Aufgießen

Hahnemanns Apothekerlexikon
vorheriges KapitelZurückInhaltsverzeichnisWeiternächstes Kapitel

Auf­gie­ßen, ist die­je­ni­ge Bear­bei­tung der Arz­nei­mit­tel, wenn man eine oder meh­re­re ein­fa­che oder zusam­men­ge­setz­te Sub­stan­zen mit einer Flüs­sig­keit über­gießt, wel­che wirk­sa­me Thei­le aus erstern zu zie­hen bestimmt ist. Ist die Aus­zie­hung gesche­hen, so heißt die Flüs­sig­keit Auf­guß oder Infusion.

Die Auf­güs­se wei­chen sehr von ein­an­der ab, theils in Rück­sicht der man­cher­lei zum Aus­zie­hen bestimm­ten Flüs­sig­kei­ten, (ein­fa­che, destil­lir­te Wäs­ser, Brannt­wein, Wein­geist, Wein, Essig, Oel u.s.w.) theils der dabei ange­wen­de­ten Wär­me (kal­te, hei­ße Auf­güs­se), theils in Absicht der Dau­er des Auf­gus­ses, (ein Auf­guß von eini­gen Minu­ten oder Stun­den, oder ein län­ger dau­ern­der, den man dann mit dem Namen kal­ter oder war­mer Diges­ti­on belegt,) theils in Rück­sicht der aus­zu­zie­hen­den Substanz.

Man berei­tet zwar größ­tent­heils Auf­güs­se von Gewächs­sub­stan­zen, Blu­men, Blät­tern, Wur­zeln, Rin­den, Samen, doch auch aus thie­r­i­schen Sub­stan­zen, dem Bie­ber­geil, den Kant­ha­ri­den. Die Aus­zie­hung blos salz­haf­ter Thei­le, z.B. die Auf­lö­sung des gebrann­ten Kal­kes in Was­ser zu Kalk­was­ser, wird nur unei­gent­lich ein Auf­guß benennt.

So nimmt auch die Aus­zie­hung der wirk­sa­men, mehr har­zi­gen Thei­le vege­ta­bi­li­scher Sub­stan­zen mit­telst Brannt­wein oder Wein­geist den Namen der Tink­tur an.

Ueber­haupt aber beab­sich­tet der Auf­guß, (wel­cher immer nur mit kal­ten, mit war­men, oder doch nur eben vom Kochen genom­me­nen Flüs­sig­kei­ten geschieht,) die Aus­zie­hung sol­cher Thei­le aus den arz­nei­li­chen Sub­stan­zen, wel­che sich ent­we­der so leicht aus­zie­hen las­sen, daß kei­ne Sie­de­hit­ze dazu erfor­der­lich ist, oder wel­che sich in sie­den­dem Was­ser zer­set­zen wür­den, (wie bei dem Absu­de der Krapp­wur­zel­rin­de, der Chi­na­rin­de und meh­re­rer andern Pflan­zen­sub­stan­zen der Fall ist,) oder wel­che bei der Koch­hit­ze ver­flie­gen, z.B. die geruch­vol­len oder gewürz­haf­ten Thei­le vie­ler Gewäch­se, deren Wirk­sam­keit auf einem flüch­ti­gen Sal­ze oder einem fei­nen äthe­ri­schen Oele beruht, und eini­ger andern im Arti­kel Absud ange­führ­ten, oder auch sol­cher, wel­che von ange­neh­mern, mil­derm Geschma­cke und schon in einer gerin­gen Wär­me aus­zu­zie­hen sind, mit Zurück­las­sung der mehr har­zi­gen, bit­tern, ekel­haft schme­cken­den, blos in kochen­dem Was­ser auf­lös­ba­ren, grö­bern Thei­le, wie mit dem Süß­holz­wur­zel­auf­gus­se und eini­gen andern der Fall ist.

Gewöhn­lich thut man die zer­schnit­te­ne oder gröb­lich gepül­ver­te trock­ne Sub­stanz mit der zum Aus-ziehn bestimm­ten Flüs­sig­keit in ein Gefäß, des­sen Mün­dung mit einer Bla­se ver­bun­den wird, schüt­telt das Gemisch um, läßt es kur­ze Zeit ste­hen, gießt dann die Flüs­sig­keit durch ein Tuch, und drückt die grö-bern Thei­le aus. Bei geruch­vol­len Dro­quen kann man zum Auf­gus­se eine mit einem guten Stöp­sel zu ver­wah­ren­de glä­ser­ne Fla­sche wählen.

Kurz vor­her getrock­ne­te Pflan­zent­hei­le geben im Auf­gus­se ihr Wirk­sa­mes weit leich­ter von sich, als die noch grü­nen, fri­schen Pflan­zen. Sehr ein­ge­trock­ne­te und lang auf­be­wahr­te Gewächs­sub­stan­zen las­sen sich schwe­rer als die frisch getrock­ne­ten ausziehen.

Der Auf­guß här­te­rer Gewächst­hei­le mit Was­ser, Wein­geist, Wein u.s.w. blos in der Absicht ihre fes­te Tex­tur zu erwei­chen und sie auf­zu­quel­len, heißt Mazeration.