Die Metamorphose der Pflanzen (1)

Die Phy­to­the­ra­peu­ti­sche Welt (Jubi­lä­ums­aus­ga­be des Hau­ses A. Nattermann)
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J. W. v. Goethe
J. W. v. Goethe

Dich ver­wir­ret, Gelieb­te, die tau­send­fäl­ti­ge Mischung
Die­ses Blu­men­ge­wühls über dem Gar­ten umher;
Vie­le Namen hörest du an, und immer verdränget
Mit bar­ba­ri­schem Klang einer den ändern im Ohr.
Alle Gestal­ten sind ähn­lich, und kei­ne glei­chet der andern;
Und so deu­tet das Chor auf ein gehei­mes Gesetz,
Auf ein hei­li­ges Rät­sel. O könnt ich dir, lieb­li­che Freundin,
Über­lie­fern sogleich glück­lich das lösen­de Wort! —
Wer­dend betrach­te sie nun, wie nach und nach sich die Pflanze,
Stu­fen­wei­se geführt, bil­det zu Blü­ten und Frucht.
Aus dem Samen ent­wi­ckelt sie sich, sobald ihn der Erde
Stil­le befruch­ten­der Schoß hold in das Leben entläßt
Und dem Rei­ze des Lichts, des hei­li­gen, ewig bewegten,
Gleich den zar­tes­ten Bau kei­men­der Blät­ter empfiehlt.
Ein­fach schlief in dem Samen die Kraft; ein begin­nen­des Vorbild
Lag, ver­schlos­sen in sich, unter die Hül­le gebeugt,
Blatt und Wur­zel und Keim, nur halb gefor­met und farblos;
Tro­cken erhält so der Kern ruhi­ges Leben bewahrt,
Quil­let stre­bend empor, sich mil­der Feuch­te vertrauend,
Und erhebt sich sogleich aus der umge­ben­den Nacht.
Aber ein­fach bleibt die Gestalt der ers­ten Erscheinung,
Und so bezeich­net sich auch unter den Pflan­zen das Kind.
Gleich dar­auf ein fol­gen­der Trieb, sich erhe­bend, erneuet,
Kno­ten auf Kno­ten getürmt, immer das ers­te Gebild.
Zwar nicht immer das glei­che; denn man­nig­fal­tig erzeugt sich,
Aus­ge­bil­det, du siehsts, immer das fol­gen­de Blatt,
Aus­ge­dehn­ter, gekerb­ter, getrenn­ter in Spit­zen und Teile,
Die ver­wach­sen vor­her ruh­ten im untern Organ.
Und so erreicht es zuerst die höchst bestimm­te Vollendung,
Die bei man­chem Geschlecht dich zum Erstau­nen bewegt.
Viel gerippt und gezackt, auf mastig strot­zen­der Fläche,
Schei­net die Fül­le des Triebs frei und unend­lich zu sein.
Doch hier hält die Natur, mit mäch­ti­gen Hän­den, die Bildung
An und len­ket sie sanft in das Voll­komm­ne­re hin.
Mäßi­ger lei­tet sie nun den Saft, ver­engt die Gefäße,