2005: Das Hahnemann- und Einstein-Jahr

Nein! Samu­el Hah­ne­mann ist aus wis­sen­schaft­li­cher Sicht nicht zum Albert Ein­stein der Medi­zin gewor­den. Trotz­dem haben die bei­den mehr gemein­sam als nur eini­ge bio­gra­phi­sche Daten (2005 = 250. Geburts­tag Hah­ne­manns, 50. Todes­jahr Ein­stein, 100. Geburts­tag der spe­zi­el­len Rela­ti­vi­täts­theo­rie): Bei­de ver­such­ten, mit gro­ßem Enga­ge­ment ihre jewei­li­gen Fach­ge­bie­te ange­sichts längst über­hol­ter Theo­rien zu “dyna­mi­sie­ren”, einen fri­schen Wind wehen zu las­sen. Bei­de erlit­ten tie­fe Brü­che in ihren Bio­gra­phien, sei es der sozio­öko­no­mi­schen Ver­hält­nis­se, sei es der Her­kunft wegen. Bei­de sind, ein­ge­bun­den in die Ent­wick­lun­gen ihres Faches, publi­kums­wirk­sa­me Impuls­ge­ber, die bis heu­te öffent­lich prä­sent sind. Typisch für bei­de ist auch das teil­wei­se bis völ­li­ge Unver­ständ­nis für ihr Werk beim Publi­kum – sinn­lee­re Schlag­wör­ter wie “Sanf­te Medi­zin” oder “E=mc2″ ver­mit­teln nichts von den tat­säch­li­chen Gege­ben­hei­ten. Doch auch die Unter­schie­de sind bemer­kens­wert: Trotz der von Hah­ne­mann ver­wen­de­ten wis­sen­schaft­li­chen Metho­dik, z. B. bei der stan­dar­di­sier­ten Arz­nei­mit­tel­prü­fung bei Gesun­den, die von der Schul­me­di­zin erst in der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts ein­ge­führt wur­de, gefähr­det die Homöo­pa­thie anhal­tend den Bestand der semi-natur­wis­sen­schaft­li­chen, in Wirk­lich­keit aber pri­mär empi­ri­schen Medi­zin. Zu groß sind wohl die theo­re­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen von Simi­le­prin­zip, Hoch­po­tenz-Wir­kung oder Mias­men-Leh­re bis heu­te. Ein­steins Werk hin­ge­gen ist umfäng­lich und nach­hal­tig zum Motor neu­er Ent­wick­lun­gen in Theo­rie und Pra­xis von Phy­sik, Astro­phy­sik oder Astro­no­mie gewor­den. Als gro­be Ori­en­tie­rung zu Leben und Werk von Hah­ne­mann und Ein­stein prä­sen­tiert Heilpflanzen-Welt.de zu Beginn des kom­bi­nier­ten Hah­ne­mann- und Ein­stein-Jah­res 2005 eini­ge bio­gra­phi­schen Daten der bei­den berühm­ten Deutschen.

Samuel Hahnemann

aus: Mar­cel Mar­ti­ny: Geschich­te der Homöo­pa­thie. In: Illus­trier­te Geschich­te der Medi­zin. Hrsg.: Richard Toell­ner. Andre­as & Andre­as, 1986 (bei Ama­zon bestel­len).

Samu­el Hahnemann

Samu­el Hah­ne­mann … wur­de am 10. April 1755 in Mei­ßen an der Elbe, nörd­lich von Dres­den, gebo­ren. Sein Vater war Maler in der Por­zel­lan­ma­nu­fak­tur. Er erreich­te für sei­nen Sohn eine Frei­stel­le an der Fürs­ten­schu­le von St.-Afra. Inmit­ten der Jun­kers­kin­der, die mehr ihren Kör­per als ihren Geist pfleg­ten, lern­te der jun­ge Samu­el, der sowohl arm an Geld als auch an Mus­keln war, schon bald eine Ungleich­heit ken­nen, die jedoch kei­ne Min­der­wer­tig­keit war. Sei­ne orga­ni­sche und geis­ti­ge Fein­heit lie­ßen ihn zur Über­zeu­gung gelan­gen, daß er einer rea­le­ren Éli­te ange­hör­te, näm­lich jener der Geist-Arbei­ter. Nach vor­züg­li­chem Abschluss sei­ner Stu­di­en erreich­te er von sei­nem Vater die Erlaub­nis, Arzt zu wer­den. Er war ent­schlos­sen, an der Uni­ver­si­tät von Leip­zig zu stu­die­ren. Bevor er die Schu­le ver­ließ, muss­te er, wie es Sit­te war, eine latei­ni­sche Abhand­lung vor­le­gen: als The­ma wähl­te er Über die mensch­li­che Hand. Wie R. Lar­nau­die, einer sei­ner bes­ten Bio­gra­phen, berich­tet, hat­te Hah­ne­mann die geis­ti­ge Bedeu­tung der Hand erahnt, die End­punkt und Syn­the­se des Kör­pers, Ver­län­ge­rung und Über­mitt­ler des Gedan­kens zur Hand­lung ist.

