Krebsmedizin: Neues aus der wissenschaftlichen Komplementär- und Alternativmedizin

Ber­lin (mk), Etwa 40 Pro­zent der Krebs­pa­ti­en­ten nut­zen Natur­heil­kund­li­ches: Neben schul­me­di­zi­ni­schen Maß­nah­men suchen sie zum Bei­spiel Homöo­pa­then oder Neu­ral­the­ra­peu­ten auf. Grün­de: Sie wol­len zusätz­li­che Hil­fe bei der Bewäl­ti­gung oder Lin­de­rung ihrer Krank­heit. Auch Heil­pflan­zen ste­hen bei ihnen hoch im Kurs.

Lein (Linum usi­ta­tis­si­um)

Vie­le Krebs­pa­ti­en­ten suchen neben der schul­me­di­zi­ni­schen Ver­sor­gung nach Alter­na­ti­ven. Sie mei­nen, dass schul­me­di­zi­ni­sche Maß­nah­men ihre Bedürf­nis­se nicht aus­rei­chend abde­cken. “Die Ein­nah­me von heil­pflanz­li­chen Arz­nei­en oder Inan­spruch­nah­me kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­scher Ver­fah­ren wer­den von vie­len Pati­en­ten als hilf­reich erlebt”, sag­te Dr. Mar­kus Hor­ne­ber, Kli­nik Nord, Nürn­berg. Der Arzt stell­te wäh­rend einer Fach­fort­bil­dung bei der Jah­res­ta­gung 2010 der Deut­schen, Öster­rei­chi­schen und Schwei­ze­ri­schen Gesell­schaf­ten für Häma­to­lo­gie und Onko­lo­gie [1] Stu­di­en-Ergeb­nis­se breit­an­ge­leg­ter zur Nut­zung von Kom­ple­men­tär­me­di­zin durch euro­päi­sche Krebs­pa­ti­en­ten vor [2]. Die Fra­ge: Wie sieht die tat­säch­li­che Inan­spruch­nah­me von kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­schen Maß­nah­men bei Krebs­pa­ti­en­ten wäh­rend und nach ihren schul­me­di­zi­ni­schen Behand­lun­gen aus? Befragt wur­den etwa 65.000 Pati­en­ten in 18 Län­dern. “Mit 46 Pro­zent bean­spru­chen Pati­en­ten aus Nord­ame­ri­ka am häu­figs­ten kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­sche Maß­nah­men”, erläu­tert Hor­ne­ber die Ergeb­nis­se. An zwei­ter Stel­le fol­gen Pati­en­ten aus Aus­tra­li­en und Neu­see­land (42 Pro­zent), an drit­ter die Euro­pä­er (34 Pro­zent). In den euro­päi­schen Län­dern wol­len vor allem schwei­zer, öster­rei­chi­sche und deut­sche Pati­en­ten Kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­sches. “Außer­dem wur­de ermit­telt,” so Hor­ne­ber wei­ter, “dass durch­schnitt­lich 40 Pro­zent aller Krebs­pa­ti­en­ten sich für Heil­pflan­zen-Prä­pa­ra­te, Vit­ami­ne und/​oder Spu­ren­ele­men­te (z. B. Selen) und/​oder diä­te­ti­sche Maß­nah­men entscheiden”.

