Handelsware Arzneipflanzen

Heil­pflan­zen sind ein wich­ti­ges Han­dels­gut. Wegen ihrer Ver­wen­dung in Arz­nei­mit­teln, Kos­me­ti­ka oder Rei­ni­gungs­mit­teln steigt der Bedarf ste­tig. Schon län­ger wird durch geziel­ten land­wirt­schaft­li­chen Anbau wie auch spe­zi­el­len Züch­tun­gen die Nach­fra­ge befrie­digt. Der größ­te Anteil gehan­del­ter Pflan­zen­ar­ten stammt jedoch nach wie vor aus Wild­samm­lun­gen. Natur­schutz­or­ga­ni­sa­tio­nen wei­sen auf die beson­de­re Pro­ble­ma­tik der Über­nut­zung von Wild­samm­lun­gen hin: Oft gehen durch Unkennt­nis und Unacht­sam­keit vie­le Heil­pflan­zen-Arten unwie­der­bring­lich ver­lo­ren – und mit ihnen auch so man­che Tier­art, wenn sie in enger Sym­bio­se mit einer gefähr­de­ten Pflan­zen­gat­tung lebt.

Rin­gel­blu­me (Cal­en­du­la offi­ci­nia­lis)

Heil­pflan­zen sind welt­weit begehrt. Laut Anga­ben der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on WHO nut­zen 80 Pro­zent der Welt­be­völ­ke­rung Heil­pflan­zen. Außer­dem heißt es wei­ter, dass etwa ein Vier­tel aller bekann­ten Pflan­zen auch medi­zi­nisch genutzt wer­den. Die Beliebt­heit resul­tiert zum einen aus dem tra­di­tio­nel­len Gebrauch von Heil­pflan­zen. Denn vie­le Län­der Afri­kas, Asi­ens und Euro­pas bli­cken auf eine jahr­hun­der­te – manch­mal sogar jahr­tau­sen­de­al­te Tra­di­ti­on der medi­zi­ni­schen Heil­pflan­zen-Ver­wen­dung zurück. Zum ande­ren ist vor allem in ärme­ren Län­dern der Griff zu ein­hei­mi­schen Heil­mit­teln der ein­zig mög­li­che bei ernst­haf­ten Erkran­kun­gen. In den west­li­chen Indus­trie­na­tio­nen haben natür­li­che Heil­mit­tel einen guten Ruf, weil sie als “sanf­ter” oder neben­wir­kungs­frei­er ein­ge­schätzt wer­den. Nach­ge­fragt wer­den in Zei­ten der Glo­ba­li­sie­rung jedoch nicht nur ein­hei­mi­sche, son­dern auch Heil­pflan­zen von ande­ren Kon­ti­nen­ten. Es sind Rezep­tu­ren aus den Medi­zin­schu­len Süd­ame­ri­kas, Afri­kas oder Süd­ost­asi­ens zu haben. Wach­sen­der Beliebt­heit erfreu­en sich auch in Euro­pa Heil­mit­tel, die aus den bekann­te­ren medi­zi­ni­schen Schu­len Indi­ens (Ayur­ve­da) oder Chi­nas (TCM = Tra­di­tio­nel­le Chi­ne­si­sche Medi­zin) stam­men. (1)

Übernutzung von Wildsammlungen

Teu­fels­kral­le (Har­pag­o­phy­tum pro­cum­bens)

