Rezept

Hahnemanns Apothekerlexikon
vorheriges KapitelZurückInhaltsverzeichnisWeiternächstes Kapitel

Rezept ist die Vor­schrift eines Arz­tes zur Abt­hei­lung und Zusam­men­set­zung einer Arz­nei. Da sie in latei­ni­scher Spra­che geschrie­ben zu wer­den pfle­gen, so ist es eine uner­läs­si­ge Bedin­gung bei Annah­me eines Lehr­lings, daß er die­se Spra­che mehr als ober­fläch­lich inne habe, und des sich ver­voll­kom­men­den Apo­the­kers Pflicht ist, sie zu üben. Da fer­ner die gering­hal­ti­gern Aerz­te die Nah­men der Arz­nei­en nur mit den Anfangs­buch­sta­ben aus­zu­drü­cken pfle­gen, oft weil sie das gan­ze Wort nebst der Endung rich­tig aus­zu­drü­cken in Ver­le­gen­heit sind, so wird die Vor­schrift oft unver­ständ­lich, zumahl wenn die Hand nicht die deut­lichs­te ist. Eben sol­che nicht mehr als mit­tel­mä­ßi­ge Aerz­te hän­gen noch an der Pedan­te­rei, das Gewicht jedes ein­zel­nen Ingre­di­enz durch Zei­chen (lb. 3, 3, Θ gr.) anzu­ge­ben, statt sie ganz mit Wor­ten aus­zu­drü­cken, wie die Wich­tig­keit des Gegen­stan­des durch­aus erfor­der­te, auch wohl die alche­mi­schen Zei­chen statt der Sache selbst (, , , u.s.w. Apo­the­ker­zei­chen). In die­sen Fäl­len wird, vor­züg­lich, wenn die Hand undeut­lich ist, oft ein Zei­chen dem andern so ähn­lich, daß eine Art von Ent­räth­se­lung zur Wahr­neh­mung der in Zei­chen aus­ge­drück­ten Sache und des Gewich­tes gehört, ja daß es zuwei­len unmög­lich wird, das Bezeich­ne­te zu erra­then. So wie nun bei Ver­fer­ti­gung jeder Arzt­ver­ord­nung jede Will­kühr des Apo­the­kers weg­fal­len muß, und die strengs­te Folg­sam­keit des­sel­ben in die­sem Fal­le sei­ne hei­ligs­te Pflicht, sein größ­ter Stolz seyn muß, so darf er in die­sen Fäl­len durch­aus nichts aufs Rathen oder aufs Gera­the­wohl ankom­men las­sen. Bei dem gerings­ten Zwei­fel muß er mit einer Art von Beschei­den­heit, die dem Ver­ord­ner gebührt, und ohne es sonst jemand hören zu las­sen, den Arzt um Erklä­rung und um grö­ße­re Bestimmt­hen bit­ten. Weit gefehlt, hie­durch den Anschein schwa­cher Ent­räth­se­lungs­ga­be anzu­neh­men, wird jeder Ein­sichts­vol­le die­se Gewis­sen­haf­tig­keit ihm zur größ­ten Ehre anrech­nen; er wird dem nach­läs­si­gen Arzte durch sol­che Fra­gen den ver­steck­ten Wink geben (wie schon von selbst sei­ne Schul­dig­keit wäre), die Nah­men aller Ingre­di­en­zen, aller Gewich­te, und alle Wor­te des Rezep­tes, ohne Ver­feh­lung eines ein­zi­gen Buch­sta­bens in einer Ver­ord­nung deut­lich aus­zu­schrei­ben, von deren Genau­ig­keit das Leben und die Gesund­heit eines Men­schen abhängt.

Mit Blei­stift geschrie­be­ne Rezep­te kann er sich mit Anstand, und muß sie sich durch­aus ver­bit­ten. Ich habe von sol­chen halb ver­wisch­ten Zet­teln gefähr­li­che Fol­gen gesehen.

