Die Berner-Homöopathie Studie – ein neues “Ende der Homöopathie”?

Eine Gegen­dar­stel­lung von Dr. med. Micha­el M. Hadul­la, Hei­del­berg; Dr. med. Olaf Rich­ter, Butz­bach.

Das renom­mier­te bri­ti­sche Medi­zin-Fach­jour­nal The Lan­cet ver­kün­det in der Aus­ga­be vom 27. August 2005 das “Ende der Homöo­pa­thie” [1]. Das im Lan­cet publi­zier­te Ergeb­nis fußt auf einer Homöo­pa­thie-Stu­die, die im Rah­men des Pro­gramms Eva­lua­ti­on Kom­ple­men­tär­me­di­zin (PEK) unter der Lei­tung von Prof. Mat­thi­as Egger vom Insti­tut für Sozi­al- und Prä­ven­tiv­me­di­zin (ISPM) der Uni­ver­si­tät Bern durch­ge­führt wurde.

Die­se Stu­die – eine Meta­ana­ly­se vor­an­ge­gan­ge­ner Stu­di­en – kommt zum Schluss, die Wir­kung von Homöo­pa­thie beru­he auf einem Pla­ce­bo-Effekt. Im Edi­to­ri­al gibt der Lan­cet den Rat­schlag, Ärz­te müss­ten mit den Pati­en­ten ab heu­te über den “Man­gel an Wir­kung” Klar­text spre­chen. Und dezi­diert fragt der Sozi­al­me­di­zi­ner M. Egger: “Darf ich als Arzt einem Pati­en­ten guten Gewis­sens zu einer Behand­lung raten, von der ich jetzt end­gül­tig weiß, dass sie objek­tiv kei­ne Wir­kung hat?” [2].

Anlass zu der betref­fen­den Lan­cet-Publi­ka­ti­on dürf­te ein vor kur­zem bekannt gewor­de­ner Ent­wurf eines WHO-Reports gewe­sen sein, der der Homöo­pa­thie ein zu gutes Zeug­nis aus­stellt [3].

Erfahrungsbasierte Heilkunde und moderne Metaanalysen

Constantin Hering

Con­stan­tin Hering

Stu­di­en zum “end­gül­ti­gen Ende der Homöo­pa­thie” sind so alt wie die Homöo­pa­thie selbst – also über 200 Jah­re. Zum Bei­spiel Con­stan­tin Hering (1800–1880), der von dem Chir­ur­gen PD Dr. Jakob Hein­rich Rob­bi beauf­tragt wur­de, eine Abhand­lung über den “Irr­weg” der Homöo­pa­thie zu schrei­ben. Der Zufall woll­te es, dass sich Hering wäh­rend sei­ner Mate­ri­al­samm­lung zum Angriff auf die Homöo­pa­thie eine Sek­ti­ons­ver­let­zung (Phleg­mo­ne mit sep­ti­schen Fie­ber) zuzog, die sich hoch­gra­dig ent­zün­de­te. Eine homöo­pa­thi­sche Gabe (Arse­ni­cum album C30) bewahr­te Hering jedoch vor einer Ampu­ta­ti­on sei­nes Armes und so wur­de er zu einem treu­en Ver­tre­ter der Homöo­pa­thie. Spon­tan­be­richt von Hering hier­zu: “Ungläu­big nahm ich den Trop­fen, abends … war davon den ande­ren Tag viel bes­ser und nach einer Woche her­ge­stellt. Auch frei für immer von Unglau­ben”. Spä­ter wur­de er dann der Begrün­der der Homöo­pa­thie in Amerika.

Ein wei­te­res Bei­spiel fin­den wir bei James Comp­ton-Bur­nett (1840–1901), einem der Alt­meis­ter unter den Homöo­pa­then. Er hat in sei­ner Publi­ka­ti­on “50 Grün­de ein Homöo­path zu wer­den” im ers­ten Grund sei­ne eige­ne Erfah­rung dar­ge­legt: Er hat­te eine aus­ge­prägt Pleu­ri­tis (=Brust­fell­ent­zün­dung) mit schwers­ten neur­al­gi­schen Schmer­zen über Jah­re hin­weg. Alle The­ra­pie­ver­su­che, die ihn durch ganz Euro­pa rei­sen lie­ßen, und alles Kuren brach­ten ihm kein Erfolg. Dann fand er zufäl­lig in einem Homöo­pa­thie­buch sei­ne Sym­pto­me auf­ge­lis­tet, näm­lich unter dem Arz­nei­mit­tel­bild von Bryo­nia: Eine ein­zi­ge Gabe von Bryo­nia hat ihn dann für immer von den jah­re­lan­gen Schmer­zen befreit.

