Mythos Antioxidantien

Künst­li­che Anti­oxi­dan­ti­en haben den Ruf von All­heil­mit­teln. Stimmt nicht! Stu­di­en der letz­ten Jah­re bele­gen: Sie scha­den mehr als sie nützen.

Die Ein­nah­me von künst­li­chen Anti­oxi­dan­ti­en ist popu­lär: In Ame­ri­ka schluckt jedes drit­te Kind min­des­tens ein­mal pro Tag eine Super­pil­le. Dar­in ent­hal­ten sind Mul­ti­vit­ami­ne oder zusätz­lich Spu­ren­ele­men­te. Mitt­ler­wei­le gibt es unter­schied­lichs­te Kom­bi­na­tio­nen bei den che­misch her­ge­stell­ten Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­teln. Am häu­figs­ten ange­bo­ten wer­den die Vit­ami­ne A, C, E, Beta-Caro­tin, Lut­ein, Lyco­pin, bei den Mine­ra­li­en sind es Selen und Zink. Bei der Zusam­men­set­zung von Prä­pa­ra­ten sind kaum Gren­zen gesetzt – bis zu 13 unter­schied­li­chen Varia­tio­nen kön­nen in einer Pil­le ent­hal­ten sein. Auch in der Schweiz. Der Ver­kauf boomt trotz kürz­lich erschie­ne­ner Stu­di­en, die ein­deu­tig bele­gen: Anti­oxi­dan­ti­en schä­di­gen den mensch­li­chen Orga­nis­mus mehr als ihm zu nüt­zen. Dr. Kas­par Ber­neis, Lei­ter Kli­ni­sche Ernäh­rung, Abtei­lung Endo­kri­no­lo­gie und Dia­be­to­lo­gie der Uni­ver­si­täts­kli­nik Zürich, urteilt dazu knapp: “Für gesun­de Men­schen sind die­se Mit­tel nicht von beleg­tem Nut­zen, auch sind die Prä­pa­ra­te oft recht teuer”.

Ausreichend in geringen Mengen

Gesun­de Bio-Äpfel

Für die Beliebt- und Bekannt­heit der Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel haben Her­stel­ler viel getan. Seit über dreis­sig Jah­ren ver­mit­teln die­se unter eif­ri­gem Rüh­ren der Wer­be­trom­mel ein ein­fa­ches Cre­do: Anti­oxi­dan­ti­en sind immer gut. Sie sol­len das Immun­sys­tem stär­ken, vor dem Älter­wer­den (Anti-Aging) schüt­zen oder Kran­ken wie­der schnel­ler auf die Bei­ne hel­fen. Tat­säch­lich han­delt es sich um lebens­wich­ti­ge Sub­stan­zen – nur braucht der Kör­per sie in gerin­gen Men­gen. “Anti­oxi­dan­ti­en sind nötig, um im Kör­per bestimm­te Auf­ga­ben bei bio­che­mi­schen Abläu­fen des Stoff­wech­sels zu über­neh­men”, erläu­tert Ber­neis. “So unter­stüt­zen sie zum Bei­spiel den Kör­per bei der Bil­dung von Blut­kör­per­chen, beim Kno­chen­auf­bau oder der Akti­vie­rung des Immun­sys­tems”. Seit den 70iger Jah­ren ver­su­chen Wis­sen­schaft­ler, den Funk­tio­nen und Wir­ken die­ser Stof­fe auf den Grund zu kom­men. Gegen­wär­tig wird davon aus­ge­gan­gen, dass Anti­oxi­dan­ti­en orga­ni­sche Ver­bin­dun­gen sind, die eine Oxi­da­ti­on (Ver­bin­dung mit Sau­er­stoff) ver­hin­dern. Aber nicht nur das. Sie sol­len auch die Fähig­keit haben, soge­nann­te schäd­li­che freie Radi­ka­le unschäd­lich machen zu kön­nen, die im Stoff­wech­sel der Zel­len ent­ste­hen. Freie Radi­ka­le sind wie­der­um kurz­le­bi­ge, che­mi­sche Ver­bin­dun­gen, die wegen ihrer unge­bun­de­nen Elek­tro­nen sehr reak­ti­ons­fä­hig sind. Es wird ange­nom­men, dass freie Radi­ka­le in den Zel­len leben­di­ger Orga­nis­men als Neben­pro­duk­te des Stoff­wech­sels gebil­det wer­den und unter bestimm­ten Umstän­den schäd­lich wir­ken. Doch die Rich­tig­keit die­ser The­se konn­te bis­her auf­grund der Kurz­le­big­keit der frei­en Radi­ka­le nicht schlüs­sig bestä­tigt werden.

