Johanniskraut ab sofort rezeptpflichtig

Alle Jah­re wie­der gibt es zum ers­ten April Neu­es aus dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Gesund­heit zu berich­ten. Vor fünf Jah­ren wur­de bei­spiels­wei­se die Kas­sen-Erstat­tungs­fä­hig­keit nahe­zu aller pflanz­li­cher Arz­nei­mit­tel für Erwach­se­ne been­det. Die bis heu­te nicht nach­voll­zieh­ba­re “Begrün­dung”: Weil Pflan­zen-Arz­nei­mit­tel kei­ne Neben­wir­kun­gen haben, brau­chen sie nicht von der Kas­se bezahlt wer­den. Die­ser “behand­lungs­be­dürf­ti­ge” Beschluß wird ab dem 1. April 2009 von der Ein­füh­rung der Rezept­pflicht für bestimm­te Johan­nis­kraut-Arz­nei­mit­tel über­bo­ten. Die “Begrün­dung” in die­sem Fall: Für die Behand­lung mit­tel­schwe­rer Depres­sio­nen zuge­las­se­ne Johan­nis­kraut-Prä­pa­ra­te dür­fen nicht mehr ohne Rezept ver­kauft wer­den, weil eini­ge Pati­en­ten mit mit­tel­schwe­rer Depres­si­on selbst­mord­ge­fähr­det sei­en. Ohne dies jedoch in der 5. Ver­ord­nung zur Ände­rung der Arz­nei­mit­tel­ver­schrei­bungs­ver­ord­nung vom 30. April 2008 aus­zu­drü­cken, möch­te die Gesund­heits­mi­nis­te­rin Ulla Schmidt offen­bar alle Apo­the­ken zu vor­ge­la­ger­ten Außen­pos­ten der Depres­si­ons­the­ra­pie machen. Ob Apo­the­ker qua­li­fi­ziert sind, die Sui­zid­nei­gung ihrer Kun­den zu erken­nen und sie ent­spre­chend zum Arzt wei­ter zu über­wei­sen, ist jedoch mehr als fraglich.

Stel­len Sie sich vor, Sie gehen in die Apo­the­ke und wol­len etwas kau­fen, was Ihre Stim­mung auf­hellt – Johan­nis­kraut zum Bei­spiel. Das ist ein pflanz­li­ches Mit­tel, das hilft bes­tens, so haben Sie gehört. Doch anstatt Ihnen ein Prä­pa­rat vor­zu­schla­gen, fängt der Apo­the­ker an, Sie à la Sher­lock Hol­mes zu befra­gen: “Füh­len Sie sich antriebs­schwach oder trotz Son­nen­schein hoff­nungs­los? Sind Sie oft müde oder im Gegen­teil getrie­ben, nei­gen Sie in letz­ter Zeit viel­leicht zu Ver­stop­fung?” Lang­sam begin­nen Sie, sich noch unwoh­ler zu füh­len als bis­her. Sie fra­gen sich, ob die­se Art von Ana­mne­se nicht lie­ber vom Arzt durch­ge­führt wer­den soll­te. Und über­haupt: Eigent­lich woll­ten Sie doch nur etwas kau­fen, gegen die vor­bei­ge­hen­de Missstimmung!

Apotheker als Lotse

Der Apo­the­ker will Sie nicht in ein beson­de­res Ver­kaufs­ge­spräch ver­wi­ckeln. Er tut nur sei­ne gefühl­te Pflicht. Denn ab dem 1. April 2009 ist Johan­nis­kraut für eine mit­tel­schwe­re Depres­si­on rezept­pflich­tig. Um ein Johan­nis­kraut-Prä­pa­rat ver­kau­fen zu dür­fen, müs­sen Apo­the­ker ihre Kun­den ab sofort genau­es­tens befra­gen. Denn das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Gesund­heit (BMG) hat ihnen eine Art Lot­sen-Auf­ga­be über­tra­gen. Apo­the­ker soll­ten nun am bes­ten her­aus­fin­den: Haben die Kun­den, die vor ihnen ste­hen, eine Ver­stim­mung, eine leich­te oder mit­tel­schwe­re Depres­si­on? Das Resul­tat der Befra­gung wird dar­über ent­schei­den, ob der Apo­the­ker Sie zum Arzt schickt oder Ihnen end­lich gibt, was Sie wollen.

Nur zur Sicherheit

Eine irgend­wie wahn­sin­ni­ge Situa­ti­on mei­nen Sie? Genau rich­tig. Denn die Lot­sen-Auf­ga­be ist für Apo­the­ker eigent­lich nicht zu bewäl­ti­gen – und schon gar nicht im Ver­kaufs­ge­spräch an der The­ke. Denn tat­säch­lich ist eine Depres­si­on in ihren ver­schie­de­nen Aus­prä­gun­gen auch für Ärz­te nicht leicht zu dia­gnos­ti­zie­ren. Das BMG will mit die­ser Maß­nah­me jedoch eine Sicher­heits­lü­cke schlie­ßen. Viel­leicht will die Behör­de aber nur für wei­te­re Ver­wir­rung sor­gen, damit bald nie­mand mehr durchblickt.

