Integrative Onkologie auf dem Vormarsch

(Rosen­feld). Bei dem inter­na­tio­na­len Kon­gress “Inte­gra­ti­ve Medi­ci­ne Mee­ting” (IMM) ver­sam­mel­ten sich im Sep­tem­ber 2018 hun­der­te Onko­lo­gin­nen und Onko­lo­gen aus der gan­zen Welt, vor allem aus Euro­pa, Nord- und Süd­ame­ri­ka sowie Indi­en. Das gemein­sa­me Haupt­in­ter­es­se – mehr über die opti­mier­te Ver­sor­gung von Krebs­pa­ti­en­ten mit wirk­sa­men, evi­denz­ba­sier­ten The­ra­pien der kom­ple­men­tä­ren Medi­zin zu erler­nen -, wur­de durch ermu­ti­gen­de Nach­rich­ten aus den USA beglei­tet. So berich­te­te einer der IMM-Schirm­her­ren, Prof. Dr. Gary Deng, Memo­ri­al Slo­an Ket­te­ring Can­cer Cen­ter (MSKCC), New York, dass in den USA 2017 erst­mals eine Leit­li­nie zur Inte­gra­ti­ven Onko­lo­gie (Brust­krebs) publi­ziert [1] und 2018 auch von der Ame­ri­ka­ni­schen Krebs­ge­sell­schaft (ASCO) über­nom­men wur­de [2]. Dies, so Deng, ist das Ergeb­nis einer idea­lis­ti­schen und gleich­zei­tig ziel­ge­rich­te­ten 20igjährigen Arbeit an der inter­dis­zi­pli­nä­ren Zusam­men­füh­rung kon­ven­tio­nel­ler, “kör­per­ori­en­tier­ter” Onko­lo­gie mit den evi­denz­ba­sier­ten Ver­fah­ren der Inte­gra­ti­ven Onkologie.

Die Defi­ni­ti­on: “Inte­gra­ti­ve Onko­lo­gie ist ein pati­en­ten­zen­trier­tes, evi­denz­in­for­mier­tes Gebiet der Krebs­the­ra­pie, das Mind-Body-Ver­­­fah­­ren, natür­li­che Pro­duk­te und/​​oder Lebens­­­stil-Ände­run­­gen aus unter­schied­li­chen Tra­di­tio­nen beglei­tend zu den kon­ven­tio­nel­len Krebs­the­ra­pien ein­setzt. Die Inte­gra­ti­ve Onko­lo­gie ver­sucht, Gesund­heit, Lebens­qua­li­tät und kli­ni­sche Out­co­mes über den Behand­lungs­ver­lauf hin­weg zu opti­mie­ren und Men­schen zu befä­hi­gen, Krebs vor­zu­beu­gen und zu akti­ven Teil­neh­mern vor und wäh­rend der Krebs­be­hand­lung, sowie über die­se hin­aus zu wer­den.” [3]

Deng berich­te­te zum Erstau­nen vor allem der euro­päi­schen Onko­lo­gen wei­ter, wie akzep­tiert die Inte­gra­ti­ve Onko­lo­gie in den USA mitt­ler­wei­le sei. So sei­en rund 50 der gro­ßen Krebs­zen­tren mit ent­spre­chen­den Abtei­lun­gen und Per­so­nal-Res­sour­cen aus­ge­stat­tet. An sei­ner Abtei­lung für Inte­gra­ti­ve Onko­lo­gie küm­mer­ten sich bei­spiels­wei­se rund 50 Mit­ar­bei­ter um jähr­lich über 30.000 Krebs­pa­ti­en­ten. Eine effi­zi­en­te wis­sen­schaft­li­che For­schung zu den Ver­fah­ren der Inte­gra­ti­ven Onko­lo­gie sei unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen immer bes­ser mög­lich gewor­den, die Basis an Evi­den­zen wach­se kontinuierlich.

