Marmeladen, Chutneys und Liköre aus Beeren

Ani­ta Con­rad in der Sommerküche

Natur, Wild- und Heil­kräu­ter beschäf­ti­gen sie jeden Tag: Ani­ta Con­rad ist Diplom-Bio­lo­gin. Sie macht Füh­run­gen im Müritz-Natio­nal­park und ist auch als Heil­pflan­zen-Exper­tin unter­wegs. Wegen des gro­ßen Inter­es­ses kam sie auf die Idee je nach Jah­res­zeit und ent­spre­chend dem jewei­li­gen Heil­pflan­zen- und Kräu­ter­an­ge­bot Koch­kur­se anzu­bie­ten. In die­sen ver­mit­telt sie Wis­sen rund um die Pflan­zen, deren Bestim­mung und Verarbeitung.

Das Beson­de­re dabei: Es fin­det alles draus­sen statt – also das Sam­meln wie auch das spä­te­re Ver­ar­bei­ten. Die Ver­an­stal­tun­gen wie “Früh­jahrs­fit­ma­cher” (April) oder “Ver­jün­gungs­kräu­ter” (Mai) sind gut besucht. “Eine Grup­pe hat vier bis maxi­mal zwölf Per­so­nen”, sagt Con­rad. Mit ihnen geht sie Kräu­ter und Heil­pflan­zen sam­meln und stellt anschlie­ßend Sala­te, Sup­pen, Tink­tu­ren, Cremes, Mar­me­la­den oder Likö­re her. Das macht Spaß und ist für alle Betei­lig­ten lehr­reich. “Auch für mich”, sagt Con­rad “denn die Frau­en brin­gen nicht nur ihre eige­nen Erfah­run­gen, son­dern die der Groß­müt­ter oder sogar Fami­li­en­tra­di­tio­nen mit ein”. Sie ist froh dar­über, denn auf die­se Wei­se gehen Rezep­te, die sonst in Ver­ges­sen­heit gera­ten wür­den, nicht verloren.

Kochen im Freien

Die­ses Tref­fen steht unter dem Mot­to: Mar­me­la­den, Chut­neys und Likö­re aus Bee­ren. Denn es ist Ende Sep­tem­ber. Heil­pflan­zen- oder Kräu­ter sind kaum noch zu fin­den. Dafür gibt es um so mehr Bee­ren, die in den umlie­gen­den Büschen reich­lich wach­sen. Eine Grup­pe von acht Frau­en hat sich ein­ge­fun­den. Sie haben sich unter dem Dach einer Art höl­zer­nen Jur­te ein­ge­fun­den. In ihrer Form und Funk­tio­na­li­tät ist sie einem mon­go­li­schen Zelt abge­schaut. In der Mit­te Dach­mit­te des run­des Baus gibt es ein Luft­loch. Das Dach liegt auf einer offe­nen Bal­ken­kon­struk­ti­on, die belie­big ver­än­der­bar ist. Je nach Wet­ter­la­ge oder Jah­res­zeit kön­nen rund­her­um noch Wän­de aus einem Schilf­ge­flech­ten ein­ge­hängt wer­den. Die­se schüt­zen dann vor Wind, Regen oder Hitze.

Hagebutte, Holunder und Co.

Es ist noch rela­tiv warm. Weil jedoch ein fri­scher Wind durch die Holz­jur­te fährt, wer­den kur­zer­hand zwei Schilf­wän­de zum Schutz ein­ge­hängt. In der Jur­te ist sonst noch alles was in einer Küche gebraucht wird: Ein mit Holz beheiz­ba­rer Ofen, ein Schrank mit Küchen­uten­si­lienen ein lan­ger Tisch und zwei Bän­ke. Aro­ma­ti­scher Begrü­ßungs­tee steht auf dem Tisch. Selbst­ver­ständ­lich besteht er aus fri­schen Kräu­tern: Fri­sche Pfef­fer­minz- und Brenn­nes­sel-Blät­ter schwim­men in der Kan­ne. Getrock­ne­ter Bei­fuss ist auch dabei. “Bei­fuss macht den Kopf frei”, sagt Con­rad und ist sofort in ihrem Ele­ment. Bei­fuss ver­trei­be Kopf­schmer­zen oder einen “Kater” führt sie unter dem Geläch­ter der Frau­en wei­ter aus. Die Atmo­sphä­re ist locker und gelöst ohne Umschwei­fe duzen sich die Frau­en, von denen sich die meis­ten nicht kennen.