James Tyler Kent

James Tyler Kent

Auch der berühm­te ame­ri­ka­ni­sche Homöo­path James Tyler Kent (1849–1916) wur­de – zunächst stren­ger Schul­me­di­zi­ner – durch die schwe­re Erkran­kung sei­ner ers­ten Frau “kon­ver­tiert”. Von ihm wird fol­gen­de Geschich­te berich­tet: Sei­ne Frau bedräng­te ihren Mann unbe­dingt die Hil­fe des bekann­ten Homöo­pa­then Dr. Richard Phel­an aus der unmit­tel­ba­ren Nach­bar­schaft anzu­neh­men. Sei­ne Frau war schwer erkrankt, u. a. litt sie unter einer the­ra­pie­re­sis­ten­ten Schlaf­lo­sig­keit. Um ihren Wil­len nach­zu­ge­ben ließ er gegen sei­ne inne­re Über­zeu­gung die­sen Dr. Phel­an rufen … er beob­ach­te­te ihn mit ver­ächt­li­cher Belus­ti­gung, ins­be­son­de­re wie die­ser homöo­pa­thi­sche “Kol­leg” den Fall auf­nahm und dann noch sei­ner Frau ein paar Kügel­chen ver­ord­ne­te. Kent lach­te dabei inner­lich, wie er spä­ter zugab, aber wie ver­spro­chen, gab er sei­ner Frau die ers­te Dosis. Die zwei­te Dosis ver­gaß er, weil er sich in sei­ne Lite­ra­tur ver­tieft hat­te. Als er aber zu sei­ner Frau ging, fand er sie schla­fend. Dies war das ers­te Mal nach Mona­ten lan­ger, quä­len­der Schlaf­lo­sig­keit, dass sie wie­der Ruhe fand. “This was enough for Kent to throw hims­elf heart and soul into the stu­dy of the homoeo­pa­thic sci­ence” – so heißt es im Originalbericht.

Nicht nur Hering, Comp­ton-Bur­nett und Kent, son­dern auch vie­le prak­tisch arbei­ten­de Ärz­te aus unse­ren Tagen haben im Zusam­men­hang mit der Homöo­pa­thie eine Art Damas­kus-Ereig­nis erlebt, sind also wie der glü­hen­de Chris­ten­ver­fol­ger Sau­lus zum geläu­ter­ten Pau­lus gewor­den – wie auch die Ver­fas­ser die­ser Gegen­dar­stel­lung selbst -, die es dann gelernt haben, in der Homöo­pa­thie ihre wun­der­vol­len Mög­lich­kei­ten, aber auch ihre Gren­zen zu erkennen.

Zahl­rei­che neue­re Stu­di­en bis in unse­re Tage wie die von Knip­schild et al. (1991 [4]), Bois­sel et al. (1995 [5]) oder Lin­de et al. (1997 [6]), die im inter­na­tio­nal renom­mier­ten Bri­tish Medi­cal Jour­nal und auch im oben zitier­ten Lan­cet erschie­nen sind, beschei­ni­gen der Homöo­pa­thie im Gegen­satz zu der o. g. Egger-Stu­die eine posi­ti­ve Heil­wir­kung, die über einen Pla­ce­bo-Effekt hinausreicht.

