Patienten-Schröpfen mit “Traditioneller Europäischer Medizin”?

von den Pati­en­ten nur das Beste

Der Begriff “Tra­di­tio­nel­le Euro­päi­sche Medi­zin” (TEM) ist in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren zu einem bil­li­gen Mar­ke­ting-Gag ver­kom­men, der nicht nur vie­len Ärz­ten oder Heil­prak­ti­kern zusätz­li­che Wert­schöp­fung ver­spricht (“Indi­vi­du­el­le Gesund­heits­leis­tun­gen” im “ers­ten Gesund­heits­markt”), son­dern auch der Kos­me­ti­ke­rin oder dem Hotel­be­trei­ber von neben­an (“Medi­cal Well­ness-Ange­bo­te” im “zwei­ten Gesundheitsmarkt”).

Wesent­li­ches Motiv für die Ent­wick­lung des Kunst­be­griffs war der enor­me wirt­schaft­li­che Erfolg ver­gleich­ba­rer Metho­den-Sam­mel­su­ri­en wie “Tra­di­tio­nel­le Chi­ne­si­sche Medi­zin” (TCM) oder “Ayur­ve­da”. Bezeich­nend für die­se Sys­te­me ist das weit­ge­hen­de Feh­len wis­sen­schaft­li­cher Wirk­sam­keits-Bele­ge. Selbst die, durch erfolg­rei­che mao­is­ti­sche Pro­pa­gan­da im Wes­ten ein­ge­führ­te Aku­punk­tur zeigt bei wis­sen­schaft­li­cher Nach­prü­fung kaum mehr als Pla­ce­bo-Effek­te. Bezeich­nend ist auch eine kru­de Mischung ana­chro­nis­ti­scher Begrif­fe und Ideo­lo­gien (zum Bei­spiel “Meri­di­an”, “Säf­te”, “Beses­sen­heit” oder “Ani­mis­mus”). Die­se wer­den nicht nur ger­ne von oft “ein­fach gestrick­ten” Anbie­ter des zwei­ten Gesund­heits­mark­tes auf­ge­nom­men, son­dern – in erschüt­tern­der Wei­se – auch von vie­len Ärz­ten, die auf Kos­ten der All­ge­mein­heit teu­re natur­wis­sen­schaft­li­che Hoch­schul­stu­di­en absol­viert haben.

Mit ihren oft maß­los über­trie­be­nen Heils-Ver­spre­chun­gen erleich­tern die Ver­tre­ter auch der Tra­di­tio­nel­len Euro­päi­schen Medi­zin Pati­en­ten um ihr sau­er ver­dien­tes Geld. Kran­ken­kas­sen wei­gern sich näm­lich zu Recht fast immer, die aus dem Umfeld der Schar­la­ta­ne­rie stam­men­den “The­ra­pien” zu bezah­len. Und wenn mal kei­ne Pati­en­ten zu “schröp­fen” sind, wer­den Bücher, teu­re Wochen­end­se­mi­na­re und noch teu­re­re Stu­di­en­gän­ge mit obsku­ren Abschluss­zer­ti­fi­ka­ten ver­kauft. Beson­ders tun sich hier­bei bei­spiels­wei­se die TEM-Aka­de­mie in Öster­reich oder die Euro­pa-Uni­ver­si­tät Via­dri­na in Frankfurt/​Oder hervor.

