Komplementärmedizin in der Krebs-Langzeitversorgung, neue Wege in die Praxis

Foto­rech­te: Charité

Rund 450.000 Men­schen erkran­ken in Deutsch­land jedes Jahr neu an Krebs, stellt das Robert Koch-Insti­tut fest, Ten­denz stei­gend [1]. Gleich­zei­tig sind erheb­li­che Fort­schrit­te z. B. bei Prä­ven­ti­on und The­ra­pie onko­lo­gi­scher Enti­tä­ten zu ver­zeich­nen. Die­se drü­cken sich unter ande­rem in der Zunah­me der rela­ti­ven 5‑Jah­res-Über­le­bens­ra­ten aus (1980–2004: +20% bei Frau­en, +40% bei Män­nern). Für immer mehr Pati­en­ten wird so aus einer töd­li­chen Gefahr eine chro­ni­sche Krank­heit. Eine ange­mes­se­ne ganz­heit­li­che Lang­zeit­ver­sor­gung die­ser “Krebs-Über­le­ben­den” gibt es in Deutsch­land jedoch nicht. Der dies­jäh­ri­ge 4. Euro­päi­sche Kon­gress für Inte­gra­ti­ve Medi­zin (ECIM) wird schwer­punkt­mä­ßig die Mög­lich­kei­ten der Inte­gra­ti­ven Onko­lo­gie in Kli­nik und Pra­xis the­ma­ti­sie­ren [2].

Seit Jah­ren wird ver­sucht, die immer wei­ter stei­gen­den Kos­ten in der Onko­lo­gie in den Griff zu bekom­men. Zum einen, um die bereits bestehen­de Ratio­nie­rung zu ver­hin­dern, zum ande­ren, um die Qua­li­tät zu erhö­hen (Stich­wor­te: Onko­lo­gie­ver­ein­ba­rung, Zer­ti­fi­zie­rung, Qua­li­täts-Zen­tren, sek­toren­über­grei­fen­de Qua­li­täts­si­che­rung, Ver­sor­gungs­for­schung, “Natio­na­ler Krebs­plan”, neu­er Sek­tor “Ambu­lan­te Onko­lo­gie”). Aller­dings: Ein Gut­ach­ten des US-Insti­tu­te of Medi­ci­ne zeig­te 2006, dass ein Gut­teil aller Erfol­ge einer pri­mä­ren Krebs­me­di­zin beim Über­gang in die nach­kli­ni­sche Lebens­pha­se wie­der ver­lo­ren geht, vor allem durch eine feh­len­de Lang­zeit­ver­sor­gung der Krebs­über­le­ben­den (“lost in tran­si­ti­on”) [3]. Der Medi­zin-Nobel­preis­trä­ger Harald zur Hau­sen bestä­tig­te 2010 auch für Deutsch­land: “Ich sehe ein deut­li­ches Defi­zit an der Schnitt­stel­le zwi­schen kli­ni­scher und ambu­lan­ter Ver­sor­gung. Dies betrifft ins­be­son­de­re auch die Krebs­nach­sor­ge” [4]. Und das Pro­blem wird täg­lich grö­ßer: Wie in den USA steigt auch in Deutsch­land die Zahl der Krebs­über­le­ben­den kon­ti­nu­ier­lich (Zuwachs 1990–2004: +35 % bei Frau­en, +80 % bei den Män­nern). Im Jahr 2010 leb­ten in Deutsch­land rund 1,5 Mio. Men­schen, bei denen in den letz­ten fünf Jah­ren eine Krebs­krank­heit auf­ge­tre­ten ist [1].

Krebs­pa­ti­en­ten neh­men das Feh­len resp. die Män­gel spe­zi­fi­scher Lang­zeit­ver­sor­gung sehr deut­lich wahr, was sich unter ande­rem in der inten­si­ven Inan­spruch­nah­me kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­scher Ange­bo­te aus­drückt. Je nach Tumo­ren­ti­tät neh­men 36–54% aller Krebs­pa­ti­en­ten in Deutsch­land kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­sche Pro­duk­te und/​oder Dienst­leis­tun­gen in Anspruch, wie zahl­rei­che Ana­ly­sen zei­gen. Eines der Haupt­ar­gu­men­te vie­ler Pati­en­ten ist dabei – neben erhoff­ten Ein­flüs­sen auf The­ra­pie­ne­ben­wir­kun­gen oder Lebens­er­war­tung – die Ver­bes­se­rung der Lebensqualität.

Inte­gra­ti­ve Onko­lo­gie kom­bi­niert in einer ratio­na­len Metho­den­viel­falt wirk­sa­me Ver­fah­ren sowohl der “Schul­me­di­zin” als auch der Kom­ple­men­tär­me­di­zin. Sie ist aber nicht allein eine Opti­on für die kli­ni­sche Onko­lo­gie, son­dern auch und vor allem für nie­der­ge­las­se­ne Ärz­te, die sich um eine nach­hal­ti­ge, lang­jäh­ri­ge Nach­be­treu­ung ihrer Krebs­pa­ti­en­ten küm­mern wollen.

