Die Metamorphose der Pflanzen (2)

Die Phy­to­the­ra­peu­ti­sche Welt (Jubi­lä­ums­aus­ga­be des Hau­ses A. Nattermann)
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J. W. v. Goethe
J. W. v. Goethe

Und gleich zeigt die Gestalt zar­te­re Wir­kun­gen an.
Stil­le zieht sich der Trieb der stre­ben­den Rän­der zurücke,
Und die Rip­pe des Stiels bil­det sich völ­li­ger aus.
Blatt­los aber und schnell erhebt sich der zar­te­re Stengel,
Und ein Wun­der­ge­bild zieht den Betrach­ten­den an.
Rings im Krei­se stel­let sich nun, gezäh­let und ohne
Zahl, das klei­ne­re Blatt neben dem ähn­li­chen hin.
Um die Ach­se gedrängt, ent­schei­det der ber­gen­de Kelch sich,
Der zur höchs­ten Gestalt far­bi­ge Kro­nen entläßt.
Also prangt die Natur in hoher, vol­ler Erscheinung,
Und sie zei­get, gereiht, Glie­der an Glie­der gestuft.
Immer staunst du aufs neue, sobald sich am Sten­gel die Blume
Über dem schlan­ken Gerüst wech­seln­der Blät­ter bewegt.
Aber die Herr­lich­keit wird des neu­en Schaf­fens Verkündung.
Ja, das far­bi­ge Blatt füh­let die gött­li­che Hand;
Und zusam­men zieht es sich schnell; die zar­tes­ten Formen,
Zwie­fach stre­ben sie vor, sich zu ver­ei­nen bestimmt.
Trau­lich ste­hen sie nun, die hol­den Paa­re, beisammen,
Zahl­reich ord­nen sie sich um den geweih­ten Altar.
Hymen schwe­bet her­bei, und herr­li­che Düf­te, gewaltig,
Strö­men süßen Geruch, alles bele­bend, umher.
Nun ver­ein­zelt schwel­len sogleich unzäh­li­ge Keime,
Hold in den Mut­ter­schoß schwel­len­der Früch­te gehüllt.
Und hier schließt die Natur den Ring der ewi­gen Kräfte;
Doch ein neu­er sogleich fas­set den vori­gen an,
ß die Ket­te sich fort durch alle Zei­ten verlange,
Und das Gan­ze belebt, so wie das Ein­zel­ne, sei.
Wen­de nun, o Gelieb­te, den Blick zum bun­ten Gewimmel,
Das ver­wir­rend nicht mehr sich vor dem Geis­te bewegt.
Jede Pflan­ze ver­kün­det dir nun die ewgen Gesetze,
Jede Blu­me, sie spricht lau­ter und lau­ter mit dir.
Aber ent­zif­ferst du hier der Göt­tin hei­li­ge Lettern,
Über­all siehst du sie dann, auch in ver­än­der­tem Zug.
Krie­chend zaud­re die Rau­pe, der Schmet­ter­ling eile geschäftig,
Bild­sam and­re der Mensch selbst die bestimm­te Gestalt.
O, geden­ke denn auch, wie aus dem Keim der Bekanntschaft
Nach und nach in uns hol­de Gewohn­heit entsproß,
Freund­schaft sich mit Macht aus unserm Innern enthüllte,
Und wie Amor zuletzt Blü­ten und Früch­te gezeugt.
Den­ke, wie man­nig­fach bald die, bald jene Gestalten,
Still ent­fal­tend, Natur unsern Gefüh­len geliehn.
Freue dich auch des heu­ti­gen Tags! Die hei­li­ge Liebe
Strebt zu der höchs­ten Frucht glei­cher Gesin­nun­gen auf
Glei­cher Ansicht der Din­ge, damit in har­mo­ni­schem Anschaun
Sich ver­bin­de das Paar, fin­de die höhe­re Welt.