Eine einheitliche Medizinschule TEM ist ein sinnloses Konstrukt

Inhalt­lich ist es völ­li­ger Unsinn, aus den vie­len medi­zi­ni­schen Ver­fah­ren, die über Jahr­tau­sen­de rund um den Mit­tel­meer­raum und in Euro­pa ent­stan­den und aus guten Grün­den fast immer wie­der ver­gan­gen sind, eine homo­ge­ne Medi­zin­schu­le defi­nie­ren zu wol­len. Sofort pral­len näm­lich größ­te, nicht über­wind­ba­re Wider­sprü­che auf­ein­an­der. Bei­spiels­wei­se wenn heid­nisch-scha­ma­ni­sche Hexen­ri­tua­le oder Runen­tan­zen kom­bi­niert wer­den mit christ­lich moti­vier­ter Herz-Medi­ta­ti­on oder Tai­zé-Gesän­gen. Oder, wenn sich seit Jahr­tau­sen­den flei­ßig von Mön­chen und Pro­fes­so­ren abge­schrie­be­ne Heil­pflan­zen­leh­ren mit ener­gie­me­di­zi­ni­schen Kon­zep­ten, der anti­ken Säf­te-Leh­re oder gar dem the­ra­peu­ti­schen Nihi­lis­mus im 19. Jahr­hun­dert bei­ßen. Oder, wenn braun ange­hauch­te eso­te­ri­sche Heils­leh­ren (z. B. “Krank­heit als selbst­ver­schul­de­ter Weg”) im Wider­spruch zu neue­ren Auf­fas­sun­gen zur Krank­heits­ent­ste­hung ste­hen (z. B. Arbeits- oder Umweltmedizin).

Einige erprobte Verfahren der Komplementär- und Alternativmedizin sind hochwirksam

Klos­ter-Kreuz­gang

Ohne Fra­ge ist es wich­tig, die Medi­zin­schu­len der Ver­gan­gen­heit zu ken­nen und aus ihren Feh­lern zu ler­nen. Dies haben auch die Ver­ant­wort­li­chen in Chi­na getan: Das unter Mao aus Res­sour­cen­man­gel eta­blier­te Sys­tem der TCM-Bar­fuß­me­di­zin hat kläg­lich ver­sagt. Heu­te wird dort über­wie­gend die moder­ne, natur­wis­sen­schaft­lich aus­ge­rich­te­te “west­li­che” Medi­zin prak­ti­ziert. Auch die Ver­brau­cher im Wes­ten soll­ten erken­nen, dass TCM, TEM, Ayur­ve­da und ande­re Schu­len kei­ne wesent­li­chen Bei­trä­ge zur Gesund­heit der Men­schen leis­ten. Dies ent­spricht den Auf­fas­sun­gen auf­ge­klär­ter, ratio­nal fun­dier­ter Natur­me­di­zin-Schu­len wie zum Bei­spiel der Kam­po-Medi­zin. Näm­lich nur jene Ele­men­te aus der tra­di­tio­nel­len Erfah­rungs­heil­kun­de einer Welt­re­gi­on in die Gegen­wart zu über­neh­men, die auch wis­sen­schaft­lich zu unter­mau­ern sind. Beim Bemü­hen, die Spreu vom natur­me­di­zi­ni­schen Wei­zen zu tren­nen, zei­gen sich dann etli­che Ver­fah­ren aus Natur­heil­kun­de, Phy­to­the­ra­pie, Neu­ral­the­ra­pie oder wis­sen­schaft­lich fun­dier­ter Reflex­zo­nen­the­ra­pie als erstaun­lich wirk­sam. Auch in der Schul­me­di­zin soll­te eine sol­che Dif­fe­ren­zie­rung Pflicht sein: Nur jene Ver­fah­ren soll­ten zum Ein­satz kom­men dür­fen, die tat­säch­lich nach­hal­tig die Lebens­qua­li­tät von Pati­en­ten und ihre Lebens­er­war­tung ver­bes­sern (was für eine Viel­zahl aktu­ell prak­ti­zier­ter dia­gnos­ti­scher und the­ra­peu­ti­scher Metho­den nicht belegt ist).

