Pilze sind entwicklungsgeschichtlich eine der ältesten Lebewesen überhaupt. Kein Wunder also, dass sie im Laufe der Evolution die vielfältigsten Überlebensstrategien entwickelten. Sie bevölkern die Erde überall und zum Teil in einem Ausmaß, welches vielen Menschen nicht bewusst ist. Pilze können große Schäden verursachen, sind jedoch auch sehr nützlicher Natur. Eine ihrer wesentlichen Aufgaben: Schließung des Naturkreislaufs durch Zersetzung organischen Materials.
Menschen halten sich gerne, wie die Bibel vorschlägt, für die “Krone der Schöpfung”. Damit kann die Selbstwahrnehmung einher gehen, dass sie die Welt beherrschen – ein Trugschluss, wie sich bei genauerer Betrachtung leicht feststellen lässt. Menschen übersehen beispielsweise zahlreiche Spezies schon deshalb, weil sie so klein sind: “100 Trillionen Bakterien leben auf und in dem Menschen (der selbst nur 10 Trillionen Zellen hat!)”, gibt Rainer H. Bubenzer im Oktober-Leitartikel “Pflanzliche Antibiotika” zu bedenken. In Anbetracht solcher Dimensionen, stellt sich die Frage: Ist der Mensch tatsächlich ein selbstständiger Organismus oder gewähren ihm die Bakterien nur ein Lebensrecht, weil er nützlich als Wirt ist? Dass Menschen relativ wenig von den Zusammenhängen in der Welt wissen, stellen Forscher jeden Tag fest. Erklärungen wie Krankheiten oder besondere Phänomene in Natur entstehen, unterliegen Theorien, die sich rasch ändern können. In der medizinischen Forschung unterliegt das aktuelle Wissen zum Beispiel sogar nur einer sogenannten Halbwertzeit von nur drei Monaten.
Andere Spezies als die Bakterien sind für uns ebenso wenig präsent: Pilze. Sie schufen sich im Laufe der Evolution riesige Reiche, oftmals unter der Erde. Doch in welchem Ausmaß war noch bis vor drei Jahren nicht bekannt. Amerikanische Wissenschaftler sorgten dann für eine furiose Entdeckung: Sie hatten einen Hallimasch (Armillaria spp.) untersucht, dessen Größe sich über 880 Hektar hinzog. Dass es sich um ein und den selben Organismus handelte, sicherten die Wissenschaftler durch gentechnische Untersuchungen ab. Seither gilt also ein Pilz als größter und mit hochgerechneten 600 Tonnen als schwerster Organismus auf dem Land – denn über die Bewohner in den Tiefen der Meere wissen wir ohnehin gar nichts, wie die Tiefseeforschung gerade beweist.
Äußerst anpassungsfähige Lebensformen
Von sogenannten echten Pilzen (Eumycota) sind ungefähr 110.000 Arten bekannt. Die zumeist landbewohnenden Arten bilden einen Vegetationskörper aus Pilzfäden (Hyphen), die in ihrer Gesamtheit als Mycel bezeichnet werden. Viele Pilze entwickeln Fruchtkörper, von denen etliche wegen ihres Wohlgeschmacks die Begehrlichkeiten von Pilzsammlern wecken. Botanisch werden Pilze als sogenannte Fäulnisbewohner (Saprobionten) oder Schmarotzer (Parasiten) kategorisiert. Bei dieser wenig schmeichelhaften Bezeichnung lassen Botaniker unberücksichtigt, dass Pilze entwicklungsgeschichtlich eine der ältesten Daseinsformen der Erde sind. Ihr Überleben sicherten diese anpassungsfähigen Lebewesen durch unterschiedlichste Herkünfte: So konnten Wissenschaftler Verwandtschaften mit Algen, Schleimpilzen, Chitinpilzen, Flechten oder mehrzelligen Tieren nachweisen. Doch zunächst soll die schon genannte Kategorisierung der Pilzkundler (Mykologen) in die saprobiontischen und parasitären Formen zur Einführung in die Pilzkunde ausreichen: Die Saprobionten gehen eine Zweckgemeinschaften (Symbiose) mit Pflanzen ein. Viele Bäume beispielsweise leben mit Pilzen in symbiotischer Form, das heißt viele Bäume sind ohne Pilze gar nicht überlebensfähig. Denn sie liefern an ihren Baumwirt wasserlösliche, lebenswichtige Mineralstoffe und erhalten dafür zuckerhaltige Nährstoffe aus der Fotosynthese zurück. Nur Kastanien, Ulmen, Eschen und Ahorn kommen ohne die Zweckgemeinschaft mit Pilzen aus.