Die Ergeb­nis­se kom­ple­men­tä­rer Ver­fah­ren erschei­nen manch­mal wie ein Wun­der, ver­deut­lich­te Dr. Eric Mars­den, Vaug­han, Kana­da, bei­spiel­haft an den signi­fi­kan­ten the­ra­peu­ti­schen Wir­kun­gen von Sport bei Krebs. Und zwar auf allen Ebe­nen, bei denen die Inte­gra­ti­ve Onko­lo­gie ange­tre­ten ist: Vor­beu­gung, Neben­wir­kungs­ma­nage­ment inkl. Fati­gue, Lebens­qua­li­tät oder Lebens­er­war­tung. Mars­den zitier­te als Bei­spiel eine Meta­ana­ly­se (68.000 Krebs­pa­ti­en­ten), die eine erheb­li­che sport­as­so­zi­ier­te Reduk­ti­on krebs­spe­zi­fi­scher Mor­ta­li­tät im Bereich von 28%-44% zeig­te und eine Ver­rin­ge­rung der Rezi­div­ra­ten um 25%-48% [4]. Sol­che Evi­den­zen kön­nen ande­re Ver­fah­ren der Inte­gra­ti­ven Medi­zin mitt­ler­wei­le auch zei­gen, wenn auch nicht anhand der­ar­tig gro­ßer Zah­len. Die erwähn­te Leit­li­nie lis­tet immer­hin bei vier krebs­as­so­zi­ier­ten Syn­dro­men drei kom­ple­men­tä­re Ver­fah­ren mit Evi­denz­grad A auf (Angst-/Stress­re­duk­ti­on – Medi­ta­ti­on, Depression/​Stimmungsstörungen – acht­sam­keits­ba­sier­te Stress­re­duk­ti­on oder Ent­span­nung, Lebens­qua­li­tät – Medi­ta­ti­on). Wei­te­re Ver­fah­ren mit hoher Evi­denz sind Musik­the­ra­pie, Stress­ma­nage­ment, Yoga, Aku­punk­tur, Mas­sa­ge, Mis­tel­an­wen­dung und andere.

So bunt die Metho­den­viel­falt in der Inte­gra­ti­ven Medi­zin auch ist, so plu­ra­lis­tisch es bei ihren Ver­tre­tern auch zugeht, so klar wur­de beim IMM das gemein­sa­me Bekennt­nis zu all­ge­mein akzep­tier­ten wis­sen­schaft­li­chen Stan­dards for­mu­liert – vor allem auf Grund­la­ge ran­do­mi­sier­ter kon­trol­lier­ter Stu­di­en. Den­noch, so beton­ten bei­de zwei­te Schirm­her­ren des IMM, neben Deng auch Prof. Dr. Roman Huber, Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Frei­burg, sind aber auch gut gemach­te indi­vi­du­el­le Fall­schil­de­run­gen wesent­lich für den wis­sen­schaft­li­chen Fort­schritt und die Ver­bes­se­rung der Pati­en­ten­ver­sor­gung. Huber erwähn­te u. a. die CARE (CAse REporting)-Leitlinie, die die Voll­stän­dig­keit und Trans­pa­renz publi­zier­ter Fall­be­rich­te ver­bes­sern hilft [5].

