zeit, in der die Son­ne am höchs­ten steht und sorgt ent­spre­chend für genü­gen­de Aus­schüt­tung von “Wach­hor­mo­nen”. Um sich auf die tages­zeit­lich rich­ti­gen Licht­fre­quen­zen ein­zu­stel­len und in einen Schlaf­rhyth­mus zu kom­men, bedarf es min­des­tens einer vier­stün­di­gen Medi­en­abs­ti­nenz vor dem Schla­fen gehen. Für die Behand­lung z. B. von chro­ni­schen Erkran­kun­gen ste­hen tie­fer grei­fen­de Maß­nah­men zur Ver­fü­gung: Aku­punk­tur, Neu­ral­the­ra­pie, Eigen­blut- und Hydro­the­ra­pie (nach Kneipp), Homöo­pa­thie oder vie­le ande­re. Die meis­ten The­ra­pien ver­fol­gen ganz­heit­li­che Ansät­ze. Grund­sätz­lich sti­mu­lie­ren sie aber alle den inne­ren Archeus und ver­su­chen so, den idea­len Gesund­heits­zu­stand zu erlan­gen, kurz­um die Selbst­hei­lung anzuregen.

Ende eines Lebens

Die Fra­ge, ob der Tod ein Ver­sa­gen der Selbst­hei­lungs­kräf­te ist, oder ob er durch the­ra­peu­ti­sches Ein­grei­fen viel­leicht belie­big hin­aus­ge­zö­gert wer­den kann, beant­wor­tet die mensch­li­che Erfah­rung: Nein, das geht nicht. Ver­mut­lich aber nicht, wie Natur- und Schul­me­di­zin glau­ben, weil so ungüns­ti­ge Bedin­gun­gen vor­lie­gen, dass die Selbst­hei­lung ver­sagt (was sicher bei vie­len schwe­ren, chro­ni­schen Erkran­kun­gen teil­wei­se der Fall ist). Son­dern weil, um im Bild des Para­cel­sus zu blei­ben, der inne­re Archae­us sich – schick­sals­be­dingt? – zurück­zieht und damit Tha­na­tos das Feld über­lässt. Ein schö­nes Volks­mär­chen der Gebrü­der Grimm zeigt die­se mensch­li­che Erfah­rung deut­lich: Die Lebens­lich­ter der Men­schen in “Gevat­ter Tod” bestim­men die Lebens­er­war­tung, nicht die sub­jek­ti­ve, hedo­nis­ti­sche Wunschwelt der Menschen.

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