Hah­ne­mann war ein armer Stu­dent und arbei­te­te in Leip­zig voll Aus­dau­er Tag und Nacht, er führ­te ein ent­halt­sa­mes und stren­ges Leben, ohne sich eine Zer­streu­ung zu geneh­mi­gen. Nach Been­di­gung des Stu­di­ums ging er nach Wien, um sich dort wei­ter­zu­bil­den. Er hat­te das gro­ße Glück, Haus­arzt des Statt­hal­ters von Sie­ben­bür­gen zu wer­den. Eini­ge Mona­te leb­te er untä­tig, im Über­fluss und im Ver­gnü­gen. Wäh­rend die­ser unbe­schwer­ten Zeit sei­ner Exis­tenz ließ er sich als Frei­mau­rer in die Wie­ner Loge der Drei Lotus­se auf­neh­men. Es dau­er­te jedoch nicht lan­ge, bis die Reak­ti­on kam; er ver­ließ sei­nen Prin­zen, gab die Logen­tracht zurück und beschloss, ein ech­ter Arzt zu wer­den. An der Uni­ver­si­tät von Erlan­gen reich­te er sei­ne Dok­tor­ar­beit ein über ein The­ma, das unbe­wusst sei­ne spä­te­ren For­schun­gen beein­flus­sen soll­te, über die Erreg­bar­keit, den Krampf und die Sen­si­bi­li­tät des Orga­nis­mus mit dem Titel:

Con­spec­tus adfec­tu­um spas­mod­icorum aetio­lo­gi­cus et therapeuticus.

Im Alter von sechs­und­zwan­zig Jah­ren hei­ra­te­te er die Stief­toch­ter eines Apo­the­kers von Des­sau; er hat­te jedoch kein Ver­lan­gen, sich in die­ser Klein­stadt anzu­sie­deln. Er ließ sich in der Gegend von Gom­mern nie­der und führ­te das har­te Leben eines Land­arz­tes. Nach eini­ger Zeit beschloss er, in einer gro­ßen Stadt zu prak­ti­zie­ren und zog nach Dres­den und gelang­te dort ziem­lich rasch zu all­ge­mei­ner Bekannt­heit. Er begeg­ne­te Lavoi­sier, der in Dres­den einen Vor­trag über Phlo­gis­ton hielt. Vom Auf­tre­ten die­ses ratio­na­len wis­sen­schaft­li­chen Mate­ria­lis­mus bei der Unter­su­chung der Phä­no­me­ne des Lebens war er sehr beun­ru­higt und ein­ge­nom­men. Völ­lig von sei­nen For­schun­gen bean­sprucht, ver­ließ er mit sei­ner Frau und sei­nen drei Kin­dern Dres­den und zog nach Leip­zig, der ein­zi­gen Uni­ver­si­täts­stadt in Sach­sen, in der Medi­zin gelehrt wurde.

Schon 1786 hat­te er eine klei­ne Schrift über Arsen­ver­gif­tung, die Mit­tel zu ihrer Hei­lung und jene zu ihrer gericht­li­chen Fest­stel­lung ver­öf­fent­licht. 1787 erschien die Abhand­lung über die Vor­ur­tei­le gegen die Stein­koh­len­feue­rung. 1789 brach­te er den Unter­richt für Wund­ärz­te über die vene­ri­schen Krank­hei­ten und die Indi­ka­ti­on eines neu­en Queck­sil­ber­prä­pa­ra­tes her­aus. Zur sel­ben Zeit publi­zier­te er in den Anna­len von Crell meh­re­re bemer­kens­wer­te Arbei­ten; unter ande­rem führ­te er Mit­tel zur Über­win­dung von Schwie­rig­kei­ten bei der Her­stel­lung von Mine­ral­lau­gen­salz durch Pott­asche und Koch­salz an. Er unter­such­te den Ein­fluss gewis­ser Gase auf die Wein­gä­rung; er ver­öf­fent­lich­te che­mi­sche Unter­su­chun­gen über die Gal­le und Gal­len­stei­ne. Er begann eine gan­ze Rei­he von Arbei­ten über die Mög­lich­kei­ten, dem Spei­chel­fluss und den ver­hee­ren­den Aus­wir­kun­gen der Queck­sil­ber­ver­gif­tung vorzubeugen.