Wel­che Pflan­ze ist das?

Auf dem lan­gen Tisch steht ein gro­ßer Krug mit Zwei­gen, die die ver­schie­de­nen Herbst­früch­te tra­gen: Schle­he, Weiß­dorn, Hage­but­te und Flie­der­bee­re. Con­rad stellt zunächst die Pflan­zen vor und hält die ein­zel­nen Zwei­ge hoch: “Das sind Weiß­dorn-Früch­te. Sie hän­gen an kurz­sti­li­gen Dol­den und las­sen sich wegen der Dor­nen manch­mal nicht leicht ern­ten. Zu erken­nen ist der Strauch an sei­nen cha­rak­te­ris­tisch Blät­tern. Die­se sind drei­za­ckig und unre­gel­mä­ßig gesägt”, sagt sie. Eini­ge Frau­en sind erstaunt. Sie wuss­ten bis­her nicht, dass die­se Bee­ren ess­bar sind. Hage­but­ten hin­ge­gen erken­nen alle sofort. “Hage­but­ten dien­ten unse­ren Vor­fah­ren im Win­ter als wich­ti­ge Vit­amin­quel­le. Sie wur­den getrock­net, bei Bedarf ein­fach mit heis­sem Was­ser über­schüt­tet und dann als Tee getrun­ken. Die Bee­ren wur­den mehr­mals ver­wen­det”, sagt Con­rad. Sie hat meh­re­re Rezep­te vor­be­rei­tet und geplant, mit den Frau­en aus Hage­but­ten einen lecke­ren Chut­ney (zum Rezept) machen.

Aufwändige Vorbereitungen

Hage­but­ten-Korb

Außer­dem steht noch die Berei­tung von einem Schle­hen-Likör (zum Rezept) und Weiß­dorn-Holun­der-Mar­me­la­de (zum Rezept) auf dem Pro­gramm. Drei Grup­pen wer­den gebil­det. Doch bevor die Frau­en los­le­gen kön­nen, müs­sen sie erst mal die Bee­ren beschaf­fen. Con­rad zeigt ihnen in der Umge­bung die jewei­li­gen Sträu­cher. Mit Töp­fen bewaff­net machen sie sich an die Arbeit. Hage­but­ten, Weiß­dorn, Holun­der wer­den geern­tet. Das benö­tig­te Kilo ist schnell gepflückt. In der Jur­te wer­den die Bee­ren vor der wei­te­ren Ver­ar­bei­tung gewa­schen. Die Holun­der­bee­ren wer­den mit einer Gabel von den Dol­den gezo­gen, die Weiß­dorn­bee­ren eben­falls. Nur die Grup­pe, die sich die Hage­but­ten aus­ge­wählt hat, braucht sehr lan­ge, um die Früch­te vor­zu­be­rei­ten. Die Sti­le und Blät­ter wer­den ent­fernt, dann wird jede ein­zel­ne Hage­but­te auf­ge­schnit­ten, um die Ker­ne zu ent­fer­nen. Die Hage­but­ten­ker­ne sind mit zar­ten Haa­ren über­sät und kön­nen einen Juck­reiz aus­lö­sen, wenn sie auf die Haut gelan­gen. Um sich dage­gen zu schüt­zen, tra­gen die meis­ten Frau­en Hand­schu­he – was das Ent­ker­nen jedoch nicht gera­de leich­ter macht. (Es geht auch ohne Hand­schu­he – nur haut­emp­find­lich soll­ten die Hage­but­ten-Schä­ler nicht sein).

Kein gutes Schlehen-Jahr

Bee­ren durchsieben

Nur die Schle­hen brau­chen nicht vor­be­rei­tet wer­den, die hat Con­rad mit­ge­bracht. “Ich habe lan­ge suchen müs­sen, bis ich ein Pfund zusam­men hat­te”, sagt sie. Wegen des reg­ne­ri­schen, küh­len Som­mers gab es in die­sem Jahr nur sehr weni­ge Schle­hen. Nach dem Sam­meln hat Con­rad die Früch­te gleich in die Kühl­tru­he gelegt. Dies hat nicht nur den Vor­teil der Halt­bar­ma­chung, son­dern dient dazu, dass die Schle­hen “Frost” bekom­men. Schle­hen wer­den für gewöhn­lich erst geern­tet, nach­dem der ers­te Frost des Jah­res ein­ge­trof­fen ist. Das ist meis­tens erst Mit­te Ende Novem­ber der Fall. Moder­ne Haus­frau­en müs­sen aller­dings nicht mehr dar­auf war­ten. Schle­hen kön­nen ersatz­wei­se für ein paar Stun­den in die Kühl­tru­he gelegt und damit künst­lich “gefros­tet” werden.

