Arzneipflanzen-Merkblätter des Kaiserlichen Gesundheitsamts: Nr. 17, Wollblumen (1917)

Woll­blu­men

Unter Woll­kraut, Königs­ker­ze, auch wil­der Tabak genannt, Ver­bas­cum thap­si­for­me Schrad. und Ver­bas­cum phlo­mo­ides L., ver­steht man zwei bota­nisch nur schwer zu tren­nen­de, ein­an­der sehr ähn­li­che, zwei­jäh­ri­ge Pflan­zen, die im ers­ten Jahr nur eine gro­ße Rosette von Blät­tern bil­den; aus die­ser treibt im zwei­ten Jahr ein 0,6–2 m hoher, stei­fer und auf­rech­ter, unver­zweig­ter Sten­gel her­vor, der dick fil­zig behaart ist; er ist undeut­lich fünf­kan­tig. Die Blät­ter ste­hen am Sten­gel ein­an­der nicht gegen­über; die unte­ren sind gestielt, die obe­ren sit­zen ohne Stiel am Sten­gel; sie sind läng­lich­ei­för­mig und lau­fen bis zum nächs­ten unte­ren Blatt am Sten­gel her­un­ter (Verb. thap­si­for­me) oder sie sind eiför­mig bis läng­lich-eiför­mig und lau­fen nur kurz am Sten­gel her­ab (Verb. phlo­mo­ides); die Blatt­flä­che ist runz­lig, an der unte­ren Sei­te stark geadert und bei­der­seits dicht fil­zig behaart. Die Blü­ten ste­hen in sehr gro­ßer Zahl in einer dich­ten lan­gen Ähre am Ende des Sten­gels und blü­hen lang­sam von unten nach oben auf. Der glo­cken­för­mi­ge Kelch ist zur Blü­te­zeit 6–8 mm hoch. Die Blu­men­kro­ne ist 1,5–2 cm breit und besitzt eine nur sehr kur­ze Röh­re, die in einen fla­chen, brei­ten, gold­gel­ben Saum über­geht, der fünf ungleich gro­ße Lap­pen hat. Die Lap­pen der Blu­men­kro­ne sind außen behaart, innen kahl. Die fünf Staub­ge­fä­ße sit­zen unmit­tel­bar auf der kur­zen Röh­re, wo sie in die Blu­men­kron­lap­pen über­geht. Dem größ­ten Lap­pen der Blu­men­kro­ne ste­hen zwei Staub­ge­fä­ße zur Sei­te, die im Gegen­satz zu den übri­gen kahl, nach unten gebo­gen und etwas län­ger als jene sind; die drei ande­ren Staub­ge­fä­ße sind mit lan­gen Haa­ren besetzt, ihre Staub­beu­tel ste­hen in der Form eines T quer auf den Stielen.

Woll­kraut fin­det sich an wüs­ten Stel­len, auf son­ni­gen Hügeln, auf Brachäckern, Wald­schlä­gen, an Wege­rän­dern, auf Sand und Lehm über­all in Deutsch­land; stel­len­wei­se tritt die schö­ne Pflan­ze in gro­ßen Men­gen auf.

Im Juli und August pflückt man an tro­cke­nen Tagen früh­mor­gens bei Son­nen­auf­gang die voll ent­fal­te­ten gold­gel­ben Blu­men­kro­nen aus den Kel­chen her­aus und trock­net sie sehr rasch und sorg­fäl­tig zuerst an der Luft, dann bei mäßi­ger Ofen­wär­me; damit die schö­ne Far­be erhal­ten bleibt, ist mehr­ma­li­ges Nach­trock­nen erfor­der­lich; zur Erhal­tung der Far­be müs­sen die Woll­blu­men dann auch, vor Licht geschützt, in gut schlie­ßen­den Gesä­ßen auf­be­wahrt wer­den. Die Woll­blu­men besit­zen nach dem Trock­nen einen eigen­tüm­li­chen, ange­neh­men Geruch und einen süß­lich-schlei­mi­gen Geschmack. Durch unacht­sa­mes Trock­nen oder schlech­te Auf­be­wah­rung braun oder unan­sehn­lich gewor­de­ne, geruch­lo­se Woll­blu­men sind wertlos.

Beach­tet beim Sam­meln die in einem beson­de­ren Merk­blatt zusam­men­ge­stell­ten all­ge­mei­nen Regeln. Schont beim Sam­meln die Fel­der und Äcker. Geht nicht beim Sam­meln in die Fel­der hin­ein, sam­melt nur, was am Ran­de steht, reißt nicht die gan­zen Pflan­zen aus, wenn ihr nur die Blü­ten oder Blät­ter zu sam­meln braucht. Beschä­digt die Bäu­me nicht und reißt von ihnen kei­ne Äste ab. Sam­melt nur, wo die Pflan­zen zahl­reich vor­kom­men, laßt ver­ein­zel­te ste­hen, rot­tet sie nicht aus.

Quel­len
Arz­n­ei­pflan­­zen-Mer­k­­blä­t­­ter des Kai­ser­li­chen Gesund­heits­amts /​​ Bearb. in Gemein­schaft mit d. Arz­n­ei­pflan­­zen-Aus­­­schuß d. Deut­schen Phar­ma­zeut. Gesell­schaft Ber­­lin-Dah­­lem. Sprin­ger, Ber­lin, 1917.

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