Weingeist

Hahnemanns Apothekerlexikon
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Wein­geist (Spi­ri­tus Vini) wird im engern Ver­stan­de der aus Wein­beer­wei­ne, Wein­he­fen und geg­ohr­nen Weintre­bern (Tres­tern) durch zwei­mahl wie­der­hol­te Destil­la­ti­on abge­schie­de­ne brenn­ba­re Geist von lieb­li­chem, etwas äther­ar­ti­gem Geru­che und ähn­li­chem, rein­geis­ti­gem Geschma­cke, im wei­tern Sin­ne aber der von irgend einem (es sei nun aus Cider, Meth oder Getrei­de­mai­sche berei­te­tem) Brannt­wei­ne, w.s. durch noch­mah­li­ge Ueber­trei­bung berei­te­te und so vom Ueber­ma­ne an Was­ser befreiete brenn­ba­re Geist genannt.

Da nun die­se Brannt­wei­ne zwar alle­sammt in Absicht des in ihnen ent­hal­te­nen brenn­ba­ren Geis­tes, der in allen von glei­cher Natur ist, über­ein­kom­men, aber durch mehr oder weni­ger unan­ge­neh­me Neben­be-standt­hei­le sich gar sehr von ein­an­der unt­schei­den (vor­züg­lich der aus Getrei­de­kör­nern berei­te­te soge­nann­te Korn­brannt­wein durch sein wid­ri­ges Fusel­öl), so müs­sen bei Berei­tung des Wein­geis­tes aus irgend einem Brannt­wei­ne Hand­grif­fe zu sei­ner voll­kom­me­nen Rei­ni­gung ange­wandt, und in der Phar­ma­zie durch­aus kein brenn­ba­rer Geist mit dem Nah­men Wein­geist belegt, oder als Wein­geist zu Arz­nei­en genom­men wer­den, wel­cher nicht, theils von allem wid­ri­gen Neben­ge­ru­che und Neben­ge­schma­cke befrei­et, theils gehö­rig ent­wäs­sert ist.

Den Vor­zug zur Berei­tung des Wein­geis­tes haben aus­ser dem Wein­brannt­wei­ne (der über­haupt mit dem Nah­men Franz­brannt­wein belegt wird) die Brannt­wei­ne aus Cider, Meth, geg­ohr­nem Zucker­was­ser, u.s.w. wel­che dem aus Wei­ne oft sehr nahe kom­men, vor dem Korn­brannt­wei­ne. Da aber lez­te­rer zuwei­len der ein­zi­ge ist, den man haben kann, so muß man wis­sen, wie er in einen rei­nen Wein­geist umzu­än­dern ist.

Zu die­ser Absicht wählt man geist­rei­chen Brannt­wein, etwa sol­chen, wovon ein Fläsch­chen, wel­ches bis zu einem gewis­sen am Hal­se gezeich­ne­ten Punk­te 1000 Gran destil­lir­tes Was­ser fas­set, zur Anfül­lung bis zu dem­sel­ben Punk­te nur 920 Gran braucht, vor­aus­ge­setzt, daß der Brannt­wein von glei­cher Wär­me als das Was­ser war (das ist, einen Brannt­wein von 0, 920 spe­zi­fi­schem Gewich­te). Kann man ihn nur von gerin­ge­rer Stär­ke von 0, 930 oder wohl gar nur von 0, 940 spe­zif. Gewich­te haben, so muß man ihn auch um des­to wohl­fei­ler ein­kau­fen, so daß man für jede zehn Gra­de der grö­ßern spe­zi­fi­schen Schwe­re den Ein­kauf­preis etwa um ein Vier­zehn­tel (bis Zwölf­tel) herabstimmt.