Eben wegen die­ses gro­ßen Zuspruchs wur­den Heil­pflan­zen auch als ver­kaufs­för­dern­de Maß­nah­me für ganz all­täg­li­che Pro­duk­te ent­deckt: Seit eini­gen Jah­ren wer­den Heil­pflan­zen-Extrak­te wie Kamil­le oder Aloe sogar in Toi­let­ten­pa­pier, Rei­ni­gungs­mit­teln oder Kon­do­men ver­ar­bei­tet. Der welt­wei­te Bedarf an Heil­pflan­zen ist groß und wächst wei­ter. Kein Wun­der also, dass Orga­ni­sa­tio­nen wie World Wide Fund For Natu­re (WWF), IUCN (Inter­na­tio­nal Uni­on for Con­ser­va­ti­on of Natu­re) oder Bun­des­amt für Natur­schutz (BfN) Alarm schla­gen. Der ste­ti­ge Anstieg der Welt­be­völ­ke­rung, die wach­sen­de inter­na­tio­na­le Nach­fra­ge nach Heil­mit­teln aus der Natur sowie die erwähn­te miss­bräuch­li­che Ver­wen­dung in Haus­halts­ar­ti­keln geht längst nicht mehr mit den vor­han­de­nen Res­sour­cen ein­her. Dr. Uwe Schipp­mann vom BfN, resü­miert die Situa­ti­on in einem Arti­kel fol­gen­der­ma­ßen: “Mit der wach­sen­den Erkennt­nis, dass wild wach­sen­de medi­zi­ni­sche und aro­ma­ti­sche Pflan­zen zu stark aus­ge­beu­tet wer­den, gibt es Fir­men, die emp­feh­len, wild wach­sen­de Pflan­zen in Kul­tur zu neh­men. Ande­re argu­men­tie­ren hin­ge­gen, dass nach­hal­tig aus­ge­rich­te­te Ern­ten von Wild­pflan­zen eine der wich­tigs­ten Stra­te­gien zu ihrem Erhalt dar­stel­len. Denn sie (die nach­hal­tig durch­ge­führ­ten Ern­ten) leis­ten einen Bei­trag auf loka­len Märk­ten zur Exis­tenz­si­che­rung. Lang­fris­tig betrach­tet, fin­det dar­über noch eine Wert­erhö­hung von Wild­pflan­zen statt, die wie­der­um zu deren Schutz bei­tra­gen.” (2)

Lebensraum für alle

Den letz­te­ren Ansatz ver­folgt der WWF in vie­len Län­dern. “Denn Heil­pflan­zen sind im Grun­de genom­men nach­wach­sen­de Roh­stof­fe, des­halb spricht grund­sätz­lich nichts gegen ihre Nut­zung”, erklärt Susan­ne Hon­nef, WWF-Arten­schutz­re­fe­ren­tin. Doch das ist manch­mal leicht gesagt, gibt sie ger­ne zu. In der Pra­xis stellt sich ein scho­nen­der Umgang mit Natur­res­sour­cen als schwie­ri­ge Grat­wan­de­rung her­aus. Bei­spiel­haft erzählt Hon­nef von einem chi­ne­si­schen Pro­jekt: “Die letz­ten 1.700 Pan­da­bä­ren leben in Regio­nen, die auch von Min­der­hei­ten wie den Qiang, Hui oder Bai­ma bean­sprucht wer­den”, so Hon­nef. Die Ange­hö­ri­gen die­ser Min­der­hei­ten leben in beson­de­rer Armut und ver­su­chen sich, unter ande­rem mit der Samm­lung und dem Han­del von Wild­pflan­zen über Was­ser zu hal­ten. “Lei­der geschah die­ses nicht auf nach­hal­ti­ge Wei­se und stör­te zudem den Gro­ßen Pan­da in sei­nem bereits sehr ein­ge­schränk­ten Lebens­raum”. Des­halb muss­ten alter­na­ti­ve Ein­kom­mens­mög­lich­kei­ten geschaf­fen wer­den. “Neben dem Auf­bau eines natur­ver­träg­li­chen Öko­tou­ris­mus unter­stütz­te der WWF die Qiang auch dar­in Heil­pflan­zen, nach aner­kann­ten Öko- und Sozi­al­kri­te­ri­en zu sam­meln. Für die geern­te­te Ware erhal­ten sie von inter­na­tio­na­len Unter­neh­men rela­tiv hohe Prei­se. Damit ist ihre Lebens­grund­la­ge gewähr­leis­tet, und sie haben gelernt, dass die ein­zig­ar­ti­ge Natur ihrer unmit­tel­ba­ren Umge­bung auch erhal­tens­wert ist”, so Honnef.

