Sind Naturheilverfahren Maßnahmen des ‘Anti-Aging’?

Der Begriff ‘Anti-Aging’ (in etwa: ‘Alles gegen das Altern’) ist sehr gebräuch­lich. Wir fin­den ihn sowohl in Fach­blät­tern für Ärz­te – dort wer­den die medi­zi­ni­schen Aspek­te des Alterns abge­han­delt – als auch in der Regen­bo­gen­pres­se. Beson­ders bei letz­te­rer ist ‘Anti-Aging’ ein äußerst belieb­tes The­ma gewor­den. War­um? Es eig­net sich her­vor­ra­gend um Wer­bung für Kos­me­ti­ka, Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel, Hor­mon- oder Vit­amin­prä­pa­ra­te zu trei­ben. Wir sehen also, die Ziel­set­zun­gen – medi­zi­nisch oder kon­sum­ori­en­tiert – kön­nen aus­ge­spro­chen unter­schied­lich sein.

Menschen werden älter aber nicht gesünder

Fakt ist: Unse­re Bevöl­ke­rung wird immer älter. Die durch­schnitt­li­che Lebens­er­war­tung eines neu­ge­bo­re­nen Jun­gen liegt heu­te bei 75 Jah­ren, die eines Mäd­chens bei 81 Jah­ren. Mit dem ‘Älter wer­den’ ist jedoch oft kein Leben in Gesund­heit ver­bun­den, son­dern in vie­len Fäl­len eine Ver­län­ge­rung des Krank­seins. Damit ent­ste­hen immer höhe­re Kos­ten, die von der All­ge­mein­heit getra­gen wer­den müs­sen. Schon heu­te sind bei den 70- bis 75-Jäh­ri­gen fünf Pro­zent pfle­ge­be­dürf­tig. Bei den bis 80-Jäh­ri­gen sind es bereits zehn Pro­zent und bei den 80 bis 85-Jäh­ri­gen zwan­zig Pro­zent. Das heißt, schon jetzt haben wir hohe Kos­ten, die zukünf­tig wegen der wach­sen­den Anzahl von Senio­ren noch wei­ter anstei­gen. Die­se Kos­ten müs­sen von dem Sozi­al­ver­si­che­rungs­sys­tem auf­ge­fan­gen wer­den. Wir soll­ten schnell umden­ken und ent­spre­chend han­deln, wenn wir die­ses gro­ße Pro­blem der nächs­ten Jahr­zehn­te bewäl­ti­gen wol­len. Vor allem wer­den Gesund­heits­pro­gram­me benö­tigt, die dem stän­dig wach­sen­den Anteil der älte­ren Bevöl­ke­rung Rech­nung tra­gen. Und zur Bewäl­ti­gung des Ger­ia­trie-Pro­blems gehört, sich mit ‘Anti-Aging’ als einer vor­beu­gen­den Maß­nah­me zu beschäftigen.

Maßnahmen für und nicht gegen das Altern!

Unter dem Begriff ‘Anti-Aging’ ver­ste­hen wir im All­ge­mei­nen Maß­nah­men gegen das Altern. ‘Anti-Aging’ klingt zwar, als gin­ge es dabei um star­ke Gegen-Maß­nah­men. Dies ist jedoch nicht so – viel­mehr kommt es dar­auf an, Mit-Maß­nah­men zu ent­wi­ckeln! Damit mei­ne ich, dass wir uns um die Erhal­tung der kör­per­li­chen, see­li­schen und men­ta­len Leis­tungs­fä­hig­keit im Ver­lauf des lang­sa­men Alte­rungs-Pro­zes­ses wid­men. Zum ‘Anti-Aging’ gehö­ren also:

  • Ver­min­de­rung der Alters­er­kran­kun­gen in den gewon­ne­nen Lebensjahren
  • Ver­hü­tung von alters­be­ding­ten Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen (Arte­rio­skle­ro­se, Herz­in­farkt, Schlaganfall)
  • Blut­hoch­druck (Hyper­to­nie) sowie
  • Kno­chen­schwund (Osteo­po­ro­se) und deren Folgeerkrankungen
  • Ver­mei­dung ande­rer Erkran­kun­gen wie Krebs, Alters-Dia­be­tes, Arthri­tis, Arthro­se und nicht zuletzt Alters-Demenz

Altern: Was ist das?