Unter den Vit­ami­nen ist das Vit­amin D beson­ders her­vor­zu­he­ben. Dr. Jann Are­nds, Uni­ver­si­tät Frei­burg, erklär­te zunächst ein­mal, war­um: “Für Gesun­de wie Kran­ke ist Vit­amin D wegen sei­ner Betei­li­gung an zahl­rei­chen, wich­ti­gen Kör­per­funk­tio­nen unver­zicht­bar”. So regu­liert es bei­spiels­wei­se den Cal­ci­um- und Phos­phat­haus­halt über den Darm. Es ist essen­ti­ell für den Kno­chen­stoff­wech­sel wegen des Auf­baus und der Mine­ra­li­sie­rung der Kno­chen. Eben­so wird das Vit­amin im Kör­per für die Bil­dung von Makro­pha­gen (Fress­zel­len) und Lym­pho­zy­ten des Immun­sys­tems sowie für die Regu­la­ti­on grund­le­gen­der Zell­funk­ti­on benö­tigt. Grund­sätz­lich kann der Kör­per das Vit­amin D aus Vor­stu­fen selbst her­stel­len. Und zwar unter Ein­wir­kung UV-hal­ti­gen Son­nen­lich­tes in der Haut. Aller­dings fehlt den Nord­eu­ro­pä­ern vor allem in den Herbst- und Win­ter­mo­na­ten das nöti­ge Son­nen­licht. “Des­halb lei­den 30–70 Pro­zent der gesun­den Erwach­se­nen an einem Vit­amin-D-Man­gel (ihnen ste­hen also weni­ger als 50 Nanogramm/​Tag zur Ver­fü­gung)”, so Are­ndt. Des­halb emp­fiehlt der Arzt auch Gesun­den die Ein­nah­me von Vit­amin D wäh­rend der son­nen­ar­men Jah­res­zei­ten. “Son­nen­licht ver­rin­gert Krebs”, so Are­ndt. Er erläu­tert wei­ter, das durch ver­schie­de­ne Labor-Stu­di­en mit mensch­li­chen und tie­ri­schen Zel­len eine anti­tu­mo­ra­le Wir­kung von Vit­amin D fest­ge­stellt wer­den konn­te. Eine ergän­zen­de Zufuhr (“Sup­ple­men­ta­ti­on” ‚1.000 Inter­na­tio­na­le Ein­hei­ten pro Tag) erscheint dem Arzt sinn­voll: Bei Krebs­pa­ti­en­ten ver­bes­sert die Vit­amin-Ein­nah­me zudem die Schmerz­kon­trol­le und senkt den Bedarf an Schmerzmitteln.

Trau­ben­sil­ber­ker­ze (Cimici­fu­ga race­mo­sa)

Auch Brust­krebs­pa­ti­en­tin­nen suchen ger­ne nach kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­schen Alter­na­ti­ven, so Dr. Mat­thi­as Ros­tock, Uni­ver­si­täts­spi­tal Zürich. Sie lei­den häu­fig an Wech­sel­jahrs­be­schwer­den, die sich in Hit­ze­wal­lun­gen, nächt­li­chen Schweiß­aus­brü­chen, sexu­el­len Dys­funk­tio­nen, Angst oder Depres­sio­nen äußern kön­nen. Die von Schul­me­di­zi­nern vor­ge­schla­ge­nen Anti­de­pres­si­va wer­den wegen der nicht uner­heb­li­chen Neben­wir­kun­gen von vie­len betrof­fe­nen Pati­en­tin­nen abge­lehnt. “Sie zie­hen kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­sche Ver­fah­ren ger­ne vor”, so Ros­tock. Der Arzt zeigt sich erfreut über die ver­bes­ser­te Stu­di­en­la­ge bezüg­lich ver­schie­de­ner Natur­arz­nei­en. “Es gab bei­spiels­wei­se Stu­di­en über die Wir­kung von Soja und Rot­klee auf Wech­sel­jahrs­be­schwer­den”, sag­te Ros­tock. Bei­de pflanz­li­chen Wirk­stof­fen ver­bes­ser­ten Meno­pau­sen-Sym­pto­me im Ver­gleich zu Pla­ce­bo nicht, berich­te­te der Schwei­zer Arzt wei­ter. Jedoch: Bei zwei von vier durch­ge­führ­ten Stu­di­en mit Trau­ben­sil­ber­ker­ze zeig­ten sich ein­deu­ti­ge Ver­rin­ge­run­gen der geklag­ten Hit­ze­wal­lun­gen. “Lei­der sind vie­len Pati­en­ten die gesund­heit­lich vor­teil­haf­ten Vor­tei­le von Lein­sa­men nicht bewusst”, so Ros­tock, “täg­lich 40 Gramm geschro­te­tes (wich­tig!) Lein­sa­men über min­des­tens sechs Wochen ein­ge­nom­men, sen­ken Hit­ze­wal­lun­gen eben­falls”. Ros­tock wies auch auf die Neu­ral­the­ra­pie hin. “Wenig bekannt ist, dass mit einer Inter­ven­ti­on der Gan­gli­on-Stel­la­tum-Blo­cka­de, Hit­ze­wal­lun­gen signi­fi­kant gesenkt wer­den kön­nen”, so Ros­tock. Aber auch “sanf­te­re” Metho­den wie Yoga, Medi­ta­ti­on oder Atem­übun­gen haben ein­deu­ti­ge Erfol­ge gezeigt.