Vor­sicht bei der Ein­nah­me von Johanniskraut!

Heilpflanzen helfen nicht oder doch?

Um das Gan­ze zu ver­ste­hen, muss der 1. April 2004 ins Gedächt­nis geru­fen wer­den. An die­sem Tag trat mit gro­ßem Pau­ken­schlag die vom Gemein­sa­men Bun­des­aus­schuss beschlos­se­ne Aus­nah­me­lis­te zum GKV-Moder­ni­sie­rungs­ge­setz in Kraft. Die­ses Gesetz soll­te ab 1.1.2004 erheb­li­che Ein­spa­run­gen auch bei der Arz­nei­ver­ord­nung brin­gen. Der 1. April war jedoch ein schwar­zer Tag für die deut­sche Phy­to­the­ra­pie, denn bis auf vier Aus­nah­men durf­ten Phy­to­phar­ma­ka ab sofort nicht mehr von den Kas­sen bezahlt wer­den. Die Begrün­dung der Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­rin Ulla Schmidt lau­te­te: “Heil­pflan­zen-Prä­pa­ra­te ohne Neben­wir­kun­gen haben auch kei­ne the­ra­peu­ti­schen Wir­kun­gen und sol­len des­halb von den Kas­sen nicht wei­ter bezahlt wer­den”. Die vier Aus­nah­men haben jedoch eben­falls kaum Neben­wir­kun­gen, zudem dür­fen Phy­to­the­ra­peu­ti­ka an Kin­der und Behin­der­te wei­ter zu Las­ten der Kran­ken­kas­sen ver­ord­net wer­den. Sind sie nun wirk­sam oder nicht?

Heilpflanzen nun doch wirksam

Mitt­ler­wei­le stell­te sich unglück­li­cher­wei­se her­aus, dass eini­ge Heil­pflan­zen-Prä­pa­ra­te eine gan­ze Men­ge Neben­wir­kun­gen haben kön­nen. Doch blei­ben wir beim Johan­nis­kraut: Es macht licht­emp­find­lich, inter­agiert mit ver­schie­de­nen Medi­ka­men­ten, unter ande­rem auch mit der Anti­ba­by­pil­le. Und: Johan­nis­kraut braucht meh­re­re Wochen, um zu wir­ken (Latenz­pha­se). In die­ser Zeit sind Pati­en­ten mit mit­tel­schwe­rer Depres­si­on mit Johan­nis­kraut­prä­pa­ra­ten zwar medi­ka­men­tös rich­tig ver­sorgt, doch wei­ter­hin selbst­mord­ge­fähr­det. Wegen des erhöh­ten Sui­zid­ri­si­kos, begrün­det nun das BMG, gehö­re die The­ra­pie in die Hän­de von Ärzten.

Depression oft unerkannt

Das Pro­blem: In Deutsch­land soll es etwa vier Mil­lio­nen Men­schen geben, die an Depres­sio­nen erkrankt sind. Zwei Drit­tel von ihnen leben mit der Erkran­kung, ohne davon zu wis­sen. Die Betrof­fe­nen gehen oft nicht zum Arzt. Und wenn, dann haben nie­der­ge­las­se­ne Ärz­te nicht sel­ten Schwie­rig­kei­ten, die Erkran­kung wegen der vie­len unspe­zi­fi­schen Befind­lich­keits­stö­run­gen ein­deu­tig zu dia­gnos­ti­zie­ren. Und nicht zuletzt: Men­schen, die eine Dia­gno­se “Depres­si­on” bekom­men, ste­hen einer medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie häu­fi­ger ableh­nend gegen­über. Doch soll­ten die­se Pati­en­ten sich den­noch für Johan­nis­kraut-Prä­pa­ra­te ent­schei­den – tja, dann wer­den sie mit genau den sel­ben Prä­pa­ra­ten ver­sorgt, wie Men­schen, die nur etwas zur Stim­mungs­auf­hel­lung kau­fen wol­len. Sie haben rich­tig gele­sen: Bei den für leich­te oder mit­tel­schwe­re Depres­si­on zuge­las­se­nen Johan­nis­kraut-Prä­pa­ra­ten gibt es weder Unter­schie­de bei ihrer Wirk­stoff­men­ge (zum Bei­spiel stan­dar­di­siert auf den Hyperi­cin-Gehalt) noch bei ihrer Dosie­rung. Eini­ge Her­stel­ler pro­du­zie­ren des­halb ein und den­sel­ben Pflan­zen­ex­trakt sowohl als ver­schrei­bungs­pflich­ti­ges als auch als ver­schrei­bungs­frei­es Prä­pa­rat. Aber das wird wohl kaum zur Ent­wir­rung bei­tra­gen, denn die Zusam­men­set­zung bleibt ja die glei­che. Bleibt nur noch zu hof­fen, dass die Amts­zeit von Frau Schmidt bald endet. Ob dann aller­dings eine Ära mit mehr Klar­heit und weni­ger Büro­kra­tie beginnt, bleibt höchst fraglich.

Soll­ten Sie sonst noch Fra­gen haben: Fra­gen Sie lie­ber Ihren Arzt oder Apotheker …

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Heil­pflan­­zen-Welt (2009).
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