Wesent­lich und ent­schei­dend ist Vor­beu­gung. Das heißt, ‘Anti-Aging’ ist umso wirk­sa­mer, je frü­her mit so genann­ten prä­ven­ti­ven Maß­nah­men in der Medi­zin begon­nen wird. Ich möch­te an die­ser Stel­le zunächst mei­nen Kol­le­gen Lothar Moltz (Ber­lin) zum Altern zitie­ren. Er sagt: ‘Altern ist ein nor­ma­ler, grund­sätz­lich nicht auf­zu­hal­ten­der Lebens­pro­zess. Bei die­sem wer­den zahl­rei­che bio­lo­gi­sche Abläu­fe in den Zel­len ver­än­dert. Die­ser Pro­zess wird gene­tisch kon­trol­liert. Am Ende der Fort­pflan­zungs­pha­se, wel­che im Tier­reich meis­tens auch das Ende des Lebens dar­stellt, ver­lang­samt oder beschleu­nigt sich die Akti­vi­tät vie­ler Gene, die den Stoff­wech­sel der Zel­len beein­flus­sen. Durch Ruhig­stel­lung bestimm­ter Gen­ab­schnit­te erhöht sich die Lebens­span­ne, durch Akti­vie­rung bestimm­ter Enzym­sys­te­me ver­kürzt sich die Lebens­zeit. Wirk­sam­keit und Fol­gen die­ser bio­che­mi­schen Pro­zes­se kön­nen jedoch maß­geb­lich beein­flusst wer­den. Es liegt in unse­rer Eigen­ver­ant­wor­tung, uns durch Lebens­stil bei­spiels­wei­se Ver­min­de­rung von Stress­fak­to­ren, gesun­der Ernäh­rung und genü­gend Bewe­gung dafür zu sor­gen, dass die Pro­zes­se güns­tig für uns beein­flusst werden.’

Naturheilkunde und Eigenregulation des Menschen

Wel­che Kon­zep­te hat nun die Natur­heil­kun­de, um dem Altern zu begeg­nen? Zunächst wol­len wir Grund­sätz­li­ches klä­ren: Die Säu­len der klas­si­schen Natur­heil­kun­de sind Ordnungs1‑, Ernährungs2‑, Phytotherapie3. Über die­sen liegt wie ein Dach die so genann­te Regu­la­ti­ons­me­di­zin. Um den Begriff ‘Regu­la­ti­on’ zu erläu­tern: Er kommt aus dem Latei­ni­schen. ‘Regu­la­re’ bedeu­tet regu­lie­ren, regeln, ord­nen, durch­füh­ren. Viel­leicht ist auch der Begriff ‘rex regis’ dar­in ent­hal­ten, wobei man sagen muss, dass es sich hier­bei um eine könig­li­che Ord­nung han­delt. Laut Brock­haus ist die Regu­la­ti­on ein ganz­heit­li­ches Kon­zept, wel­ches auf der Erkennt­nis beruht, dass der Orga­nis­mus über Eigen­re­gu­la­ti­ons­me­cha­nis­men und Regu­la­ti­ons­kräf­te ver­fügt, die the­ra­peu­tisch nutz­bar gemacht wer­den kön­nen. Um die­se Regu­la­ti­ons­kräf­te nut­zen zu kön­nen, wird die Gesamt­si­tua­ti­on des Men­schen mit ein­be­zo­gen. Wir kön­nen dann mit ver­schie­de­nen Maß­nah­men, die Eigen­re­gu­la­ti­on von Men­schen beein­flus­sen. Hier­zu ste­hen vie­le ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten zur Verfügung.

Sport hält jung und fit

Es heißt: Sport hält jung und tat­säch­lich sind bewe­gungs­the­ra­peu­ti­sche Ver­fah­ren schon lan­ge als Anti-Aging-Maß­nah­men bekannt. Hier­zu zäh­len sport­li­che Akti­vi­tä­ten, Gym­nas­tik und auch ent­span­nen­de Mus­kel­ver­fah­ren wie z.B. die pro­gres­si­ve Mus­kel­ent­span­nung nach Edmund Jacob­son (1885–1976) oder das Auto­ge­ne Trai­ning nach Johan­nes Schultz (1884–1970). Das Ergeb­nis einer US-Stu­die an 1.000 Men­schen zwi­schen 72 und 98 Jah­ren über einen Zeit­raum von neun Jah­ren zeig­te, dass kör­per­lich akti­ve Men­schen am längs­ten leb­ten und in einem guten kör­per­li­chen Zustand waren [4]. Sport­li­che Betä­ti­gung beim alten Men­schen bedeu­tet jedoch nicht Hoch­leis­tungs­sport. Viel­mehr muss die Wahl der Sport­art immer den indi­vi­du­el­len kör­per­li­chen Zustand berück­sich­ti­gen. Jeder Mensch der Wil­lens ist, eine kör­per­li­che Betä­ti­gung durch­zu­füh­ren, kann eine ange­mes­se­ne kör­per­li­che Betä­ti­gung fin­den: Sei es Spa­zie­ren gehen mit oder ohne Hund, schnel­les Gehen, so genann­tes ‘Wal­king’, Wan­dern, Schwim­men, Rad­fah­ren oder viel­leicht auch Golfspielen.