Kontrolle durch Zertifizierung

Die Arten­schutz­ex­per­tin unter­hält auch enge Kon­tak­te zu Unter­neh­men. Dabei geht es um Erfah­rungs­aus­tausch wie auch Ent­wick­lung von trag­fä­hi­gen Nut­zungs­kon­zep­ten. Für Wild­samm­lun­gen wur­de vom WWF und ande­ren ein zer­ti­fi­zier­ba­rer Stan­dard vor­ge­schla­gen, der durch unab­hän­gi­ge Gut­ach­ter abge­nom­men wird. Der Fair­Wild-Stan­dard wur­de erst im letz­ten Jahr der Öffent­lich­keit vor­ge­stellt. “Für die­sen Stan­dard haben wir Input gelie­fert, denn wir müs­sen Wild­samm­lun­gen zukunfts­fä­hig machen”, sagt Mar­co Wil­li­us, Apo­the­ker und Lei­ter Pro­dukt­ma­nage­ment, Mar­tin Bau­er Co. KG., Ves­ten­bergs­greuth. Das inter­na­tio­nal agie­ren­de Unter­neh­men ist eines der größ­ten Beschaf­fer pflanz­li­cher Roh­stof­fe in Euro­pa. “Etwa 30 Pro­zent unse­rer Roh­stof­fe bestehen aus Wild­samm­lun­gen”, erklärt Wil­li­us. “Des­halb ist es wich­tig, den Beruf des Wild­samm­lers zu schüt­zen”. Das Unter­neh­men ver­sucht, durch engen Kon­takt mit den Samm­lern, ihren regel­mä­ßi­gen Schu­lun­gen oder durch eng­ma­schi­ge Kon­trol­len ein aus­ge­feil­tes Qua­li­täts­sys­tem auf­zu­bau­en. “Letzt­lich haben bei­de Sei­ten haben etwas davon”, erklärt Wil­li­us: “Die Samm­ler haben eine Lebens­grund­la­ge und kön­nen ihre Fami­li­en ernäh­ren, weil ihnen die Abnah­me von Min­dest­men­ge garan­tiert wer­den. Und unser Unter­neh­men kann die Lie­fer­ket­ten bis zum Ende kontrollieren”.

Problematisches Sammelgut

Kamil­le (Cha­mo­mil­la recutitia)

Wel­chen Schwie­rig­kei­ten sich klei­ne­re Fir­men gegen­über­se­hen zeigt ein ande­res Bei­spiel: Euro­päi­sche Phy­to­her­stel­ler bezie­hen ger­ne Heil­pflan­zen aus ost­eu­ro­päi­schen Län­dern wie Rumä­ni­en oder Bul­ga­ri­en. Die Grün­de lie­gen in den dor­ti­gen, noch vor­han­de­nen Heil­pflan­zen-Bestän­den und vor allem den bil­li­gen Arbeits­kräf­ten. Doch aus die­sem Geschäft zie­hen sich man­che Fir­men wie­der zurück. Eini­ge Grün­de nennt Dr. Andre­as Her­de, stell­ver­tre­ten­der Lei­ter Qua­li­täts­kon­trol­le, Salus, Bruck­mühl: “Es gibt kaum noch Samm­ler, die sich in der Bota­nik her­vor­ra­gend aus­ken­nen und mit siche­rem Blick die rich­ti­gen Pflan­zen zum rich­ti­gen Zeit­punkt abern­ten”. Die Beschäf­ti­gung unge­üb­ter Samm­ler birgt noch ganz ande­re Pro­ble­me für Phy­to­her­stel­ler: Das Sam­mel­gut kann durch Pflü­cken fal­scher Pflan­zen (Ver­wechs­lung mit ech­ten Heil­pflan­zen) ver­un­rei­nigt wer­den. Oder es wird durch das Sam­meln der Heil­pflan­zen zum fal­schen Zeit­punkt nicht die zur Her­stel­lung von Heil­mit­teln not­wen­di­ge Kon­zen­tra­ti­on der Wirk­stof­fe erreicht. Nicht zuletzt kön­nen die Wild­be­stän­de durch unsach­ge­mä­ßes Pflü­cken (Aus­reis­sen mit Wur­zeln) lang­fris­tig zer­stört wer­den. Dies kann fata­le Fol­gen nach sich zie­hen: Denn man­che Tier­art, die in enger Sym­bio­se mit einer gefähr­de­ten Pflan­zen­gat­tung lebt, ist dann eben­falls bedroht.

