Birkensaft gehört den Birken! Bitte nicht anzapfen!

Die typi­sche Birkenrinde

Kürz­lich erhielt die Redak­ti­on von Heil­pflan­zen-Welt einen Hin­weis auf einen Bei­trag des SWR mit dem Titel: “Bir­ken­saft – Trend­ge­tränk aus Schif­fer­stadt” mit Bit­te um Bekannt­ma­chung. Der Bei­trag ist kata­stro­phal, denn er lässt jeg­li­chen Respekt an der Natur feh­len. Ein Inter­view mit dem Baum­pfle­ger Rai­ner H. Buben­zer, Ber­lin.

Die SWR-Redak­teu­rin Feli­ci­tas Reichold schreibt ihren locke­ren Arti­kel dar­über, wie Jür­gen Otten – kein Mensch weiss, ob dies nun ein Förs­ter oder ein Pri­vat­mensch ist – Bir­ken mas­sen­wei­se anbohrt, um Bir­ken­saft in Kanis­ter flie­ßen zu las­sen. Weil doch in Dro­ge­rien oder Bio­lä­den ein Liter Bir­ken­was­ser bis zu 60 Euro kos­tet, betreibt er die­ses Geschäft. Otten benutzt einen Aku­boh­rer und bohrt ganz ein­fach 1 bis zwei tie­fe Löcher in den Bir­ken­stamm! Her­aus kommt ein kla­res Rinn­sal, den Otten in einen Was­ser­ka­nis­ter lei­tet. An einem Tag “ern­tet” er bis zu 25 Litern aus 8 Bäu­men, so ist in dem Bei­trag zu lesen. Das ist ja pri­ma, da kön­nen ja alle Men­schen los­zie­hen mit Kanis­tern und Boh­rern bewaff­net und Bir­ken anzap­fen! Kos­tet ja nichts! Und Bir­ken­saft ist ja so gesund, behaup­tet die Redak­teu­rin – und nun ist er auch noch umsonst! Der Bei­trag von Reichold kann nur als hem­mungs­lo­se Auf­for­de­rung zur Selbst­be­die­nung an natür­li­chen Res­sour­cen ver­stan­den wer­den. Am Ende ver­ar­bei­tet Otten, so wird wei­ter berich­tet, den Bir­ken­saft zu “kara­mell­ar­ti­gen Sirup”, was ja per se lecker klingt und nun unbe­dingt zum sel­ber aus­pro­bie­ren ver­lockt. Die Redak­teu­rin ist jeden­falls begeis­tert: Der “Power­drink putzt die Früh­jahrs­mü­dig­keit weg” und der Bir­ken­saft schmeckt wie Quell­was­ser mit süßer Note!

Hinweise aus dem Zusammenhang gerissen

Sym­bol für Jugend­lich­keit und Schönheit

Ein Hin­weis leis­tet sich die Redak­teu­rin noch: Der Förs­ter des Schif­fer­stad­ter Stadt­walds Georg Spang wird zitiert: “Der Bir­ke scha­det das nicht”, so der Förs­ter, solan­ge die Löcher fach­ge­recht ver­schlos­sen wer­den. Tja und da geht es los: Es gibt kei­ne Hin­wei­se in dem Bericht, wie die Löcher fach­ge­recht ver­schlos­sen wer­den: Mit einem Kor­ken viel­leicht? Mit einem Lap­pen, mit Baum­harz, oder mög­li­cher­wei­se kön­nen die Bäu­me bei feh­len­der Sach­kennt­nis ein­fach wei­ter­blu­ten, denn den Bäu­men scha­det das letzt­end­lich nicht wirk­lich – so ist zumin­dest der Tenor des Arti­kels. Bäu­me, die 10–20 Jah­re sind und gefällt wer­den sol­len, mache das nichts, heißt es im hane­bü­che­nen SWR-Bei­trag wei­ter. Nun, wie ist das zu ver­ste­hen? Sol­len Bür­ger mit dem Förs­ter durch die Wäl­der zie­hen und sich die Erlaub­nis zum Zap­fen des begehr­ten Bir­ken­saf­tes ein­ho­len? Oder wis­sen die Bür­ger von selbst wel­che Bäu­me 10 oder 20 Jahr alt sind? Die­se Fach­in­for­ma­tio­nen sind nicht ein­deu­tig, die Bot­schaft zur Selbst­be­die­nung schon!

Kein Birken anzapfen ohne Sachkenntnis und Erlaubnis!

