Lesetipp: “Von Blättern und Zweigen”

Nicht immer ist ‚weni­ger mehr’. Bei einer Ver­qui­ckung von regio­na­len Rezep­ten mit ein­hei­mi­schen Kräu­tern und dem indi­schen Medi­zin­kon­zept Ayur­ve­da kön­nen Feh­ler pas­sie­ren. Ein nicht wie­der gut zu machen­der Feh­ler ist, das phi­lo­so­phisch ange­leg­te, all­um­fas­sen­de Medi­zin­sys­tem aus­schließ­lich auf Ernäh­rung zu redu­zie­ren. Denn das führt zu einer unzu­läs­si­gen Bana­li­sie­rung. Schließ­lich hal­ten sich bis heu­te Mil­lio­nen von Indern an ihr tra­di­tio­nel­les Medi­zin­sys­tem – und das nicht nur mit ihren Kochtöpfen.

Ayur­ve­disch (indisch) kochen mit zumeist regio­na­len Kräu­tern – geht das eigent­lich? Dies ist die Fra­ge, die sich beim Auf­schla­gen des hand­li­chen Buches von Ulri­ke Fröh­lich stellt. Sie hat eine Samm­lung von 88 Rezep­ten zusam­men­ge­tra­gen, die vor­wie­gend auf ein­hei­mi­schen Kräu­tern basie­ren oder sol­chen, die bei uns längst hei­misch gewor­den sind. Bekann­te Kräu­ter wie Anis, Basi­li­kum, Bocks­horn­klee, Lor­beer­blät­ter, Peter­si­lie oder Zitro­nen­me­lis­se sind bei­spiels­wei­se auf­ge­führt. Somit dürf­te ein Nach­ko­chen ohne Wei­te­res mög­lich sein und eine auf­wen­di­ge Beschaf­fung exo­ti­scher Gewür­ze entfallen.

Beim Lesen der Rezep­te macht sich jedoch schnell Ver­wun­de­rung breit. Her­aus­ge­pickt und vor­ge­stellt, hier ein Rezept­bei­spiel mit der belieb­ten vit­amin- und geschmacks­rei­chen Peter­si­lie: Die “Brat­lin­ge auf Gemü­se” bestehen aus Mager­quark, Grieß, Eiern und einer Zwie­bel und sol­len auf mari­nier­tem Gemü­se ange­rich­tet wer­den. Die Peter­si­lie ist nur – wie auch in der euro­päi­schen Küche – Gewürz und Bestand­teil einer Mari­na­de zu blan­chier­tem Gemü­se. Was soll die­ses Rezept nun mit der indi­schen Küche zu tun haben, wird die geneig­te Lese­rin wei­ter­hin wis­sen wol­len? Wohl zum bes­se­ren Ver­ständ­nis ver­sucht die Autorin einen Bezug zur Klos­ter­me­di­zin her­zu­stel­len und ver­bin­det die­se mit der ayur­ve­di­sche Medi­zin auf unglück­li­che Wei­se: Zur Peter­si­lie schreibt sie “Peter­si­lie ist ein euro­päi­sches Kraut. Es passt nahe­zu zu allen hei­mi­schen Gerich­ten, denen es dann einen leicht fri­schen Touch ver­leiht”. Fröh­lich ver­weist dann noch auf den hohen Vit­amin- und Mine­ral­stoff­ge­halt des Gar­ten­krauts, des­sen “stär­ken­de Wir­kung” bei Anämie beliebt sein soll. Zuletzt behaup­tet sie ein­fach, dass Peter­si­lie” Pit­ta ver­mehrt, Vata und Kapha reduziert”.

