Pfingstrosenpäone

Hahnemanns Apothekerlexikon
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Pfingst­ro­sen­päo­ne, Paeo­nia offi­ci­na­lis, L. mit zwie­fach zusam­men­ge­setz­ten Blät­tern, deren Blätt­chen brei­te, lan­zet­för­mi­ge Lap­pen haben, und mit ziem­lich gera­den, behaar­ten Samen­kap­seln, ein etwa drei Fuß hohes Kraut mit aus­dau­ern­der Wur­zel, wel­ches im süd­li­chen Euro­pa, und auf den Schwei­zer­ge­bür­gen in Hai­nen ein­hei­misch, sei­ne gro­ße, gewöhn­lich dun­kel-rothe Blu­me im Juny und July trägt.

Von die­ser Pflan­ze gie­bt es zwei Abar­ten. Die eine ist die in allen Gär­ten gewöhn­li­che soge­nann­te Paeo­nia foe­mi­na [Black­well, herb. tab.65.] mit schmal­lap­pi­gen, hell­grü­nen Blät­tern an grü­nen Stie­len, und dun­kel­ro­then, gewöhn­lich gefüll­ten Blumen.

Die Wur­zel hie­von (Rad. Paeo­niae, foe­mi­nae) bestehet aus eini­ge Zoll lan­gen, etwa einen Zoll dicken, durch Fasern anein­an­der hän­gen­den Knol­len, wel­che äußer­lich roth­braun, inwen­dig weiß, von der­bem Gewe­be, und frisch von ret­tig­ar­ti­gem, bocki­gem, betäu­ben­dem Geru­che, den Blu­men ähn­lich, und von ret­tig­ar­ti­gem, süß­lich­tem Geschma­cke, tro­cken aber von unmerk­li­chem Geru­che, und fast ohne den min­des­ten Geschmack sind, wenn sie eini­ge Zeit auf­be­wah­ret worden.

Die zwei­te Abart, die soge­nann­te Paeo­nia mas [Black­well, herb. tab. 245.] mit dun­kel­grü­nen, glän­zen­den, sehr brei­ten Blät­tern an röth­li­chen Stie­len, und mit hell­ro­then, öfte­rer ein­fa­chen (fünf­blät­te­ri­gen) Blu­men, ist weit selt­ner. Auch blü­het sie weit frü­her und ihre Blu­men fal­len sehr bald ab.

Von die­ser ist die Wur­zel (Rad. Paeo­niae maris) pfahl­för­mig, eines Fin­gers dick, steigt tief in die Erde und theilt sich dann in vie­le Aes­te, ist aus­wen­dig röth­lich und inwen­dig weiß. Die Alten sam­mel­ten sie am liebs­ten in den Hunds­ta­gen, oft mit aber­gläu­bi­gen Ceremonien.

Unter bei­den gaben die Alten, wel­che die­ser Pflan­ze gro­ßen Ruhm bei Reit­zbar­keit der Ner­ven, beim Alp­drü­cken, dem Auf­schre­cken der Kin­der im Schla­fe, vor­züg­lich aber in Läh­mung, Schlag­fluß, Schwin­del, Kon­vul­sio­nen, Fall­sucht im Keich­hus­ten und in der Gicht bei­leg­ten, der männ­li­chen Pfingst­ro­sen­päo­ne den Vor­zug, und fast alle ihre Erfah­run­gen gehen auf die­se; dahin­ge­gen in unsern Apo­the­ken gewöhn­lich nichts davon auf­be­wah­ret wird, folg­lich uns­re fast blos mit der weib­li­chen Pflan­ze ange­stell­ten Ver­su­che bis jetzt die Behaup­tun­gen der Alten nicht wider­le­gen können.

Sie gaben von der frisch im Schat­ten getrock­ne­ten männ­li­chen Wur­zel ein, zwei bis drei Quent­chen, zwei­mal täg­lich auf die Gabe, von der grü­nen Wur­zel aber eine Unze. Frisch getrock­net hat sie noch viel von dem wid­ri­gen Geru­che der Blu­me, und einen wid­ri­gen bit­ter­li­chen Geschmack. Woll­te man sie in die­ser Ver­fas­sung gepül­vert in ver­stopf­ten Glä­sern auf­be­wah­ren, so wür­den die damit ange­stell­ten Ver­su­che bewei­sen­der wer­den. Uns­re offi­zi­nel­le ist gewöhn­lich gänz­lich geruch- und geschmack­los, nicht nur weil sie von der soge­nann­ten weib­li­chen Pflan­ze, den Wur­zel­knol­len, genom­men, son­dern weil die­se auch all­zu lan­ge unter Zutritt der frei­en Luft auf­be­wah­ret wor­den sind. An sich schon scheint die­se Wur­zel unge­mein viel selbst durchs sorg­fäl­tigs­te Trock­nen zu ver­lie­ren, obgleich weni­ger als die Wur­zeln des Blau- und Was­ser­schwer­tels, die Wur­zeln des Mär­ret­tigs, des Fle­cken­a­rons, u.s.w. um wie viel­mehr durch lan­ges Auf­be­wah­ren in luf­ti­gen Behältern?

Viel­leicht wür­de der aus den fri­schen Wur­zeln (oder dem Krau­te) im Was­ser­ba­de berei­te­te Dick­saft weit kräf­ti­ger seyn; schon Wil­lis brauch­te den fri­schen Saft.

Zu glei­cher Absicht gaben die Alten die eirun­den erb­sen­gro­ßen Samen (Sem. Paeo­niae) wel­che unter einer glän­zend schwar­zen Scha­le einen süßen, geruch­lo­sen, ölich­ten Kern ent­hal­ten. In Sibi­ri­en die­nen sie statt der Hals­per­len, und zu Pater­nos­tern. Bei uns fin­den sie sich sel­ten, weil die weib­li­che gefüll­te Abart uns­rer Gär­ten kei­ne Samen trägt. Sie schei­nen auch weni­ger Arz­nei­kraft zu besit­zen, als die übri­gen Thei-le die­ser Pflanze.

Auch der rothen, im fri­schen Zustan­de wid­rig schme­cken­den und sehr übel rie­chen­den Blu­men­blät­ter (Flor. Paeo­niae) bedien­ten sich die Alten, vor­züg­lich von der weib­li­chen Pflan­ze, zu glei­chen Absich­ten in der Kon­ser­ve und zum Sirup. Getrock­net aber, und wie gewöhn­lich ohne Abhal­tung der äußern Luft auf­be­wahrt, sind sie gänz­lich geruch- und geschmacklos.

Ob die, epi­lep­ti­schen Kin­dern an den Hals gehan­ge­ne fri­sche Wur­zel, wie bei den Alten gewöhn­lich war, bei Ein­ath­mung ihres abscheu­li­chen Geruchs die Beweg­lich­keit der Faser min­dern kön­ne, ist, ohne Ver­su­che, so leicht nicht zu bestimmen.