Man gießt den zu Wein­geist zu bear­bei­ten­den Cider- Meth- Zucker- oder Korn­brannt­wein in die kal­te Bla­se, mischt all­mäh­lich unter ste­tem Umrüh­ren fei­nes Pul­ver unmit­tel­bar vor­her geglü­he­ter Koh­len von har­tem Hol­ze so lan­ge hin­zu, bis eine zwi­schen den Hän­den gerie­be­ne Pro­be davon kei­nen übeln Geruch weder von dem stin­ken­den Fusel­öle des Getrei­des, nichts von dem süß­licht­wid­ri­gen Geru­che weder des Honigs, noch des Obs­tes, noch auch über­haupt eini­gen bränz­lich­ten Geruch mehr spü­ren läßt. Hie­zu wird höchs­tens ein Pfund Koh­len­pul­ver gegen 24 Pfund Brannt­wein erfor­der­lich seyn; je weni­ger, des­to bes­ser, da der über­flüs­si­ge Zusatz des Koh­len­pul­vers die Men­ge des Wein­geis­tes ver­rin­gert. Will man nun dem abzu­de­stil­li­ren­den Wein­geis­te auch den lieb­li­chen Geruch des Wein­geis­tes aus Wein­brannt­wei­ne mitt­hei­len, so tröp­felt man unter ste­tem Umrüh­ren nun noch so viel kon­zen­trir­te Vitri­ol­säu­re ein, daß auf jede 24 Civil­pfun­de Brannt­wein zwei Loth Vitriol­öl kom­men. Man setzt nun den zin­ner­nen Helm mit dem Helm­ab­küh­ler ver­se­hen, auf, legt die Vor­la­ge (am bes­ten die mit der Hülfs­röh­re bei Sal­mi­ak­geist unter Sal­mi­ak gezeich­ne­te) an, ver­dich­tet die Fugen und destil­lirt bei gelin­dem Feu­er und unter Erneue­rung des kal­ten Was­sers im Helm­ab­küh­ler so lan­ge, bis das Ueber­ge­hen­de auf­hört, wein­geis­tig zu rie­chen und zu schme­cken. Die­ser ein­fa­che oder rek­ti­fi­zir­te Wein­geist (Spi­ri­tus Vini, Spi­ri­tus Vini rec­ti­fi­ca­tus) ist frei von allem wid­ri­gen Geru­che und Geschma­cke, und, wenn, wie oben gedacht, noch etwas Vitri­ol­säu­re zum Brannt­wei­ne gekom­men, auch mit dem bele­ben­den, vege­ta­bi­lisch äthe­ri­schen, lieb­li­chen Geis­te geschwän­gert, der sonst nur dem Wein­geist aus Franz­brannt­wei­ne eigen ist. Man kann von die­sem rek­ti­fi-zir­ten Wein­geis­te erwar­ten, daß er eine spe­zi­fi­sche Leich­tig­keit von 0, 873 besit­ze. Er muß in glä­ser­nen Fla­schen fest ver­stopft am käl­tes­ten Orte des Hau­ses auf­be­wah­ret werden.

Ehe­dem pfleg­te man den Wein­geist, um ihn zu ver­stär­ken, so lan­ge mit etwas geglü­he­tem Pota­schlan-gen­sal­ze zu schüt­teln, bis lez­te­res nicht mehr feucht ward, und den abge­gos­se­nen Wein­geist dephleg­mir-ten oder tar­ta­ri­sir­ten (Spi­ri­tus Vini tar­ta­ri­sa­tus) zu nen­nen. Er ent­hält aber so viel kaus­ti­sches Lau­gen­salz auf­gelößt, daß er durch­aus zu kei­nem tech­ni­schen oder arz­nei­li­chen Behu­fe anzu­wen­den ist, wozu rei­ner Wein­geist erfor­dert wird.

Soll aber der Wein­geist den höchs­ten Grad der Stär­ke und Rei­nig­keit erhal­ten, die man nur zu phar­ma­zeu­ti­schen und tech­ni­schen Arbei­ten ver­lan­gen kann, so wird eine mit dem Was­ser­ba­de ver­se­he­ne Bla­se, das ist, eine sol­che, wel­che in einer andern mit kochend erhal­te­nem Was­ser ange­füll­ten Bla­se ste­het (die Zeich­nung unter Was­ser­bad), bis zu zwei Drit­teln mit mög­lichst in der Wär­me aus­ge­trock­ne­ter noch war­mer gepül­ver­ter Pota­sche ange­füllt, und so viel von dem gedach­ten über Koh­len rek­ti­fi­zir­ten Wein­geis­te dazu gegos­sen, daß die Pota­sche nur so eben oben damit bedeckt wird. Man ver­stopft die Bla­se genau und läßt die Mischung 24 Stun­den im Kal­ten ste­hen. Nun setzt man den zin­ner­nen Helm mit dem Helm­ab­küh­ler auf, des­sen fri­sches Was­ser man unun­ter­bro­chen erneu­ert, legt die Vor­la­ge mit der Hülfs­röh­re (gezeich­net bei Sal­mi­ak­geist unter Sal­mi­ak) vor, ver­dich­tet die Fugen aufs genau­es­te mit nas­ser Bla­se, und destil­lirt die Hälf­te des ein­ge­setz­ten Wein­geis­tes ab.