Kindheitserinnerungen

Wie Schle­hen frü­her geern­tet wur­den, dar­an erin­nert sich Moni­ka aus Pase­walk; “Als Kin­der muss­ten wir in der Käl­te und Schle­hen pflü­cken. Das war nicht wit­zig, denn die dor­nen­be­wehr­ten Büsche zer­kratz­ten unse­re Hän­de. Hand­schu­he kamen nicht in Fra­ge, sie hät­ten beim Pflü­cken ohne­hin gestört. Und so waren wir oft völ­lig zer­kratzt und durch­ge­fro­ren. Denn die Mut­ter war erst zufrie­den, wenn wir min­des­tens einen gro­ßen Eimer voll zusam­men hat­ten. Doch die Mar­me­la­de, die sie dar­aus koch­te, war lecker!” Inzwi­schen hat Con­rad den alten Küchen­herd mit Holz beheizt. Eine ange­neh­me Wär­me geht schnell von ihm aus.

Die Grup­pe, die die Weiß­dorn-Holun­der-Mar­me­la­de (zum Rezept) macht, ist am schnells­ten mit den Vor­be­rei­tun­gen fer­tig. Die Bee­ren wer­den in einen Topf gefüllt, mit zwei Glä­sern Apfel­saft auf den Herd gestellt und etwa 5 Minu­ten gekocht. Nach­dem alle Bee­ren zer­fal­len sind, wird der Frucht­brei durch ein fei­nes Haar­sieb gerührt. Zurück bleibt ein tief dun­kel­vio­let­ter, dick­flüs­si­ger Fruchtmus.

Aus ihm ent­steht die end­gül­ti­ge Mar­me­la­de: In einem Ver­hält­nis ein Kilo Frucht­mus und einem Kilo Gelier­zu­cker wird alles in einem Topf zusam­men­ge­rührt und vier Minu­ten bei star­ker Hit­ze (bro­deln­des Kochen) gekocht. Die fer­ti­ge Mar­me­la­de wird dann in Glä­ser abge­füllt und schnell verschlossen.

Gekauftes ist oft zu künstlich

Hage­but­ten entkernen

Auch die Hage­but­ten sind end­lich fer­tig ent­kernt. Völ­lig ent­nervt zieht sich eine Frau ihre Hand­schu­he ab und bekennt, dass sie sich allein nicht soviel Arbeit machen wird. Eine ande­re wider­spricht: “Sicher­lich kannst du alles kau­fen, doch selbst gemacht schmeckts ein­deu­tig bes­ser. Und: Du weisst, was drin ist!” Sie fügt hin­zu, dass sie schon oft fest­ge­stellt hat, dass die Hage­but­ten­mar­me­la­de zu stark gesüßt ist und so vie­le Kon­ser­vie­rungs­mit­tel ent­hält, dass ihr eigent­lich schon der Geschmack ver­gan­gen ist. Con­rad stimmt zu: “Wenn ihr nach­her die Glä­ser auf­macht, wer­det ihr den Unter­schied mer­ken: Die Mar­me­la­den, Chut­neys oder Likö­re, die mit den Bee­ren gemacht sind, rie­chen sehr aro­ma­tisch und schme­cken eben­so”. Aller­dings räumt sie auch ein, dass man­che Bee­ren auch einen so inten­si­ven Geschmack haben, dass sich ent­wöhn­te Gau­men erst wie­der dar­an gewöh­nen müs­sen. Denn durch die Indus­trie­pro­duk­te, bei deren Her­stel­lung viel Zucker und oft künst­li­che Aro­ma­stof­fe ver­wen­den, wis­sen die meis­ten Men­schen gar nicht mehr wie ech­te Hage­but­te oder Holun­der­bee­re schmeckt.