Es kann auch einem gesetz­ten Arzte wider­fah­ren, daß er eine gefähr­li­che Dro­gue in einer unge­heu­ern Gabe unver­se­he­ner­wei­se ver­schreibt, wo er ent­we­der ein and­res Mit­tel oder eine and­re Gabe im Sin­ne hat­te. Irren ist mensch­lich, und obgleich ein Arzt ein eben geschrie­be­nes Rezept nicht unbe­se­hends aus der Hand geben soll­te, ohne es ein­mahl und zwei­mahl wie­der durch­ge­le­sen zu haben, so bleibt doch irren mensch­lich, das ist, ein Irrthum in sol­chen Fäl­len kann in 10000 Fäl­len Ein­mahl selbst bei dem Ver­stän­digs­ten und Behut­sams­ten verkommen.

Auch in die­sem Fal­le ist es des Apo­the­kers unnach­läs­si­ge Pflicht, dem Arzte (unter vier Augen) eine beschei­de­ne Vor­stel­lung zu thun, und nie etwas davon ins Publi­kum kom­men zu lassen.

Soll­te aber der Arzt auf dem Vor­ge­schrie­be­nen behar­ren, so ist es eben so uner­läß­li­che Pflicht des Apo­the­kers, die Ver­ord­nung dann genau und pünkt­lich zu besor­gen, ohne die min­des­ten Anmer­kun­gen dar­über im Publi­kum zu ver­brei­ten, ja selbst ohne ein Wort sich dar­über mer­ken zu las­sen, weder durch sich noch durch sei­ne Leu­te. Aber drei­mahl schänd­lich ist es, Vor­witz und Bos­heit so weit zu trei­ben, daß man die zuwei­len gewagt schei­nen­den Vor­schrif­ten eines Arz­tes, nach vor­gän­gi­ger Ver­stän­di­gung mit ihm, zu sei­nem Nacht­hei­le erzäh­le, und das zärt­lichs­te aller Din­ge, eines Arz­tes Ruf, (der kaum den lei­ses­ten Hauch der Ver­läum­dung erträgt, ohne zu ver­wel­ken) mit fre­veln­der Zun­ge zu tödten.

Ich bedau­re, daß ich gleich­wohl sol­che Unge­heu­er von Apo­the­kern ange­trof­fen habe.

Es kom­men von eini­gen Aerz­ten auch unche­mi­sche, sich zer­set­zen­de, unter sich unver­träg­li­che Mischun­gen vor (ob sie gleich nicht soll­ten) – auch hier muß ihm unter vier Augen Vor­stel­lung mit Beschei­den­heit gemacht wer­den, ohne Gebrauch im Publi­kum von sol­chen Vor­fäl­len zu machen.