Belebende Wirkungen von Bewegung

Unter­su­chun­gen, die beim deut­schen Kon­gress für Sport­me­di­zin und Prä­ven­ti­on 2002 vor­ge­tra­gen wur­den, zeig­ten, dass kör­per­li­che Akti­vi­tät für den Erhalt von Ner­ven­zel­len sowie Aus­bau und Erhalt ihrer Funk­ti­ons­fä­hig­keit ent­schei­dend ist [5]. Kör­per­li­che Akti­vi­tät ist eben­so ein aus­schlag­ge­ben­der Grund, um Alters­pro­zes­sen im Gehirn ent­ge­gen­zu­wir­ken, z.B. Min­de­rung der Zahl der Syn­ap­sen (Umschalt­stel­len zwi­schen Ner­ven­fort­sät­zen). Bei mäßi­ger kör­per­li­cher Akti­vi­tät wer­den Hirn­durch­blu­tung und Hirn­stoff­wech­sel um ca. 30 % ver­bes­sert. Dadurch ändert sich nicht nur das kör­per­li­che Befin­den, son­dern auch die see­li­sche Befind­lich­keit. Durch die Aus­schüt­tung von Sero­to­nin (hor­mon­ähn­li­cher Stoff, der zahl­rei­che Organ­funk­tio­nen regelt) und von Endor­phi­nen fin­den wir hier eine Ver­bes­se­rung der gan­zen Lebens­si­tua­ti­on. Trau­rig­keit und Depres­sio­nen ver­schwin­den, das Selbst­be­wusst­sein wird gestärkt. Dabei ist es wich­tig zu wis­sen, dass wir bei einem Trai­ning nicht mehr eine resti­tu­tio ad inte­grum (völ­li­ge Hei­lung) machen kön­nen, son­dern dass wir Rück­sicht neh­men müs­sen auf das, was als kör­per­li­che Reser­ven und Mög­lich­kei­ten noch vor­han­den ist.

Bewegung stoppt Alterungsprozesse

Über­trie­be­ne Trai­nings­be­las­tun­gen von älte­ren Men­schen zu ver­lan­gen, ist falsch: Wir för­dern Erkran­kun­gen damit eher – beson­ders die des Her­zens und des Kreis­laufs. Hin­zu kommt, dass älte­re Men­schen schnel­ler mit dem Trai­ning auf­hö­ren, wenn sie nicht mehr ange­lei­tet wer­den. Durch Trai­ning kann jedoch erreicht wer­den, dass Koor­di­na­ti­on, Anpas­sungs­fä­hig­keit, Kraft, Schnel­lig­keit und natür­lich Aus­dau­er ver­bes­sert wer­den. Die Koor­di­na­ti­on, das heißt zum Bei­spiel das har­mo­ni­sche Zusam­men­wir­ken bei Bewe­gungs­ab­läu­fen der Mus­keln, nimmt beim Mann bereits mit 40 Jah­ren ab. Wir Män­ner bemer­ken das viel­fach nicht. Bei Frau­en setzt die­ser Pro­zess nach dem 50. Lebens­jahr ein. Ursa­chen hier­für sind Qua­li­täts­ver­lus­te im Ner­ven­sys­tem, die durch unge­nü­gen­de Bean­spru­chung ent­ste­hen. Übun­gen kön­nen beim älte­ren und alten Men­schen die­se Koor­di­na­ti­ons­fä­hig­keit der Bewe­gung wie­der­her­stel­len, wenn gesund­heit­li­che Hin­der­nis­se wie Arthro­se, Hör- oder Seh­stö­run­gen aus­ge­gli­chen wer­den, die für die Koor­di­na­ti­on eben­falls ent­schei­dend sind. Auch die Fle­xi­bi­li­tät lässt sich durch Übun­gen, die der fort­schrei­ten­den Stei­fig­keit der Gelen­ke ent­ge­gen­wir­ken, wie­der ver­bes­sern. Was die Mus­kel­kraft anbe­langt, so ver­liert ein untrai­nier­ter Mensch bis zu sei­nem 70. Lebens­jahr 40% der Mus­kel­mas­se. Das hat wie­der­um Aus­wir­kun­gen auf ande­re Erkran­kun­gen wie z.B. die Osteo­po­ro­se mit ihren Fol­ge­krank­hei­ten wie Wir­bel- oder Kno­chen­brü­chen. Wir wis­sen aus einer gro­ßen Sta­tis­tik, dass z.B. nur 50 % der Frau­en und Män­ner, die eine Schen­kel­hals­frak­tur gehabt haben, das nächs­te Jahr über­haupt noch über­le­ben. Das ist sehr erschre­ckend! Vie­le Ärz­te und Lai­en machen sich gar nicht bewusst, dass – trotz der her­vor­ra­gen­den Mög­lich­kei­ten der moder­nen Gelenk-Endo­pro­the­tik (‘künst­li­che Hüf­te’) – wei­ter­hin eine so hohe Ster­be­ra­te nach die­sem schein­bar gar nicht so bedeu­ten­den Trau­ma existiert.

