Essig, entwässerter

Hahnemanns Apothekerlexikon
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Essig, ent­wäs­ser­ter (Ace­tum con­cen­tra­tum). Die ein­fachs­te Metho­de, den gewöhn­lich so sehr mit Wäs­se­rig­keit über­la­de­nen rohen Essig zu ver­stär­ken, besteht dar­in, daß man ihn bei hef­ti­ger Win­ter­käl­te in fla­che Gefä­se hin­stellt, und das nach meh­rern Stun­den ent­stan­de­ne Eis, wel­ches fast aus blo­sem Was­ser besteht, sorg­fäl­tig davon nimmt; der unge­frier­ba­re Rest ist sehr ver­stärk­ter Essig (ace­tum per fri­gus con­cen­tra­tum), wel­cher aber mit Extrak­tiv­stof­fe beläs­tigt, zähe, braun, dem Umschla­gen leicht unter­wor­fen, und daher zu den meis­ten Arbei­ten untaug­lich ist.

Die­ser durch Frost ver­stärk­te Essig (ace­tum per fri­gus con­cen­tra­tum) läßt sich aber zum Essig­al­ko­hol (Alco­hol ace­ti), wel­cher mit dem Radi­kales­sig (ace­tum radi­ca­tum) eins ist, das ist, zur rei­nen star­ken Essig­säu­re umar­bei­ten, wenn man ihn nach Lo-witz mit so viel Koh­len­pul­ver anmengt, daß ihn letz­te­res ganz ver­schluckt, die­sen dick­li­chen Brei in eine Retor­te schüt­tet, und alles bei star­kem Feu­er bis zur Tro­cken­heit über­treibt. Ver­mischt man das Ueber­ge-gan­ge­ne wie­der mit hin­läng­lich viel Koh­len­pul­ver und rek­ti­fi­zirt es, so bekömmt man einen höchst rei­nen, star­ken und ange­neh­men Radikalessig.

Da man aber den rohen Essig nur in wenig Tagen des Jah­res durch Frost kon­zen­tri­ren kann, und es dann im Som­mer dar­an feh­len könn­te, so darf man nur, wie beim destil­lir­ten Essig gedacht wor­den ist, die letz­te sauers­te Por­ti­on bei der Destil­la­ti­on des rohen wäs­se­ri­gen Essigs mit Koh­len­pul­ver­zu­satz, beson­ders auf­fan­gen, und die­sem höchst sau­ren Essig­geis­te sei­ne etwa noch ankle­ben­de Bränz­lich­keit durch noch­ma­li­ge Rek­ti­fi­ka­ti­on über fri­sches Koh­len­pul­ver benehmen.

Gewöhn­lich nennt man aber Radi­kales­sig (ace­tum radi­cale radi­ca­tum), die aus essig­sauren trock­nen Mit­tel- und Neu­tral­sal­zen aus­ge­trieb­ne Essigsäure.

Die Alten bedien­ten sich hie­zu des krystal­li­sir­ten Grün­spans, den sie vor sich aus einer Retor­te destil­lir­ten, bis zum Glü­hen der Gefä­se, und erhiel­ten zuerst ein sau­res Was­ser, zuletzt aber eine schwe­re röth­li-che, sehr ätzen­de, aber übel­rie­chen­de, kup­fer­hal­ti­ge Gewächs­säu­re (ace­tum radi­ca­tum ex aeru­gi­ne, spi­ri-tus aeru­gi­nis, spir. viri­dis aeris, spir. vene­ris, Grün­span­g­eist), wel­che noch­mals durch Ueber­trei­ben rek-tifi­zirt wer­den muß­te, um sie von einem merk­li­chen Ant­hei­le Kup­fer zu befrei­en. Weit rei­ner wür­de man die Säu­re erhal­ten haben, wenn man sie aus dem krystal­li­sir­ten Grün­spa­ne nicht vor sich, son­dern mit­telst der Vitri­ol­säu­re aus­ge­trie­ben hät­te. Man bedien­te sich des Grün­span­g­eis­tes theils zu arz­nei­li­chen Essi­gen, theils auch vor sich in Gal­len­krank­hei­ten; sein Gebrauch ist aber veraltet.

