Der DocMorris-Apotheker-Garten in Ettlingen /​ Baden-Württemberg

Apo­the­ker­gär­ten sind etwas Beson­de­res: Sie sind die Ver­bin­dung aus Schö­nem, Ent­span­nen­dem und Lehr­rei­chem zugleich. Besu­che loh­nen sich zu jeder Jah­res­zeit. Bei­spiels­wei­se sehen Heil­pflan­zen im Früh­jahr mit ihren Blü­ten anders aus als im Herbst mit den Samen oder Früch­ten. Und: Jeder Apo­the­ker­gar­ten bie­tet etwas anders: Denn bei der Gestal­tung eines Apo­the­ker­gar­tens spielt die Heil­pflan­zen-Aus­wahl wie die Kon­zep­ti­on eine ent­schei­de­ne Rol­le. Folg­lich kann sich in den zahl­rei­chen Apo­the­ker­gär­ten Deutsch­lands aller­or­ten etwas Neu­es oder Inter­es­san­tes erschlie­ßen. Ein Beispiel:

Sibyl­le Braun

Der DocMor­ris-Apo­the­ker-Gar­ten liegt mit­ten in der Alt­stadt des idyl­li­schen Ett­lin­gen bei Karls­ru­he. Er ist leicht erreich­bar über den Stadt­bahn­hof, der fuß­läu­fig nur etwa fünf Minu­ten ent­fernt liegt. Sibyl­le Braun, Apo­the­ke­rin, nimmt sich die Zeit, selbst eine Füh­rung zu machen: “Der Apo­the­ker­gar­ten gehört der Stadt, doch 2009 konn­ten wir das Nut­zungs­recht erwer­ben”, erklärt sie auf dem Weg dort­hin. Nur ein paar Schrit­te über die Leo­pold­stra­ße führt die Klos­ter­gas­se am “Klös­ter­le”, einem Barock­haus aus des Zeit der Mark­grä­fin Sibyl­la Augus­ta, vor­bei zum städ­ti­schen Rosen­gar­ten. Die­ser emp­fängt sei­ne Besu­cher Anfang Juni mit einem betö­ren­den Rosen­duft. Ein Früh­som­mer­re­gen hat dem Gar­ten offen­sicht­lich gut getan. Die voll erblüh­ten Rosen bie­gen sich nicht nur unter ihrer Blü­ten­last, son­dern auch unter den Regen­trop­fen. Der Ein­gang des Apo­the­ker­gar­tens ist unüber­seh­bar. Nach dem Durch­schrei­ten eines schmie­de­ei­ser­nen Tores ste­hen Besu­cher am unte­ren Ende des Gar­tens. Das 400-Qua­drat­me­ter gro­ße Refu­gi­um ist in sich geschlos­sen: Auf der lin­ken Sei­te wird er begrenzt durch die Rück­sei­te des Sibyl­le-Augus­ta-Barock­hau­ses. Vom Hau­se aus­ge­hend wird er kom­plett von einer alten Zie­gel­mau­er umfasst. Nach­denk­lich schaut die Apo­the­ke­rin über den Gar­ten und erin­nert sich, “lan­ge Zeit lag die­ser Gar­ten in einem Dorn­rös­chen­schlaf. Der Schach­tel­halm mit sei­nen lan­gen Wur­zeln hat­te längst alles über­wu­chert”. Nach der Idee und dem Ent­schluss, den Gar­ten neu zu bele­ben, begann die Suche nach Spon­so­ren, erzählt sie weiter.