Gehaltvolles in der Flasche

Gemein­sa­mes Einkochen

Der End­spurt zur Chut­ney-Her­stel­lung beginnt: Dazu gehö­ren neben dem Kilo Hage­but­ten, 150 Gramm klein­ge­hack­te Zwie­beln, 100 Gramm Rosi­nen, 350 Gramm Zucker und 125 Mil­li­li­ter Weiß­wein­es­sig. Alle Zuta­ten wer­den zusam­men in einen Topf gefüllt. Auch fri­sche Ing­wer­wur­zel kommt hin­zu. Hier hat Moni­ka einen Tipp: “Ich drü­cke den fri­schen Ing­wer genau­so wie Knob­lauch durch die Knob­lauch­pres­se”, sagt sie. Die Idee fin­den alle gut. Die Gewür­ze wie Zimt, Nel­ken, Senf­kör­ner und Kori­an­der wer­den in einem Mör­ser zer­stos­sen. Auf die Fra­ge in wel­chen Mischungs­ver­hält­nis sie ver­wen­det wer­den, hat Con­rad kei­ne Ant­wort. “Je nach Geschmack und Vor­lie­be für die Schär­fe”, sagt sie ein­fach. “Rezep­te sind Anwei­sun­gen, bie­ten jedoch Spiel­raum für eige­ne Vor­lie­ben und für die Phan­ta­sie”. Da nimmt die gelern­te Köchin Almut den Mör­ser in die Hand und gibt mit geüb­ter Hand die Gewür­ze hin­zu. Dann kommt der Topf mit den Zuta­ten auf den Herd. Er wird ganz an den Rand gescho­ben, denn der holz­be­feu­er­te Herd ist in der Mit­te viel zu heiss. “Die­se Schwie­rig­keit habt ihr zuhau­se mit den Elek­tro­her­den nicht”, sagt Con­rad lachend. Wäh­rend der Chut­ney lei­se vor sich hin köchelt und von einer Frau vor­sorg­lich umge­rührt wird, machen die ande­ren eine klei­ne Pau­se. Sie gön­nen sich ein paar Schlu­cke vom Schle­hen­li­kör (zum Rezept), den Con­rad mit­ge­bracht hat. Er schmeckt allen köst­lich und ger­ne wird nach­ge­schenkt. “Likör lässt sich wirk­lich leicht her­stel­len”, sagt Con­rad. Grund­la­ge ist immer ein hoch­pro­zen­ti­ger Schnaps wie bei­spiels­wei­se Korn (38 Pro­zent) oder Wod­ka. Wenn auch prak­tisch jede Bee­ren­sor­te ver­wen­det wer­den kann, so eig­nen sich beson­ders gut Schle­hen, Hage­but­ten, Sand­dorn oder Holun­der. Auf einen Liter Alko­hol kom­men 200 Gramm gewa­sche­ner und vor­be­rei­te­ter Bee­ren (nur Bee­ren ohne Blät­ter oder Kraut), dazu noch 150 Gramm Kandiszucker.“Am bes­ten eig­nen sich Fla­schen, die eine grö­ße­re Öff­nung haben oder hohe Glä­ser. In die­se wer­den die Bee­ren und der Kan­dis­zu­cker gefüllt. Anschlie­ßend wird mit Wod­ka auf­ge­füllt”, erzählt Con­rad. Damit sich der Kan­dis­zu­cker auf­löst, wird die gut ver­schlos­se­ne Fla­sche 1–2 Mal pro Woche lang­sam zwei Minu­ten lang hin und her geschüt­telt. “Die Bee­ren soll­ten vier bis sechs Wochen im Alko­hol ver­blei­ben”, sagt Con­rad. Dann wer­den sie durch ein Haar­sieb abge­gos­sen. Der ver­setz­te Alko­hol mit den Inhalt­stof­fen der Bee­ren kommt wie­der in eine ver­schliess­ba­re Fla­sche. “Die­ser Likör ist lecker zum Kaf­fee oder zu Vanil­le-Eis. Auch zu Cre­pes mit Sah­ne – dazu ein wenig Likör – ein­fach super”, schwärmt Con­rad. Prak­tisch sind der Phan­ta­sie kei­ne Gren­zen gesetzt.

Was lange währt wird endlich gut

Fer­ti­ge, lecke­re Chutneys

End­lich ist das Chut­ney zu einer dicken Mas­se zusam­men­ge­kocht. Es duf­tet viel­ver­spre­chend. Auch das Chut­ney wird in Glä­ser gefüllt. Anschlies­send wer­den sämt­li­che Glä­ser auf­ge­teilt. Jede Frau nimmt sich jeweils von der Mar­me­la­de, dem Likör und Chut­ney etwas nach Hau­se mit. Aber nicht nur das: Wesent­lich beim Abschied ist den meis­ten, dass sie sich um Tipps, Erfah­run­gen und neu­en Ideen berei­chert fühlen.

Autorin
• Mari­on Kaden, Heil­pflan­­zen-Welt (2007).

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