Mäßig aber regelmäßig heißt die Devise

Dass der koro­na­ren Herz­krank­heit durch kör­per­li­che Akti­vi­tät vor­ge­beugt wer­den kann, ist eine bekann­te Tat­sa­che. Eben­so, dass nach einem Infarkt oder einer Bypass-Ope­ra­ti­on in der Herz­sport­grup­pe posi­ti­ve Trai­nings­ef­fek­te für das Herz erreicht wer­den kön­nen. Ich selbst habe es gera­de bei einem Freund erlebt, der einen fünf­fa­chen Bypass bekom­men muss­te – und das aus hei­te­rem Him­mel. Er war zu einer Rou­ti­ne­un­ter­su­chung in die Kli­nik gegan­gen, und der Kar­dio­lo­ge hat ihn nicht mehr weg­ge­las­sen. Der sag­te, ‘wenn Sie nach Hau­se gehen wol­len, gebe ich Ihnen kei­ne Garan­tie, dass Sie den Weg nach Hau­se noch über­le­ben. Ihre Situa­ti­on ist so mise­ra­bel, wir fah­ren Sie sogar mit dem Roll­stuhl aufs Klo’. Als er vor­ges­tern aus der Reha zurück­kam, sag­te er mir, ‘weißt Du, was mir am bes­ten gehol­fen hat, ist nicht die Bypass-Ope­ra­ti­on, son­dern das, was ich bei der Reha danach gelernt habe. Bei­spiels­wei­se habe ich pro­gres­si­ve Mus­kel­ent­span­nung gelernt. Ich habe auto­ge­nes Trai­ning gemacht und eine Diät begon­nen. Ich habe beschlos­sen, mein Leben umzu­stel­len und bin sicher, ich die nächs­ten 30 Jah­re noch über­le­be’. Mein Freund hat dar­über hin­aus eine ganz posi­ti­ve Grund­ein­stel­lung bekommen.

Gesunde Ernährung

Bewe­gungs­the­ra­pie und ent­span­nen­de Mus­kel­ver­fah­ren sind nicht die ein­zi­gen Maß­nah­men für ein gesun­des Leben und damit für “Anti-Aging”. Es kommt noch eine ande­re Säu­le der Natur­heil­kun­de hin­zu: Eine gesun­de Ernäh­rung. Sie dient nicht nur der Ver­mei­dung von Krank­hei­ten, son­dern kann auch lebens­ver­län­gernd wir­ken. Unse­re Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten sind viel­fach dadurch geprägt, dass wir (wahr­schein­lich gene­tisch bedingt, denn 2000 Jah­re sind nichts in der Gene­tik) uns immer noch so ernäh­ren, als wür­den wir uns durch Sam­meln und Jagen unse­re nöti­gen Fett­re­ser­ven besor­gen müs­sen. Da die aber heu­te in jedem Regal her­um­ste­hen, und wir nur ein­fach zugrei­fen müs­sen, nei­gen wir dazu, hier zu viel zu tun. Was in der Hun­ger­pe­ri­ode nach dem Krieg noch not­wen­dig war, näm­lich hin­ter Fett her zu sein, um auch Reser­ven zu gewin­nen, ist heut­zu­ta­ge eher eine Mög­lich­keit, krank­ma­chen­de Wir­kun­gen zu erzeu­gen und damit auch die Lebens­er­war­tung zu ver­rin­gern. Bewe­gungs­ar­mut, Über­ge­wicht, Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen sind nicht nur Mög­lich­kei­ten, das Leben zu ver­kür­zen, son­dern auch das Krank­sein zu ver­län­gern. Bekannt ist, dass durch Voll­wert­kost und lak­to­ve­ge­ta­bi­le Kost der Fett­an­teil beson­ders der tie­ri­schen und der ver­steck­ten Fet­te redu­ziert wer­den und weit­ge­hend ver­mie­den wer­den kann. Immer mehr ist uns, die wir uns mit Natur­heil­ver­fah­ren beschäf­ti­gen, auch bewusst, dass lak­to­ve­ge­ta­bi­le Kost ein guter Krebs­schutz ist, eine ent­spre­chen­de Ernäh­rung also Krebs­er­kran­kun­gen ver­hin­dern kann. Wir wis­sen, dass die sekun­dä­ren Pflan­zen­stof­fe für die­sen Krebs­schutz sehr bedeut­sam sind.