Abbild des Menschen: Da Vinci’s Pentagramm

Johan­nis­kraut (Hyperi­cum per­fo­ra­tum)

“Gemein­sam mit Prof. Dr. Alex­an­der Schenk such­ten wir nach einem Kon­zept für die Gestal­tung. Wir ent­schie­den uns dafür, den wun­der­schö­nen Wal­nuss­baum mit ein­zu­be­zie­hen”, sagt Braun. Tat­säch­lich steht er genau gegen­über des Barock­hau­ses am Kopf des Gar­tens. “Nun reprä­sen­tiert er in unse­rem Kon­zept auch den Kopf eines Men­schen. Dabei lehn­ten wir uns zum einen an die Signa­tu­renleh­re des Para­cel­sus an, wel­che in der Wal­nuss wegen ihrer Ähn­lich­keit zum mensch­li­chen Gehirn als Heil­mit­tel ein­ge­setzt wur­de”, so Braun. “Zum ande­ren nah­men wir das berühm­te Pen­ta­gramm des Men­schen­ab­bil­des von Leo­nar­do Da Vin­ci zu Hil­fe, um kon­zep­tio­nell den mensch­li­chen Kör­per abzu­bil­den”, erklärt Braun. Sie führt in den Gar­ten und bleibt im obe­ren Teil kurz vor dem Wal­nuss­baum ste­hen. “Hier ste­hen wir in dem Gar­ten­teil, der reprä­sen­ta­tiv für die obe­re Kör­per­hälf­te steht, für das ZNS, die obe­ren und unte­ren Atem­we­ge sowie das Herz-Kreis­lauf-Sys­tem. Wir haben Pflan­zen aus­ge­sucht, die noch heu­te bedeut­sam zum Bei­spiel bei Ein­schlaf­stö­run­gen oder depres­si­ven Ver­stim­mun­gen sind”. Dabei zeigt sie auf weiß­li­chen Bal­dri­an­blü­ten (Vale­ria­na offi­ci­na­lis) oder die leuch­tend gel­ben Blü­ten des Tüp­fel-Johan­nis­krauts (Hyperi­cum per­fo­ra­tum). Die Apo­the­ke­rin zupft eine Johan­nis­kraut­blü­te ab und zer­reibt die­se zwi­schen den Fin­gern. Der her­aus­tre­ten­de rote Saft färbt leicht ihre Fin­ger. “Als Haupt­wirk­stoff des Johan­nis­krauts wird das Hyper­fo­rin ange­se­hen”, sagt sie. Es wird als Arz­nei­mit­tel zur Behand­lung von depres­si­ven Ver­stim­mun­gen bis hin zu mit­tel­schwe­ren Depres­sio­nen verwendet”.

Das “Klös­ter­le”

Dann führt Braun wei­ter zum Herz­ge­spann (Her­ba Leonuri car­dia­cae). Die schö­ne Pflan­ze dient zur Behand­lung von ner­vö­sen Herz­be­schwer­den. Gleich dane­ben wächst der Rote Fin­ger­hut (Digi­ta­lis pur­pu­rea). Aus die­ser sehr gif­ti­gen Pflan­ze wer­den Arz­nei­mit­tel her­ge­stellt, mit denen die Herz­funk­ti­on wie­der ver­bes­sert wer­den kann. Im gan­zen Gar­ten sind etwa 200 Arz­nei­pflan­zen ver­tre­ten. Wie in den Bota­ni­schen Gär­ten ste­hen auch hier Hin­weis-Schild­chen, die sämt­li­che Pflan­zen benen­nen. Außer­dem sind im Gar­ten noch 23 grö­ße­re Infor­ma­ti­ons­ta­feln auf­ge­stellt. Die­se lie­fern Inter­es­sier­ten Hin­ter­grund­ma­te­ri­al: So wird bei­spiels­wei­se die Signa­tu­renleh­re des Para­cel­sus dar­ge­stellt. Auch die Homöo­pa­thie des Samu­el Hah­ne­mann, die indi­sche Medi­zin­leh­re Ayur­ve­da oder anthro­po­so­phi­sche Medi­zin wer­den auf die­se Wei­se Besu­chern näher gebracht.