Zerfall: Schließung des Naturkreislaufs
Die sogenannten parasitären Pilzarten unterscheiden sich innerhalb ihrer Art ebenfalls: Die einen beieinträchtigen ihre Wirte (Pflanzen und Tiere) mehr oder weniger stark durch Befall. Andere Pilzarten töten ihren Wirt gleich ab, um dann durch seine Zersetzung von ihm zu leben und ihre Art zu erhalten. Doch gleich welche Überlebensform Pilze gewählt haben – sie zersetzen rund um den Globus organisches Material, und führen es zurück in den Naturkreislauf. Dabei vermögen Pilze die verschiedenste organische Substrate abzubauen: Eine Art hat sich beispielsweise auf die Kohlenwasserstoffe von Benzin, Ölen oder Teer spezialisiert. Dieser Pilz sorgt für Verstopfungen in Benzinleitungen oder Korrosion von Aluminium und damit für beträchtliche Schäden im Flugverkehr. Bekannter sind Pilze als Holzzerstörer: Im Wald werden abgestorbene Bäume vorwiegend durch Pilze abgebaut und sorgen damit für den natürlichen Prozess des Werden und Vergehens in der Natur. Natürlich wirken sie auch dort, wo sie nicht gebraucht werden: Der Schrecken von Holzhaus- oder Fachwerkhausbesitzern ist vor allem der Hausschwamm (Serpula lacrymans), der ausgehend von “feuchten Stellen” manchmal selbst mit den giftigsten Chemikalien nicht aufzuhalten ist. Bei der Holzzerstörung gehen Pilze unterschiedlich vor. Braunfäule-Pilze verzehren die Cellulose des Holzes. Sie lassen den Ligninanteil des Holzes zurück, dass dann braun, querrissig und würfelig zerfällt. Die Weissfäule-Pilze (Phellinus igiarius) hingegen bauen Lignin und Cellulose ab. Sie scheiden Phenoloxidasen (Typ3-Kupferproteine) aus, die das Holz ausbleichen und rissig werden lassen. Beide Fäulepilzarten sorgen allerdings gleich gründlich durch ihre Zersetzung dafür, dass das Holz seine Druck- und Biegefähigkeit verliert.
Pilze in der Landwirtschaft
Selbstverständlich muss die Landwirtschaft mit Pilzen rechnen, denn schließlich lebt sie von der Natur. Bauern bereiten verschiedene Pilzarten seit Jahrhunderten Kopfzerbrechen, weil Pflanzen (und Tiere) befallen, schädigen oder abtöten und manchmal sogar Hungersnöte (zum Beispiel durch Phytophthora) verursachen. Gegenwärtig wird davon ausgegangen, dass von den 162 bekannten Pflanzen-Infektionskrankheiten 83 Prozent durch Pilze verursacht werden.[1] Die Infektion der Pflanzen kann an den empfindlichen Organen der Wirtspflanzen wie Wurzelhaaren, Blütenblättern oder Narben passieren. Manchmal genügt schon eine Pilzspore, um die Pflanze zu infizieren. Pflanzen versuchen sich durch beispielsweise Verdickung der Zellwände oder Bildung von Abwehrstoffen (Gerbstoffe) zu wehren. Ihr erfolgreicher Widerstand ist von verschiedenen Faktoren wie der genetischen Konstitution, dem allgemeinen Gesundheitszustand oder Umweltfaktoren abhängig. Landwirte versuchen ihre Pflanzen zu schützen. Ein natürliches, alt bewährtes Mittel ist der alljährliche Fruchtwechsel, um zu verhindern, dass Pilzerreger und Pflanzenwirte zusammen¬kommen. Seit die chemische Industrie erfolgreich Einzug gehalten hat, wird durch Beizen des Saatguts, Bespritzen oder Bestäuben durch Antipilzmittel (Fungizide) versucht, den Pilzbefall schon vor der Saatausbringung zu verhindern. Ein anderer Ansatz liegt in der Pflanzenzüchtung: Bauern oder Pflanzenzüchter streben Züchtungen an, die sich Pilz-Krankheitserregern gegenüber resistent zeigen. In den letzten Jahren probieren Wissenschaftler dies auch mit Hilfe der Gentechnologie.