Unsere Kritik

Ers­tens

In bei­den gro­ßen “Pro­banden­grup­pen” der Ber­ner Stu­die von jeweils 110 Unter­su­chun­gen müss­te logi­scher­wei­se das Daten­ma­te­ri­al vor­an­ge­gan­ge­ner Stu­di­en wie der von Knip­schild, Bois­sel oder Lin­de Ein­gang gefun­den haben; also sta­tis­ti­sches Mate­ri­al, das eine posi­ti­ve Wir­kung der Homöo­pa­thie auf­ge­zeigt hat: War­um die­se drei vor­an­ge­gan­ge­nen Stu­di­en mit posi­ti­vem Ergeb­nis durch die Meta­ana­ly­se von Egger “ent­wer­tet” wor­den sein sol­len – dazu noch in “end­gül­ti­ger” Form – bleibt im Unklaren.

Wei­ter feh­len auch detail­lier­te ein­zel­ne Anga­ben zu den ver­wen­de­ten Stu­di­en, die für die Meta­ana­ly­se her­an­ge­zo­gen wur­den. Die­se Undurch­sich­tig­keit des For­schungs­de­signs erlaubt es den Lesern nicht, die posi­ti­ven und die nega­ti­ven Ergeb­nis­se der 110 Stu­di­en zu über­bli­cken. Die­se eher naturwissenschaftlich/​statistisch ori­en­tier­te Kri­tik wur­de schon in über­sicht­li­cher und detail­lier­ter Wei­se z. B. vom Schwei­ze­ri­schen Ver­ein Homöo­pa­thi­scher Ärz­tin­nen und Ärz­te kri­ti­siert [7].

Dass jetzt aus­ge­rech­net die eine “Egger-Stu­die” – mög­lichst ein für alle mal – das Ende der Homöo­pa­thie ankün­di­gen will, hal­ten wir für aus­ge­spro­chen ver­we­gen. Das erin­nert uns an die soge­nann­te Mar­bur­ger Erklä­rung (1995), bei der ex cathe­dra der Homöo­pa­thie ein für alle Mal – also end­gül­tig – der Zugang zur Uni­ver­si­tät unter­sagt wur­de. Der “Egger­stand­punkt” erin­nert die Ver­fas­ser aber nicht nur an die fata­le Mar­bur­ger Erklä­rung, son­dern auch schmerz­lich an ihre eige­ne Stu­di­en­zeit vor 30 Jah­ren, als sie hin­ter dem Rücken ihrer Kli­nik­chefs die Vor­le­sun­gen der psy­cho­so­ma­ti­schen Medi­zin auf­such­ten, weil auch die­se Metho­de damals als hoch unwis­sen­schaft­lich galt, da sta­tis­tisch nicht nachprüfbar.

Zwei­tens

Die­ses gilt eben­so im Fal­le der Psy­cho­the­ra­pie, die sich in ihrer Wirk­sam­keit und the­ra­peu­ti­schen Rele­vanz eben­falls nicht ein­deu­tig durch kon­trol­lier­te, dop­pel­blin­de, ran­do­mi­sier­te Stu­di­en hat be- oder wider­le­gen lassen.

Den­noch bezwei­felt heu­te nie­mand, der mit Pati­en­ten ärztlich/​therapeutisch arbei­tet, ernst­haft Sinn und Nut­zen psy­cho­the­ra­peu­ti­scher Ver­fah­ren in der täg­li­chen Praxis.

Bei der Homöo­pa­thie han­delt es sich um eine streng am Indi­vi­du­um, am Men­schen aus­ge­rich­te­te, phä­no­me­no­lo­gisch und umfas­send ärzt­lich ori­en­tier­te Behandlungsweise.

Anmer­kung: Eine ver­kürz­te Dar­stel­lung wie an die­ser Stel­le kann die­sem kom­ple­xen Sach­ver­halt nicht völ­lig gerecht wer­den, soll aber im Fol­gen­den anhand eines Bei­spiels einer Oti­tis media aus der Pra­xis (=Mit­tel­ohr­ent­zün­dung) kurz nach­ge­zeich­net werden:

Die Para­gra­phen 7, 18 und 153 aus Hah­ne­manns Orga­non sol­len das homöo­pa­thi­sche Krank­heits­ver­ständ­nis und prak­ti­sche Vor­ge­hen kla­rer erschei­nen lassen:

Im Para­gra­phen 7 schreibt Hah­ne­mann: ” … das Ein­zi­ge, was die Wahl des ange­mes­sens­ten Hilfs­mit­tels bestim­men kann – so muss, mit einem Wor­te, die Gesamt­heit der Sym­pto­me für den Heil­künst­ler das Haupt­säch­lichs­te, ja Ein­zi­ge sein, was er an jedem Krank­heits­fal­le zu erken­nen und durch sei­ne Kunst hin­weg­zu­neh­men hat, […].”

