Zinn

Hahnemanns Apothekerlexikon
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Zinn (Stan­num, Jupi­ter) ist ein fast sil­ber­wei­ßes, nach eini­ger Zeit mit einem dun­kel­grau­en, dün­nen Ueber­zu­ge sich bede­cken­des, beim Bie­gen knir­ren­des und knit­tern­des, wei­ches, fast klang­lo­ses, wider­lich rie­chen­des und schme­cken­des Metall, von 7, 180 bis 7, 299 eigent­hüm­li­chen Gewich­te, wel­ches bei 410° Fahr. vor dem Glü­hen, schmelzt, von der hei­ßen, rei­nen Sal­pe­ter­säu­re blos zu einem 40 Pro­zent schwe-rerm Kal­ke zer­fres­sen, aber nicht auf­ge­lö­set, voll­kom­men aber von der gemei­nen Salz­säu­re, dem (kalt erhal­te­nen) Königs­was­ser, und der aus Vitri­ol- und Sal­pe­ter­säu­re, so wie der aus Vitri­ol- und Salz­säu­re gemisch­ten Säu­re auf­ge­lö­set wird. Die Gewächs­säu­ren lösen nicht wenig davon auf.

Es kömmt fast nie gedie­gen, am häu­figs­ten in Ver­ei­ni­gung mit Eisen (Kup­fer) und Arse­nik in der Erde vor. Wir erhal­ten es im Han­del sel­ten rein. Das eng­li­sche Weich­zinn (Tin) ist in Eng­land stets ganz fein, und blos ihr Hart­zinn (Pew­ter) ist mit einem Zwan­zigs­tel eines Metall­ge­mi­sches aus Zink, Kup­fer, Wis­muth, u.s.w. ver­setzt. So lan­ge sich aber die Hol­län­der die­ses Han­dels­ar­ti­kels bemäch­tigt hat­ten, beka­men wir durch ihre Hän­de das soge­nann­te eng­li­sche Zinn, wel­ches fein seyn soll­te, fast durch­gän­gig ver­fälscht (unter einer Men­ge von Stem­peln, Nah­men und Gestal­ten) vor­züg­lich aber mit Blei ver­setzt. Das reins­te schien noch das in dün­nen bieg­sa­men Strie­men, zum Löthen gebräuch­li­che. Dann könn­te man etwa noch dem angeb­lich eng­li­schen Stan­gen­zin­ne eini­gen Vor­zug geben, in fin­ger­di­cken und ellen­lan­gen Stä­ben. – Selbst das ost­in­di­sche, gewiß sehr rei­ne, näm­lich das Ban­ca­zinn in läng­lich­ten Zai­nen, jeder vier­zig und meh­re­re Pfund schwer, und das Mal­ac­ca-zinn in Hut­form, bei­de Sor­ten mit einem grau­en Ros­te bedeckt, ließ dieß mono­po­li­sche Han­dels­volk nicht rein in uns­re Hän­de. Wenn wir daher das eigent­li­che eng­li­sche Weich­zinn nicht unmit­tel­bar aus die­sem Lan­de, oder das ost­in­di­sche eben­falls ent­we­der gera­de durch die Hän­de der Eng­län­der oder Dänen bekom­men kön­nen, so ver­fah­ren wir sich­rer, das gewöhn­lich unta­del­haf­te säch­si­sche oder böh­mi­sche Berg­zinn oder Bal­lenzinn zu wäh­len, dem viel­leicht nur die Ver­läum­dung oder die Sucht nach aus­län­di­schen Erzeug­nis­sen die Rein­heit abge­spro­chen und eine Ver­fäl­schung mit Blei ange­dich­tet hat.

