Leimmistel

Hahnemanns Apothekerlexikon
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Leim­mistel, Vis­cum album, L. [Zorn, pl. med. tab. 547.] mit lan­zet­för­mig stump­fen Blät­tern zweit­hei­li­gem Sten­gel und Blüt­henäh­ren in den Ast­win­keln, ein in die Rin­de und das Holz vie­ler Bäu­me, aber nicht in der Erde wur­zeln­der, höchs­tens zwei Schuh hoher, immer­grü­ner Strauch, wel­cher im Febru­ar und März gelb­lich blüht, und im Sep­tem­ber und Octo­ber wei­ße oder weiß­röth­li­che Bee­ren trägt.

Die hol­zi­gen, mit einer gelb­bräun­li­chen Rin­de um-zoge­nen Aes­te nebst dem flei­schi­gen gelb­grün­li­chen Blät­tern, (Vis­cus, Vis­cum, Lign. Visci, Lign. St. Cru­cis.) wel­che frisch gepül­vert, so wie im wäs­se­ri­gen Auf­gus­se und im geis­ti­gen Extra­c­te einen wid­ri­gen, pilz­ar­ti­gen Geruch und einen ähn­li­chen und zusam­men­zie­hen­den, den Pfir­sich­ker­nen sich nähern­den Geschmack haben, besit­zen adstrin­gi­ren­des Wesen. Seit den Zei­ten der aber­gläu­bi­gen Drui­den hat man das Pul­ver des Mis­tel­strauchs vor­züg­lich aber der Rin­de, als des kräf­tigs­ten Theils, für ein fast spe­ci­fi-sches Mit­tel in der Fall­sucht, ja auch in den meis­ten andern krampf­haf­ten Krank­hei­ten aus­ge­ge­ben. Noch ist es nicht ent­schie­den, ob die­ser gro­ße Ruhm im min­des­ten gegrün­det sei. Man soll die Aes­te im De-cem­ber sam­meln und in wohl­ver­stopf­ten, vor­her erwärm­ten Fla­schen auf­be­wah­ren, weil sie sonst leicht schim­meln, in Ver­derb­niß gera­then, und Geruch und Geschmack ver­lie­ren. (So geruch- und geschmack­los fin­det man sie gewöhn­lich in Apo­the­ken.) Man gie­bt bis zwei Quent­chen täglich.

Ehe­dem brauch­te man das Pul­ver auch zur Hem­mung der Schleim- und Blut­flüs­se aller Art, gegen die chro­ni­sche Schwä­che nach hit­zi­gen Fie­bern, und gegen Wür­mer. Es erregt Niesen.

Man hat seit den ältes­ten Zei­ten den auf Eichen wach­sen­den Mis­tel (Lign. Visci quer­ni) allen andern vor­ge­zo­gen; doch gie­bt es nicht wenig älte­re Aerz­te, wel­che in der Fall­sucht dem auf der Wald­ha­sel­nuß wach­sen­den Mis­tel (Lign. Visci cory­li­ni) bei wei­tem den Vor­zug vor jenem geben. Ande­re geben dem auf Wei­den­bäu­men wach­sen­den (Lign. Visci sali­cis) als einem Schlag­fluß ver­hü­ten­den Mit­tel den Vorrang.

In Oes­ter­reich nimmt man statt des Leim­mistels das Holz der Mis­tel­rie­men­blu­me, w.s. warum?

Die fri­sche Rin­de des Mis­tels, vor­züg­lich aber die Bee­ren ent­hal­ten ein sehr zähes flüs­si­ges Harz, wel­ches man ehe­dem als den ein­zi­gen Vogel­leim (Vis­cum aucu­pa­ri­um) kann­te. Die fri­sche Rin­de stampf­te man fein, und bil­de­te Kugeln dar­aus, wel­che so lan­ge mit kal­tem Was­ser gekne­tet wur­den, bis alle Holz­fa­sern dar­aus weg­ge­schwemmt waren; die Bee­ren aber koch­te man eini­ge Stun­den lang mit Was­ser, rieb sie dann und sei­he­te den noch hei­ßen dünn­flüs­si­gen Leim durch auf­ge­brei­te­ten Hanf, damit alle Fasern, Häu­te und Samen­ker­ne zurückblieben.

Jetzt wird der meis­te Vogel­leim aus dem Stech­pal­men­hülst verfertigt.

Den inner­li­chen Gebrauch der Bee­ren hiel­ten die Alten für ein Där­me ent­zün­den­des, gift­ar­ti­ges Dras­ti-kum, aber ihren Leim leg­te man zur Zei­ti­gung auf schwä­ren­de Geschwüls­te, und auf gich­t­i­sche Stel­len (ziem­lich empi­risch). Man hielt ihn auch für zertheilend.