Pflan­zen­an­bau: Wich­ti­ge Arz­nei­pflan­zen wie Pfef­fer­min­ze, Kamil­le, Melis­se, Arti­scho­cke und Lein­saat wer­den schon seit Jahr­zehn­ten kul­ti­viert, um den mas­sen­wei­sen Bedarf zu decken. Vor eini­gen Jah­ren gerie­ten Anbau­län­der wie Ägyp­ten oder Indi­en in die Schlag­zei­len, weil in den Arz­nei­pflan­zen hohe Kon­zen­tra­tio­nen von Pes­ti­zi­den nach­ge­wie­sen wur­den. Um Ver­brau­cher zu schüt­zen, wur­den beson­de­re Label ent­wi­ckelt. Bio­sie­gel bei­spiels­wei­se gewähr­leis­ten unter ande­rem, das die Roh­stof­fe dem öko­lo­gi­schem Land­bau entstammen.

Alternative: Züchtungen

Roter Son­nen­hut (Ech­ni­nacea pur­pu­rea)

Für die Ver­ar­bei­tung von Sam­mel­gut aus Wild­be­stän­den ergibt sich für Phy­to­phar­ma­zeu­ten eine wei­te­re Erschwer­nis: Die Wirk­stoff­ei­gen­schaf­ten unter­lie­gen zum Teil erheb­li­chen Schwan­kun­gen, die sich zum Bei­spiel aus kli­ma­ti­schen oder geo­gra­fi­schen Gege­ben­hei­ten erge­ben kön­nen. Auch die Wirk­stoff­streu­ung (Antei­le äthe­ri­sches Öl, ande­re Wirk­stof­fe) ist oft inho­mo­gen. Da vie­le Phy­to­phar­ma­ka-Her­stel­ler ver­su­chen, ihre Prä­pa­ra­te anhand von Leit­sub­stan­zen zu stan­dar­di­sie­ren, sind sie an Roh­stof­fen mit weni­ger schwan­ken­der Inhalts­stoff-Ver­tei­lung inter­es­siert. Des­halb wur­de in den letz­ten Jahr­zehn­ten ver­mehrt dazu über­ge­gan­gen, Heil­pflan­zen mit spe­zi­el­len Eigen­schaf­ten für einen geziel­ten land­wirt­schaft­li­chen Anbau zu züch­ten, obwohl sol­che Züch­tun­gen zeit‑, arbeits- und kos­ten­auf­wän­dig sind. “Doch Pflan­zen­ma­te­ri­al aus Züch­tun­gen bie­tet wesent­lich bes­se­re Steue­rungs­mög­lich­kei­ten”, sagt Her­de. Der Apo­the­ker erläu­tert wie bei­spiels­wei­se eine Aus­le­se­züch­tung durch­ge­führt wird: Zunächst wer­den Bestand­tei­le von Heil­pflan­zen selek­tiert, die cha­rak­te­ris­ti­sche Wirk­stof­fe ent­hal­ten. Bei­spiels­wei­se kön­nen die Samen von 15 gut gewach­se­nen Arni­ka-Pflan­zen die Grund­la­ge wei­te­rer Züch­tung sein. Danach folgt jah­re­lan­ges Expe­ri­men­tie­ren mit den nach­fol­gen­den Pflan­zen-Gene­ra­tio­nen, deren Ver­meh­rung und wei­te­ren Selek­ti­ons­ver­su­chen. “Schließ­lich wird bei den end­gül­ti­gen Züch­tungs­zie­len dar­auf geach­tet, dass das gan­ze Spek­trum der aus­ge­wähl­ten Pflan­zen wie Vita­li­tät, Wuchs, Grö­ße der Blü­ten­köp­fe stimmt – und nicht zuletzt natür­lich die Art und Zusam­men­set­zung der Wirk­stof­fe,” so Herde.