Hof­fent­lich fan­gen Bür­ger nicht an, die­sen Bei­trag als Auf­for­de­rung zur Nach­ah­mung zu ver­ste­hen, son­dern schal­ten vor­her ihren Ver­stand ein. Der SWR-Redak­ti­on ist mehr Kom­pe­tenz und Sach­ver­stand beim Bear­bei­ten von Heil­pflan­zen-Arti­keln zu wün­schen. Denn nicht jedes The­ma ist geeig­net, sich auf Plau­der­ton-Niveau ein­zu­las­sen und unsin­ni­ge Hin­wei­se zum Sel­ber­ma­chen zu ver­brei­ten. Bäu­me, Heil­pflan­zen, Wild­kräu­ter sind Lebe­we­sen. Zum Sam­meln, Ver­ar­bei­ten, Lagern und Anwen­den ist viel Sach­kennt­nis, Erfah­rung und Wis­sen not­wen­dig. Möge sich die SWR-Redak­ti­on mehr Kom­pe­tenz und Ver­ant­wor­tung ein­ho­len! Denn: Das Anzap­fen macht den Bäu­men sehr wohl etwas aus und soll­te Men­schen mit Sach­kennt­nis über­las­sen blei­ben. Ein Inter­view mit dem Baum­pfle­ger Rai­ner H. Buben­zer:

Jun­ge Birkenblätter

Heil­pflan­zen-Welt: War­um ist Bir­ken­saft so begehrt?

RB: Bir­ken­saft ent­hält reich­lich Mine­ra­li­en und ande­re Nähr­stof­fe, die der Baum benö­tigt, um im Früh­ling in kür­zes­ter Zeit sei­ne Blät­ter und jun­gen Trie­be aus­trei­ben zu kön­nen. Bir­ken­teer und Prä­pa­ra­te aus Blät­ter und Knos­pen spie­len in Medi­zin und Kos­me­tik frü­her und heu­te eine nur unter­ge­ord­ne­te Rol­le (wenn auch ohne wis­sen­schaft­li­chen Wir­kungs­nach­weis), für das Bir­ken­was­ser gibt es hin­ge­gen kei­ne medi­zi­ni­sche Anwen­dung. Zu Zei­ten als es kei­nen indus­tri­ell her­ge­stell­ten Zucker gab und Honig teu­er und rar war, war Bir­ken­saft wegen sei­nem süßen Geschmack attrak­tiv. Zudem kann man durch Gärung ein leicht alko­hol­hal­ti­ges Getränk gewinnen.

Heil­pflan­zen-Welt: Was hal­ten Sie von sol­chen Do-it-yourself-Aufforderungen?

RB: Zunächst ein Wort zu den recht­li­chen Bedin­gun­gen: Das Abzap­fen von Bir­ken­was­ser ohne Erlaub­nis der Eigen­tü­mer ist ein kla­rer Rechts­ver­stoß. Auch wenn die Bäu­me im Besitz der öffent­li­chen Hand sind und damit – gefühlt – uns allen gehö­ren! Lei­der ist in Stadt und Land ein oft erstaun­lich gerin­ges Rechts­be­wusst­sein zu bemer­ken, wenn Men­schen zum Bei­spiel Blu­men auf öffent­li­chen Plät­zen abpflü­cken, sich gan­ze Sträu­ße von Zier­pflan­zen in öffent­li­chen Parks zusam­men­stel­len (an denen sich ja alle erfreu­en sol­len, ein­schließ­lich der dort leben­den Insek­ten) oder oft­mals sogar streng geschütz­te (Heil-)Pflanzen her­aus­rei­ßen. Hier­an tra­gen popu­lä­re Medi­en wie “Land­lust” oder eben der SWR eine erheb­li­che Mit­schuld. Sie gau­keln ihren Kun­den einer­seits eine hei­le Welt vor und pre­di­gen ande­rer­seits eine alt­tes­ta­men­ta­ri­sche Ideo­lo­gie, sich die Welt unter­tan zu machen und sich ihrer end­los zu bedie­nen. Genau die­se Ideo­lo­gie hat aber unse­re natür­li­che Lebens­welt an den Rand des Unter­gangs geführt, den wir heu­te beob­ach­ten (Arten­ster­ben, Kli­ma­ka­ta­stro­phe, Über­fi­schung, Über­dün­gung etc.).

Bir­ken­wäld­chen

Heil­pflan­zen-Welt: Wie bewer­ten Sie als Baum­pfle­ger das Abzap­fen von Birkenwasser?