Kein ande­res kom­ple­men­tä­res The­ra­pie­prin­zip in der Onko­lo­gie wird neben Sport so inten­siv erforscht wie die Anwen­dung von Mis­tel­ex­trak­ten (Vis­cum album). Etli­che Refe­ren­ten beim IMM 2018 the­ma­ti­sier­ten die­ses The­ma. Huber ver­wies bei­spiels­wei­se auf einen Coch­ra­ne-Review, der eine deut­li­che Ver­bes­se­rung der Lebens­qua­li­tät von Krebs­pa­ti­en­ten durch Vis­cum album-Extrak­te par­al­lel zur Che­mo- resp. Radio­the­ra­pie zei­gen konn­te [6]. Er erwähn­te auch den Nach­weis einer signi­fi­kan­ten und kli­nisch rele­van­ten Ver­län­ge­rung der Lebens­er­war­tung bei metasta­sie­ren­dem Pan­kre­as­kar­zi­nom durch Mis­tel­ex­trakt [7]. Die­se Stu­die wird inter­na­tio­nal so hoch bewer­tet, dass sie der­zeit von der schwe­di­schen Karo­lins­ka-Uni­ver­si­tät als aka­de­mi­sche For­schungs­stu­die wie­der­holt wird [8]. Dr. Frie­de­mann Schad, Gemein­schafts­kran­ken­haus Havel­hö­he, Ber­lin, adres­sier­te eines der kos­ten­träch­tigs­ten Pro­ble­me bei den tar­ge­ted the­ra­pies: Die erheb­li­che Nicht-Adhä­renz bei Lang­zeit­an­wen­dung. Eine kom­ple­men­tä­re Mis­tel­ap­pli­ka­ti­on bei geziel­ter The­ra­pie, so Schad, erhöht die Wahr­schein­lich­keit der The­ra­pie­ad­hä­renz um 70%, bedingt durch hoch-signi­fi­kan­te Reduk­ti­on der Neben­wir­kun­gen [9].

Vor allem Alters­for­scher der USA rea­li­sier­ten im aus­ge­hen­den 20. Jahr­hun­dert, dass inter­mit­tie­ren­des Fas­ten (wie­der­hol­tes Kurz­zeit­fas­ten) bei Krebs­pa­ti­en­ten erheb­li­che Vor­tei­le haben kann [10]. Vor allem nord­ame­ri­ka­ni­sche Onko­lo­gen berich­te­ten beim IMM 2018 über ihre sehr guten Erfah­run­gen, z. B. bei Fati­gue und dem Neben­wir­kungs­ma­nage­ment. Um die kli­ni­sche Stu­di­en­la­ge zu ver­bes­sern, wur­de eine Pilot­stu­die an der Cha­ri­té – Ber­li­ner Uni­ver­si­täts­me­di­zin, durch­ge­führt. Sie zeig­te, dass Kurz­zeit­fas­ten wäh­rend einer Che­mo­the­ra­pie von gynä­ko­lo­gi­schen Krebs­er­kran­kun­gen erheb­lich deren Neben­wir­kun­gen ver­rin­gert ohne dass es zu ernst­haf­ten Pro­ble­men kommt [11].

Das umfang­rei­che, mehr­tä­gi­ge Vor­trags­pro­gramm zur Inte­gra­ti­ven Onko­lo­gie beim IMM 2018 wur­de ergänzt durch ver­schie­de­ne Anwen­dungs­se­mi­na­re (Netz­werk­bil­dung in der Inte­gra­ti­ven Onko­lo­gie, Moda­li­tä­ten der Mis­tel­an­wen­dung, Füh­run­gen durch kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­sche Arz­nei­mit­tel­un­ter­neh­men, Besuch von Kli­ni­ken mit Schwer­punkt auf Inte­gra­ti­ver Medi­zin und ande­res). Die­ses “ganz­heit­li­che” Pro­gramm inten­si­vier­te auch und vor allem den inter­na­tio­na­len Erfah­rungs­aus­tausch, die wis­sen­schaft­li­che Netz­werk­bil­dung oder Über­le­gun­gen zur gesund­heits­po­li­ti­schen Zusammenarbeit.