Im Para­gra­phen 18 führt er wei­ter aus: ” … geht unwi­der­sprech­lich her­vor, daß der Inbe­griff aller, in jedem ein­zel­nen Krank­heits­fal­le wahr­ge­nom­me­nen Sym­pto­me und Umstän­de die ein­zi­ge Indi­ca­ti­on, die ein­zi­ge Hin­wei­sung auf ein zu wäh­len­des Heil­mit­tel sei.”

Und der wich­ti­ge und bezeich­nen­de Para­graph 153: “Bei die­ser Auf­su­chung eines homöo­pa­thisch spe­ci­fi­schen Heil­mit­tels […] sind die auf­fal­len­den, son­der­li­chen, unge­wöhn­li­chen und eigen­heit­li­chen (cha­rak­te­ris­ti­schen) Zei­chen und Sym­pto­me des Krank­heits­fal­les, beson­ders und fast ein­zig fest ins Auge zu fassen […].”

Dahin­ter steht nicht nur eine belie­bi­ge Para­gra­phen­viel­falt, son­dern – ins­be­son­de­re bei den chro­ni­sche Krank­hei­ten – die Fra­ge: Was ist das für ein Mensch und was für ein indi­vi­du­el­les Heil­mit­tel braucht die­ser Mensch in sei­ner spe­zi­fi­schen Situation?

Deut­lich kann dies am Bei­spiels der Oti­tis media (= Mit­tel­ohr­ent­zün­dung) wer­den. Bei drei Kin­dern wird die schul­me­di­zi­ni­sche Dia­gno­se einer Oti­tis media gestellt. Alle drei Pati­en­ten wei­sen die übli­chen Sym­pto­me einer Ent­zün­dung des Mit­tel­oh­res auf: Fie­ber über 39 Grad; plötz­lich auf­tre­ten­de Ohren­schmer­zen; Unru­he und Wei­nen und natür­lich ein gerö­te­tes Trommelfell.

Jedoch sind nicht die­se Sym­pto­me für uns Homöo­pa­then die auf­fal­len­den, son­der­li­chen, unge­wöhn­li­chen und eigen­heit­li­chen Zei­chen des Krank­heits­fal­les (§153). Bei genau­er homöo­pa­thi­scher Betrach­tung und Befra­gung sehen und erken­nen wir:

  • Das ers­te Kind ver­spürt einen ste­chen­den Schmerz schon bei der gerings­ten Berüh­rung. Dazu kommt noch eine aus­ge­spro­che­ne Ver­schlim­me­rung der Beschwer­den durch Wär­me und eine aus­ge­präg­te Durstlosigkeit.
  • Der zwei­te klei­ne Pati­ent ist seit der Erkran­kung sehr ärger­lich und wider­spens­tig. Das rech­te Ohr und die rech­te Wan­ge sind gerö­tet, die lin­ke Wan­ge ist hin­ge­gen blass.
  • Die Oti­tis media beim drit­ten Kind stell­te sich ein, nach­dem es bei kal­tem Wind drau­ßen gespielt hat­te. Durst auf kal­tes Was­ser und gro­ße Angst und Unru­he beglei­ten die Beschwer­den, die dar­über hin­aus noch um Mit­ter­nacht ein­ge­setzt haben.

Alle drei Kin­der haben schul­me­di­zi­nisch eine Oti­tis media, jedoch unter­schei­den sich die Erkran­kun­gen bei allen drei Pati­en­ten durch ihre indi­vi­du­el­le Erschei­nung. Jedes Kind bekommt fol­ge­rich­tig ein ande­res, spe­zi­ell auf ihren Fall gerich­te­tes, indi­vi­du­el­les homöo­pa­thi­sches Heil­mit­tel. In die­sen Fäl­len brach­ten Apis beim ers­ten Kind (Leit­sym­pto­me: ste­chen­der Schmerz, Durst­lo­sig­keit, Unru­he), Cha­mo­mil­la beim zwei­ten (Leit­sym­pto­me: ärger­lich, wider­spens­tig, eine Gesichts­sei­te rot, die ande­re blass) und Aco­ni­tum beim drit­ten Kind (Leit­sym­pto­me: Fol­gen nach kal­tem Wind, gro­ße Angst und Furcht, Beginn um Mit­ter­nacht) eine schnel­le Heilung.