Wichtige Grundlage: Das richtige Milieu
Ob diese Bemühungen vom Erfolg gekrönt sein werden, ist fraglich. Denn gentechnologisch veränderte Pflanzen benötigen spezielle Böden, Dünger, Pestizide und sind ohne diese Maßnahmen nicht überlebensfähig. Deshalb wünschen sich Kritiker eine Abkehr von diesem Weg, der meist nur weitere Abhängigkeiten der Bauern von Pflanzenzüchtern oder Düngeherstellern erzeugt. Außerdem sehen Kritiker zukünftige Gefahren, die gegenwärtig zum Beispiel mit der Durchseuchung der Böden mit den speziellen Pestiziden oder gentechnologisch veränderten Pflanzenmaterial noch nicht abzusehen sind. Klar ist: Die Pilze, die in der Evolution länger bestehen als die meisten Erdbewohner, lernen weiter und werden auch die gentechnisch veränderten Pflanzen in die Natur zurückführen. Und wenn die Böden durch beispielsweise Überdüngung geschwächt sind, wachsen dort nicht besonders viele Pflanzen, aber Pilze. Denn sie verbreiten sich dort, wo sich ein gutes Milieu für sie entwickelt hat. Es sind die kranken Pflanzen, die geschwächten Tiere, die ausgelaugten Böden, auf denen Pilze besonders gut gedeihen. Das gleiche gilt im übrigen bei den Menschen: Pilz-verursachte Erkrankungen (Mykosen) gedeihen gerne dort, wo der menschliche Organismus in ein Ungleichgewicht geraten ist. Dann finden Fadenpilze (Hyphomycetes), Hefe- (Candida albicans) oder Schimmelpilze (Fungi) überhaupt erst die Grundlage zum Beispiel Haut‑, Schleimhaut oder Organe zu befallen.
Mythisches:
Das Schicksal wollte es, dass die Prophezeiung des Orakels sich erfüllte und der griechische Held Perseus zufällig den eigenen Großvater Akrisios tötete, dem er auf den Thron gefolgt war. Perseus, der die traurige Berühmtheit, die er durch den Vorfall bei seinen Untergebenen erlangt hatte, nicht ertrug, überredete Megapenthees, den Sohn des Proteus dazu, die jeweiligen Reiche zu tauschen. Auf der Reise, die er nun antrat, um das neue Reich in Besitz zu nehmen, konnte sich der ermüdete und durstige Perseus mit Wasser erfrischen, dass sich im Hut eines Pilzes gesammelt hatte. Daraufhin beschloss er, an diesem Ort eine neue Hauptstadt zu gründen und sie in Erinnerung an den Pilz (griechisch: mýkes) Mykene zu nennen. Dies ist die Version, die Pausanias überliefert hat. [2]
Suche nach Erregern und den möglichen Ursachen
Auf Grundlage der Theorie, dass bestimmte Pilze “Ursache” einer Mykose sein können, versuchen Schulmediziner zunächst die vermuteten Erreger zu identifizieren, um dann ein passendes Anti-Pilzmittel (Antimykotikum) auszuwählen. Naturheilkundler interpretieren einen Pilzbefall meist nur als Smyptom einer tiefergreifenden Erkrankung (Pilze sind also im besten Fall nur Krankheits-“Auslöser”). Sie versuchen deshalb, das “Milieu” zu verstehen, das den Pilzbefall möglich macht. Dazu gehört oftmals detektivische Kleinarbeit. Eine einfache Situation ist zum Beispiel eine Frau, die mit aggressiven Kosmetika beim täglichen Duschen ihre empfindliche Genital-Schleimhaut und ihre Pilz-schützenden Vaginal-Bakterien (“Scheidenflora”) schädigt. Und deshalb an einer lästigen, chronischen Pilzinfektionserkrankung leidet. Komplexer zu erfassen sind Mykosen im Zusammenhang mit der Therapie anderer Ärzte (Antibiotika, Immunsuppressiva) oder als Teil einer anderen Erkrankung. Am herausforderndsten sind schließlich solche chronischen Mykosen (z. B. der Fußnägel), bei denen es gilt, eine grundlegende Krankheitsneigung zu verstehen und hilfreich zu behandeln. Dies kann im Einzelfall so schwierig sein, dass auch die Naturheilkundler zunächst mit radikalen schulmedizinischen Methoden die Pilzbelastung zurückdrängen werden.
Die eigentliche naturheilkundliche Therapie steht auf zwei Beinen: Zum einen das Zurückdrängen schädigender Einflüsse, zum Beispiel keine unnötige Intimhygiene mit aggressiven Chemikalien oder Seife mehr. Und zum zweiten das Setzen von therapeutischen Signalen (Reizen), die den Körper zu Selbstheilung auffordern (was besonders nach langer chronischer Krankheit oft notwendig ist), zum Beispiel mit gezielen Wasseranwendungen nach Kneipp. So könnten die Schleimhäute gesunden und der Körper kann die nächste Pilzinfektion auf natürliche Weise abwehren.
Kehren Pilzinfektionen jedoch in regelmäßigen Abständen immer wieder (trotz veränderter Intimpflege), besteht auch die Möglichkeit Stärkung der Abwehrkraft, sei es spezifisch z. B. im Vaginalbereich, sei es insgesamt für den ganzen Körper. Möglich ist dies unter anderem mit mehreren Echinacea-Kuren (Sonnenhut) pro Jahr. Auch ordnungstherapeutische Schritte wie eine Veränderung des Lebensstils mit mehr Schlaf, speziellen Diäten oder regelmäßigem Sport, können der körpereigenen Immunabwehr wieder auf die Beine helfen.