Der unge­mei­nen Flüch­tig­keit des Ueber­ge­hen­den wegen ist die Frost­käl­te des Win­ters hie­zu die taug­lichs­te Jahrs­zeit, wobei ein nicht gerin­ger Ver­lust an Geis­te ver­mie­den wird.

Zur Berei­tung die­ses Wein­geis­t­al­ko­hols (Spi­ri­tus Vini rec­ti­fi­ca­tis­si­mus, s. dephleg­ma­tis­si­mus, s. alco-holi­sa­tus, Alco­hol Vini) mit­telst Pota­sche darf aber durch­aus kein roher Wein­geist aus Korn­brannt­wei­ne genom­men wer­den, der nicht über Koh­len rek­ti­fi­zirt ist; jeder Rest des Fusel­öls dar­in zer­setzt sich sonst bei der Dephleg­mi­rung über Pota­sche zu einer Art uri­nö­sen Duns­tes, der bei der Destil­la­ti­on dem Weis­te mit­get­heilt wird und ihn unan­ge­nehm macht.

Die­sem Nacht­hei­le völ­lig zu ent­ge­hen, (vor­züg­lich wenn man wegen eines Res­tes an Fusel­öle nicht fest über­zeugt ist) und zugleich einen Wein­geis­t­al­ko­hol von wo mög­lich noch grö­ße­rer Kon­zen­tra­ti­on auf dem leich­tes­ten Wege zu erhal­ten, dient die Erfin­dung, den über Koh­len rek­ti­fi­zir­ten Wein­geist (statt der Pota­sche) mit einem Drit­tel sei­nes Gewichts an ganz trock­ner koch­salz­saurer Kalk­er­de zu mischen (wel­che bis zum Anfan­ge des Glü­hens geschmol­zen, noch heiß ganz fein gepül­vert und noch warm unter den Wein­geist getra­gen wird), die Mischung wie­der­holt zu schüt­teln, und aus dem Was­ser­ba­de mit dem Hut-abküh­ler, am bes­ten bei Frost­käl­te wie gedacht über zu trei­ben. Das rück­stän­di­ge Kalk­koch­salz kann immer wie­der von neu­em zu die­ser Absicht gebraucht wer­den, wenn es wie­der bis zum Glü­hen aus­ge­trock­net und gepül­vert ist. (Das zum Dephleg­mi­ren öfte­rer gebrauch­te Pota­schlau­gen­salz hin­ge­gen wird zu die­ser Absicht immer untaug­li­cher; es sät­tigt sich theils hie-durch mit Koh­len­säu­re, theils wird es zu Pota­sches-sig­s­alz umge­än­dert, und so immer weni­ger zerfließbar).

Die­ser Wein­geis­t­al­ko­hol besitzt die spe­zi­fi­sche Schwe­re von 0, 791 oder, 0, 792 und ist so flüch­tig, daß bei mitt­le­rer Tem­pe­ra­tur der Atmo­sphä­re ein von eini­ger Höhe her­ab­fal­len­der Trop­fen nicht auf die Erde gelangt, son­dern auf dem Wege ver­duns­tet. Er sie­det bei einer weit nied­ri­gern Tem­pe­ra­tur als 165°, eine Wär­me, bei wel­cher der über Pota­schlau­gen­salz mög­lichst rek­ti­fi­zir­te Wein­geist, des­sen Leich­tig­keit man bis­her nicht höher, als bis 0, 825 oder höchs­tens 0, 820 zu brin­gen ver­moch­te, ins Kochen zu kom­men pflegt.