Aus den dar­ge­stell­ten Bei­spie­len ist es unmit­tel­bar ersicht­lich, dass solch indi­vi­du­el­les Vor­ge­hen – aus­schließ­lich am jewei­li­gen Men­schen und sei­ner Eigen­hei­ten und Beson­der­hei­ten ori­en­tiert – sich nur schwer dem Dik­tat der Schul­me­di­zin (Sta­tis­tik, Ran­do­mi­sie­rung, Dop­pel­blind­stu­di­en, Evi­dence Based Medi­ci­ne etc.) ver­ste­hen lässt. Oder um es noch deut­li­cher zusa­gen: Wür­de sich die Homöo­pa­thie den For­de­run­gen der Schul­me­di­zin unter­wer­fen, wür­de sie ihr eige­nes Selbst­ver­ständ­nis von Krank­heit und Hei­lung ver­ra­ten. In die­sem Zusam­men­hang meint der bekann­te Psy­cho­ana­ly­ti­ker und Homöo­path Edward C. Whit­mont (1912–1998): “Viel­mehr obliegt es uns, die grund­sätz­li­che Beschränkt­heit der offi­zi­el­len Wis­sen­schaft zu erken­nen, beim Namen zu nen­nen und ihr die Eigen­art und Ein­zig­ar­tig­keit unse­rer Erfah­rung gegen­über zu stel­len, als For­de­rung der Erwei­te­rung ihres engen Hori­zonts. Koope­ra­ti­on ja, aber Ein­ord­nung oder gar Unter­ord­nung um der ‚Ein­heit’ wil­len, nein. Nur so kön­nen wir unse­ren heu­te so erfor­der­li­chen Bei­trag leis­ten, eine neue Sicht des Men­schen zu schaf­fen, die in ihm mehr sieht als eine brauch­ba­re bio­lo­gi­sche Maschi­ne. Eine Sicht, in der Bio­lo­gi­sches und Geis­tig-See­li­sches als gleich­wer­ti­ge, gegen­sei­ti­ge Spie­ge­lun­gen in ihren phy­sio­lo­gi­schen, patho­lo­gi­schen und ethi­schen Mani­fes­ta­tio­nen prä­zi­se erfasst und geheilt wer­den können”.

Drit­tens

Aus oben­ge­nann­ter Egger-Meta­ana­ly­se zu schlie­ßen, die Homöo­pa­thie sei tot, ist – wie schon gesagt – mit Sicher­heit unan­ge­bracht. Eher stel­len die Ergeb­nis­se eine wei­te­re Auf­for­de­rung dar, sich noch pro­fun­der prak­tisch und erkennt­nis­theo­re­tisch – auch unter Berück­sich­tig des eben gesag­ten – mit der Homöo­pa­thie zu befassen.

Dar­über hin­aus hat der, in der Ber­ner Stu­die so abfäl­lig zitier­te Pla­ce­bo-Effekt nichts mit blo­ßer Ein­bil­dung zu tun, was auch neue­re Unter­su­chun­gen zu den sub­stan­ti­el­len bio­che­mi­schen Wirk­lun­gen von Pla­ce­boga­ben auf das zen­tra­le Ner­ven­sys­tem zei­gen. weg: Hier­zu sei auch auf einen her­vor­ra­gen­den Radio-Essay von Tho­mas und Simo­ne Stöl­zel ver­wie­sen (“Über das Geis­ti­ge in der Heil­kunst”, SWR2; Ende 2005; Sen­de­ter­min und Publi­ka­ti­ons­ort wer­den noch bekanntgeben).