Entdeckung der Antibiotika
Pilze und Bakterien als älteste Bewohner der Erde führen seit ihrer Existenz einen heftigen Konkurrenzkampf. Um ihr Überleben zu sichern, entwickelten Pilze besondere Wirksubstanzen. Wissenschaftlich wird zwischen den bakteriostatischen (Verhinderung der Vermehrung der Bakterien) und bakterizide (Abtötung von Bakterien) Wirkungen unterschieden. Diese Substanzen wurden im 20. Jahrhundert entdeckt. 1929 veröffentlichte von Alexander Flemming (1881–1955) eine Arbeit in der er beschrieb, wie sich durch Stoffwechselprodukte von Pilzen das Wachstum von Mikroorganismen hemmen ließe. Vor ihm hatten zwar auch schon andere Wissenschaftler ähnliche Beobachtungen beschrieben. Doch fehlten ihnen entweder die Mittel oder Kriegswirren verhinderten die genau nachvollziehbaren Untersuchungen zur Bestätigung ihrer Theorien. Forscher wie Paul Vuillimin (1861–1932), Jaques Tréfouel und von Domagk müssen an dieser Stelle erwähnt werden. Alexander Flemming erhielt 1945 für seine Forschungsarbeiten den Friedensnobelpreis. Mit der industrielle Herstellung von Penicillin durch die Amerikaner gelang ein Siegeszug gegen die sogenannten “Geisseln der Menschheit”: Erstmals konnten Pest, Typhus, Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose, Kindbettfieber oder auch Lungen- wie Bronchial-Infektionen wirksam bekämpft werden.
Lecker und duftend: selbst gemachte Hefekuchen
Schon lange bevor Antibiotika im großen Stil hergestellt wurden, kamen Pilze zum Einsatz: Ihre Existenz und Nützlichkeit ist belegt. Denn schließlich sind Pilze in vielen Bereichen der Nahrungs- und Genussmittelherstellung (und auch Industrie) seit Jahrhunderten unverzichtbar: Dass spezielle Eumycota Gärungsprozesse (Hefepilz Saccharomyces) in Gang setzen, war Brauern, Winzern oder Bäckern bekannt. Auch die Kelten wussten selbstverständlich wie ihr Lieblingsgebräu das Met hergestellt werden konnte. Allerdings brauchten die verschiedenen Gewerke länger, bis sie die Gärungsprozesse auch genau steuern konnten. Heute sind Pilzkulturen selbstverständlich Teil vieler industrieller Prozesse. In der Nahrungsmittelindustrie sorgen Pilzarten für die geschätzten Produkte wie Joghurt, Quark oder Käse, der in einer unglaublichen Vielfalt zu kaufen ist. Auch Bäcker kommen nicht ohne Hefepilze aus. Bei der standardisierten Herstellung von Brot, Brötchen oder Kuchen bleibt jedoch häufig der Geschmack auf der Strecke. Richtig knackige Brötchen oder Hefekuchen mit dem typisch duftenden Teig sind bei der billigen Massenware heute kaum noch zu finden. Deshalb lohnt sich das Erlernen des Backens mit Hefepilzen schon aus geschmacklichen Gründen:
Das Ansetzten eines Hefeteigs ist relativ einfach, seitdem industrielle Trockenhefe angeboten wird: Die Trockenhefe (oder die Hefe aus dem Kühlregal von Lebensmittelläden) wird mit warmen Wasser, (oder Milch) Zucker und Mehl an einem warmen Ort zum Gären gebracht. Schon nach einer halben Stunde ist die Mehlmasse aufgegangen und verströmt den typischen Hefeduft. Dann folgt die Weiterverarbeitung mit den anderen Zutaten und schließlich das Backen. Der Ofen darf nicht zu heiss sein, damit der Kuchen tatsächlich aufgeht. Schließlich sind Pilze empfindliche Lebewesen, die Wärme und Nahrung benötigen, um zu gedeihen. Der Lohn des Backens besteht dann in duftenden Köstlichkeiten, die durch ihre Lockerheit auf der Zunge zergehen.
Autorin
• Marion Kaden, Heilpflanzen-Welt (2009).
Quellen
1. Strasburger E, Noll F et al: Lehrbuch der Botanik. Spektrum Akademischer Verlag. 36 Auflage. S. 624 ff.
2. Pacioni G: Das große Handbuch der Pilze. BLV Verlagsgesellschaft mbH München Wien Zürich. 1980