Oxi­da­tio­nen im All­tag: Beim Auf­schnei­den eines Apfels ver­fär­ben sich nach kur­zer Zeit ver­fär­ben die Schnitt­flä­chen bräun­lich – eine Oxi­da­ti­on fin­det statt. Das Auf­räu­feln von Zitro­nen­säu­re (Vit­amin C) ver­hin­dert die Inter­ak­ti­on mit dem Sau­er­stoff, wodurch der Apfel eine län­ge­rer ansehn­lich bleibt.

Pseudowissenschaftliches

Um den schwie­ri­gen Sach­ver­halt zu ver­mit­teln wur­den grif­fi­ge Wort­schöp­fun­gen erfun­den. Anti­oxi­dan­ti­en sind “Radi­kal­fän­ger” oder ROS (reak­ti­ve Sau­er­stoff­spe­zi­es) die “oxi­da­tiv­en Stress” zu besei­ti­gen ver­mö­gen, heisst es bei­spiels­wei­se. Auch die Not­wen­dig­keit eines “akti­ven Zell­schutz” wird beschwo­ren, um vor der Ent­ste­hung schäd­li­cher frei­er Radi­ka­le geschützt zu sein. Der Ernäh­rungs­exper­te Ber­neis warnt aller­dings vor sol­chen Begrif­fen und erklärt, dass allein der “oxi­da­tive Stress” nur ein Mode­wort sei und jeder wis­sen­schaft­li­chen Grund­la­ge entbehre.

Anti­oxi­dan­ti­en sind häu­fig ein­ge­setz­te Zusatz­stof­fe. Sie fin­den in Lebens- und Arz­nei­mit­teln, in Kos­me­ti­ka oder sogar Kunst­stof­fen Ver­wen­dung. In der Lebens­mit­tel­in­dus­trie hem­men sie zum Bei­spiel bei Fet­ten Ran­zig­keit oder bei Säf­ten Geschmacks­ver­än­de­run­gen. In der Kunst­stoff­in­dus­trie wird unter ande­rem durch Anti­oxi­­dan­­ti­en-Zusatz die Alte­rung oder Ver­har­zung des Mate­ri­als verhindert.

Mangel als Erfolgsprinzip

Gra­nat­ap­fel­ker­ne-Aus­schnitt

Künst­li­che Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel ste­hen in der Tra­di­ti­on des “Vit­amin­paps­tes” Linus Carl Pau­ling (1901–1994). Der Weg­be­rei­ter der heu­ti­gen ortho­mo­le­ku­la­ren Medi­zin erklär­te damals über­zeu­gend, dass gros­se Dosen von Vit­amin C vor­beu­gend gegen Erkäl­tun­gen hel­fen wür­den. Seit­her hält sich sein Mot­to “viel hilft viel” hart­nä­ckig. Pau­lings Erfolg beruht auf der Idee des Man­gels: Dass näm­lich mit nor­ma­ler Ernäh­rung nicht genü­gend Anti­oxi­dan­ti­en in den Kör­per gelan­gen und eine Zufüh­rung künst­li­cher Nah­rungs­er­gän­zungs­stof­fe zwin­gend nötig ist. Der zwei­fa­che Nobel­preis­trä­ger (1954 Che­mie, 1962 Frie­dens­no­bel­preis) hat bis heu­te zahl­lo­se Anhän­ger. Pau­ling ver­such­te durch For­schung, die Wir­kung der Anti­oxi­dan­ti­en zu bele­gen. Sei­ne gespon­sor­ten Wis­sen­schaf­ter leg­ten dann bei­spiels­wei­se Ergeb­nis­se vor, dass Labor­mäu­se mit hoch dosier­ten Vit­ami­nen ver­sorgt, län­ger leb­ten als ihre “unter­ver­sorg­ten” Art­ge­nos­sen. Der sich ent­wi­ckeln­de erfolg­rei­che Absatz von Anti­oxi­dan­ti­en nähr­te wei­te­re Unter­su­chun­gen, die sich auf die Bekämp­fung von Erkran­kun­gen erstreckten.

