Buchbesprechung: PhytoPraxis

Der Titel des Buches scheint Pro­gramm zu sein: Es wur­den Phy­to­phar­ma­ka zusam­men­ge­tra­gen, die in der Pra­xis eines nie­der­ge­las­se­nen All­ge­mein­me­di­zi­ners von Nut­zen sein könn­ten. Bei der Aus­wahl der Heil­pflan­zen liess sich der Ver­fas­ser des Buches, Mar­kus Wie­sen­au­er, von sei­ner lang­jäh­ri­gen Tätig­keit als Fach­arzt und Mit­wir­ken­der in ver­schie­de­nen Arz­nei­mit­tel­kom­mis­sio­nen lei­ten. Sei­ne Absicht erläu­tert er im Vor­wort: Das Buch soll die phy­to­the­ra­peu­ti­sche Pra­xis abbil­den und einen Mehr­wert für Pati­en­ten unter den Aspek­ten der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­run­gen liefern.

Positiv: Die Übersichtlichkeit

Die “Phy­to­Pra­xis” ist hand­lich, über­sicht­lich gestal­tet und umfasst ca. 380 Sei­ten. Die häu­figs­ten Indi­ka­tio­nen, mit denen ein Haus­arzt in sei­nem Pra­xis­all­tag kon­fron­tiert ist, geben die Struk­tur vor. So sind im Inhalts­ver­zeich­nis 22 indi­ka­ti­ons­be­zo­ge­ne Kapi­tel ver­zeich­net – von all­ge­mei­nen Befind­lich­keits­stö­run­gen bis hin zu Herzkreislauf‑, Magen-Darm‑, Schild­drü­sen- und Hals-Nasen-Ohren-Erkran­kun­gen u.s.w. Die bei­den letz­ten Kapi­tel sol­len die geson­der­te Ver­ord­nungs­si­tua­ti­on bei Kin­dern (Kin­dern bis zu 12 Jah­ren bekom­men Phy­to­phar­ma­ka von der Kas­se bezahlt) und Krebs-Erkrank­ten (Mis­tel­prä­pa­ra­te sind ver­ord­nungs­fä­hig) widerspiegeln.

Auswahlkriterien nicht nachvollziehbar

Jedes Kapi­tel folgt einem Sche­ma: Zunächst wird eine sehr knap­pe Ein­lei­tung zur Indi­ka­ti­on aus natur­heil­kund­li­cher Sicht gelie­fert, dann eine Über­sichts­ta­bel­le, die typi­sche Sym­pto­ma­ti­ken, zu ver­ord­nen­de Wirk­stof­fe und Prä­pa­ra­te­bei­spie­le auf­führt. Auf die Wirk­stof­fe und ange­nom­me­ne Wirk­wei­se wird eher stich­wort­ar­tig ein­ge­gan­gen. So wer­den bei­spiels­wei­se im Kapi­tel “Rezi­di­vie­ren­de Infek­te” die Gin­seng- und Tai­ga­wur­zel zur Stei­ge­rung der Abwehr genannt. Genau­er ein­ge­gan­gen wird jedoch nur auf das Son­nen­hut­kraut . Von den ins­ge­samt 31 Prä­pa­ra­ten, die gegen­wär­tig in der Roten Lis­te zu Echinacea auf­ge­führt sind, wer­den jedoch nur acht genannt. Wel­che Aus­wahl­kri­te­ri­en zugrun­de lie­gen, wird nir­gends erwähnt. Und so kommt ein scha­ler Bei­geschmack von Phar­ma-Spo­se­ring auf. Denn war­um nur grö­ße­re und namen­haf­te­re Phy­to­her­stel­ler Erwäh­nung fin­den, ist nicht nach­voll­zieh­bar. Das­sel­be gilt für den “Pra­xis­tipp”, des­sen Aus­wahl­kri­te­ri­en für eine beson­de­re Emp­feh­lung nicht erkenn­bar sind und auch nicht erläu­tert werden.

Viel­leicht hat Wie­sen­au­er ver­sucht, einen Über­blick über die wich­tigs­ten Phy­to­phar­ma­ka (zumeist Fer­tig­prä­par­te) zu lie­fern, die gegen­wär­tig noch in Pra­xen zum Ein­satz kom­men? Oder er woll­te nur die bekann­tes­ten pflanz­li­chen Wirk­stof­fe vor­stel­len? Die­se und wei­te­re Fra­gen blei­ben phy­to­phar­ma­zeu­tisch Inter­es­sier­ten – und nicht nur All­ge­mein­me­di­zi­nern – beim Durch­blät­tern des Buches unbe­ant­wor­tet. Der rela­tiv gro­ßen Aus­wahl an Indi­ka­tio­nen steht nur die Nen­nung rela­tiv weni­ger Wirk­stof­fe bezie­hungs­wei­se Prä­pa­ra­te gegen­über. Unein­ge­weih­ten oder Neu­lin­gen könn­te der Ein­druck ent­ste­hen, dass die Phy­to­the­ra­pie anhand der knap­pen Aus­wahl wenig zu bie­ten hat. Erfah­re­ne natur­heil­kund­lich aus­ge­rich­te­te Ärz­te fin­den nichts Neu­es. Es wäre fatal, wenn die­se Aus­wahl tat­säch­lich die phy­to­the­ra­peu­ti­sche Pra­xis abbil­den wür­de, wie der Autor bezweck­te. Denn das käme einem Armuts­zeug­nis gleich in Anbe­tracht der Viel­falt und Reich­hal­tig­keit, die die deut­sche Phy­to­the­ra­pie mit ihrer lan­gen Geschich­te zu bie­ten hat.