Einen andern Radi­kales­sig hat man aus dem mit der Hälf­te Vitriol­öl gemisch­ten Blei­zu­cker erhal­ten, da man das Gemisch bei gehö­rig star­kem Feu­er­gra­de destil­lir­te. Man fürch­tet sich aber, die­ses Pro­dukt als inner­li­che Arz­nei zu verordnen.

Weit sich­rer und eben so kon­zen­trirt ist der Radi­kales­sig, wel­cher aus dem Blät­ter­sal­ze (Potasch­essig­s­al­ze) durch Vitri­ol­säu­re aus­ge­trie­ben wird; aber er ist gar sehr mit flüch­ti­ger Schwe­fel­säu­re über­la­den, die man schwer­lich davon abson­dern kann.

Der­je­ni­ge Radi­kales­sig hin­ge­gen ist allen übri­gen an Stär­ke, Rei­nig­keit und ange­neh­mem Geru­che vor-zuziehn, wel­chen man erhält, wenn man zwei Thei­le wei­ßes, wohl­krystal­li­sir­tes und völ­lig trock­nes Sodaes­sig­s­alz (wel­ches man sonst krystal­li­sir­ba­re Blät­ter­er­de genannt hat,) mit Einem Thei­le rei­nem Vitriol­öle in einer glä­ser­nen in der Sand­ka­pel­le lie­gen­den Retor­te ver­mischt, und bei mäsi­gem Feu­er die rei­ne in wei­ßen Dämp­fen auf­stei­gen­de Essig­säu­re übertreibt.

Eini­ge haben das Mine­ral­lau­gen­salz mit destil­lir-tem Essi­ge gesät­tigt, und bis zur Tro­cken­heit ein­ge­dickt zu die­ser Berei­tung genom­men; man thut aber bes­ser, nur das krystal­li­sir­te, ganz wei­ße Sodaes­sig­s­alz dazu zu neh­men, weil dann die gel­be­re Mut­ter­lau­ge ent­fernt bleibt.

Die­ser Essig­geist ist zugleich der bes­te zur Berei­tung des Essigäthers.

Fast auf glei­che Art wird Lowit­zens Eis­essig (ace­tum gla­cia­le) erhal­ten, eine in zoll­lan­ge pris­ma­ti­sche Krystal­len anschie­ßen­de Essig­säu­re von 1, 530 spe­zi­fi­schem Gewich­te, wel­che ihre krystal­li­ni­sche Gestalt in tie­fen Kel­lern behält. Zu die­ser Absicht ver­ei­nigt man vier Thei­le Wein­st­ein­salz mit der hei­ßen Mischung von sie­ben Thei­len Vitriol­öl und eben so viel Was­ser. Die beim Erkal­ten der Flüs­sig­keit anschie­ßen­den platt rau­ten­för­mi­gen Krystal­len sind ein mit Vitri­ol­säu­re über­sät­tig­ter Vitriol­wein­stein, wel­cher etwas abge­spühlt und bei Wär­me getrock­net in der Men­ge von acht Thei­len mit drei Thei­len über star­kem Feu­er geschmol­ze­nen Sodaes­sig­s­al­ze zusam­men­ge­rie­ben wird. Das Gemisch destil­lirt man aus einer Retor­te bei so gelin­der Wär­me, daß die Vor­la­ge von den Dämp­fen nie völ­lig ange­füllt wird. So erhält man gewöhn­lich aus 300 Pfund rohem Wein­essi­ge 7 Pfund Eis­essig. Den ihm noch ankle­ben­den ret­tich­ar­ti­gen Geruch kann man ihm durch noch­ma­li­ge Ueber-trei­bung mit 5 bis 6 Thei­len Koh­len­pul­ver benehmen.