1791 wur­de er zum Mit­glied der Öko­no­mi­schen Gesell­schaft von Leip­zig und der Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten von Mainz beru­fen. Nach einem sie­ben­jäh­ri­gen Auf­ent­halt in Dres­den kam er nach Leip­zig zurück, dem Schau­platz sei­ner ers­ten mühe­vol­len, oft nächt­li­chen Stu­di­en. Aber dies­mal geht ihm der gute Ruf vor­aus, den ihm sei­ne Arbei­ten, sei­ne Erfol­ge, sei­ne wis­sen­schaft­li­che Aner­ken­nung und eini­ge mäch­ti­ge Freund­schaf­ten ein­ge­bracht haben. In die­sem Lebens­ab­schnitt erlebt er eine schwe­re Bewusstseinskrise.

Sein War­te­raum war voll mit Pati­en­ten; er öff­ne­te die Türe sei­ner Pra­xis, trat her­aus und rief: “Mei­ne Freun­de, Sie kön­nen wie­der gehen. Ich bin nicht in der Lage, Sie von Ihren Krank­hei­ten und Ihren Schmer­zen zu befrei­en; ich kann Ihnen nicht Ihr Geld steh­len.” Die­ser Satz wur­de stadt­be­kannt, zum gro­ßen Ärger­nis, wie man sich den­ken kann, von Frau Hah­ne­mann, die durch das Über­maß an Skru­pel ihres Ehe­gat­ten dazu ver­ur­teilt war, mit ihren Kin­dern in völ­li­ger Not zu leben. Hah­ne­mann arbei­te­te wie­der als Abschrei­ber und Über­set­zer. Er ver­brach­te sei­ne Zeit mit die­ser schlecht bezahl­ten mate­ri­el­len Beschäf­ti­gung und sei­nen che­mi­schen Unter­su­chun­gen, zu denen er sich von Tag zu Tag mehr hin­ge­zo­gen fühl­te. Er muss­te eine zahl­rei­che Fami­lie ver­sor­gen (sei­ne Frau hat­te ihm elf Kin­der geschenkt); sei­ne mora­li­sche Kri­se hat­te ihm unge­heu­re mate­ri­el­le Sor­gen ver­ur­sacht. So leb­te er von der Hand in den Mund und lud sich und jenen, die ihm am liebs­ten waren, bedeu­ten­de Ent­beh­run­gen auf. Jene, die sein Schick­sal teil­ten, hal­fen ihm nicht, sei­ne Last zu tra­gen. Sei­ne Gat­tin konn­te sei­ne Zwei­fel nicht ver­ste­hen; lan­ge Zeit plag­te sie ihn mit Beschwer­den, ver­folg­te ihn mit Vor­wür­fen und leg­te ihm alle mög­li­chen Hin­der­nis­se in den Weg. All die­sen Prü­fun­gen stell­te er sei­ne Geduld ent­ge­gen und such­te nur in den Arbei­ten und For­schun­gen Trost. 1792 publi­zier­te er in Frank­furt das ers­te Heft eines Wer­kes mit dem Titel Freund der Gesund­heit und im dar­auf­fol­gen­den Jahr den ers­ten Teil eines Apo­the­ker­le­xi­kons. Zur glei­chen Zeit gab er die wah­re Zube­rei­tung des Cas­se­ler Gelbs an, das sooft in den Küns­ten ver­wen­det wird und des­sen Zusam­men­set­zung bis dahin geheim­ge­hal­ten wor­den war. Sei­ne Kin­der wur­den von schwe­ren Krank­hei­ten befal­len. Nun erreich­ten sei­ne Zwei­fel, sei­ne Beden­ken den Höhe­punkt. Der Vater zit­ter­te für das Leben der Sei­nen; der Arzt hat­te kein Ver­trau­en zu den Mit­teln der Medi­zin. Wäre es denn mög­lich, frag­te sich Hah­ne­mann, daß die Vor­se­hung den Men­schen, sei­ne Schöp­fung, ein­fach im Stich gelas­sen hat ohne eine wirk­li­che Hil­fe gegen die Viel­zahl von Gebre­chen, die ihn stän­dig bela­gern? War­um, so frag­te er sich, hat man nicht schon seit zwan­zig Jahr­hun­der­ten, seit es Men­schen gibt, die sich Ärz­te nen­nen, ein beson­de­res Mit­tel für jeden Krank­heits­fall gefun­den? Wahr­schein­lich des­halb, weil es uns zu nahe liegt und zu ein­fach ist, denn man braucht dazu weder bril­lan­te Trug­schlüs­se noch ver­lo­cken­de Hypo­the­sen. So begann er dar­über nach­zu­den­ken, wie Medi­ka­men­te auf den mensch­li­chen Kör­per wir­ken, wenn die­ser schein­bar bei bes­ter Gesund­heit ist. Die Ver­än­de­run­gen, wel­che sie her­vor­ru­fen, kön­nen nicht nutz­los sein, sie müs­sen sicher­lich etwas bedeu­ten; wenn nicht, war­um wür­den sie dann statt­fin­den? Er frag­te sich, ob Medi­ka­men­ten­ver­gif­tun­gen nicht die ein­zi­gen Aus­drucks­mög­lich­kei­ten sei­en, durch wel­che Heil­mit­tel dem Beob­ach­ter den Zweck ihres Vor­han­den­seins ver­mit­teln könnten.