Antioxidantien in allen Lebenslagen (Werbebotschaften):

Life­style:

  • all­ge­mei­nes Wohl­be­fin­den – Prä­pa­ra­te für Schön­heit (Haut, Haa­re, Nägel)
  • Anti-Aging (Ver­lang­sa­mung von Alterungsprozessen)
  • Schutz bei unge­sun­der Lebens­wei­se (Alko­hol, Rau­chen, ein­sei­ti­ge Ernährung)
  • sons­ti­ge Über­be­las­tun­gen (Beruf, Intensiv-Sport)

Vor­beu­gung von Erkrankungen:

  • Erkäl­tun­gen (Immun­sys­tem), Herz-Kreis­lauf, Krebs, Augen­er­kran­kun­gen, Prostata-Karzinom

Unter­stüt­zung von Hei­lungs­pro­zes­sen /​ Ver­bes­se­rung der Lebens­qua­li­tät bei Erkrankungen

  • nach Ope­ra­tio­nen
  • güns­ti­ge­rer Ver­lauf bei Herz-Kreis­lauf Erkran­kun­gen (Herz­in­farkt)
  • Ver­rin­ge­rung der Neben­wir­kun­gen von Strah­len- oder Che­mo­the­ra­pie bei Krebs
  • Dia­be­tes mellitus

Von Mangel keine Spur

Anti­oxi­dan­ti­en wer­den in der Lebens­mit­tel­in­dus­trie mas­sen­haft zur Halt­bar­ma­chung ein­ge­setzt. Gesetz­li­che Bestim­mun­gen zwin­gen Lebens­mit­tel­her­stel­ler dafür zu sor­gen, dass zum Bei­spiel Säf­te einen Tag vor dem Ablauf der Min­dest­halts­bar­keits­dau­er noch genau­so vie­le Vit­ami­ne ent­hal­ten wie in der Dekla­ra­ti­on ange­ge­ben. Da Vit­ami­ne selbst begrenzt halt­bar sind, muss ihre Dosie­rung zum Zeit­punkt der Saf­ther­stel­lung tech­nisch um ein Viel­fa­ches erhöht wer­den, damit am Ende noch genü­gend ent­hal­ten ist. Somit neh­men wir über Lebens­mit­tel vie­le künst­li­che Vit­ami­ne auf – meist ohne uns des­sen bewusst zu sein.

Die Wissenschaft hat festgestellt…

Es folg­ten jah­re­lang zahl­rei­che Arbei­ten zum posi­ti­ven Ein­fluss von Vit­ami­nen (A, C, E, Beta-Caro­tin), zur Vor­beu­gung Herz­kreis­lauf-Erkran­ken, Krebs oder Nutz­ef­fek­ten bei Osteo­po­ro­se, Rheu­ma oder Dia­be­tes. Es schien, als sei­nen Anti­oxi­dan­ti­en tat­säch­lich mul­ti­funk­tio­nal ein­setz­bar – bis kürz­lich ein Umden­ken ein­ge­lei­tet wurde.