Auf der Suche nach einer Erklä­rung von Pit­ta, Vata oder Kapha könn­ten die ein­lei­ten­den Wor­te des Buches mög­li­cher­wei­se wei­ter­hel­fen. Dort meint die Autorin: “Ayur­ve­da ist nichts Frem­des und ayur­ve­disch kochen heißt nicht indisch kochen! Viel­mehr kann man in jeder Volks­kü­che im ayur­ve­di­schen Sinn kor­rekt kochen – am bes­ten regio­nal.” Auf der nach­fol­gen­den Sei­te fasst Fröh­lich auf sech­zehn Zei­len selbst­be­wusst die Begrif­fe Vata, Pit­ta und Kapha zusam­men als “gewis­se Grund­kon­sti­tu­tio­nen”, deren Stö­rung sich via Puls­dia­gnos­tik leicht ermit­teln lassen.

Pro­ble­ma­tisch ist aller­dings, dass die Puls­dia­gnos­tik in Deutsch­land nur von weni­gen The­ra­peu­ten wirk­lich beherrscht wird. Damit steht nun die Lese­rin allei­ne da. Sie könn­te sich noch die Mühe machen, im Inter­net zu recher­chie­ren. Sie wür­de dann unter dem Such­wort “Ayur­ve­da” eine gan­ze Rei­he von Ser­vice­sei­ten fin­den. Bei eini­gen Inter­net­an­ge­bo­ten besteht auch die Mög­lich­keit nach der Beant­wor­tung einer Rei­he von Fra­gen, sich die per­sön­li­che Grund­kon­sti­tu­ti­on auto­ma­ti­siert aus­rech­nen zu las­sen. Doch lang­jäh­rig arbei­ten­de, ayur­ve­di­sche The­ra­peu­ten wür­den nun spä­tes­tens das Buch resi­gniert zuklap­pen. Denn weder eine Inter­net­a­na­ly­se noch die bana­le Zusam­men­fas­sung der Autorin wer­den der uralten, tra­di­tio­nel­len, indi­schen Heil­kunst gerecht. Schließ­lich basiert die­se auf einem kom­pli­zier­ten theo­re­ti­schen, wie phi­lo­so­phi­schen Über­bau. Die­ser umfasst sowohl den mensch­li­chen Kör­per, See­le wie des­sen Geist und stellt ihn nicht nur in Zusam­men­hang mit dem unmit­tel­ba­ren Lebens­um­feld, son­dern sogar mit dem gesam­ten Kosmos.

Ver­ant­wor­tungs­vol­le (auch deut­sche) The­ra­peu­ten benö­ti­gen allein für die Fest­stel­lung des per­sön­li­chen Doshas eine umfang­rei­che, mehr­stün­di­ge Ana­mne­se. Für Stö­run­gen der Grund­kon­sti­tu­ti­on, die von Befind­lich­keits­stö­run­gen zu leich­ten oder schwe­ren Erkran­kun­gen füh­ren kön­nen, haben The­ra­peu­ten zum Teil auf­wen­di­ge Maß­nah­men parat.

Resümee und Antwort:

Die Aus­sa­ge der Autorin, dass “die Dos­ha­stö­run­gen durch geziel­te Ernäh­rung aus­ge­gli­chen wer­den kön­nen” ist schlicht­weg falsch. Außer­dem ist eine der­ar­ti­ge Ver­ein­fa­chung ist zu platt für ein uraltes Medi­zin­sys­tems, dem Mil­lio­nen von Inder noch heu­te all­täg­lich fol­gen. Auch wenn die zuneh­men­de Glo­ba­li­sie­rung vie­les mög­lich oder auch ein­fa­cher zu machen scheint – manch­mal ist es klug, “die Kir­che im Dorf las­sen”. Ein paar regio­na­le, vege­ta­ri­sche Rezep­te wer­den nicht wirk­lich auf­ge­peppt oder inter­es­san­ter gemacht durch exo­ti­sche, falsch ver­stan­de­ne Medizinkonzepte.

Fröh­lich, Ulri­ke: Von Blät­tern und Zwei­gen. Mit Gewür­zen ayur­ve­disch kochen

Ver­lag Fel!x AG. 2009 Wintrich.

Preis 19,95 €. Kos­ten­freie Lie­fe­rung durch Amazon

Autorin
• Mari­on Kaden, Heil­pflan­­zen-Welt (2010).

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