Die­ser ein­fa­che, aber tie­fe Gedan­ke ver­an­ker­te sich immer tie­fer in sei­nem Bewusst­sein. Als er eines Tages die Mate­ria medi­ca von Cul­len über­setz­te und von der Chi­na­rin­de las, war er von den viel­fäl­ti­gen und wider­sprüch­li­chen Hypo­the­sen über­rascht, die zur Erklä­rung ihrer Wir­kung auf­ge­stellt wur­den. Er ent­schloss sich, durch sich und an sich selbst die Eigen­schaf­ten die­ser für die Hei­lung zahl­rei­cher Krank­hei­ten so wert­vol­len Kraft zu ergrün­den. Zu die­sem Zweck nahm er etli­che Tage hin­durch star­ke Dosen von Chi­na­rin­de ein und spür­te schon bald die Sym­pto­me eines Wechselfiebers.

Hah­ne­mann reagier­te wahr­schein­lich beson­ders emp­find­lich auf die Chi­na­rin­de. Die­sem glück­li­chen Zufall ver­dan­ken wir das Ent­ste­hen der Homöo­pa­thie. Eben­so wie New­ton, als er den Apfel zu Boden fal­len sah, eine genia­le Ver­bin­dung her­stell­te: die Chi­na­rin­de ver­ur­sacht das­sel­be Lei­den wie jenes, das sie heilt. Die­ser Ver­such, den er wie­der­holt an sich selbst erprob­te, erschien ihm beweis­kräf­tig. Aber war das ein Ein­zel­fall? Hah­ne­mann begann nun an sich selbst und an eini­gen erge­be­nen Per­so­nen mit Queck­sil­ber, der Toll­kir­sche, dem Fin­ger­hut und Kockel­skör­nern zu expe­ri­men­tie­ren. Die­se Vor­gangs­wei­se nann­te er Patho­ge­ne­se. Über­all glaub­te er eine ein­zi­ge glei­che Ant­wort zu erhal­ten. So hat­te er kei­nen Zwei­fel mehr. Ein gro­ßes the­ra­peu­ti­sches Gesetz war gefun­den, und somit konn­te die Wis­sen­schaft auf einer fes­ten Basis auf­bau­en; seit­her besitzt die­se Kunst einen siche­ren Füh­rer. Die natür­li­che und ech­te Bezie­hung, die das Medi­ka­ment untrenn­bar mit der Krank­heit ver­bin­det und umge­kehrt, war ent­deckt. Hah­ne­mann war auf den Spu­ren von Para­cel­sus, ohne sich viel­leicht je ein­ge­hend mit ihm beschäf­tigt zu haben. Er gab dem simi­lia simi­li­bus eine all­ge­mei­ne Bedeu­tung. Damals führ­te Hah­ne­mann zwei “Dia­the­sen” (Krank­heits­an­la­gen) ein, die Syko­sis und die Pso­ra. Die Syko­sis ent­stand sei­ner Mei­nung nach durch Infek­ti­ons­rück­stän­de, vor allem von Geschlechts­krank­hei­ten. Spä­ter stell­ten sich die Homöo­pa­then gegen die Pocken­imp­fung und danach gegen alle Impf­stof­fe. Das Heil­mit­tel gegen Syko­sis war die Thu­ja. Ihre Dar­stel­lung ent­spricht ihrer Patho­ge­ne­se. Sie befällt vor­zugs­wei­se die Haut, die Schleim­häu­te und das Ner­ven­sys­tem. Die Homöo­pa­then sehen in einer fet­ten war­zen­ar­ti­gen Haut und einer Fett­lei­big­keit vor allem um die Hüf­ten eine krank­haf­te Ver­an­la­gung dazu.

