Botanisches:
Die krautartige, ausdauernde Pflanze bevorzugt Laubwälder und kommt vor allem auf Schlägen und Weiden, auf humosem Boden vor. Der Stengel, der bis 1,50 m hoch wird, ist stumpfkantig und stark verästelt, besonders oben feindrüsig behaart. Die elliptisch- oder eiförmigen, zugespitzten Blätter sind ganzrandig und stehen am Stengel und an den Hauptästen wechselständig, an den übrigen Ästen gepaart, und zwar so, daß dann das eine um die Hälfte kleiner ist. Die einzeln stehenden, gestielten, hängenden Blüten haben eine glockig-röhrige Blumenkrone, die außen braunrot-violett, innen schmutziggelb gefärbt und purpurn geadert ist. Die Frucht ist eine kugelige, etwa kirschgroße Beere, anfangs grün, später glänzend schwarz, mit violettem Saft und vielen nierenbis eiförmigen Samen. – In Deutschland kommt die Pflanze im mittleren und südlichen Teil zerstreut bis häufig vor, im nördlichen ist sie seltener. In Österreich ist sie verbreitet, in der Schweiz ziemlich verbreitet. Auch im übrigen Europa kommt sie fast überall vor. Ebenso ist sie in Nordafrika zu finden und geht in Kleinasien bis zum Kaukasus und Persien. In Nordamerika ist sie eingeführt. – Die großen, verhältnismäßig zarten Blätter kennzeichnen die Tollkirsche als Schattenpflanze. Indem die kleinen Blätter in den Lücken der größeren stehen, wird ein Blattmosaik geschaffen, das eine volle Ausnutzung des vorhandenen Lichtes gestattet. Die für den Menschen giftigen Beeren werden von den Vögeln gefressen und so die Samen verbreitet. Das Wachstum und die Inhaltsstoffe lassen sich durch Zusammenpflanzen mit Galega, Artemisia vulgaris fördern und durch Zusammenpflanzen mit Sinapis alba stark hemmen.
Geschichtliches und Allgemeines:
Die in Mitteleuropa fast allgemein bekannte Tollkirsche finden wir im Altertum nur mit einiger Sicherheit in der “Mandragoras” des Theophrast. Es ist nicht wahrscheinlich, daß der “Strychnos manikos” des Dioskurides unsere Atropa belladonna ist. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erwähnt sie Benedetto Rimo in seinem “Liber de simplicibus”, und 1552 bringt L. Fuchs eine gute Abbildung von ihr in seinem Kräuterbuch. Gesner (16. Jahrhundert), der sie Solani genus silvaticum nennt, empfiehlt den Sirup der Beeren als Schlafmittel und gegen die Ruhr. Doch blieb der allgemeine Gebrauch der Tollkirsche noch recht lange auf die äußerliche Anwendung, besonders auf die Behandlung von Augenentzündungen, beschränkt. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts erkannte ihr Melchior Friccus in seinem “Tractatus medicus de virtute venenorum” einen narkotischen Einfluß, ähnlich dem des Opiums, zu. Alberti, Timermann, Darlue und van den Block rühmten sie als Mittel gegen den Krebs, Boerhaave gegen den Krampfhusten der Kinder, jedoch waren ihre Beobachtungen rein empirischer Natur. Von den ausländischen Autoren des 19. Jahrhunderts haben sich zuerst Brown Sequard, V. Hones, Trousseau und Meuriot mit der physiologischen Wirkung und der therapeutischen Anwendung auf wissenschaftlicher Basis beschäftigt. – Belladonna gehört zu denjenigen Giftgewächsen, die am häufigsten zu Vergiftungen Anlaß gegeben haben. Namentlich die hübschen Beeren verleiten nicht allein Kinder, sondern auch erwachsene Personen zu ihrem Genuß. Schon die mittelalterlichen Väter der Botanik wissen von Vergiftungsfällen zu berichten. Matthiolus beschreibt einen Fall, wo “etliche Knaben / so dise beeren für Weinbeere gegessen haben / gestorben sind.” Die Schotten sollen sich der Belladonna einmal bedient haben, um die Dänen, welche einen Einfall in ihr Land machten, im Schlafe überraschen zu können. Sie mischten den Saft unter Bier und Wein, welche Getränke sie in die Hände der Dänen fallen ließen. Diese tranken ohne Argwohn, verfielen in einen Zustand der Betäubung und wurden wehrlos von den Schotten überfallen. – Ende des 18. Jahrhunderts wurden von der österreichischen Regierung mehrere Zirkulare über Vergiftungen mit Belladonna erlassen, in denen auch die Pflanze genau beschrieben und vor ihrer Gefährlichkeit dringend gewarnt wurde. In dem einen Falle handelte es sich um eine schwangere Frau und vier Kinder, die durch den Genuß von Tollkirschen erkrankt waren. Zwei der Kinder starben im Verlauf von 14–16 Stunden, die übrigen drei Personen konnten mit großer Mühe gerettet werden. Als beste Gegenmittel wurden Brechmittel, Essig und ein starkes Dekokt von Althaea genannt. – In Mexiko werden verschiedene atropinhaltige Pflanzen, wie z. B. Belladonna, Stramonium und Hyoscyamus unter der gemeinsamen Bezeichnung “Talóachi” von den Eingeborenen als gutes Gegengift gegen Fliegenpilzvergiftung gebraucht. Die Giftigkeit der Belladonna-Beeren scheint in den tropischen Ländern nachzulassen. So werden in den heißen Teilen Sinaloas die Tollkirschen als verdauungsförderndes, wenn auch dem Gaumen nicht sehr zusagendes Obst straflos gegessen. Die Blätter werden auch in Mexiko geraucht, wobei vier Blätter auf einmal schon Irrsinn hervorrufen sollen. Zur Erzeugung des Rauschzustandes werden anscheinend Stramoniumblätter bevorzugt. Mit Paprika versetzt werden sie auch gekaut. Näheres vgl. Reko, Magische Gifte 1936, Stuttgart, und Heil- und Gewürzpflanzen, Bd. XV, S. 64, München 1933. – Als Volksmittel wird die Tollkirsche häufig in Osteuropa verwandt. So dient sie in der Bukowina als Abortivum. Der Siebenbürger Sachse verwendet gegen Gicht “drei dünne Scheibchen der Zauberpflanze Matreguna in Wein gekocht und bei abnehmendem Licht auf dreimal getrunken”. Diese Matreguna ist vielleicht unsere Tollkirsche, da sie bei den Rumänen auch “Matregema” heißt. In Rumänien und Böhmen werden ihr große Zauberkräfte zugeschrieben. Das Atropin wurde im Jahre 1831 von Mein und unabhängig davon von
Geiger und Hesse 1833 entdeckt. Die großen Erfolge, die in den letzten Jahren mit der Belladonnakur bei Lähmungszuständen (Parkinsonismus) durch den bulgarischen Bauern Raeff erzielt wurden, veranlaßten die Königin Elena von Italien, diesem das Rezept für 4 Millionen Lire abzukaufen.
Geiger und Hesse 1833 entdeckt. Die großen Erfolge, die in den letzten Jahren mit der Belladonnakur bei Lähmungszuständen (Parkinsonismus) durch den bulgarischen Bauern Raeff erzielt wurden, veranlaßten die Königin Elena von Italien, diesem das Rezept für 4 Millionen Lire abzukaufen.
Tollkirsche
(etwa ¼ nat. Gr.)
Atropa belladonna L.
Solanaceae
Tollkirsche
Blüten (etwa ½ nat. Gr.)