So sorg­te bei­spiels­wei­se 2007 ein Bericht in einer ame­ri­ka­ni­schen, medi­zi­ni­schen Fach­zeit­schrift für Furo­re: Wis­sen­schaft­ler hat­ten in einer Über­sichts­ar­beit die Ergeb­nis­se von 385 Stu­di­en aus­ge­wer­tet. Das sen­sa­tio­nel­le Fazit: Die Ein­nah­me von Beta-Caro­tin, Vit­amin A und E stei­gert ein­deu­tig die Sterb­lich­keits­ra­te. Nur bei der Ver­ga­be von Vit­amin C und Selen woll­ten sich die Wis­sen­schaft­ler wegen unein­deu­ti­ger Stu­di­en­la­ge nicht fest­le­gen – dafür rei­che das bis­he­ri­ge Daten­ma­te­ri­al, hiess es [1]. Bei einer gross ange­leg­te, pla­ze­bo­kon­trol­lier­te Stu­die, bei der frei­wil­lig 14.000 ame­ri­ka­ni­sche Ärz­te mit­ge­macht hat­ten, konn­ten weder für das Vit­amin E noch für Vit­amin C (jeweils 400 Ein­hei­ten pro Tag) posi­ti­ve Ein­flüs­se auf die Vor­beu­gung von Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen aus­ge­macht wer­den. Im Gegen­teil: Ärz­te, die hoch dosier­tes Vit­amin E geschluckt hat­ten, erlit­ten häu­fi­ger einen Schlag­an­fall, als jene, die wirk­stoff­freie Pla­ze­bos ein­ge­nom­men hat­ten [2].

Kein Schutz vor Erkältungen

Den hoch dosier­ten Vit­amin-C-Ver­ga­ben zum Schut­ze vor Erkäl­tun­gen wur­de durch die Autoren des deut­schen medi­zi­ni­schen Fach­blat­tes arz­nei­mit­tel-tele­gramm eine Absa­ge erteilt. Sie hat­ten in einer zwei­tei­li­gen Über­sichts­ar­beit (ins­ge­samt 19 Stu­di­en im Zeit­raum von 1996–2003) unter­sucht. Die Autoren kamen zum ein­deu­ti­gen Schluss, dass die Vit­ami­ne A, C, E und Beta­ca­ro­tin kei­nen Ein­fluss auf die Häu­fig­keit von Erkäl­tun­gen haben. Zwar wür­de sich eine sta­tis­ti­sche Ver­kür­zung von Erkäl­tun­gen von weni­gen Stun­den erge­ben, so die Autoren, doch sei die­se unbe­deu­tend. Das glei­che gel­te für die vor­beu­gen­de Behand­lung von Herz-Kreis­lauf- wie uro­lo­gi­schen Erkran­kun­gen. Eine ein­deu­ti­ge Ver­schlech­te­rung bei Atem­wegs­in­fek­ten und Ein­nah­me von Vit­amin E sei aller­dings bei den Krank­heits­ver­läu­fen sta­tis­tisch hoch signifikant.

Auch die pro­pa­gier­te Wirk­sam­keit hoch­do­sier­ter Ver­ga­ben von Beta­ca­ro­tin, Vit­ami­nen A, C und E allein oder in Kom­bi­na­ti­on zur Ver­bes­se­rung ver­schie­de­ner Augen­er­kran­kun­gen wur­de vom glei­chen Team unter­sucht. Fazit: Die genann­ten Vit­ami­ne schüt­zen nicht, son­dern kön­nen sogar eine Ver­schlech­te­rung des Seh­ver­mö­gens beim grau­en Star (Kata­rakt) bewir­ken. Auch ein alters­be­ding­ter, fort­schrei­ten­der Seh­ver­lust (Maku­la­de­ge­ne­ra­ti­on) oder die dege­ne­ra­ti­ve Netz­haut­schä­di­gung (Ret­in­i­tis pig­ment­o­sa) las­se sich nicht auf­hal­ten, schlos­sen die Autoren [3].

Bei Krebs unheilvoll

Künst­li­che Anti­oxi­dan­ti­en wer­den ger­ne ent­we­der zur Krebs­vor­sor­ge oder auch zur Ver­bes­se­rung des Krank­heits­ver­laufs bei Krebs­er­kran­kun­gen als wirk­sam pro­pa­giert. Doch eine Stu­die (SELECT = Sele­ni­um and Vit­amin E Can­cer pre­ven­ti­on tri­al), die 35.000 Män­nern umfass­te, muss­te vor­zei­tig abge­bro­chen wer­den. Die Män­ner hat­ten zur Krebs­vor­sor­ge Selen und Vit­amin E ein­ge­nom­men. Sie beka­men täg­lich Vit­amin E (400mg) in Kom­bi­na­ti­on mit Selen (200mg), um einem Pro­sta­ta­kar­zi­nom vor­zu­beu­gen. Statt eines Schut­zes stell­te sich jedoch ein erhöh­tes Krebs­ri­si­ko her­aus. In einer Nach­aus­wer­tung der Stu­die stell­ten For­scher aus­ser­dem ein erhöh­tes Erkran­kungs­ri­si­ko an Erwach­se­nen-Dia­be­tes bei der vor­beu­gen­den Ein­nah­me von Selen fest [4].