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Heil­pflan­­zen-Welt (2018).
Quel­len
[1] Green­lee H, DuPont-Reyes MJ, Bal­ne­a­ves LG, Carlson LE, Cohen MR, Deng G, John­son JA, Mum­ber M, See­ly D, Zick SM, Boy­ce LM, Tri­pa­thy D: Cli­ni­cal prac­ti­ce gui­de­lines on the evi­­dence-based use of inte­gra­ti­ve the­ra­pies during and after breast can­cer tre­at­ment. CA Can­cer J Clin. 2017 May 6;67(3):194–232.
[2] Lyman GH, Green­lee H, Bohl­ke K, Bao T, DeMi­che­le AM, Deng GE, Fou­lad­bakhsh JM, Gil B, Hersh­man DL, Mans­field S, Muss­al­lem DM, Mus­ti­an KM, Pri­ce E, Raf­te S, Cohen L: Inte­gra­ti­ve The­ra­pies During and After Breast Can­cer Tre­at­ment: ASCO Endor­se­ment of the SIO Cli­ni­cal Prac­ti­ce Gui­de­line. J Clin Oncol. 2018 Sep 1;36(25):2647–2655.
[3] Witt CM, Bal­ne­a­ves LG, Car­do­so MJ, Cohen L, Green­lee H, John­stone P, Kücük Ö, Mail­man J, Mao JJ: A Com­pre­hen­si­ve Defi­ni­ti­on for Inte­gra­ti­ve Onco­lo­gy. J Natl Can­cer Inst Mono­gr. 2017 Nov 1;2017(52). [4] Cor­mie P, Zopf EM, Zhang X, Schmitz KH: The Impact of Exer­cise on Can­cer Mor­ta­li­ty, Recur­rence, and Tre­a­t­­ment-Rela­­ted Adver­se Effects. Epi­de­mi­ol Rev. 2017 Jan 1;39(1):71–92.
[5] Gagnier JJ, Riley D, Alt­man DG, Moher D, Sox H, Kien­le G; CARE Group: Die Case Report­ing (CARE) Gui­de­line: Ent­wick­lung einer kon­sens­ba­sier­ten Leit­li­nie für die Erstel­lung kli­ni­scher Fall­be­rich­te. Dtsch Arzt­ebl Int. 2013 Sep;110(37):603–8.
[6] Hor­ne­ber MA, Bue­schel G, Huber R, Lin­de K, Ros­tock M: Mist­le­toe the­ra­py in onco­lo­gy. Coch­ra­ne Data­ba­se Syst Rev. 2008 Apr 16;(2):CD003297.
[7] Trö­ger W, Galun D, Reif M, Schu­mann A, Stan­ko­vić N, Milićević M: Vis­cum album [L.] extra­ct the­ra­py in pati­ents with local­ly advan­ced or meta­sta­tic pan­crea­tic can­cer: a ran­do­mi­sed cli­ni­cal tri­al on over­all sur­vi­val. Eur J Can­cer. 2013 Dec;49(18):3788–97.
[8] Wode K: Mist­le­toe The­ra­py in Pri­ma­ry and Recur­rent Inope­ra­ble Pan­crea­tic Can­cer (MISTRAL). ClinicalTrials.gov Iden­ti­fier: NCT02948309.
[9] Thro­ni­cke A, Oei SL, Merk­le A, Matthes H, Schad F: Cli­ni­cal Safe­ty of Com­bi­ned Tar­ge­ted and Vis­cum album L. The­ra­py in Onco­lo­gi­cal Pati­ents. Medi­ci­nes (Basel). 2018 Sep 6;5(3).
[10] Matt­son MP, Lon­go VD, Har­vie M: Impact of inter­mit­tent fas­ting on health and dise­a­se pro­ces­ses. Age­ing Res Rev. 2017 Oct;39:46–58.
[11] Bau­ers­feld SP, Kess­ler CS, Wisch­news­ky M, Jaensch A, Steck­han N, Stan­ge R, Kunz B, Brück­ner B, Seh­ouli J, Mich­al­sen A: The effects of short-term fas­ting on qua­li­ty of life and tole­rance to che­mo­the­ra­py in pati­ents with breast and ova­ri­an can­cer: a ran­do­mi­zed cross-over pilot stu­dy. BMC Can­cer. 2018 Apr 27;18(1):476.
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