Soll­te der Arzt den Nah­men des Kran­ken, den Monats­tag und die Schif­fer sei­nes Nah­mens unter das Rezept zu set­zen ver­ges­sen haben (wie er nicht soll­te) so muß der Rezep­t­a­ri­us es selbst gleich bei Emp­fang des Rezep­tes thun, Ver­wech­se­lung zu ver­mei­den und ande­rer wich­ti­gen Behu­fe wegen. So wie aber die Bestim­mung des eben ver­schrie­be­nen Rezep­tes ist, unmit­tel­bar aus den Hän­den des Kran­ken in die des re-zept­i­ren­den Apo­the­kers zu gelan­gen, ohne indeß den muthwil­li­gen Glos­sen des Nicht­ken­ners aus­ge­setzt zu wer­den, eben so ist es die Pflicht des Rezep­t­a­ri­us, die­se Ver­ord­nung des Arz­tes bloß zu ihrer Absicht anzu­wen­den, das ist, sie zu ver­fer­ti­gen, und wei­ter in kei­nes Men­schen Hän­de kom­men zu las­sen, als dem es gebüh­ret, nicht aber, wie lei­der geschieht, den Wider­sa­chern des Arz­tes oder dem um Anek­do­ten ver­leg­nen Bal­bie­re zur spöt­ti­schen Ein­sicht, auf dem Tische umher gewor­fen, Preiß zu geben. Kein Mensch, außer dem der Umstän­de des Kran­ken kun­di­gen Arzte, kann die Zweck­mä­ßig­keit des Rezep­tes beur-thei­len, kein frem­der Arzt, Wund­arzt oder Apo­the­ker! Auch das schon ver­fer­tig­te Rezept kann in eini­gen Fäl­len von gro­ßer Wich­tig­keit wer­den – zur Rück­erin­ne­rung für den Arzt in ähn­li­chen Zustän­den die­ser Per­son, zur Abfas­sung einer gründ­li­chen der­eins­ti­gen Kran­ken­ge­schich­te, zur Beurt­hei­lung eines chro­ni­schen Uebels für einen viel­leicht erst nach meh­rern Jah­ren zur Bera­t­hung mit zuzu­zie­hen­den Arzt, – auch für gericht­lich arz­nei­li­che Nach­fra­gen meh­re­rer Art. Des­halb wer­den in guten Apo­the­ken alle Ori­gi­nal­re­zep­te gleich nach ihrer Ver­fer­ti­gung in ein klei­nes Re-posi­to­ri­um, und zwar jedes in das Fach gelegt, wel­ches den Anfangs­buch­sta­ben des Kran­ken führt, etwa wie das Brief­re­per­to­ri­um in ansehn­li­chen Kauf­manns-kom­toiren ein­ge­rich­tet. Nach Ver­fluß des Jah­res wird jeder Buch­sta­be zusam­men gebun­den, und in ein grö­ße­res ent­le­ge­nes, eben­falls alpha­be­tir­tes Reper­to­ri­um zu wenigs­tens zehn­jäh­ri­ger Ver­wah­rung depo­nirt. Ich habe Fäl­le erlebt, wo eine zwan­zig­jäh­ri­ge Ver­wah­rung von gro­ßer Wich­tig­keit ward, und Offi­zi­nen gese­hen, wo eine hun­dert­jäh­ri­ge Auf­be­wah­rung ein­ge­führt war.

Es ist Obser­vanz, daß jeder, wer die Arz­nei baar bezahlt, das Rezept sogleich, und jeder Kran­ke, der nach eini­ger Zeit sei­ne Rech­nung zusam­men ent­rich­tet, die sämmt­li­chen dazu gehö­ri­gen Rezep­te gleich als eben so viel zurück­zu­ge­ben­de Obli­ga­tio­nen in sei­ne Hän­de ver­langt. Wer die Arz­nei aber nicht bezahlt, bekömmt das Rezept nicht. Dieß ist aber zum Theil ein Miß­ver­ständ­niß. Das Geschäft des Arz­tes wird aller­dings unge­mein erleich­tert, wenn er beim fol­gen­den Kran­ken­be­su­che sein vor­gän­gi­ges Rezept neben der Arz­nei zur Ein­sicht beim Kran­ken schon vor­fin­det, und er kann ver­lan­gen, daß es bereit für ihn da lie­ge. Dieß ist der ein­zi­ge Nut­zen der Rück­ga­be des Rezep­tes. Aber wozu des Ori­gi­nal­re­zep­tes? wel­ches zu meh­rern Zwe­cken am bes­ten, wie oben gesagt ist, von dem Herrn der Apo­the­ke ver­wahrt wird. Und war­um soll der Arzt die Bequem­lich­keit der Vor­fin­dung sei­nes Rezep­tes bei Kran­ken ent­beh­ren, die viel­leicht eben so gute Zah­lung doch nur erst nach dem Ende der Krank­heit leis­ten? Der Apo­the­ker ver­wei­ge­re dem­nach kei­nem vom Kran­ken geschick­ten Boten eine Abschrift des Rezep­tes, die aber nur in dem Fal­le der baa­ren Bezah­lung mit der Nah­men­schif­fer des Pro­vi­so­rs oder Apo­the­kers bezeich­net ist; die damit nicht bezeich­ne­ten sind als unquit­tirt anzusehen.