RB: Wer sich mit dem Erhalt geschä­dig­ter und erkrank­ter Bäu­me beschäf­tigt, zum Bei­spiel in alten Park­be­stän­den, kennt die mög­li­chen Pro­ble­me: Das Anzap­fen der Leit­bah­nen geht immer mit dem Risi­ko einer Infek­ti­on des Bau­mes ein­her, vor allem durch Pil­ze. Da nützt auch irgend­ein “sach­ge­rech­tes” Ver­schlie­ßen des Bohr­lochs nichts. Allen­falls das Anzap­fen an grö­ße­ren Zwei­gen oder das Kap­pen eines klei­ner Astes, damit der Stamm unver­letzt bleibt, wären akzep­ta­bel. Ger­ne wird auch behaup­tet, das Abzap­fen auch grö­ße­rer Men­gen von Bir­ken­was­ser scha­de dem Baum nicht. Das ist Unsinn! Das kom­ple­xe Sys­tem, mit dem ein Baum die Nähr­stoff­ak­ku­mu­la­ti­on für die Auf­ga­ben der begin­nen­den Wachs­tums­pha­se schon im Vor­jahr vor­be­rei­tet, zeigt, dass hier nicht sinn­lo­ser Über­fluss pro­du­ziert wird, son­dern die Bir­ke ver­sucht, ihren erwar­te­ten Bedarf zu decken. Bäu­me im Früh­ling ent­spre­chen in gewis­ser Wei­se Kin­dern in ihrer Wachs­tums­pha­se – und für die­se ist Blut­spen­de aus guten Grün­den unter­sagt. Übri­gens: Wenn Sie schau­en, wo die Pio­nier­pflan­ze Bir­ke über­all wächst, auch noch auf maxi­mal durch Che­mie­ab­fäl­le ver­seuch­ten oder ver­strahl­ten Unter­grün­den (!), kön­nen Sie das poten­ti­el­le Risi­ko für die Men­schen durch kon­zen­trier­te Umwelt­gif­te im Bir­ken­was­ser erah­nen. Da besteht eher die Gefahr, dass die Haa­re aus­fal­len, anstatt zu wach­sen (was sie ohne­hin nicht tun).

Heil­pflan­zen-Welt: Und wie sieht es aus öko­lo­gi­scher Sicht aus?

RB: Bäu­me sind Lebe­we­sen und kei­ne tote Sache. Wie viel­leicht man­che Ihrer Leser aus dem Buch von Peter Wohl­le­ben – “Das gehei­me Leben der Bäu­me” – gelernt haben, reagie­ren Bäu­me sehr sen­si­bel auf alle Arten von Schä­den, Ver­let­zun­gen und ande­re krank­ma­chen­de Ein­flüs­se. Aus mei­ner Sicht gehört das Bir­ken­was­ser zunächst dem Baum, dient sei­nem Wachs­tum, sei­ner Gesund­heit und sei­ner Fort­pflan­zung. Wer es nut­zen will, soll­te sich über­le­gen, wie der erhoff­te per­sön­li­che Gewinn und der Scha­den für den Baum gegen­ein­an­der abzu­wä­gen sind. Jemand, der zum Bei­spiel sein Auto mit Bio­kraft­stoff aus Wei­zen­kör­ner betreibt, wird hier kein Pro­blem sehen. Wer jedoch begreift, dass die moder­ne hedo­nis­ti­sche Men­ta­li­tät der Gier Men­schen und Umwelt glei­cher­ma­ßen ver­dirbt, wird vor “Spaß­nut­zung” von Bir­ken­was­ser viel­leicht zurückschrecken.

Blü­ten­stän­de

Heil­pflan­zen-Welt: Was schla­gen Sie vor?

RB: “Am Bes­ten auf sol­che Aktio­nen zu ver­zich­ten und den Bir­ken­saft im qua­li­fi­zier­ten Fach­han­del kau­fen (zum Bei­spiel in Reform­häu­sern). Es ist zu hof­fen, dass vie­le Anbie­ter ihren Bir­ken­saft von Kun­di­gen gewin­nen las­sen und nicht aus Bir­ken aus unver­seuch­ten Gegen­den. Dies bei­des wäre den Preis durch­aus wert. Sind Sie sich ob der Her­kunft, Gewin­nung und/​oder Qua­li­tät des Bir­ken­was­sers unsi­cher, stel­len Sie Nach­for­schun­gen bei Händ­lern und Her­stel­lern an. Hin­weis: Die Halt­bar­keit fri­schem Bir­ken­was­ser beträgt nur weni­ge Tage. Ent­spre­chen­de Pro­duk­te im Han­del sind also immer kon­ser­viert, was die Zusam­men­set­zung der Inhalts­stof­fe deut­lich ändern kann.

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