Die Pso­ra ist ein umfas­sen­des Gebiet, in dem, wie Max Tetau es for­mu­liert, alles zusam­men­ge­schlos­sen wird, was nicht zur Syko­sis zählt. Hier fin­det man nicht nur die Krät­ze, son­dern von ihr unab­hän­gig eine Gesamt­heit von Krank­hei­ten, die durch eine her­vor­ste­chen­de Eigen­art der Haut und durch krank­haf­tes Hin- und Her­schwan­ken gekenn­zeich­net ist, das manch­mal das Kno­chen- und Gelenk­sys­tem, manch­mal ver­schie­de­ne inne­re Orga­ne befällt.

Zur sel­ben Zeit spre­chen die All­o­pa­then vom Arthri­tis­mus. Spä­ter soll­ten auch die Begrif­fe Tuber­ku­li­nis­mus und Can­cer­inis­mus geschaf­fen werden.

Im Lau­fe der gan­zen Geschich­te der Medi­zin trifft man immer wie­der auf die­se Ver­men­gung von wirk­li­chen Beob­ach­tun­gen und mehr oder weni­ger kon­trol­lier­ba­ren Hypo­the­sen. Wel­ches Schick­sal war die­sen Theo­rien, die von da an in die The­ra­pie auf­ge­stellt wur­den, beschie­den, wie sah ihre Zukunft aus?

Hah­ne­mann muss­te sich mit tau­sen­der­lei Quä­le­rei­en abfin­den, die immer müh­se­li­ger zu ertra­gen waren. Fami­liä­re Sor­gen, der völ­li­ge Bruch der Ver­bin­dun­gen zu sei­nen Arzt­kol­le­gen, von denen ihm eini­ge teu­er waren, und nied­ri­ge Ver­leum­dun­gen ver­setz­ten sei­ner Fein­füh­lig­keit und sei­nem Gewis­sen har­te Schlä­ge. Das alles ließ ihn an sich selbst und an sei­ner Ent­de­ckung zwei­feln. Selbst die Apo­the­ker scheu­ten sich nicht, die Schutz­ge­set­ze ihres Berufs­stan­des gegen ihn einzusetzen.

Hah­ne­mann hat­te es sich zur Regel gemacht, nur von ihm selbst zube­rei­te­te Medi­ka­men­te zu ver­schrei­ben. Die Miss­gunst, der er bei jedem sei­ner Schrit­te begeg­ne­te, ver­an­lass­te ihn dazu, jeder frem­den Hil­fe zu miss­trau­en. Wel­cher Apo­the­ker hät­te guten Glau­bens und treu jene Medi­ka­men­te her­stel­len kön­nen, wol­len oder dies ver­stan­den, die völ­lig von allem, was er gelernt hat­te, abwi­chen? Die ale­man­ni­sche Gesetz­ge­bung ver­bot jedoch den Ärz­ten, selbst Medi­ka­men­te aus­zu­ge­ben, auch wenn sie nichts dafür ver­lang­ten. Hah­ne­mann wider­setz­te sich den gesetz­li­chen Vor­schrif­ten. Die Apo­the­ker, die von eifer­süch­ti­gen oder von sei­nem Schar­la­ta­nis­mus ernst­haft über­zeug­ten Ärz­ten unter­stützt wur­den, ver­folg­ten ihn mit dem Gesetz­buch in der Hand von Geor­gen­thal, wo er zum ersten­mal Homöo­pa­thie anwand­te, bis Braun­schweig, von Königs­lut­ter bis Ham­burg und von Eilen­burg bis Tor­gau. So war er bis 1811 Land­fah­rer­arzt; schließ­lich kam er zum drit­ten­mal nach Leip­zig, wo er bis 1820 in einem Kli­ma weit grö­ße­rer Tole­ranz unter­rich­te­te und praktizierte.