Auch Krebs­pa­ti­en­ten soll­ten umden­ken. Sie neh­men häu­fig Anti­oxi­dan­ti­en ein, um uner­wünsch­te Effek­te der Che­mo- oder Strah­len­the­ra­pie vor­zu­beu­gen. Neue expe­ri­men­tel­le und kli­ni­sche Daten füh­ren zur Ver­mu­tung, dass Anti­oxi­dan­ti­en Tumor­zel­len sogar schüt­zen könn­ten. Wis­sen­schaf­ter befürch­ten aus­ser­dem, dass Anti­oxi­dan­ti­en die Bestrah­lungs­er­geb­nis­se ver­schlech­tern könn­ten und damit die Über­le­bens­zeit ver­kür­zen anstatt zu ver­län­gern. Die­se Erkennt­nis­se sind jedoch noch nicht gesi­chert, weil die Stu­di­en metho­di­sche Män­gel auf­wei­sen sol­len. Trotz­dem: Nach dem gegen­wär­ti­gen Erkennt­nis­stand raten vie­le Wis­sen­schaft­ler drin­gend davon ab, Anti­oxi­dan­ti­en sowohl zur Vor­beu­gung von Krebs oder als Mit­tel gegen Stör­wir­kun­gen von Che­mo- oder Strah­len­the­ra­pien einzunehmen.

Fazit:

Bei all die­sen wis­sen­schaft­li­chen Erfor­schun­gen künst­li­cher Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel wird eine bedeut­sa­me Tat­sa­che aus­ser Acht gelas­sen: Es gibt genü­gend natür­li­che Anti­oxi­dan­ti­en in unse­ren Nah­rungs­mit­teln. Die täg­li­che Ver­sor­gung ist über eine aus­ge­wo­ge­ne, viel­sei­ti­ge Ernäh­rung gewähr­leis­tet. Dazu gehö­ren fri­sches Obst, Gemü­se, voll­wer­ti­ges Brot, Getrei­de, Fisch und (oder auch nicht) Fleisch. Des­halb betont Ber­neis auch, dass “nie­mand, der sich nor­mal und gesund ernährt, um unge­nü­gen­de Auf­nah­me von Anti­oxi­dan­ti­en zu sor­gen braucht”. Im Gegen­teil: Ein Vit­amin­man­gel ist in Mit­tel­eu­ro­pa sel­ten. Er wird vor allem bei Alko­ho­lis­mus, chro­ni­schen Darm­er­kran­kun­gen (erst nach län­ge­ren Zeit­räu­men) oder Fehl­ernäh­rung (Alten­hei­me) beob­ach­tet. Ber­neis emp­fiehlt, dass die Fest­stel­lung des Vit­amin­man­gels immer über einen Arzt erfol­gen soll­te, der dann auch geeig­ne­te Gegen­mass­nah­men vorschlägt.

Vitamine aus naturheilkundlicher Sicht

Möh­ren (Dau­cus caro­ta)