Angebaute Wildpflanzen

Einer beson­de­ren Pro­ble­ma­tik unter­lie­gen Arz­nei­pflan­zen, deren Wachs­tums­be­din­gun­gen sich ent­we­der gar nicht oder nur schwer in Kul­tur neh­men las­sen. Bei­spie­le dafür sind Son­nen­tau (Dro­se­ra rotun­di­fo­lia; moo­ri­ge Böden), Islän­disch Moos (Lichen islan­di­cus; stei­ni­ger Unter­grund, bestimm­te kli­ma­ti­sche Ver­hält­nis­se) oder die Teu­fels­kral­le (Har­pag­o­phy­tum pro­cum­bens; Kala­ha­ri). Die süd­afri­ka­ni­sche Heil­pflan­ze bekam als neben­wir­kungs­ar­mes Rheu­ma­mit­tel 2004 eine uner­war­te­te Chan­ce. Bis dahin waren näm­lich syn­the­ti­sche Wirk­stof­fe die soge­nann­ten nicht-ste­ro­ida­len Anti­rheu­ma­ti­ka (NSAR) Mit­tel der Wahl. Doch töd­li­che Neben­wir­kun­gen neu­er Grup­pen die­ser Phar­ma­ka (Cox-2-Hem­mer) schreck­ten die Öffent­lich­keit auf. Der Ruf nach pflanz­li­chen Alter­na­ti­ven führ­te 2005 in der Schweiz zu einer Zulas­sung der Teu­fels­kral­le als Rheu­ma-Medi­ka­ment. Die Teu­fels­kral­le stamm­te frü­her aus­schließ­lich aus Wild­samm­lun­gen in den Savan­nen der Kala­ha­ri Süd­afri­kas, Bots­wa­nas und Nami­bi­as. Wäh­rend in den 70iger Jah­ren 200 Ton­nen Teu­fels­kral­le aus Nami­bia expor­tiert wur­den, stieg der Bedarf in den Fol­ge­jah­ren auf 650 Ton­nen an. Bald stand fest, dass der wei­ter anwach­sen­de Bedarf wegen Über­nut­zung nicht durch Wild­samm­lun­gen mehr zu befrie­di­gen sein würde.