Pla­ce­bo hat natür­lich etwas mit Glau­ben, Ver­trau­en und “einer mäch­ti­ger Alli­anz Arzt-Pati­ent” [8] zu tun. Die­ser Hin­weis auf die mäch­ti­ge Alli­anz Arzt-Pati­ent fin­det sich auch in der Ori­gi­nal­ar­beit von Egger im Lan­cet wobei er sehr tref­fend Kaptchuk et al. [9] zitiert. In der ursprüng­li­chen Quel­le im Alten Tes­ta­ment fin­den wir “Pla­ce­bo domi­no in regio­ne vivor­um” (Psalm 116, 9. Luther: “Ich wer­de wan­deln vor dem Herrn im Lan­de der Leben­di­gen”). Hier­mit (Glau­ben, Ver­trau­en, Arzt-Pati­en­ten-Alli­anz) soll­ten wir nicht ver­ächt­lich umge­hen, ins­be­son­de­re auch dann nicht, wenn wir die z. T. gro­ße the­ra­peu­ti­sche Malai­se (bei wun­der­vol­len dia­gnos­ti­schen Mög­lich­kei­ten) der heu­ti­gen Schul­me­di­zin betrach­ten. Ver­ges­sen wir nicht: Ver­meid­ba­re Dia­gno­se- und Behand­lungs­feh­ler der moder­nen Schul­me­di­zin sind mit die häu­figs­ten – ver­meid­ba­ren – Todes­ur­sa­chen in der west­li­chen Welt” [10].

Vier­tens

In dem Ver­gleich Homöo­pa­thie ver­sus Schul­me­di­zin wird gemein­hin mit zwei­er­lei Maß gemes­sen: Die homöo­pa­thi­schen Ärz­te haben neben der nor­ma­len schul­me­di­zi­ni­schen Aus­bil­dung (die meis­ten von ihnen sind auch Fach­ärz­te) Homöo­pa­thie als Son­der­qua­li­fi­ka­ti­on absol­viert: Ein­schließ­lich zeit­auf­wän­di­gem Stu­di­um der Mate­ria medi­ca (=Arz­nei­mit­tel­leh­ren), Ver­tie­fung in die Reper­tori­en (=sys­te­ma­ti­sche Auf­zeich­nung der homöo­pa­thi­schen Prüf­sym­pto­me) sowie lang­jäh­ri­ge Arbeit in Supervisionsgruppen.

Die Schul­me­di­zin hin­ge­gen ver­fügt nicht über das o. g. Grund­la­gen­wis­sen der Homöo­pa­thie. Trotz­dem maßt sie sich an, zu kri­ti­sie­ren, ohne unse­re Metho­den zu ken­nen und spricht sogar vom end­gül­ti­gen (sic!) Ende der Homöo­pa­thie. Die Geschich­te zeigt uns, dass die Wis­sen­schaft per se End­gül­tig­kei­ten behaup­tet, die zum Teil aber schon nach weni­gen Jah­ren revi­diert wer­den müs­sen. Ihre sog. ver­meint­li­chen Gold­stan­dards (=auf dem Höhe­punkt der wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis) haben, wie es die Ärz­te leid­voll erfah­ren müs­sen, eine atem­be­rau­bend kur­ze Halb­werts­zeit. Hin­ter­grund des mehr oder weni­ger raschen Able­bens z. B. der “ulti­ma­ti­ven” Anti­ar­rhyt­mi­ka-Behand­lung, der hoch­ge­lob­ten Hor­mon-Ersatz­the­ra­pie, des “Durch­bruchs” der Rheu­ma­the­ra­pie – den Coxi­ben – oder dem bevor­ste­hen­den Exitus der Anti­de­pres­si­va ist regel­mä­ßig nur eines: Ein im Ver­gleich zur unge­nü­gen­den oder sogar feh­len­den hei­len­den Wir­kung unver­tret­bar hoher, über­flüs­si­ger, ver­meid­ba­rer und schließ­lich auch der Öffent­lich­keit bekannt wer­den­der Todes­zoll der jeweils gera­de moder­nen Pharmakotherapie.