Onko­lo­gie und Inte­gra­ti­ve Medi­zin (IM) wird ein Schwer­punkt­the­ma des dies­jäh­ri­gen ECIM sein [2]. Zahl­rei­che Grund­la­gen­vor­trä­ge wer­den das medi­zi­ni­sche Poten­ti­al der IM in der moder­nen Krebs­me­di­zin wis­sen­schaft­lich auf­zei­gen. Zum Bei­spiel in Refe­ra­ten von Prof. Dr. Gus­tav J. Dobos, Uni Duis­burg-Essen, Prof. Dr. Dr. Peter M. Schlag, CCC Cha­ri­té ‑Uni­ver­si­täts­me­di­zin Ber­lin oder Prof. Dr. Vol­ker Diehl, Uni Köln. Etli­che Work­shops wer­den zudem in die inte­gra­ti­ve Tumor­t­he­ra­pie in Theo­rie und Pra­xis ein­füh­ren. Bei einer hohen Akzep­tanz von Natur­heil­mit­teln und kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­schen Ver­fah­ren – 70% der Bevöl­ke­rung in Deutsch­land hat­te 2010 schon min­des­tens ein­mal Natur­heil­mit­tel ver­wen­det [5] – kann Inte­gra­ti­ve Krebs­me­di­zin drän­gen­de Ver­sor­gungs-Defi­zi­te der moder­nen Onko­lo­gie aus­glei­chen, und sich dabei der Unter­stüt­zung der meis­ten Pati­en­ten gewiss sein. Der ECIM wird das dazu nöti­ge kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­sche Hand­werks­zeug und Umset­zungs­mög­lich­kei­ten im prak­ti­schen Ver­sor­gungs­all­tag (auch einer kas­sen­ärzt­li­chen Pra­xis) vorstellen.
[1] Bei­trä­ge zur Gesund­heits­be­richt­erstat­tung des Bun­des: Ver­brei­tung von Krebs­er­kran­kun­gen in Deutsch­land – Ent­wick­lung der Prä­va­len­zen zwi­schen 1990 und 2010. Robert Koch-Insti­tut, Ber­lin 2010.
[2] 4. Euro­päi­sche Kon­gress für Inte­gra­ti­ve Medi­zin (ECIM). Ber­lin 7.–8.10.2011. Kon­gress­prä­si­den­ten: Prof. Dr. Ben­no Brink­haus, Ber­lin, Prof. Dr. Gus­tav Dobos, Essen und Dr. Ines von Rosen­stiel, Ams­ter­dam. Ver­an­stal­ter: Insti­tut für Sozi­al­me­di­zin, Epi­de­mio­lo­gie und Gesund­heits­öko­no­mie, Cha­ri­té Uni­ver­si­täts­me­di­zin Berlin.
[3] Hewitt M, Green­field S, Stovall E: From Can­cer Pati­ent to Can­cer Sur­vi­vor – Lost in
Tran­si­ti­on. The Natio­nal Aca­de­mies Press, Washing­ton, D.C., 2006.
[4] Trans­la­tio­na­le For­schung, Leit­li­ni­en­pro­gramm Onko­lo­gie und Krebs­nach­sor­ge – Die Zie­le der Deut­schen Krebs­hil­fe in den Dienst des Pati­en­ten stel­len. Prof. Dr. Harald zur Hau­sen im Inter­view mit Rai­ner H. Buben­zer. Onko­lo­gi­sche Welt. 2010 Mai; 2:52–3.
[5] Insti­tut für Demo­sko­pie Allens­bach (IfD): Natur­heil­mit­tel 2010 – Ergeb­nis­se einer bevöl­ke­rungs­re­prä­sen­ta­ti­ven Befra­gung. IfD, Allens­bach, 2010 (https://www.ifd-allensbach.de/pdf/naturheilmittel.pdf).

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, (18.07.2011).

3 Gedanken zu „Komplementärmedizin in der Krebs-Langzeitversorgung, neue Wege in die Praxis“

  1. Guten Tag miteinander
    Ich neh­me regel­mä­ßig Cis­tus Kapseln
    Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel PZN1428102 ein.
    Gibt es für die­se rela­tiv teu­re Kap­seln einen Wirksamkeitsnachweis?
    Freund­li­che Grüße
    Jut­ta Vees

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    • Hal­lo Jutta,

      das genann­te Prä­pa­rat ist ein Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel (NEM). Wis­sen­schaft­li­che Nach­wei­se bezüg­lich der Vor­beu­gung oder Behand­lung von Krank­hei­ten sind heu­te für die Zulas­sung von Arz­nei­mit­teln vor­ge­schrie­ben (mit eini­gen Aus­nah­men), nicht aber für NEM. Bei eini­gen weni­gen NEM konn­te gezeigt wer­den, dass sie dem Erhalt der Gesund­heit von Gesun­den die­nen und dür­fen des­we­gen bewor­ben wer­den. Das ist bei dem Zist­ro­sen­prä­pa­rat aber nicht der Fall. Nach mei­ner Kennt­nis ist wis­sen­schaft­lich gezeigt wor­den, dass Zist­ro­sen­ex­trak­te in der Mund­höh­le die Anste­ckungs­fä­hig­keit von Krank­heits­er­re­gern ver­rin­gern (kön­nen), wie dies auch zahl­rei­che ande­re pflanz­li­che Extrak­te tun (z. B. aus Son­nen­hut). Ob dies jedoch wirk­lich die Aus­brei­tung von Infek­tio­nen ver­hin­dert, ist wis­sen­schaft­lich nicht sicher nachgewiesen.

      Herz­li­che Grüße,
      Rainer

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