Anmer­kung: Eine maxi­ma­le Wert­schöp­fung mit Kom­­p­le­­men­­tär- und Alter­na­tiv­me­di­zin im medi­­ko-indus­­tri­el­­len Kom­plex und im zwei­ten Gesund­heits­markt ist vor allem dann mög­lich – iro­nisch betrach­tet -, wenn die ange­wand­ten pro­phy­lak­ti­schen, dia­gnos­ti­schen und the­ra­peu­ti­schen Metho­den mög­lichst inef­fek­tiv sind. Dies macht es not­wen­dig, die Inten­si­tät der Ver­fah­ren so zu redu­zie­ren, dass sie kaum noch wir­ken. Ein typi­sches Bei­spiel ist in Deutsch­land die Eta­blie­rung der soge­nann­ten “Mite-Phy­­to­­the­ra­pie” vor etwa 50 Jah­ren. Dabei wer­den Heil­pflan­­zen-Extrak­­te der­ar­tig nied­rig dosiert, dass sich bei “ernst­haf­ten” Erkran­kun­gen kaum noch the­ra­peu­ti­sche Wir­kun­gen ein­stel­len. Als Anwen­dungs­ge­bie­te blei­ben dann nur noch Befin­d­­lich­keits-Stö­run­­gen, die kei­nen aku­ten Lei­dens­druck erzeu­gen und/​​oder ent­spre­chend ihres Erkran­kungs­ver­laufs von allei­ne ver­schwin­den. Ein Gegen­teil war bei­spiels­wei­se die “eklek­ti­sche Phy­to­the­ra­pie” im aus­ge­hen­den 19. Jahr­hun­dert in den USA mit ihren teil­wei­se extrem hoch dosier­ten Heilpflanzen-Präparaten.

“Mite” = wir­kungs­arm. Nahe­zu alle Ver­fah­ren, die von tra­di­tio­nel­len Medi­zin­schu­len in die euro­päi­sche Gegen­wart “geschwappt” sind, haben die­sen “Mite-Cha­rak­­ter”: Sie sind ent­spre­chend der Wer­be­aus­sa­gen so “sanft”, “neben­wir­kungs­arm” oder “wech­sel­wir­kungs­frei”, dass auf ihren Ein­satz genau­so gut ver­zich­tet wer­den kann. Das ist ja auch der Grund, war­um sie land­auf, land­ab bei jedem zwei­ten Dis­coun­ter ver­scher­belt wer­den. Die Bra­chi­al­ge­walt der Natur­heil­kun­de wie bei einer Prießnitz’schen Kalt­was­ser­an­wen­dung, einer radi­ka­len Blut­egel­an­wen­dung, dem Set­zen reflek­to­risch dau­er­haft wirk­sa­mer Brand­nar­ben, einer hoch dosier­ten Heil­pflan­zen­the­ra­pie oder einer inten­siv umstim­men­den Brech­the­ra­pie ist vie­ler­orts ver­lo­ren gegan­gen. Und damit die the­ra­peu­ti­sche Effi­zi­enz. Ent­spre­chen­de TCM- oder Ayur­­ve­­da-Impor­­te oder die Defi­ni­ti­on einer sinn­frei­en Mite-TEM sind medi­zi­nisch und ethisch wertlos.

Hin­weis: Eines der ältes­ten, seit Jahr­zehn­tau­sen­den auch bei uns prak­ti­zier­ten Ver­fah­ren ist die Schä­­del-Tre­pan­a­ti­on. Also das Boh­ren von Löcher in den Schä­del, ver­mut­lich gegen quä­len­de Clus­­ter-Kopf­­schmer­­zen oder um “böse Geis­ter” aus dem Kopf zu ver­trei­ben. Kei­ner der TEM-Erfin­­der hat – ver­ständ­li­cher­wei­se – vor­ge­schla­gen, die­ses Ver­fah­ren wie­der­ein­zu­füh­ren, nur weil es seit Jahr­tau­sen­den ange­wandt wird. Lie­ber wen­den sie Klang­scha­len­mas­sa­ge an, drü­cken nicht vor­han­de­ne Fuß- oder Ohr-Reflex­­zo­­nen­­pun­k­­te oder mas­sie­ren den “Geist­leib”, um das Mil­lio­nen­pro­blem “Kopf­schmer­zen” in den Griff zu bekom­men. Die meis­ten gequäl­ten, aber hoff­nungs­star­ken Pati­en­ten über­se­hen dabei: Hät­te sich jemals ein Ver­fah­ren als nach­hal­tig wir­kungs­voll erwie­sen, zum Bei­spiel bei chro­ni­schen Kopf­schmer­zen, hät­te sich das über Jahr­tau­sen­de sicher her­um­ge­spro­chen und alle Betrof­fe­nen wür­den es heu­te anwenden …

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