Essig

Hahnemanns Apothekerlexikon
vorheriges KapitelZurückInhaltsverzeichnisWeiternächstes Kapitel

Essig (Ace­tum), ist jene bekann­te sau­re Flüs­sig­keit, wel­che aus gäh­ren­den Gewächs­säf­ten mit der Zeit von selbst zu ent­ste­hen pflegt. Der bes­te Essig erfolgt von kräf­ti­gen jun­gen Wei­nen, die man durch ange­mes­se­ne Wär­me (65° bis 75° Fahr.) und durch den ver­stat­te­ten Zutritt der frei­en Luft, auch wohl noch durch mecha­ni­sche Bewe­gung nöthigt, ihre Gäh­rung bis zur gänz­li­chen Ver­wand­lung in Säu­re fort­zu­set­zen. Der hel­le Wein fängt an sich zu trü­ben, nimmt einen Sau­er­teigs­ge­ruch an, geräth in sicht­ba­re Bewe­gung, erwärmt sich über die Tem­pe­ra­tur der äus­sern Luft (aus der er den dephlo­gis­ti­sir­ten Theil an sich zieht), läßt ein zischen­des Geräusch von sich hören, und setzt eine lei­mi­ch­te Haut auf der Ober­flä­che an, wel­che von Zeit zu Zeit, end­lich auf immer, zu Boden sinkt. Der rein­saure Geruch und Geschmack in Ver­bin­dung mit der gänz­li­chen Auf­hel­lung der Flüs­sig­keit gie­bt zuletzt die been­dig­te Gäh­rung zu erken­nen, die man Essig­gäh­rung nennt.

Der aus Zucker- oder Trau­ben­wei­ne (ace­tum vini) ver­fer­tig­te Essig ist gewöhn­lich weit rei­ner und stär­ker als der aus andern Gewächs­säf­ten (der Cider‑, Honig- oder Bier­essig), so daß er gewöhn­lich 1/​30, nicht sel­ten 1/​24 sei­nes Gewich­tes an rei­nem Gewächs­lau­gen­sal­ze, zuwei­len noch etwas mehr sät­ti­gen kann, und sehr unge­färbt aus­sieht, fast wie Was­ser. Man zieht ihn daher zu Arz­nei­be­rei­tun­gen stets vor, wo man eines rohen Essigs bedarf.

Der Essig über­haupt ist eine kräf­ti­ge­re hitz­dämpf-ende, Schweiß und Harn trei­ben­de Arz­nei, dient zur Zusam­men­set­zung meh­re­rer wirk­sa­mer Mit­tel und Sal­ze, und gie­bt in ver­stärk­tem Zustan­de ein sehr kräf­tig ermun­tern­des Riech­mit­tel für Ohn­mäch­ti­ge und Schein­to­de ab.

Man ver­fälscht den rohen Essig oft mit Vitri­ol­säu­re, mit Salz­säu­re, auch zuwei­len mit Wein­stein­säu­re. Die ers­te­re Ver­fäl­schung erken­net man an dem wei­ßen Nie­der­schla­ge auf Zutröp­fe­lung der essig­sauren Schwer­erde (Barytes­sig­s­alz), die zwei­te sieht man an der Weiß­trü­bung auf Zugie­ßung des auf­ge­lös­ten Sil­ber­vi­tri­ols, und um die drit­te zu ent­de­cken, darf man nur etwas Essig bis zum Zehn­tel abdamp­fen, mit der Hälf­te Wein­geist ver­mi­schen, und kon­zen­trirt auf­ge­lös­tes Wein­st­ein­salz zutröp­feln, wor­auf der wie­der erzeug­te Wein­stein zu Boden fal­len wird.

Der bes­te rohe Essig ist mit der Zeit dem Umschla­gen und Schim­meln unter­wor­fen. Ihn halt­ba­rer zu machen, darf man ihn nur in einem stein­zeug­nen, beschlag­nen Gefä­se ein ein­zi­ges mal auf­ko­chen las­sen, und ihn erkal­tet auf Fla­schen ziehen.

Der rohe Essig schickt sich nicht wohl zu einer Men­ge arz­nei­li­cher Berei­tun­gen, theils wegen der gro­ßen Men­ge Wäs­se­rig­keit, die er bei sich führt, theils wegen des häu­fig in ihm ent­hal­te­nen Extrak­tiv­stof­fes, wel­cher aus har­zig schlei­mi­gen, größ­tent­heils aber aus thie­r­isch lei­mi­ch­ten Thei­len zusam­men­ge­setzt zu seyn scheint.

Gegen den ers­ten Feh­ler hat man ver­schied­ne Arten der Ent­wäs­se­rung ein­ge­führt, gegen letz­tern Feh­ler aber die Destillation.