Im Lau­fe die­ser Land­stra­ßen­jah­re, die ihm durch die gemein­sa­me Feind­schaft der Ärz­te und Apo­the­ker auf­ge­zwun­gen wor­den waren, fuhr Hah­ne­mann ohne Unter­bre­chung mit sei­nen Unter­su­chun­gen über die hei­len­den Eigen­schaf­ten von Heil­mit­teln fort. 1805 fass­te er in zwei klei­nen Bän­den sei­ne gesam­ten medi­zi­ni­schen Ent­de­ckun­gen zusam­men und ver­öf­fent­lich­te sie unter dem Titel Frag­men­ta de viri­bus medi­ca­men­torum posi­ti­vis, sive in sano cor­po­re obser­va­tis. 1810 gab er die ers­te Auf­la­ge des Orga­non der Heil­kunst her­aus, in dem er metho­disch in einer gro­ßen Zusam­men­fas­sung der Leh­re die ein­zel­nen ent­deck­ten Grund­sät­ze dar­legt. Seit dem Erschei­nen des Orga­non war kaum ein Jahr ver­gan­gen, als er das schwie­rigs­te und wich­tigs­te sei­ner Wer­ke in Angriff nahm, sei­ne Rei­ne Arz­nei­mit­tel­leh­re (Mate­ria medi­ca). 1811 erschien der ers­te Band; der sechs­te und letz­te kam erst 1821 her­aus. Die Qua­li­tät sei­ner Arbei­ten hat­te jedoch die gegen ihn gerich­te­ten lei­den­schaft­li­chen Ver­fol­gun­gen nicht ent­waff­net. Schließ­lich wur­de er der täg­li­chen klein­her­zi­gen Angrif­fe müde und nahm 1820 die von Her­zog Fer­di­nand ange­bo­te­ne Zuflucht­stät­te in Anhalt-Köthen an. Die hohe und mäch­ti­ge Pro­tek­ti­on garan­tier­te ihm zumin­dest die Frei­heit zu arbei­ten und sei­ne Kunst aus­zu­üben. Hin­ge­gen war sie natür­lich macht­los gegen­über Belei­di­gun­gen. Die Gro­ßen die­ser Welt haben eine Vor­lie­be für Zau­be­rer. Hah­ne­mann muss­te nun nicht mehr gegen die Intri­gen der Ärz­te und die Geset­zes­an­ru­fun­gen kämp­fen: er muss­te sich gegen die Erbit­te­rung des Pöbels ver­tei­di­gen. Er und die Sei­nen konn­ten die Schwel­le des Hau­ses nicht mehr über­tre­ten, ohne die belei­di­gen­den Spöt­te­lei­en und den vul­gärs­ten Flü­chen aus­ge­setzt zu sein. Es ging sogar soweit, daß sein Haus besetzt und die Fens­ter mit Stei­nen ein­ge­schla­gen wur­den. Die Behör­den waren gezwun­gen ein­zu­grei­fen. Die­se Ereig­nis­se mach­ten ihn so trau­rig, daß er beschloss, sein Haus nicht mehr zu ver­las­sen; wäh­rend der fünf­zehn Jah­re, die er in Köthen leb­te, zeig­te er sich nur sehr sel­ten in der Öffent­lich­keit. Es blieb ihm jedoch in sei­nem Ein­sied­ler­da­sein eine tie­fe Freu­de: er wur­de gele­sen. Vom Orga­non erschien 1819 und von der Rei­nen Arz­nei­mit­tel­leh­re 1823 eine zwei­te Auflage.

Woher kam der Eifer, die Wer­ke eines Man­nes zu lesen, der von der Kri­tik beden­ken­los mit Bei­na­men wie Phan­tast, ein­ge­bil­de­ter Beses­se­ner und manch­mal sogar Schar­la­tan zer­schmet­tert wur­de? Dies ist wahr­schein­lich von allen merk­wür­di­gen Ereig­nis­sen im Leben Hah­ne­manns das uner­klär­lichs­te. In dem kur­zen Zeit­ab­schnitt von vier­und­zwan­zig Jah­ren (1810–1834) erschie­nen vom Orga­non fünf Auf­la­gen in deut­scher Spra­che; es war in alle euro­päi­sche Spra­chen über­setzt wor­den. Frank­reich kann­te zu Leb­zei­ten des Ver­fas­sers vier Auf­la­gen die­ses Wer­kes. Die Rei­ne Arz­nei­mit­tel­leh­re und Die chro­ni­schen Krank­hei­ten erleb­ten in einer noch kür­ze­ren Zeit zwei Auflagen.

1830 starb Hen­ri­et­te Hah­ne­mann, geb. Kuch­ler. Aber schon lan­ge vor­her waren Ruhe, Ruhm und Wohl­stand auf die lan­gen kum­mer­vol­len Jah­re gefolgt, die das Leben Hah­ne­manns so unru­hig gemacht hat­ten. Die zahl­rei­chen Hei­lun­gen, die er bewirkt hat­te, die Ach­tung, die ihm von bedeu­ten­den Män­nern aus allen Län­dern gezollt wur­de, die in sei­ner Behand­lung Hil­fe gesucht hat­ten, konn­ten dem gro­ßen Medi­zi­ner eine glück­li­che Ent­schä­di­gung für alle erlit­te­nen Unge­rech­tig­kei­ten bieten.