Was­ser­frei­er Wein­geist friert bei kei­ner bekann­ten Käl­te, brennt ohne Docht und ohne vor­gän­gi­ge Erwär­mung mit wei­ßer, an der äus­sern Sei­te bläu­li­cher Flam­me gänz­lich hin­weg, ohne Was­ser zu hin­ter­las­sen, und fast ohne Rus. Er bringt mit Was­ser gemischt Wär­me, mit Schnee gemischt aber grö­ße­re Käl­te her­vor. Er ist die ein­zi­ge brenn­ba­re, tropf­ba­re Flüs­sig­keit, wel­che sich in allen Ver­hält­nis­sen mit Was­ser ver­mischt. Er ver­bin­det sich mit den Mine­ral­säu­ren und der Essig­säu­re zu Aether und ver­süß­ten Säu­ren. Er löset (die meis­ten Arz­nei­kräf­te der Pflan­zen) die wah­ren Har­ze, die äthe­ri­schen Oele, und Kam­pher, in der Wär­me häu­fi­ger als in der Käl­te, auf, und läßt sie auf Zusatz von Was­ser größ­tent­heils wie­der abschei­den. Er löset die Bern­stein­säu­re, Ben­zoe-säu­re und Seda­tiv­säu­re, die koch­salz- sal­pe­ter- und essig­saure Kalk- Magne­sie- und Thon­er­de, das koch­salz­saure Eisen- Kup­fer- Zink- und Queck­sil­ber­salz, das sal­pe­ter­sau­re Eisen- Kup­fer- Sil­ber- und Zink­salz, das Ammo­ni­a­kes­sig-und Ammo­ni­ak­sal­pe­ter­salz, das Sodaes­sig­s­alz, das Potasch­essig­s­alz und in gerin­ger Men­ge den Soda­sal­pe­ter und den Sal­mi­ak, über­dem aber die Aetz­lan­gen­sal­ze, die Sei­fen, die durch Säu­ren, Aetz­lan­gen­sal­ze, Feu­er und Ran­zig­keit ver­än­der­ten aus­ge­preß­ten Oele und Thier­fet­te, und die durch Feu­er ver­än­der­ten aus fet­ten Oelen ver­här­te­ten Sub­stan­zen, den Bern­stein und Kopal, kei­nes­wegs aber die rei­nen unge­än­der­ten aus­ge­preß­ten Oele, Thier­fet­te, Bern­stein, Kopal, Wachs, Wall­rath, noch auch die Schlei­me und Gum­men auf.

Arz­nei­lich betrach­tet ist er eins der kräf­tigs­ten Hem­mungs­mit­tel der Gäh­run­gen und selbst der Fäul-niß, er ver­här­tet die Thier­fa­ser und den Eiweiß­stoff, und ist was­ser­frei, eins der schätz­bars­ten blut­stil­len­den äus­sern Mit­tel. Die Kolik von gäh­ren­den süßen Din­gen hebt er spe­zi­fisch, und besitzt unter gewis­sen Bedin­gun­gen Lebens­kraft erhe­ben­de Tugen­den. Die aku­ten Fol­gen sei­nes über­mä­si­gen Genus­ses las­sen sich, so viel man weiß, durch etwas Kirsch­lor­beer­was­ser oder bit­te­re Man­deln am bes­ten heben, auch, wie man sagt, durch den Genuß fet­ter Oele.

Die Beob­ach­tung, daß bei 65° Fahr. ein Wein­geist von 0, 817 spe­zi­fi­schem Gewich­te, gemischt mit Was­ser in einem Ver­hält­nis­se wie 9:1, eine spe­zi­fi­sche Schwe­re von 0, 844 – wie 8:2 von 0, 869 – wie 7:3 von 0, 893 – wie 6:4 von 0, 915 – wie 5:5 von 0, 934 ‑wie 4:6 von 0, 951 – wie 3:7 von 0, 965 – wie 2:8, von 0, 976 – und wie 1:9 ver­mischt, eine spe­zi­fi­sche Schwe­re von 0, 987 erlan­ge, bedarf Berich­ti­gung, und kann nur als unge­fäh­re Anga­be betrach­tet wer­den, zumahl, da der was­ser­frei­es­te Wein­geist von 0, 791 eigent­hüm­li­chem Gewich­te nicht dabei zum Grun­de gelegt wor­den ist. So viel ist gewiß, daß Wein­geist und Was­ser einen des­to klei­nern Raum bei ihrer Ver­mi­schung ein­neh­men, je grö­ßer das Ver­hält­niß des erstern gegen das lez­te­re war.