Um sich von dem schäd­li­chen Zusat­ze des Blei­es, Kup­fers und Wis­muths zu über­zeu­gen, diger­irt man das ver­däch­ti­ge Zinn in hei­ßer ganz rei­ner Sal­pe­ter­säu­re (die min­des­te Bei­mi­schung von Vitri­ol- oder Koch­salz­säu­re läßt einen auf­gelößt blei­ben­den Hin­ter­halt von Zinn in der Auf­lö­sung zurück) und es wird völ­lig als ein wei­ßer Kalk zer­fal­len zu Boden fal­len, so daß die Sal­pe­ter­säu­re kein Metall ent­hält, wenn (die Säu­re und) das Zinn rein war. War es aber nicht rein, so wird die hel­le, fil­trir­te Flüs­sig­keit auf Zusatz von trock­nem Glau­ber­salz­pul­ver ihren Blei­ge­halt als Blei­vi­tri­ol nie­der­fal­len las­sen. Die noch­mahls fil­trir­te oder hell­ab­ge­gos­se­ne rück­stän­di­ge Flüs­sig­keit wird fer­ner ihren Wis­muth­ge­halt größ­tent­heils zu Boden fal­len las­sen, wenn man sie mit drei­sig Thei­len Was­ser ver­dünnt. Den Rest schlägt man aus der hell­ab­ge­gos­se­nen Flüs­sig­keit mit Pota­schlau­gen­salz nie­der, und zieht aus dem getrock­ne­ten und gewo­ge­nen Boden­sat­ze das etwa­ni­ge Kup­fer mit mil­dem Sal­mi­ak­geis­te aus; der Rück­stand wird noch Wis­muth seyn. Unmit­tel­bar auf Arse­nik pro­birt man das Zinn durch Auf­lö­sung in Salz­säu­re, wobei der Arse­nik als schwar­zes Pul­ver, das ist als Arse­nik­kö­nig zu Boden fällt. Indeß ist des Arse­niks, wel­cher nie als Ver­fäl­schungs­zu­satz, son­dern immer nur zufäl­lig aus dem Erze zu dem Zin­ne geräth gewöhn­lich nur eine sehr unbe­deu­ten­de, ich möch­te sagen, unschäd­li­che Men­ge im Zin­ne, etwa 1/​1000 sehr sel­ten 1/​576. Das säch­si­sche Sei­fen­zinn ent­hält keins.

Durch Zusatz von 1/​32 Blei wird das Zinn schon von 7, 321, beim Zusatz glei­cher Thei­le Blei­es aber von 8, 817 eigent­hüm­li­chem Gewichte.

Das in fei­ne Spä­ne gefeil­te, oder geschmol­zen und in die höl­zer­ne, mit Krei­de aus­ge­stri­che­ne, Gra­nu­lir-büch­se gegos­sen (blos wenn das Zinn ein wenig vom Schmelz­punk­te ent­fernt ist, wird es sprö­de genug zum Pül­vern) durch schnel­les und star­kes Schüt­teln gepül­ver­te, und durch ein Sieb von den grö­ßern Kör­nern geschie­de­ne Zinn (Scobs, s. Limatu­ra stan­ni, Pul­vis Stan­ni) ist, zu einem und meh­rern Skru­peln auf die Gabe ein­ge­nom­men, als ein vor­treff­li­ches Mit­tel gegen Ein­ge­wei­de­wür­mer, selbst gegen den Band­wurm (sogar zur Aus­trei­bung der Tae­nia soli­um, L. wie ich mit Andern erfah­ren) befun­den wor­den, eine schätz­ba­re Arz­nei­kraft, die wohl nicht von der oft unbe­trächt­lich klei­nen Men­ge Arse­nik dar­in abge­lei­tet wer­den kann, da auch die durch Sal­pe­ter ver­puff­ten und aus­ge­süß­ten Zink­kal­ke die­se Tugend besitzen.

Ein altes Mit­tel, das Schwind­suchts­pul­ver des Pote­ri­us (Anti­hec­ti­cum Pote­rii) aus zwei Thei­len Spieß­glanz­kö­nig mit einem Thei­le Zinn zusam­men­ge­schmol­zen, und mit einem glei­chen Gewich­te Sal­pe­ter ver­pufft, aus­ge­süßt und getrock­net – ward ehe­dem im Asth­ma (sogar der geschwü­ri­gen Lun­gen­sucht) in Hys­te­rie und Hypo­chon­drie und selbst im Keuch­hus­ten geprie­sen. Die Neu­ern haben hier­über kei­ne bestä­ti­gen­de Erfahrung.

Vor sich im Flus­se in offe­nen Geschir­ren gehal­ten, wird das Zinn all­mäh­lich in einen grau­en Kalk umge­wan­delt, der leicht wie­der­her­stell­bar ist, durch fer­ne­res Glü­hen aber in einen wei­ßen Zinn­kalk (Zinn­asche, Cinis sta­ni, Cinis Jovis) über­geht, mit zehn Pro­zent Gewichts­zu­nah­me, wel­cher in ältern Zei­ten in Hys­te­rie gerühmt wor­den ist. Tech­nisch dient er zum Poli­ren des Gla­ses, Stahls, u.s.w. und, im hef­tigs­ten Feu­er zu milch­wei­ßem Gla­se geschmol­zen, zur Berei­tung des Emails.