Ein inter­es­san­tes Pro­jekt, dass sich sowohl an Onko­lo­gen wie Krebs­pa­ti­en­ten glei­cher­ma­ßen rich­tet, stellt Dr. Pet­ter Viks­ve­en, Tromsö/​Norwegen vor: Das CAM-Can­cer-Pro­jekt (CAM=Complementary and Alter­na­ti­ve Medi­ci­ne [deutsch: Kom­ple­men­tär- und alter­na­ti­ve Medi­zin]). Bei dem Pro­jekt han­delt es sich um eine Daten­bank, die zusam­men­ge­fass­te, von Exper­ten ana­ly­sier­te und hin­sicht­lich des Nut­zens bewer­te­te Stu­di­en zur Kom­ple­men­tär- und Alter­na­tiv­me­di­zin im Inter­net publi­ziert. Die Web­site: www.cam-cancer.org stellt zum Bei­spiel unter ‚CAM-Sum­me­ries’ Stu­di­en­zu­sam­men­fas­sun­gen zu natür­li­chen Krebs-Prä­pa­ra­ten oder zur Wirk­sam­keit von Aku­punk­tur oder Tra­di­tio­nel­ler Medi­zin bei Krebs zur Ver­fü­gung. Das Pro­jekt, so erläu­tert Viks­ve­en, wird von der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on und dem Nor­we­gi­schen For­schungs­zen­trum für kom­ple­men­tä­re und alter­na­ti­ve Medi­zin (NAFKAM) finan­ziert. Gegen­wär­tig sind die Stu­di­en aus­schließ­lich auf Eng­lisch ver­füg­bar. “Zukünf­tig wer­den die Stu­di­en auch in euro­päi­schen wie asia­ti­schen Spra­chen ver­füg­bar sein, um tat­säch­lich ein Netz­werk auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne zu ermög­li­chen”, so Viks­ve­en. Scha­de ist, dass etli­che der Bewer­tun­gen nur Wie­der­ho­lun­gen ander­wei­tig publi­zier­ter Stu­di­en sind. Der tat­säch­li­che Nut­zen für Krebs­pa­ti­en­ten hält sich dadurch in Grenzen.

Autorin
• Mari­on Kaden, Heil­pflan­­zen-Welt (2010).
Quel­len
[1] Sym­po­si­um “Evi­­dence-based com­ple­men­ta­ry and alter­na­ti­ve medi­ci­ne (CAM) in onco­lo­gy”, 3. Okto­ber 2010 bei der “Jah­res­ta­gung 2010 der Deut­schen, Öster­rei­chi­schen und Schwei­ze­ri­schen Gesell­schaf­ten für Häma­to­lo­gie und Onko­lo­gie”, Ber­lin, 1.–5. Okto­ber 2010. [2] Less D, Bue­schel G, Rit­ter E, Hor­ne­ber M: Uncon­ven­tio­nal methods in can­cer pati­ents: pre­va­lence and pat­terns of use in Euro­pean count­ries: Pre­sen­ted at 7th Inter­na­tio­nal Con­fe­rence of Anti­can­cer Rese­arch, Octo­ber 25–30, 2004, Cor­fu, Greece; Anti­can­cer Res 2004: 24 (5D) 3393 (https://www.med5-nbg.de/klinik/agbkt/18649.pdf).

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