Weißweide

Hahnemanns Apothekerlexikon
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Weiß­wei­de, Salix alba, L. [Zorn, pl. med. tab. 492] mit lan­zet­för­mi­gen, zuge­spitz­ten, säge­ar­tig gezahn­ten, auf bei­den Sei­ten fein­haa­ri­gen Blät­tern, deren untern Säge­zäh­ne drü­sicht sind; ein, unge­köpft, auf drei-sig Fuß hoher, an Städ­ten und Dör­fern sehr häu­fi­ger Baum, wel­cher im Aprill blüht.

Die von drei bis vier­jäh­ri­gen Aes­ten abge­schäl­te Rin­de (Cort. Sali­cis albae) ver­räth, vor­züg­lich im Extrak­te, nächst dem zusam­men­zie­hen­den, auch einen bit­ter­bal­sa­mi­schen Geschmack und star­ken flüch­ti­gen Geruch. Wird sie aber von ältern Aes­ten, oder wohl gar vom Stam­me genom­men, so ver­min­dern sich in eben der Maße die bit­tern Thei­le, und die Rin­de wird zusam­men­zie­hen­der von Geschma­cke, so daß sie end­lich der Eichen­rin­de wenig nach­gie­bt. Da sie nun noch über­dem die Fäul­niß thie­r­i­scher Sub­stan­zen hemmt, wie alle adstrin­gi­ren­de und bit­ter zusam­men­zie­hen­de Din­ge thun, so hat man sie der Natur der Chi­na­rin­de so ähn­lich geglaubt, daß man sogar wähn­te, die­se durch jene völ­lig zu erset­zen. Unter allen hie­zu emp­fohl­nen Wei­de­ar­ten hat man der Weiß­wei­de den Vor­zug gege­ben; wenigs­tens über­trift sie an zusam­men­zie­hen­der Kraft die übrigen.

Nun ist zwar nicht zu leug­nen, daß sie wirk­lich zuwei­len Wech­sel­fie­ber geho­ben hat, allem Ansehn nach aber blos sol­che, deren Fort­dau­er durch gewöhn­li­che Stär­kungs­mit­tel Enzi­an, Gall­äp­fel, u.s.w. eben­falls hät­te gehemmt wer­den kön­nen. Es fehlt daher so viel dar­an, daß die­se Rin­de mit der wun­derns­wür­di-gen Kraft der Chi­na über­ein­kom­men soll­te, daß sehr sorg­fäl­ti­ge Aerz­te sie sogar nie eigent­lich anti­py­re-tisch wir­ken sahen, und sie wohl zu irgend einem Be-hufe, wo gewöhn­li­che bit­te­re adstrin­gi­ren­de Mit­tel erfor­der­lich sind, vor­züg­lich zu äus­serm Gebrau­che, vort­re­f­lich fin­den, sich aber nie ent­schlie­ßen kön­nen, die Stel­le der Chi­na durch sie erset­zen zu wol­len. Die Rin­de der einen Wei­de läßt sich wohl mit Fuge durch die Rin­de einer andern Wei­den­art erset­zen, aber der köst­li­che Baum aus Peru kann nur durch sich selbst, und kaum durch sei­ne Arten ersetzt wer­den. Um ihr aber gleich­wohl vol­le Gerech­tig­keit wie­der­fah­ren zu las­sen, so kann man ver­si­chern, daß sie zu allen den Behu­fen, wozu man sonst Chi­na lan­ge Zeit im Was­ser abkoch­te (wobei sie ihre spe­zi­fi­sche Arz­nei­kraft völ­lig, oder bei­na­he völ­lig ver­liert) und die­se bei hef­ti­gem Feu­er berei­te­ten Absu­de oder Extrak­te inner­lich neh­men oder äus­ser­lich auf­le­gen ließ – aller Wahr­schein­lich­keit nach gleich wirk­sam und um des­to schätz­ba­rer seyn wird, je fri­scher, äch­ter und wohl­fei­ler die Wei­den­rin­de ist. Eben die bit­terad­strin­gi­ren­den oder doch sehr ähn­li­che Thei­le als im mehr­stün­di­gen Chi­na­rin­den­de­kok­te wird man im Absu­de der Wei­den­rin­de fin­den, und im erstern fast eben so wenig eigent­li­che Chi­na­kraft, als in dem lez­tern. Letz­te­rer wird eben so kräf­tig (wie die Erfah­rung auch hin­läng­lich bewie­sen hat) schlaf­fe Thei­le befes­ti­gen, und, wenn er kon­zen­trirt ist, den kal­ten Brand hem­men, als die durch lang anhal­ten­de Abko­chung gemis­han­del­te Chinarinde.

In einer Rind­vieh­pest in Hol­land soll der Absud mit Vitri­ol­säu­re (!) sehr hülf­reich gewe­sen seyn. Man hat Erbre­chen und Blut­flüs­se dadurch zuwei­len gehemmt, und mit Vort­heil Rin­de und Blät­ter der Weiß­wei­de zu stär­ken­den Bädern für atro­phi­sche Kin­der ver­ord­net. Die den Blät­tern bei den Altern nach­ge­rühm­te, Geil­heit min­dern­de Kraft beru­he­te wohl nicht auf äch­ten Erfahrungen.

Die dem spa­ni­schen Hol­lun­der (Lil­ak) an Geru­che ähneln­den Blu­men­kätz­chen (Amen­ta, Juli Sali­cis) geben ein sehr ange­neh­mes destil­lir­tes Was­ser, dem man eine Schlaf brin­gen­de, auch Blut­fluß stil­len­de Kraft zut­heil­te, ohne Bewei­se dafür vorzulegen.