Der durch anhal­ten­des Glü­hen oder durch Ver­puf­fen mit zwei Thei­len Sal­pe­ter und Aus­sü­ßen ent­stan­de­ne wei­ße Zinn­kalk läßt sich zwar nicht vor Mine­ral­säu­ren, wohl aber von der Essig­säu­re all­mäh­lich in der Wär­me auf­lö­sen, eine Auf­lö­sung, die zur Sirups­di­cke abge­duns­tet, und dann mit einem Zwan­zigs­tel ent­wäs­ser­ten Wein­geis­te ver­mischt, zu har­ten, wei­ßen, mil­den Zin­nessig­s­alz­krystal­len (Sal Jovis Myn­sich­ti, Sal Stan­ni ace­ta­tum) anschießt, ein Salz, wel­ches nach einer dun­keln Sage in Hys­te­rie gebräuch­lich gewe­sen seyn soll, nach gewis­sern Nach­rich­ten aber in hol­län­di­schen Kat­tun­dru­cke­rei­en Diens­te leistet.

Um das Musiv­gold (aurum musi­vum, s. mosai-cum) zu berei­ten, mischet man 12 Thei­le des reins­ten schmel­zen­den Zin­nes mit 3 Thei­len rei­nen Queck­sil­bers im stei­ner­nen Mör­sel zu einem fein gepül­ver­ten Amal­gam, rei­bet hier­un­ter 7 Thei­le Schwe­fel­blu­men und 3 Thei­le Sal­mi­ak und schüt­tet das Gemisch in einen glä­ser­nen Kol­ben, den man, mit Sand umschüt­tet, in einen Schmelz­tie­gel setzt, und die­sen in einer anhal­tend glei­chen, gelin­den Hit­ze (etwa 8 Stun­den lang) erhält, bis sich kei­ne schwe­fe­lichtsauern Dämp­fe mehr ent­wi­ckeln. Dann ver­stär­ket man das Feu­er etwas, wobei sich eini­ger Zin­no­der, etwas ätzen­der Sub­li­mat und koch­salz­saures Zinn sub­li­mi­ren wird. Der Rück­stand ist das gold­gel­be, metal­lisch glän­zen­de, schup­pen­för­mi­ge und fet­tig anzu­füh­len­de, geruch-und geschmack­lo­se Musiv­gold, eine Ver­bin­dung von Zwei Thei­len Zinn und Einem Thei­le Schwe­fel. Es wird jezt auf Rei­be­kis­sen an Elek­tri­sir­ma­schi­nen, und von den Mahlern gebraucht; ehe­dem auch als inne­re Arz­nei in Hypo­chon­drie, Hys­te­rie, u.s.w. heut zu Tage aber, wie bil­lig, gar nicht mehr.

Reibt man ein Zinn­amal­gam, obge­dach­ter Art, (aus 12 Thei­len schmel­zen­dem Zinn mit drei Thei­len Queck­sil­ber ver­bun­den, berei­tet) genau mit glei­chen Thei­len gepül­ver­tem Aetz­sub­li­mat im glä­ser­nen Mör­sel zusam­men, und destil­lirt die­ses Gemisch aus einer Retor­te in die mit fet­tem Kit­te anlut­ir­te und mit ihrer Hülfs­röh­re (gezeich­net unter Sal­mi­ak­geist) ver­seh­ne Vor­la­ge bei gelind erhö­he­tem Feu­er der­ge­stalt über, daß man die Destil­la­ti­on abbricht, sobald ein fes­ter Sub­li­mat im Hal­se der Retor­te erscheint, so bestehet die über­ge­gan­ge­ne, dün­ne, bei Berüh­rung der Luft einen dich­ten, wei­ßen, ersti­cken­den Dampf aus­sto­ßen­de Flüs­sig­keit (Libav’s rau­chen­der Geist, Liqu­or s. Spi­ri­tus Libavii, fumans, auch, etwas unei­gent­lich, Zinn­but­ter genannt) aus Zinn mit oxy­ge­ni­sirter Koch­salz­säu­re über­setzt. Sie wird im Dun­keln in glä­ser­nen Fla­schen ver­wahrt, deren ein­ge­rie­be­ner Glas­stöp­sel vor dem Ver­stop­fen mit geschmol­ze­nem, wei­ßem Wach­se über­zo­gen wor­den ist (unter Stöp­sel), und ist in neu­ern Zei­ten zur Berei­tung eines leich­ten Koch­salz­äthers ange­wen­det worden.