Weniger ist mehr

Hin­sicht­lich des Anti-Agings gilt der Grund­satz (gera­de in Bezug auf die Ernäh­rung): Weni­ger ist mehr. Die alte Volks­weis­heit ‘mor­gens wie ein Kai­ser, mit­tags wie ein König und abends wie ein Bet­tel­mann’ hat ihre Berech­ti­gung. Die­se Volks­weis­heit ist wis­sen­schaft­lich unter­mau­ert und wird heu­te modern mit dem Begriff ‘Din­ner-Can­cel­lings’ (aufs Abend­essen ver­zich­ten) bezeich­net. Durch Ver­zicht auf das Abend­essen gerät der Kör­per in einen Hun­ger­zu­stand, der das Immun­sys­tem im Sin­ne einer spe­zi­fi­schen Apo­pto­se (pro­gram­mier­ter Zell­tod) dazu befä­higt, die sich täg­lich bil­den­den poten­zi­ell bös­ar­ti­gen Zel­len immu­no­lo­gisch zu eli­mi­nie­ren und zum ande­ren die Pro­te­in­syn­the­se bei sehr wich­ti­gen Pro­te­inen des Kör­pers anzu­re­gen. Durch den abend­li­chen und nächt­li­chen Hun­ger­zu­stand wer­den zudem ver­mehrt Mela­to­nin und Wachs­tums­hor­mo­ne aus­ge­schüt­tet. Und man muss sich wirk­lich fra­gen, ob es nicht sinn­vol­ler ist, für einen aus­rei­chen­den und befrie­di­gen­den Schlaf zu sor­gen als Mela­to­nin und Wachs­tums­hor­mo­ne oder DHEA zu schlucken.

Schlaf als Jungbrunnen

Schlaf macht nicht nur schön, wie der Volks­mund sagt, Schlaf ist wegen der Aus­schüt­tung der eben genann­ten Hor­mo­ne tat­säch­lich auch ein Jung­brun­nen. Und es ist wirk­lich wich­tig, dass wir uns dazu zwin­gen, nach der Tages­schau den Fern­se­her abzu­stel­len und uns zur Ruhe zu bege­ben, anstatt noch wei­ter irgend­wel­che Din­ge zu sehen und so unse­ren Schlaf zu ver­nach­läs­si­gen. Jeder weiß, dass Schlaf­de­fi­zi­te eine star­ke see­li­sche Reak­ti­on aus­lö­sen. Schlaf­ent­zug ist auch eine Fol­ter­maß­nah­me, wie wir aus vie­len Fäl­len wis­sen. Ich habe das ein Mal erlebt, als ich in einer frei­wil­li­gen Akti­on ver­such­te, drei Tage lang nicht zu schla­fen: Ich war nicht mehr ich selbst! So habe ich durch Selbst­ver­such ver­stan­den, dass Schlaf mit sei­ner natür­li­chen Aus­schüt­tung von Hor­mo­nen etwas sehr Wesent­li­ches ist.

Mela­to­nin för­dert den Schlaf, bin­det wahr­schein­lich freie Radi­ka­le und wirkt dem oxi­da­tiv­en Stress ent­ge­gen. Das Hor­mon wird nur bei Dun­kel­heit aus­ge­schüt­tet, wäh­rend das Wachs­tums­hor­mon, wel­ches in einem spä­te­ren Zeit­raum aus­ge­schüt­tet wird, die Zell­re­pa­ra­tur­pro­zes­se för­dert und die Fett­ver­bren­nung sti­mu­liert. Es wird nor­ma­ler­wei­se nach Mit­ter­nacht frei­ge­setzt, aber nur dann, wenn der Kör­per nicht durch ein reich­hal­ti­ges Abend­essen belas­tet ist. Durch Din­ner-Can­cel­ling wird der Kör­per prak­tisch über­lis­tet, ver­mehrt die­se Anti-Aging-Hor­mo­ne freizusetzen.

Franz Kar­di­nal König in Wien, der Din­ner-Can­cel­ling seit Jahr­zehn­ten betreibt, ist inzwi­schen weit über 90 und bei bes­ter geis­ti­ger und kör­per­li­cher Gesund­heit. Er gibt die­ses immer als Bei­spiel für sei­ne Gesund­heit und für sein Wohl­erge­hen an. Tier­ex­pe­ri­men­te an Rat­ten und Affen bestä­ti­gen dies. Die zeig­ten, dass die Tie­re 30 bis 40% län­ger leben, wenn die Nah­rung ver­rin­gert wird oder bestimm­te Nah­rung aus­ge­las­sen wird.