Am 18. Janu­ar 1835, im Alter von neun­und­sieb­zig Jah­ren, hei­ra­te­te er in zwei­ter Ehe Fräu­lein Méla­nie d’Her­vil­ly, eine Fran­zö­sin, die zu ihm zur Behand­lung nach Köthen gekom­men war. Er ent­schloss sich, Deutsch­land zu ver­las­sen und nach Paris zu über­sie­deln, wo sei­ne Leh­re lang­sam bekannt wur­de. Am 21. Juni 1835 kam Hah­ne­mann in Paris an. Hier prak­ti­zier­te und heil­te er mit unbe­streit­ba­rem Erfolg als homöo­pa­thi­scher Mode­arzt, und sein Ruhm wuchs stän­dig an. Trotz sei­nes hohen Alters blieb ihm bis zu sei­nen letz­ten Tagen sei­ne geis­ti­ge Wil­lens­kraft, eine ein­zig­ar­ti­ge Akti­vi­tät und eine robus­te Gesund­heit erhal­ten, die es ihm erlaub­te, sich jeden Tag bestän­dig sei­ner Arbeit zu wid­men. Gegen Ende des Win­ters 1843 begann sein Gesund­heits­zu­stand schwä­cher zu wer­den. Er starb am 2. Juli des­sel­ben Jah­res mit der Gewiss­heit, daß sein Lebens­werk wei­ter­ge­führt und ver­voll­komm­net werde.

Albert Einstein

aus: Lexi­kon der Natur­wis­sen­schaft­ler. Red.: Rolf Sau­er­most, Hei­del­berg: Spek­trum Aka­de­mi­scher Ver­lag, 2000 (bei Ama­zon bestel­len).

Albert Ein­stein

Ein­stein, Albert, deutsch-schwei­ze­risch-ame­ri­ka­ni­scher Phy­si­ker, *14.3.1879 Ulm, † 18.4.1955 Prince­ton (N.J., USA); einer der bedeu­tends­ten theo­re­ti­schen Phy­si­ker und eines der größ­ten wis­sen­schaft­li­chen Genies aller Zei­ten; besuch­te in Mün­chen das Gym­na­si­um, sie­del­te 1894 in die Schweiz über und mach­te in Aar­au das Abitur; stu­dier­te an der Eid­ge­nös­si­schen TH in Zürich Mathe­ma­tik und Phy­sik (Stu­di­en­ab­schluss 1900), erhielt 1901 die schwei­ze­ri­sche Staatsbürgerschaft;

1902-09 Mit­ar­bei­ter am schwei­ze­ri­schen Patent­amt in Zürich,

1905 Dok­tor der Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Zürich, erhielt

1908 die Lehr­be­fug­nis für theo­re­ti­sche Phy­sik an der Uni­ver­si­tät Bern und

1909 einen Lehr­stuhl an der TU Zürich,

1911-12 Pro­fes­sor an der deut­schen Uni­ver­si­tät in Prag, danach wie­der in Zürich;

1914 zum ordent­li­chen Mit­glied der Preu­ßi­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten gewählt, über­sie­del­te 1914 nach Berlin,

1914–34 Direk­tor des Kai­ser-Wil­helm-Insti­tuts für Phy­sik in Ber­lin. Nach Hit­lers Macht­über­nah­me kehr­te Ein­stein, der jüdi­scher Her­kunft war, von Lehr­ver­an­stal­tun­gen in den USA nicht mehr nach Deutsch­land zurück und leg­te sei­ne Ämter am Kai­ser-Wil­helm-Insti­tut und an der Preu­ßi­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten nieder;

1933 erhielt er eine Pro­fes­sur am Insti­tu­te for Advan­ced Stu­dy in Prince­ton und wurde

1940 ame­ri­ka­ni­scher Staats­bür­ger (Deutsch­land hat­te ihm 1934 das Bür­ger­recht entzogen).

Ein­stein ent­fal­te­te, nament­lich 1905 bis Ende des Ers­ten Welt­kriegs, eine viel­sei­ti­ge For­scher­tä­tig­keit, die ihn als einen der bedeu­tends­ten Phy­si­ker des 20. Jahr­hun­derts kennzeichnet.

1905 ver­öf­fent­lich­te er die spe­zi­el­le Rela­ti­vi­täts­theo­rie, die von zwei Grund­an­nah­men aus­geht (spe­zi­el­les Rela­ti­vi­täts­prin­zip, dar­ge­stellt in “Zur Elek­tro­dy­na­mik beweg­ter Kör­per”): von der Kon­stanz der Licht­ge­schwin­dig­keit sowie von der Lorentz-Trans­for­ma­ti­on, die Bewe­gungs­glei­chun­gen für raum­fes­te Bezugs­sys­te­me angibt (danach sind die phy­si­ka­li­schen Geset­ze in allen gleich­för­mig und gerad­li­nig zuein­an­der beweg­ten Koor­di­na­ten­sys­te­men gleich).

