Ger­hard Mad­aus: Lehr­buch der bio­lo­gi­schen Heil­mit­tel. Ver­lag Georg Thie­me, Leip­zig, 1938
(Ori­gi­nal, voll­stän­dig erhal­ten) – bei eBay zu ver­kau­fenRezen­si­on 1938, Archiv der Pharmazie

Belladonna – Seite 2 von 5 – Monographie Madaus

Lehr­buch der bio­lo­gi­schen Heilmittel
Mono­gra­phie Bel­la­don­na (Sei­te 2 von 5)
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Botanisches:

Die kraut­ar­ti­ge, aus­dau­ern­de Pflan­ze bevor­zugt Laub­wäl­der und kommt vor allem auf Schlä­gen und Wei­den, auf humo­sem Boden vor. Der Sten­gel, der bis 1,50 m hoch wird, ist stumpf­kan­tig und stark ver­äs­telt, beson­ders oben fein­drü­sig behaart. Die ellip­tisch- oder eiför­mi­gen, zuge­spitz­ten Blät­ter sind ganz­ran­dig und ste­hen am Sten­gel und an den Haupt­äs­ten wech­sel­stän­dig, an den übri­gen Ästen gepaart, und zwar so, daß dann das eine um die Hälf­te klei­ner ist. Die ein­zeln ste­hen­den, gestiel­ten, hän­gen­den Blü­ten haben eine glo­ckig-röh­ri­ge Blu­men­kro­ne, die außen braun­rot-vio­lett, innen schmut­zig­gelb gefärbt und pur­purn geadert ist. Die Frucht ist eine kuge­li­ge, etwa kirsch­gro­ße Bee­re, anfangs grün, spä­ter glän­zend schwarz, mit vio­let­tem Saft und vie­len nie­ren­bis eiför­mi­gen Samen. – In Deutsch­land kommt die Pflan­ze im mitt­le­ren und süd­li­chen Teil zer­streut bis häu­fig vor, im nörd­li­chen ist sie sel­te­ner. In Öster­reich ist sie ver­brei­tet, in der Schweiz ziem­lich ver­brei­tet. Auch im übri­gen Euro­pa kommt sie fast über­all vor. Eben­so ist sie in Nord­afri­ka zu fin­den und geht in Klein­asi­en bis zum Kau­ka­sus und Per­si­en. In Nord­ame­ri­ka ist sie ein­ge­führt. – Die gro­ßen, ver­hält­nis­mä­ßig zar­ten Blät­ter kenn­zeich­nen die Toll­kir­sche als Schat­ten­pflan­ze. Indem die klei­nen Blät­ter in den Lücken der grö­ße­ren ste­hen, wird ein Blatt­mo­sa­ik geschaf­fen, das eine vol­le Aus­nut­zung des vor­han­de­nen Lich­tes gestat­tet. Die für den Men­schen gif­ti­gen Bee­ren wer­den von den Vögeln gefres­sen und so die Samen ver­brei­tet. Das Wachs­tum und die Inhalts­stof­fe las­sen sich durch Zusam­men­pflan­zen mit Gale­ga, Arte­mi­sia vul­ga­ris för­dern und durch Zusam­men­pflan­zen mit Sina­pis alba stark hemmen.

Geschichtliches und Allgemeines:

Die in Mit­tel­eu­ro­pa fast all­ge­mein bekann­te Toll­kir­sche fin­den wir im Alter­tum nur mit eini­ger Sicher­heit in der “Man­dra­goras” des Theo­phrast. Es ist nicht wahr­schein­lich, daß der “Strych­nos mani­kos” des Dio­s­ku­r­i­des unse­re Atro­pa bel­la­don­na ist. In der ers­ten Hälf­te des 15. Jahr­hun­derts erwähnt sie Bene­det­to Rimo in sei­nem “Liber de sim­pli­ci­bus”, und 1552 bringt L. Fuchs eine gute Abbil­dung von ihr in sei­nem Kräu­ter­buch. Ges­ner (16. Jahr­hun­dert), der sie Sola­ni genus sil­va­ti­cum nennt, emp­fiehlt den Sirup der Bee­ren als Schlaf­mit­tel und gegen die Ruhr. Doch blieb der all­ge­mei­ne Gebrauch der Toll­kir­sche noch recht lan­ge auf die äußer­li­che Anwen­dung, beson­ders auf die Behand­lung von Augen­ent­zün­dun­gen, beschränkt. Zu Beginn des 18. Jahr­hun­derts erkann­te ihr Mel­chi­or Fric­cus in sei­nem “Trac­ta­tus medi­cus de virt­ute venen­o­rum” einen nar­ko­ti­schen Ein­fluß, ähn­lich dem des Opi­ums, zu. Alber­ti, Timer­mann, Dar­lue und van den Block rühm­ten sie als Mit­tel gegen den Krebs, Boer­haa­ve gegen den Krampf­hus­ten der Kin­der, jedoch waren ihre Beob­ach­tun­gen rein empi­ri­scher Natur. Von den aus­län­di­schen Autoren des 19. Jahr­hun­derts haben sich zuerst Brown Sequard, V. Hones, Trous­se­au und Meu­ri­ot mit der phy­sio­lo­gi­schen Wir­kung und der the­ra­peu­ti­schen Anwen­dung auf wis­sen­schaft­li­cher Basis beschäf­tigt. – Bel­la­don­na gehört zu den­je­ni­gen Gift­ge­wäch­sen, die am häu­figs­ten zu Ver­gif­tun­gen Anlaß gege­ben haben. Nament­lich die hüb­schen Bee­ren ver­lei­ten nicht allein Kin­der, son­dern auch erwach­se­ne Per­so­nen zu ihrem Genuß. Schon die mit­tel­al­ter­li­chen Väter der Bota­nik wis­sen von Ver­gif­tungs­fäl­len zu berich­ten. Mat­thio­lus beschreibt einen Fall, wo “etli­che Kna­ben /​ so dise bee­ren für Wein­bee­re geges­sen haben /​ gestor­ben sind.” Die Schot­ten sol­len sich der Bel­la­don­na ein­mal bedient haben, um die Dänen, wel­che einen Ein­fall in ihr Land mach­ten, im Schla­fe über­ra­schen zu kön­nen. Sie misch­ten den Saft unter Bier und Wein, wel­che Geträn­ke sie in die Hän­de der Dänen fal­len lie­ßen. Die­se tran­ken ohne Arg­wohn, ver­fie­len in einen Zustand der Betäu­bung und wur­den wehr­los von den Schot­ten über­fal­len. – Ende des 18. Jahr­hun­derts wur­den von der öster­rei­chi­schen Regie­rung meh­re­re Zir­ku­la­re über Ver­gif­tun­gen mit Bel­la­don­na erlas­sen, in denen auch die Pflan­ze genau beschrie­ben und vor ihrer Gefähr­lich­keit drin­gend gewarnt wur­de. In dem einen Fal­le han­del­te es sich um eine schwan­ge­re Frau und vier Kin­der, die durch den Genuß von Toll­kir­schen erkrankt waren. Zwei der Kin­der star­ben im Ver­lauf von 14–16 Stun­den, die übri­gen drei Per­so­nen konn­ten mit gro­ßer Mühe geret­tet wer­den. Als bes­te Gegen­mit­tel wur­den Brech­mit­tel, Essig und ein star­kes Dekokt von Alt­haea genannt. – In Mexi­ko wer­den ver­schie­de­ne atro­pin­hal­ti­ge Pflan­zen, wie z. B. Bel­la­don­na, Stra­mo­ni­um und Hyos­cya­mus unter der gemein­sa­men Bezeich­nung “Talóachi” von den Ein­ge­bo­re­nen als gutes Gegen­gift gegen Flie­gen­pilz­ver­gif­tung gebraucht. Die Gif­tig­keit der Bel­la­don­na-Bee­ren scheint in den tro­pi­schen Län­dern nach­zu­las­sen. So wer­den in den hei­ßen Tei­len Sina­lo­as die Toll­kir­schen als ver­dau­ungs­för­dern­des, wenn auch dem Gau­men nicht sehr zusa­gen­des Obst straf­los geges­sen. Die Blät­ter wer­den auch in Mexi­ko geraucht, wobei vier Blät­ter auf ein­mal schon Irr­sinn her­vor­ru­fen sol­len. Zur Erzeu­gung des Rausch­zu­stan­des wer­den anschei­nend Stra­mo­ni­um­blät­ter bevor­zugt. Mit Papri­ka ver­setzt wer­den sie auch gekaut. Nähe­res vgl. Reko, Magi­sche Gif­te 1936, Stutt­gart, und Heil- und Gewürz­pflan­zen, Bd. XV, S. 64, Mün­chen 1933. – Als Volks­mit­tel wird die Toll­kir­sche häu­fig in Ost­eu­ro­pa ver­wandt. So dient sie in der Buko­wi­na als Abor­ti­vum. Der Sie­ben­bür­ger Sach­se ver­wen­det gegen Gicht “drei dün­ne Scheib­chen der Zau­ber­pflan­ze Mat­regu­na in Wein gekocht und bei abneh­men­dem Licht auf drei­mal getrun­ken”. Die­se Mat­regu­na ist viel­leicht unse­re Toll­kir­sche, da sie bei den Rumä­nen auch “Mat­re­gema” heißt. In Rumä­ni­en und Böh­men wer­den ihr gro­ße Zau­ber­kräf­te zuge­schrie­ben. Das Atro­pin wur­de im Jah­re 1831 von Mein und unab­hän­gig davon von
Gei­ger und Hes­se 1833 ent­deckt. Die gro­ßen Erfol­ge, die in den letz­ten Jah­ren mit der Bel­la­don­na­kur bei Läh­mungs­zu­stän­den (Par­kin­so­nis­mus) durch den bul­ga­ri­schen Bau­ern Raeff erzielt wur­den, ver­an­laß­ten die Köni­gin Ele­na von Ita­li­en, die­sem das Rezept für 4 Mil­lio­nen Lire abzukaufen.

Toll­kir­sche
(etwa ¼ nat. Gr.)
Atro­pa bel­la­don­na L.
Sol­a­naceae

Toll­kir­sche
Blü­ten (etwa ½ nat. Gr.)