Zeitaufwändige Forschungen

Um das Pro­blem zu lösen, ent­schlos­sen sich Her­stel­ler zu einer län­der­über­grei­fen­den Zusam­men­ar­beit im deutsch­spra­chi­gen Raum. Bio­f­orce, Rogg­wil, Schweiz und Salus Bruck­mühl, Deutsch­land initi­ier­ten ein Anbau­pro­jekt für Teu­fels­kral­le, das wis­sen­schaft­lich durch die Uni­ver­si­tät Müns­ter beglei­tet wur­de. Das Pro­jekt dau­er­te ins­ge­samt zehn Jah­re und ist mitt­ler­wei­le abge­schlos­sen. Andre­as Ryser, Bio­f­orce, Lei­ter Heil­pflan­zen­an­bau, fährt regel­mä­ßig nach Süd­afri­ka in die Grenz­nä­he von Bots­wa­na (Kukur­man), um Anbau und Wirk­stoff­ge­halt der dort ange­pflanz­ten Teu­fels­kral­le zu kon­trol­lie­ren. Das Beson­de­re: Sie wird wei­ter­hin als Wild­pflan­ze – also züch­te­risch unver­än­dert ange­baut. “Denn wir wis­sen zu wenig über die tat­säch­li­chen Wirk­sub­stan­zen”, erläu­tert Ryser. “Beim Anbau muss­ten wir viel ler­nen und gro­ßen Auf­wand betrei­ben”. Die Pflan­ze wird in der savan­nen­ar­ti­gen Land­schaft in je einer Pflan­zen­rei­he in einem drei Meter brei­ten Sand­strei­fen ange­baut. Dazwi­schen schüt­zen sie­ben Meter brei­te Rei­hen mit Gras das Anbau­ge­biet vor Ero­si­on. “Durch die­se Anbau­wei­se konn­ten wir bei der Ern­te der Teu­fel­kral­len-Wur­zeln einen zehn­mal höhe­ren Ertrag erwirt­schaf­ten. Der Har­pa­gos­id-Gehalt (einer der ange­nom­me­nen Haupt­wirk­stof­fe) bewegt sich im ähn­li­chen Bereich wie bei den Wild­pflan­zen”, so Ryser. Der Anbau wird mit ver­trag­lich an die Bio­f­orce gebun­de­ne Land­wir­te betrie­ben. In der wirt­schaft­li­chen schwa­chen Regi­on besteht an Arbeits­kräf­ten kein Man­gel. “Doch wir arbei­ten ger­ne lang­fris­tig mit Arbei­tern zusam­men, um Ern­te­ver­lust zu mini­mie­ren”, so Ryser. Denn die Teu­fels­kral­le ver­birgt ihre was­ser­spei­chern­den Wur­zeln tief in den Wüs­ten­sand. Nur Arbeits­kräf­te, die sich aus­ken­nen, gra­ben tief oder sorg­fäl­tig genug, um die kost­ba­re Wur­zel unver­letzt zu ernten.

Standards sollen helfen

Bal­dri­an (Vale­ria­na offi­ci­na­lis)

Die Idee der nach­hal­ti­gen Nut­zung von Arten zum Vor­teil von Mensch und Natur ist noch gar nicht so alt. Sie wur­de 1992 auf der UN-Kon­fe­renz für Umwelt und Ent­wick­lung kon­kre­ti­siert. Im Lau­fe der Jah­re ent­stand ein inter­na­tio­nal aner­kann­tes Regel­werk. Es basiert auf der Grund­la­ge, dass Natur- und Arten­schutz­ge­set­ze nur lang­fris­ti­ge Erfol­ge zei­gen, wenn sie über den Arten­schutz hin­aus­ge­hen. Und dass eine Nut­zung von gene­ti­schen Res­sour­cen, Lebens­räu­men oder Öko­sys­te­men nur ver­ant­wor­tungs­voll und unter Ein­bin­dung sozia­ler wie wirt­schaft­li­cher Kom­po­nen­ten funk­tio­nie­ren kann. Seit­her ent­stan­den welt­weit ver­schie­dens­te Pro­jek­te: Samm­ler wur­den geschult, Pro­jekt­teil­neh­mern wur­den Hygie­ne­stan­dards ver­mit­telt wie auch die scho­nen­de, ver­lust­freie Ver­ar­bei­tung der wert­vol­len Roh­stof­fe. Gleich­zei­tig ent­stand bei vie­len Her­stel­lern, Ex- und Impor­teu­ren oder staat­li­chen und nicht-staat­li­chen Insti­tu­tio­nen das Bedürf­nis, den beson­de­ren Umgang mit Wild­samm­lun­gen zu kenn­zeich­nen: Eine unüber­seh­ba­re Viel­falt von Zer­ti­fi­ka­ten, Stan­dards oder extra Labeln ent­stand, die jedoch für Ver­brau­cher unüber­sicht­lich und nicht nach­voll­zieh­bar sind. Der im letz­ten Jahr prä­sen­tier­te Fair-Wild-Stan­dard ist nun der ein­zi­ge Stan­dard, der sich mit den öko­lo­gi­schen und sozia­len Kri­te­ri­en der nach­hal­ti­gen Wild­samm­lung beschäf­tigt. Er basiert auf dem 2004 von WWF, IUCN und TRAFFIC (gemein­sa­mes Arten­schutz­pro­gramm von WWF und IUCN) ini­ti­tier­ten ISSC-MAP (Inter­na­tio­nal Stan­dard für Sus­tainable Wild Coll­ec­tion of Medi­cal and Aro­ma­tic Plants). Hon­nef geht davon aus, dass immer mehr Pro­duk­te mit dem Fair-Wild-Label auf den Markt kom­men. Sie hofft auch, dass es damit den Kon­su­men­ten in naher Zukunft leich­ter gemacht wird, eine Ent­schei­dung für wirk­lich nach­hal­tig gewon­ne­ne Natur­pro­duk­te zu treffen.