Da von einer ehr­li­chen Absicht des Autors aus­zu­ge­hen ist, wer­den sich Leser fra­gen, wie es zu die­ser rela­tiv dürf­ti­gen Aus­wahl kommt? Eine mög­li­che Erklä­rung liegt in der Kom­mis­si­ons­tä­tig­keit Wie­sen­au­ers. Er war wie eine gan­ze Rei­he von Exper­ten ein­ge­la­den, die deut­sche Phy­to­the­ra­pie zu bewerten.

Exkurs

Da die meis­ten erfah­rungs­heil­kund­li­chen Pflan­zen­kennt­nis­se “nur” auf Beob­ach­tung, Anwen­dung und Tra­di­ti­on beruh­ten, gab es von dem Vor­läu­fer des heu­ti­gen Bun­des­in­sti­tuts für Arz­nei­mit­tel und Medi­zin­pro­duk­te (BfArM), dem BGA (Bun­des­ge­sund­heits­amt) Bestre­bung pflanz­li­che Arz­nei­mit­tel für die Ver­brau­cher sicher und ver­gleich­bar mit che­mi­schen Prä­pa­ra­ten zu machen. 30 Jah­re lang ran­gen Exper­ten dar­um, die “wirk­sa­men” von den “unwirk­sa­men” (oder für den Men­schen schäd­li­chen) Pflan­zen bezie­hung­wei­se ihren Wirk­stof­fen nach “wis­sen­schaft­li­chen, schul­me­di­zi­ni­schen” Kri­te­ri­en zu kenn­zeich­nen. Aus tau­sen­den Pflan­zen und Wirk­stof­fen der deut­schen Phy­to­the­ra­pie wur­den letzt­lich 214 Pflan­zen­be­schrei­bun­gen oder Mono­gra­phien zusam­men­ge­stellt. Dann ende­te die Kom­mis­si­ons­ar­beit. Ins­ge­samt wur­den 197 Ein­zel­wirk­stof­fe posi­tiv mono­gra­phiert, folg­lich als wirk­sam und vor allem als sicher für die Ver­brau­cher eingeschätzt.

Schon des­halb müss­te die “Phy­to­Pra­xis” umfang­rei­cher aus­fal­len. Die Emp­feh­lun­gen bezie­hen sich meis­tens nur auf Fer­tig­prä­pa­ra­te. Die brei­te Palet­te an Tees, die sich Pati­en­ten ohne wei­te­res leicht selbst zube­rei­ten kön­nen, ist eben­falls unter­re­prä­sen­tiert – am Ende des Buches wer­den über sechs Sei­ten ein paar Vor­schlä­ge zu aus­ge­wähl­ten Indi­ka­tio­nen vor­ge­nom­men. Hier stellt sich die Fra­ge, war­um kos­ten­güns­ti­ge Phy­to­phar­ma­ka als Tee so stief­müt­ter­lich behan­delt wer­den, wenn sie doch so kos­ten­güns­tig sind? Somit lässt sich der Mehr­wert für den Pati­en­ten nir­gends erken­nen: Denn von den 197 pflanz­li­chen Wirk­stof­fe sind nur noch vier Wirk­stof­fe im Ver­ord­nungs­ka­ta­log. Alle ande­ren pflanz­li­chen Präpra­te müs­sen Pati­en­ten aus eige­ner Tasche bezah­len. Zu guter Letzt: Wirk­lich bedau­er­lich ist, dass das Kapi­tel für die Kin­der so dürf­tig aus­ge­fal­len ist. Schließ­lich gibt es vie­le Müt­ter, die sich neben­wir­kungs­freie Prä­pa­ra­te wün­schen. Und sie bekä­men die­se sogar von den Kas­sen bezahlt! Doch Wie­sen­au­er spart mit Emp­feh­lun­gen und Rat­schlä­gen – ganz als wür­de er befürch­ten, irgend­wann die Kos­ten aus eige­ner Tasche bezah­len zu müssen.

Resümee:

“Phy­to­Pra­xis” ist nur etwas für Ein­stei­ger in die Phy­to­the­ra­pie. Sie kön­nen das Buch ver­wen­den, um sich spä­ter wei­ter zu ori­en­tie­ren. Es lie­fert nur einen klei­nen Ein­blick und auch kei­ne Argu­men­ta­ti­ons­hil­fe für die Ver­schrei­bung oder Beson­der­heit von Phy­to­phar­ma­kas. Ein zwei­ter Blick in die Rote Lis­te ist emp­feh­lens­wert, um sich her­stel­ler­un­ab­hän­gig von der Ver­ord­nung zu machen, denn wie schon erwähnt, wer­den längst nicht alle Her­stel­ler und Prä­pa­ra­te auf­ge­lis­tet. Für Ärz­te, mit lang­jäh­ri­ger natur­heil­kund­li­cher Erfah­rung bringt es nichts Neues.

Wie­sen­au­er Mar­kus: Phy­to­Pra­xis
Sprin­ger Medi­zin Ver­lag Hei­del­berg 2008.
3. Auf­la­ge. ISBN 978‑3540–68252–3. 22,95 €
Kos­ten­freie Lie­fe­rung durch Ama­zon.

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Heil­pflan­­zen-Welt (2009).

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