Auf der Basis die­ser Annah­men fol­ger­te Ein­stein, daß es eine Zeit­di­la­ta­ti­on, eine Län­gen­kon­trak­ti­on des vier­di­men­sio­na­len Rau­mes und eine Äqui­va­lenz von Mas­se und Ener­gie (1907; Ein­stein-Glei­chung) gebe; dies hat­te grund­le­gen­de Neu­ori­en­tie­run­gen in Phy­sik und Astro­no­mie zur Folge.

1916 ver­öf­fent­lich­te er die all­ge­mei­ne Rela­ti­vi­täts­theo­rie, in der er unter ande­rem das empi­ri­sche Äqui­va­lenz­prin­zip der Gleich­heit von schwe­rer und trä­ger Mas­se sowie neue Feld­glei­chun­gen der Gra­vi­ta­ti­on for­mu­lier­te und dar­leg­te, daß die Raum­geo­me­trie durch die Mate­rie bestimmt wird (Mach­sches Prin­zip); dar­aus folg­ten das Pos­tu­lat einer Raum­krüm­mung in der Nähe gro­ßer Mas­sen (z.B. der Son­ne) und die Vor­her­sa­ge der Ablen­kung des Stern­lichts bei des­sen Pas­sa­ge in der Nähe des Son­nen­rands; die­ser Effekt wur­de von A.S. Edding­ton 1919 bei der Beob­ach­tung einer Son­nen­fins­ter­nis bestätigt;

1917 begrün­de­te Ein­stein die rela­ti­vis­ti­sche Kos­mo­lo­gie, die Leh­re vom unbe­grenz­ten, aber räum­lich end­li­chen Weltall.

Ande­re wich­ti­ge Unter­su­chun­gen betref­fen ins­be­son­de­re die Theo­rie der Brown­schen Mole­ku­lar­be­we­gung (1905; Ein­stein-Rela­ti­on), die Quan­ten­theo­rie (1905 Licht­quan­ten­hy­po­the­se, 1907 Theo­rie des licht­elek­tri­schen Effekts und der spe­zi­fi­schen Wär­me der Fest­kör­per, 1912 Her­lei­tung des pho­to­che­mi­schen Quan­ten­äqui­valent­ge­set­zes [Ein­stein­sches Äqui­valent­ge­setz, Stark-Ein­stein-Prin­zip]), den Ein­stein-de-Haas- Effekt (1915), die Bose-Ein­stein- Kon­den­sa­ti­on und Bose-Ein­stein-Sta­tis­tik (1924/​25).

1921 erhielt Ein­stein den Nobel­preis für Phy­sik – bemer­kens­wer­ter­wei­se nicht für die Ent­wick­lung der Rela­ti­vi­täts­theo­rie, son­dern für sei­ne Bei­trä­ge zur Quan­ten­theo­rie, ins­be­son­de­re die quan­ten­theo­re­ti­schen Arbei­ten zum Pho­to­ef­fekt. In Prince­ton ver­such­te Ein­stein, eine ver­ein­heit­lich­te Feld­theo­rie der Gra­vi­ta­ti­on und des Elek­tro­ma­gne­tis­mus zu ent­wi­ckeln; er ver­öf­fent­lich­te 1953 eine sol­che Theo­rie mit vier Grund­glei­chun­gen, die bis heu­te ein Haupt­the­ma der Quan­ten­phy­sik sind.

Vor und wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs setz­te er sich für Frie­dens­be­mü­hun­gen ein, wies aber den ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten Roo­se­velt (zusam­men mit E. Fer­mi und N.H.D. Bohr) auch auf die Mög­lich­keit zur Her­stel­lung einer Atom­bom­be hin.

Nach Ein­stein sind fer­ner benannt das künst­li­che radio­ak­ti­ve Ele­ment aus der Rei­he der Acti­no­ide mit der Ord­nungs­zahl 99 (Ein­stei­ni­um), der Ein­stein-Kos­mos (“Zylin­der­welt”) und Ein­stein-Ring, das Ein­stein- Obser­va­to­ri­um (ab 1979 – anläß­lich des 100. Geburts­tags von Ein­stein – Bezeich­nung des ame­ri­ka­ni­schen Rönt­gen­sa­tel­li­ten HEAO‑2) und der Ein­stein- Turm (Bezeich­nung des 1920–21 erbau­ten Son­nen­turms des Zen­tral­in­sti­tuts für Astro­phy­sik in Potsdam-Babelsberg).

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