Schutz durch den Verbraucher möglich

Aloe (Aloe bar­ba­den­sis)

Eines der macht­volls­ten Instru­men­te des Natur­schut­zes könn­te bei infor­mier­ten, enga­gier­ten Ver­brau­chern lie­gen – so die über­ein­stim­men­de Mei­nung der Fir­men­ver­tre­ter oder Natur­schüt­zer. Hon­nef wünscht sich des­halb, dass Kon­su­men­ten genau nach­fra­gen, woher die Pro­duk­te kom­men und wie die­se ange­baut bezie­hungs­wei­se gesam­melt wer­den. “Das ist schon des­halb wich­tig, weil nach wie vor 80 Pro­zent der Arten aus Wild­samm­lun­gen stam­men”, sagt Hon­nef. Die Natur­schüt­ze­rin hält öko­lo­gi­sche, sozi­al­ver­träg­li­che Kri­te­ri­en bei der Aus­beu­tung für genau­so bedeut­sam wie auch die Zer­ti­fi­zie­rung durch unab­hän­gi­ge Prü­fer. Wil­li­us sieht das größ­te Pro­blem in der noch vor­herr­schen­den, man­geln­den Wert­schät­zung der Ver­brau­cher: “Den Meis­ten ist nicht bewusst, wel­cher Auf­wand bei­spiels­wei­se hin­ter einem Arz­nei­tee aus der Apo­the­ke steckt”. Er sieht drin­gen­den Infor­ma­ti­ons­be­darf: Dass die meis­ten Heil­pflan­zen in müh­se­li­ger Hand­ar­beit geern­tet und in nach­fol­gen­den Pro­duk­ti­ons­schrit­te mit Sorg­falt und Umsicht durch­ge­führt wer­den müs­sen, um die emp­find­li­chen Wirk­stof­fe zu erhal­ten. “Qua­li­tät hat ihren Preis”, betont Wil­li­us und bedau­ert die um sich grei­fen­de Bil­lig-Dis­ko­un­ter-Men­ta­li­tät. Lang­fris­tig kann sicher­lich auch ein geschärf­tes Kon­su­men­ten-Bewusst­sein für All­täg­li­ches etwas bewe­gen: Denn wozu ist Toi­let­ten­pa­pier mit Aloe Vera oder Spül­mit­tel mit Kamil­le eigent­lich nützlich?