Ordnung als Lebensprinzip

In der Natur­heil­kun­de ist Anti-Aging ohne die so genann­te Ord­nungs­the­ra­pie nicht denk­bar. Auf­ga­be die­ser The­ra­pie, ist die Erfor­schung der Grund­la­gen für eine gesund­erhal­ten­de, wie­der­her­stel­len­de Lebens­wei­se. Ord­nungs­the­ra­pie ermu­tigt – wie ihr Name schon andeu­tet – zu “geord­ne­ter” (im Gegen­satz zu Über­schwang) Freu­de und zu einer sinn­rei­chen Lebens­kul­tur. Sie ist eine Lebens­hal­tung oder auch Lebens­ein­stel­lung. Wie schon ein Sprich­wort sagt ‘Ord­nung ist das hal­be Leben’. Wir kön­nen dies auf ver­schie­de­ne Lebens­be­rei­che über­tra­gen – ob im Zim­mer, Woh­nung oder Umge­bung. Ord­nung kann auch auf die kör­per­li­che Ebe­ne (wie gehe ich mit mei­nem Kör­per um?) oder die geis­tig-see­li­sche Ebe­ne über­tra­gen wer­den (habe ich eine Arbeit, die mir Spaß macht, in der ich mich ver­wirk­li­chen kann?). Die Ord­nungs­the­ra­pie bezieht einen Men­schen in sein geis­ti­ges, gesell­schaft­li­ches, kul­tu­rel­les und reli­giö­ses Umfeld ein. Sich der Ord­nungs­the­ra­pie zu bedie­nen, bedeu­tet sämt­li­che Erkennt­nis­se, Ereig­nis­se im Leben eines Men­schen mit ein­zu­be­zie­hen: Auch und beson­ders die so genann­ten psy­cho­so­ma­ti­schen Wir­kun­gen (see­lisch-kör­per­li­chen Wech­sel­wir­kun­gen) und Stö­run­gen eines Men­schen. Sich der Ord­nungs­the­ra­pie zu bedie­nen, bedeu­tet zudem eigen­ver­ant­wort­lich zu han­deln. Als unab­hän­gi­ger Mensch für das eige­ne kör­per­li­che, geis­ti­ge und see­li­sche Wohl­be­fin­den zu sor­gen. Aber nicht nur Lust gehört zum selbst ver­ant­wort­li­chen Leben – auch das Anpa­cken und Lösen von Pro­ble­men im eige­nen Leben, was wie­der­um zur Selbst­ver­wirk­li­chung und inne­ren Wachs­tums beiträgt.

Das Leben in allen Höhen und Tiefen akzeptieren und genießen

Ich möch­te Karl Jas­pers (1883–1969) zitie­ren, der gesagt hat: ‘Soll unser Leben nicht in Zer­streu­ung ver­lo­ren gehen, so muss es in einer Ord­nung sich fin­den. Es muss im All­tag von einem Umgrei­fen­den getra­gen sein, Zusam­men­hang gewin­nen im Auf­bau von Arbeit, Erfül­lung und hohen Augen­bli­cken, sich ver­tie­fen in der Wie­der­ho­lung, dann wird das Leben noch in der Arbeit eines immer glei­chen Tuns durch­drun­gen von einer Stim­mung, die sich bezo­gen weiß auf einen Sinn. Dann sind wir gebor­gen in einer Welt und Selbst­be­wusst­sein; haben Boden in der Geschich­te, der wir ange­hö­ren und in dem eige­nen Leben durch Erin­ne­rung und Treue. In der Ein­sam­keit die Medi­ta­ti­on, durch jede Wei­se der Besin­nung. Und mit Men­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on, durch jede Wei­se des gegen­sei­ti­gen Sich-Ver­ste­hens, im Mit­ein­an­der han­deln, Mit­ein­an­der reden, Mit­ein­an­der schweigen.’

Das sind die Prin­zi­pi­en der Lebens­ord­nung, wie Jas­pers sie gese­hen hat. Und ich möch­te noch etwas zitie­ren, etwas, das ich bei Augus­ti­nus (354–430) in den ‘Bekennt­nis­sen’ gefun­den habe. Das Zitat fin­de ich fast noch schö­ner: ‘Mit­ein­an­der reden und lachen, sich gegen­sei­tig Gefäl­lig­kei­ten erwei­sen, zusam­men schö­ne Bücher lesen, sich necken dabei, aber auch ein­an­der sich Ach­tung erwei­sen, mit­un­ter sich auch strei­ten – ohne Hass, so wie man es wohl ein Mal mit sich selbst tut, manch­mal auch in den Mei­nun­gen aus­ein­an­der gehen und damit die Ein­tracht wür­zen, ein­an­der beleh­ren und von­ein­an­der ler­nen, die Abwe­sen­den schmerz­lich ver­mis­sen, die Ankom­men­den freu­dig begrü­ßen – lau­ter Zei­chen der Lie­be und Gegen­lie­be, die aus dem Her­zen kom­men, sich äußern in Mie­ne, Wort und tau­send freund­li­chen Ges­ten und wie Zünd­stoff den Geist der Gemein­sam­keit ent­fal­ten, sodass aus den vie­len eine Ein­heit wird.’ Was Augus­ti­nus hier gesagt hat, ist durch nichts zu ergän­zen. Ich den­ke, dass es wesent­lich ist, die Sinn­ge­bung des Lebens, die Dimen­si­on der geis­ti­gen und reli­giö­sen Sinn­ge­bung des Lebens zu erfas­sen, sich zu freu­en am Leben und die­ses Leben auch zu genießen.