Ein besonderer Kraftort

Was­ser als Heilkraft

In der Mit­te des Gar­tens steht ein Spring­brun­nen, der lei­se vor sich hin­plät­schert. Vor ihm bleibt die Apo­the­ke­rin ste­hen. “Der Gar­ten ist ein Kraft­ort”, sagt sie. Sie besucht den Gar­ten nicht nur, um Füh­run­gen zu machen, “auch wäh­rend kur­zer Pau­sen kann ich hier genü­gend Abstand vom stres­si­gen Arbeits­all­tag gewin­nen”, so Braun. Bän­ke und Stüh­le am Gar­ten­rand laden auch zum län­ge­rem Ver­wei­len ein. Selbst an küh­le­ren Tagen lohnt sich der Besuch des Gar­tens “denn durch die alte Zie­gel­mau­er wird ein Mikro­kli­ma geschaf­fen”, Weiß die Apo­the­ke­rin zu berich­ten. Die Mau­er schützt vor Wind oder sorgt durch Abstrah­len von Wär­me dafür, dass die Pflan­zen im Gar­ten frü­her und höher wach­sen als anders­wo. “Das ange­neh­me Plät­schern des Brun­nens trägt jedoch nicht nur zur inne­ren Ent­span­nung bei. Er soll auch noch auf die wich­ti­ge Heil­kraft des Was­sers hin­wei­sen”, erläu­tert die Apo­the­ke­rin wei­ter. “Immer­hin hat Sebas­ti­an Kneipp mit sei­ner “Was­ser­kur” eine bedeut­sa­me, deut­sche Heils­leh­re entwickelt”.

Immer etwas Neues

Bein­well (Sym­phy­tum offi­ci­na­le)

Im Bereich in der Nähe des Barock­haus ste­hen Pflan­zen, die wich­tig für Kno­chen oder die Haut sein kön­nen. Braun zeigt bei­spiels­wei­se auf den Bein­well (Sym­phy­tum offi­ci­na­le). “Die Wirk­stof­fe des Bein­well-Krauts oder der Wur­zeln hel­fen äußer­lich ange­wandt bei Sport­ver­let­zun­gen wie Prel­lun­gen, Zer­run­gen oder Ver­stau­chun­gen.”, so Braun. Arni­ka-Wirk­stof­fe (Arni­ca mona­ta­na) wer­den bei Blut­ergüs­sen oder Insek­ten­sti­chen ver­wen­det. Arz­nei­mit­tel aus den oran­ge­nen Rin­gel­blu­men (Cal­en­du­la offi­ci­na­lis) die­nen zur äuße­ren Behand­lung von Wun­den. Die Apo­the­ke­rin rät, Arz­nei­pflan­zen in jeder Wachs­tums­pha­se zu beob­ach­ten. Zur Blü­te­zeit sind die Blü­ten in ihren viel­fäl­ti­gen Aus­prä­gun­gen und Far­ben natür­lich beson­ders schön, gibt sie zu. Doch auch im Früh­jahr oder im Herbst, wenn die Arz­nei­pflan­zen ihre Früch­te und Samen aus­ge­bil­det haben, gibt es Neu­es zu entdecken.

Herz­ge­spann (Her­ba Leonuri car­dia­cae)

“Neu­es­te For­schun­gen haben erge­ben, dass Pflan­zen über 20 ver­schie­de­ne Sin­nes­wahr­neh­mun­gen ver­fü­gen. Wer weiß, viel­leicht sind sie uns in man­chen Berei­chen sogar über­le­gen?” so die Apo­the­ke­rin. Mit der inten­si­ven Beschäf­ti­gung die­ses Apo­the­ker­gar­tens ent­deckt sie ver­schie­de­ne natur­heil­kund­li­che Aspek­te auch für ihre täg­li­che Arbeit wie­der. Oder sie setzt sich kri­tisch mit phi­lo­so­phi­schen Fra­gen aus­ein­an­der: Kann es sein, dass sich Pflan­zen für den Men­schen “opfern” – so wie Rudolf Stei­ner in sei­ner anthro­po­so­phi­schen Leh­re behaup­te­te? Oder besteht die Mög­lich­keit, dass Pflan­zen auf­grund ihrer empa­thi­schen Fähig­kei­ten kran­ken Men­schen anders hel­fen als gesun­den? “Auch glaub­ten Men­schen frü­her dar­an, dass wei­se, heil­kun­di­ge Men­schen nicht nur einen ande­ren Zugang zu Arz­nei­pflan­zen hat­ten. Son­dern die­se durch die Art der Pflan­zen­ern­te, der Trock­nung wie auch Ver­ab­rei­chung einen wesent­li­chen Ein­fluss auf die Hei­lung neh­men konn­ten”, so die Apo­the­ke­rin. “Der­ar­ti­ge Ein­flüs­se wer­den heu­te von der schul­me­di­zi­nisch arbei­ten­den Natur­wis­sen­schaft­lern abge­lehnt, doch es gibt auch moder­ne Men­schen, die dies für mög­lich halten”.