“Vit-amin” – das schein­bar simp­le Kunst­wort des pol­ni­schen Bio­che­mi­kers Casi­mir Funk im 20. Jahr­hun­dert – ent­hält ety­mo­lo­gisch eine Anru­fung (“Amen” – ara­bisch “amin”) des Lebens (“Vita”) schlecht­hin. Die Hoff­nun­gen vie­ler Men­schen in die­se hete­ro­ge­ne Sub­stanz­grup­pe erin­nert in rüh­ren­der Wei­se an die mit­tel­al­ter­li­che Suche der alchi­mis­ti­schen Berufs­kol­le­gen von Funk nach dem Stein der Wei­sen. Der Stein der Wei­sen (“das Eli­xier”), oder sein medi­zi­ni­sches Pen­dant – nach Para­cel­sus -, das “Arka­num”, war damals in ähn­li­cher Wei­se ideo­lo­gisch über­frach­tet wie heu­te der mit­tels anti­oxi­da­tiv­er Vit­ami­ne geführ­te End­zeit­kampf gegen die Radi­ka­le des Sau­er­stof­fes. Die Tra­gik der Schul­me­di­zin und auch von Tei­len der Alter­na­tiv­me­di­zin liegt dar­in, ein Arka­num für ein indi­vi­du­ell ein­setz­ba­res Arz­nei­mit­tel zur För­de­rung der per­sön­li­chen Gesund­heit zu hal­ten. Doch das Arka­num, das die Schöp­fung erlö­sen soll, kann schnell zum krank­ma­chen­den Gift für den Ein­zel­nen wer­den, wie die Alche­mis­ten warn­ten. Ein Schick­sal, das über­eif­ri­ge Vit­ami­n­an­wen­der auch erei­len kann. Auf geis­ti­ge Hin­ter­grün­de der Vit­ami­ne wur­de schon bald nach ihrer Ent­de­ckung auf­merk­sam gemacht. So z. B. von dem öster­rei­chi­schen Che­mi­ker und Phar­ma­zeu­ten Rudolf Haus­ch­ka (1891–1969), der in sei­ner Ernäh­rungs­leh­re immer wie­der auf die fun­da­men­ta­len Unter­schie­de zwi­schen natür­li­chen und künst­lich-syn­the­ti­schen Vit­ami­nen hin­wies. Bis heu­te besteht die Ver­mu­tung, dass struk­tu­rel­le, funk­tio­nel­le oder “dyna­misch-geist­ar­ti­ge” Unter­schie­de zwi­schen natür­li­chen und künst­li­chen Vit­ami­nen nicht nur die bekann­ten Unter­schie­de bei der Bio­ver­füg­bar­keit oder der bio­lo­gi­schen Wir­kung bedin­gen, son­dern auch wesent­lich zur Gif­tig­keit der hier vor­ge­stell­ten anti­oxi­da­tiv­en Wirk­stof­fe bei­tra­gen. Die ver­geb­li­che und teu­re Anru­fung des Lebens – Vit­amin! – erscheint fatal ange­sichts der vie­len Schwei­zer Mög­lich­kei­ten, sich dem Leben selbst zu nähern. Bei­spiels­wei­se der beson­de­ren Kraft fri­scher alpi­ner Gebirgs­quell­wäs­ser – Aqua vita­lis! Obwohl deren beson­de­rer Gehalt an Lebens­kraft vom deut­schen Inge­nieur und Strö­mungs­for­scher Theo­dor Schwenk (1910–1986) und ande­ren ein­drück­lich belegt wur­de, erhof­fen sich vie­le Zeit­ge­nos­sen von der neu­zeit­li­chen Hos­tie der Vit­amin­ta­blet­te mehr als vom Was­ser des rau­schen­den Berg­bäch­leins hin­ter dem eige­nen Haus.

Autorin
• Mari­on Kaden, natür­lich leben (2008).
Quel­len
1. Bjela­ko­vic, Goran et al: Mor­ta­li­ty in Ran­do­mi­zed Tri­als of Anti­oxi­dant Sup­ple­ments for Pri­ma­ry and Secon­da­ry Pre­ven­ti­on. Jama 2007, Vol. 297, No. 8, S. 842–857
2. NN: Vit­ami­ne A,C,E und Beta­ca­ro­tin: Wie nütz­lich sind Anti­oxi­dan­ti­en? (1), arz­n­ei-tele­­gramm, 11/​​2003; 34: 100–2
3. NN: Vit­ami­ne A,C,E und Beta­ca­ro­tin: Wie nütz­lich sind Anti­oxi­dan­ti­en? (2), arz­n­ei-tele­­gramm, 12/​​2003; 34: 111–3
4. NN: Prä­ven­ti­on mit Anti­oxi­dan­ti­en: Scha­den über­wiegt, arz­n­ei-tele­­gramm, 12/2008;39: 123

Bitte Ihre Frage, Anmerkung, Kommentar im folgenden Feld eingeben