Selbstverwirklichung durch Übung und Annahme

Die Ord­nungs­kräf­te im See­len­le­ben zu för­dern, ist auch Auf­ga­be der Ärz­te, die sich mit Anti-Aging befas­sen. Wir fin­den Ansät­ze zum Bei­spiel bei Schultz (Auto­ge­nes Trai­ning) oder bei Jacob­son (Mus­kel­re­la­xa­ti­on). Die­se Ärz­te ent­wi­ckel­ten Kon­zep­te, die Aus­ge­wo­gen­heit von Gefühl und Ver­stand errei­chen sol­len, um so auch Ent­span­nung her­bei­zu­füh­ren. Durch die­se Tech­ni­ken kön­nen Üben­de Selbst­ver­trau­en gewin­nen und ler­nen, unver­meid­li­che Kon­flik­te des Lebens anzu­ge­hen und mit ihnen fer­tig zu wer­den. Anstatt die Kon­flik­te auf kör­per­li­cher oder see­li­scher Ebe­ne zu belas­sen (psy­cho­so­ma­ti­sche Erkran­kun­gen) oder viel­leicht sogar krank zu wer­den, heißt es jetzt: Sich Pro­ble­me bewusst machen und den Mut ent­wi­ckeln, sie zu lösen.

Neben mess­ba­ren, das Ner­ven­sys­tem betref­fen­de Sta­bi­li­sie­run­gen bewirkt regel­mä­ßi­ges Üben einen ver­bes­ser­ten Zugang zum eige­nen Innen­le­ben. Das schafft die Vor­aus­set­zung für Selbst­wert­stär­kung und auch Selbst­fin­dung. Ord­nungs­the­ra­pie heißt Leben ord­nen, wobei jeder Mensch eigen­ver­ant­wort­lich und regu­lie­rend in das eige­ne Leben ein­greift – auch dies ist eine Maß­nah­me des Anti-Agings.

Ganzheitlich: Alle Ebenen von Leben und Dasein einbeziehen

Zum Ord­nungs­prin­zip gehö­ren auch Ver­hal­tens­maß­nah­men eines Men­schen wie z.B. die Ver­mei­dung von Gif­ten wie Niko­tin und Alko­hol, belas­te­ter Nah­rung, Über­ge­wicht, chro­ni­schen Stress­fak­to­ren – dies alles sind krank und alt machen­de Ein­flüs­se. Jeder Mensch kann sie als sol­che erken­nen und ver­än­dern. Wir kön­nen zum Ord­nungs­prin­zip auch das Ord­nen von Lebens­part­ner­schaft, Ehe oder Fami­lie rech­nen. Lebens­wün­sche gehö­ren auch dazu: Zum Bei­spiel, es zu wagen, gehei­me Lebens­wün­sche aus­zu­spre­chen, sie umzu­set­zen – auch dem Part­ner gegen­über. Die Hin­ter­fra­gung von sexu­el­len Wün­schen gehört dazu genau­so, wie auch die ange­mes­se­ne geis­ti­ge Nah­rung – zum Bei­spiel die Beschäf­ti­gung mit den geis­tig-reli­giö­sen Dimen­sio­nen des Lebens. Aktiv sein im geis­ti­gen Sin­ne, etwas tun, das das Gehirn anregt – das gehört eben­falls zu wesent­li­chen Maß­nah­me des Anti-Agings. Genau­so wie: Wahr­neh­men und Erken­nen, Umler­nen, Anpas­sen, etwas Neu­es ler­nen, irgend­et­was tun, sich beschäf­ti­gen mit den schö­nen Din­gen des Lebens, Kon­tak­te suchen und pfle­gen, sich mit Lite­ra­tur, Kunst, Thea­ter beschäf­ti­gen oder die vie­len ande­re Din­ge mehr, die unser Leben berei­chern. Wir müs­sen sie nur ergrei­fen und auf­zu­neh­men! Jeder fin­det etwas, der dies nur möch­te. Das Han­deln ist das Entscheidende.