Unge­ahn­te Kon­kur­renz: Nach­wach­sen­de Roh­stof­fe Eine neue Ten­denz macht vie­len Phy­­to­­phar­­ma-Unter­­neh­­men bei der Roh­­stoff-Beschaf­­fung Sor­gen: Durch den enor­men Anstieg der Roh­öl­prei­se, wird in Euro­pa nach Aus­weich­mög­lich­kei­ten für die Kraft­­­stoff-Pro­­duk­­ti­on gesucht. Des­halb ver­su­chen eini­ge Regie­run­gen Euro­pas die Her­stel­lung von Bio­die­sel mit soge­nann­ten “nach­wach­sen­den Roh­stof­fe” anzu­kur­beln. Die­se Ent­wick­lung könn­te fata­le Fol­gen für den Arz­n­ei­pflan­­zen-Anbau haben. Denn vie­le Bau­ern ent­schei­den sich nun dafür, Raps oder Mais anzu­bau­en. Dies ist agrar­tech­nisch viel ein­fa­cher durch­zu­füh­ren. Sie müs­sen weder beson­de­re Anbau­richt­li­ni­en (Ver­wen­dung von Pes­ti­zi­den), noch die beson­de­ren Wachs­tums­wün­sche der Heil­pflan­zen oder gar den rich­ti­gen Ern­te­zeit­punkt abpas­sen. Die Neu­ori­en­tie­rung der Bau­ern, die die­ses aus rein kauf­män­ni­schen Erwä­gun­gen tun, könn­te lang­fris­tig wegen der Ver­knap­pung der Anbau­flä­chen eine Ver­teue­rung der Pro­duk­ti­ons­kos­ten von Arz­nei­pflan­zen nach sich ziehen.

Ange­merkt: Lei­der gibt es für die Heil­pflan­zen hier­zu­lan­de kei­ne Lob­bis­ten. Die­se könn­ten sich näm­lich für einen staat­lich geför­der­ten Heil­pflan­­zen-Anbau ein­setz­ten – und zwar für nach­hal­tig nach­wach­sen­de Roh­stof­fe. Es wäre nicht nur eine gute Alter­na­ti­ve für den gegen­wär­tig umstrit­te­nen Kraft­stoff E10. Son­dern damit wür­de der Skan­dal been­det, dass Lebens­mit­tel wie Wei­zen, Rohr- oder Zucker­rohr und Raps zu Kraft­stoff ver­ar­bei­tet wer­den, die welt­weit für stei­gen­de Lebens­mit­tel­prei­se sor­gen. Außer­dem könn­te der Anbau von Heil­pflan­zen der all­ge­gen­wär­ti­gen Mono­kul­tur in der Land­wirt­schaft ent­ge­gen wir­ken. Denn die­se zer­stört schon lan­ge durch mas­sen­haf­ten Ein­satz von Pes­ti­zi­den die Böden und die dar­in leben­den Lebe­we­sen. Und: Heil­pflan­­zen-Anbau wür­de einen ech­ten Bei­trag zur Bio­di­ver­si­tät in Deutsch­land leisten.

Laut einem Bericht des TRAFFIC, WWF und IUCN vom letz­ten Jahr trägt der Fair­Wild-Stan­dard maß­geb­lich zum Schutz von bedroh­ten Heil- und Aro­ma­pflan­zen bei. Der­zeit sind über 20 Pro­duk­te aus 13 Län­dern mit dem Stan­dard zertifiziert.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen unter: www.fairwild.org

Autorin
• Mari­on Kaden, Natur & Hei­len (2011).
Quel­len
1. Lan­ge, Dag­mar: Unter­su­chun­gen zum Heil­pflan­zen­han­del in Deutsch­land. Ein Bei­trag zum inter­na­tio­na­len Arten­schutz. Bun­des­amt für Natur­schutz. Bonn-Bad Godes­berg 1996.
2. Schipp­mann, Uwe et al: A Com­pa­ri­son of Cul­ti­va­ti­on and Wild Coll­ec­tion of Medi­cal and Aro­ma­tic Plants under Sus­taina­bi­li­ty Aspects, S. 75–95. Aus: Bogers R.J. et al (eds.): Medi­cal and Aro­ma­tic Plants, 2006, Springer.
wei­te­re Infos
Arz­nei­pflan­zen wer­den oft falsch angewandt
Arz­n­ei- und Gebrauchs­tees sind nicht dasselbe
Apo­the­ker­gär­ten laden ein

Bitte Ihre Frage, Anmerkung, Kommentar im folgenden Feld eingeben