Für die Apo­the­ke­rin sind Pflan­zen mehr als nur Trä­ger von heil­sa­men Arz­nei­stof­fen. “Es sind Lebe­we­sen wie wir”, so die Apo­the­ke­rin. Der soge­nann­te grü­ne Dau­men, mit denen man­che Men­schen aus­ge­stat­tet sind, zeigt, dass auch Men­schen empa­thi­sche Fähig­kei­ten für Pflan­zen ent­wi­ckeln kön­nen. “Sol­che Men­schen erspü­ren genau, was Pflan­zen benö­ti­gen und ver­sor­gen die­se ent­spre­chend. Die Pflan­zen wie­der­um bedan­ken sich mit üppi­gem Wachs­tum oder beson­ders schö­nen Blü­ten”, so die Apo­the­ke­rin zum Abschied. Unter die­sem Licht betrach­tet sor­gen sich kun­di­ge Men­schen, um die­sen Apothekergarten.

Der Apo­the­ker­gar­ten ent­stand 1988 im Rah­men einer Lan­des­gar­ten­schau. Er wur­de gemein­sam mit dem Rosen­gar­ten im ehe­ma­li­gen Gar­ten­ge­län­de des mark­gräf­li­chen Schlos­ses ange­legt. Im Lau­fe der Jahr­zehn­te ver­wil­der­te der Apo­the­ker­gar­ten stark. Seit 2009 wird der Gar­ten in einem gemein­sa­men Pro­jekt wei­ter unter­hal­ten: Das Unter­neh­men Doc­Mor­ris finan­zier­te den Wie­der­auf­bau des Gar­tens. Die Stadt Ett­lin­gen über­nimmt die Pfle­ge. Der Apo­the­ker­gar­ten ist im Som­mer­halb­jahr täg­lich von 8.30 bis 18.30 geöff­net. Regel­mä­ßi­ge Füh­rung fin­den durch den Natur­heil­ver­ein Bad Her­ren­alb (Tel: 07083 51233) statt. Über die Apo­the­ke von Sibyl­le Braun kön­nen auch Fach­leu­te wie bei­spiels­wei­se PTAs Füh­run­gen erhal­ten. Nach­fra­gen bei: Doc­Mor­ris Apo­the­ke Ett­lin­gen: 07243 14099.


Ett­lin­gen liegt süd­lich von Karls­ru­he und hat eine lan­ge Stadt­ge­schich­te: Der Ort wur­de schon 788 als Edi­nin­gom schrift­lich in Urkun­den wegen sei­ner bedeut­sa­men ver­kehrs­tech­ni­schen Lage erwähnt. Auch ver­schie­de­ne kul­tur­his­to­ri­sche Bau­wer­ke wei­sen dar­auf hin. Die Innen­stadt Ett­lin­gens hat einen lie­be­voll restau­rier­ten Stadt­kern. Bemer­kens­wert sind unter ande­rem eini­ge baro­cke Bau­wer­ke, die auf Fran­zis­ka Sibyl­la Augus­ta von Sach­sen-Lau­en­burg zurück zu füh­ren sind – unter ande­rem auch das “Klös­ter­le” am Apo­the­ker­gar­ten. Wei­te­res: www.ettlingen.de

Autorin
• Mari­on Kaden, Heil­pflan­­zen-Welt (Juli 2011).

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