Wenn wir uns also die Fra­ge stel­len, ob Natur­heil­ver­fah­ren, die alles die­ses beinhal­ten, Maß­nah­men des Anti-Agings sind, so muss das nach mei­nen Aus­füh­run­gen ganz ein­deu­tig bejaht wer­den. Natur­heil­ver­fah­ren hel­fen, nicht nur Krank­hei­ten zu ver­mei­den oder sie natur­ge­mäß zu behan­deln. Son­dern kön­nen mit ihren pri­mär­prä­ven­ti­ven Mög­lich­kei­ten Ele­men­te moder­ner Maß­nah­men des Anti-Agings seins. Ich bin davon über­zeugt, dass wir hier mit dem Ein­satz der Natur­heil­kun­de genau auf dem rich­ti­gen Weg sind. Nicht Hor­mon­ver­ord­nung, nicht Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel oder Vit­ami­ne ver­län­gern das Leben, sie kön­nen ledig­lich etwas “Zusätz­li­ches” sein. Ent­schei­dend für das Funk­tio­nie­ren von Anti-Aging ist eine geis­ti­ge Grund­hal­tung, die ein ent­spre­chen­des “lebens­ver­län­gern­des” Wir­ken und Han­deln in unse­rer Exis­tenz grund­le­gend mit einbezieht.

103. ZÄN (Zen­tral­ver­band der Ärz­te für Natur­heil­ver­fah­ren) Kon­gress ärzt­li­cher Natur­heil­ver­fah­ren, Freu­den­stadt, 3.–9.10.2002. Leit­the­ma 2002: ‘Anti-Aging und Naturheilverfahren’.

Autor
• Dr. Klaus Doench (2002).
Quel­len
• Ord­nungs­the­ra­pie: Bezeich­nung für kör­per­ori­en­tier­te psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Ver­fah­ren, z.B. Aus­­­gleichs- und Ent­span­nungs­übun­gen, Auto­ge­nes Trai­ning, Medi­ta­ti­on. Nach Kneipp auch Emp­feh­lun­gen zur Erlan­gung von Har­mo­nie, Regel­mä­ßig­keit in den Lebens­rhyth­men (Schlaf, Wachen). (Pschyrem­bel Wör­ter­buch Natur­heil­kun­de und alter­na­ti­ve Heil­ver­fah­ren. 2., über­arb. Aufl. – Ber­lin, New York: de Gruy­ter, 2000)
• Ernäh­rungs­the­ra­pie: Behand­lung von Erkran­kun­gen durch Ver­än­de­rung von Ernäh­rung, z.B. Ver­mei­dung von bestimm­ten Nah­rungs­mit­teln bei Unver­träg­lich­kei­ten (All­er­gien), ange­pass­te Koh­le­hy­drat­zu­fuhr (Dia­be­tes Mel­li­tus), Ver­such der Beein­flus­sung von Organ­sys­te­men durch the­ra­peu­ti­sches Fas­ten durch z.B. Mayr‑, Schroth, Fas­ten­kur. (Pschyrem­bel Wör­ter­buch Natur­heil­kun­de und alter­na­ti­ve Heil­ver­fah­ren. 2., über­arb. Aufl. – Ber­lin, New York: de Gruy­ter, 2000)
• Phy­to­the­ra­pie: Behand­lung und Vor­beu­gung von Krank­hei­ten und Befind­lich­keits­stö­run­gen durch Pflan­zen, Pflan­zen­tei­le und deren Zube­rei­tun­gen. Phy­to­phar­ma­ka bil­den als Mehr- und Viel­stoff­ge­mi­sche eine wirk­sa­me Ein­heit und müs­sen die Anfor­de­run­gen des Arz­nei­mit­tel­ge­set­zes hin­sicht­lich Qua­li­tät, Wirk­sam­keit und Unbe­denk­lich­keit erfül­len. Sie besit­zen ein brei­tes phar­ma­ko­lo­gi­sches Spek­trum, haben oft weni­ger Neben­wir­kun­gen als che­misch her­ge­stell­te Arz­nei­mit­tel. (Pschyrem­bel Wör­ter­buch Natur­heil­kun­de und alter­na­ti­ve Heil­ver­fah­ren. 2., über­arb. Aufl. – Ber­lin, New York: de Gruy­ter, 2000)
• Psy­cho­so­ma­tic Medicine,2002, Aus­ga­be 64, S. 382Zitation: Aus einem Vor­trag von Holl­mann, Wildor wäh­rend des Kon­gres­ses: ‘Deut­scher Kon­gress Sport und Prä­ven­tiv­me­di­zin 2002’, in Köln

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