Die Erfah­rung, wie wenig End­gül­tig­keit es gibt, mach­ten die Ver­fas­ser auch wäh­rend ihrer Arbeit auf der Inten­siv­sta­ti­onl. Also – um bild­lich zu spre­chen – an der vor­ders­ten und gefähr­lichs­ten “Front” der von den Ver­fas­sern der Schwei­zer Publi­ka­ti­on ein­ge­for­der­ten Schul­me­di­zin. Herr Egger kann ver­si­chert sein, dass die schul­me­di­zi­ni­schen Medi­ka­men­te, die hier ein­ge­setzt wur­den, zum gro­ßen Teil – bis zu 90% – nicht in ran­do­mi­sier­ten, sta­tis­tisch gut design­ten Stu­di­en erforscht wur­den, son­dern “wis­sen­schaft­lich unbe­wie­sen” oder allen­falls bewie­sen durch die Hand der Ärz­te (ex manu) und infol­ge indi­vi­du­el­ler Erfah­rung zum Ein­satz kamen. Kon­kret: Ein lan­ge bewähr­tes Mit­tel wie Phe­no­bar­bi­tal käme heu­te gar nicht mehr neu auf den Markt. Nicht zuletzt, weil bis heu­te eine Viel­zahl – auch kri­ti­scher – Arz­nei­mit­tel­in­ter­ak­tio­nen des Bar­bi­tu­ra­tes weit­ge­hend uner­forscht sind.

Fünf­tens

Wo könnte also ein Ausweg liegen?

  1. In homöo­pa­thi­schen Stu­di­en, die streng am ein­zel­nen Pati­en­ten ori­en­tiert sind. Die­se Stu­di­en soll­ten im Sin­ne des o.g. §7, §118 und §153 streng indi­vi­du­ell aus­ge­rich­te­te und nach­voll­zieh­ba­re Ein­zel­fall­ka­su­is­ti­ken sein.
  2. Die­se Kasu­is­ti­ken müs­sen sprach­lich gut und klar gefasst sein, indem der Pati­ent in sei­nen eige­nen näm­li­chen Wor­ten zur Spra­che kommt (Spon­tan­be­richt), sie soll­ten im Gelenk­ten Bericht, (bei dem der Arzt vor­sich­tig nach­fragt und ergänzt), gut doku­men­tiert (Labor, Rönt­gen, CT-Befun­de, Pho­tos bzw. Video-Auf­zeich­nung etc.) und inhalt­lich nach­voll­zieh­bar und beleg­bar (Mate­ria medi­ca und Reper­to­ri­sa­ti­on) sein.
  3. Seit 1832 (sic!) lie­gen solch sau­ber doku­men­tier­te, indi­vi­du­el­le Ein­zel­fall­ka­su­is­ti­ken vor – im deut­schen Sprach­raum z. B. bei der All­ge­mei­nen Homöo­pa­thi­schen Zei­tung (AHZ) und der Zeit­schrift für Klas­si­schen Homöo­pa­thie (ZKH).

Auch die Ver­fas­ser haben in ihren Vor­le­sun­gen und Semi­na­ren sowie in Ihrem Band “101 Kran­ken­ge­schich­ten aus der Pra­xis für die Pra­xis” (Medi­zi­nisch-Lite­ra­ri­sche Ver­lags­ge­sell­schaft, Uel­zen; Neu­erschei­nung Ende 2005) die­se Art von Kasu­is­ti­ken vorgelegt.

Sechs­tens

Homöo­pa­thie und Schul­me­di­zin soll­ten sich nicht in Feind­schaft gegen­über ste­hen. Jede die­ser Rich­tun­gen hat ihre Mög­lich­kei­ten und ihre Gren­zen. Um es kurz und bün­dig mit Johann Wolf­gang von Goe­the zu sagen: “Den Stoff sieht jeder­mann vor sich, den Gehalt fin­det nur der, der etwas dazu­zu­tun hat, und die Form ist ein Geheim­nis den meis­ten.” [12].

Anmer­kung: Wir sind uns der Pro­ble­ma­tik der Bezeich­nung “Schul­me­di­zin” bewusst; bes­ser wäre eine Bezeich­nung wie “natur­­wis­­sen­­schaf­t­­lich- und oder iat­ro­tech­ni­sche Medi­zin”. Um die Grif­fig­keit der For­mu­lie­rung wil­len haben wir die geläu­fi­ge Bezeich­nung Schul­me­di­zin bei­be­hal­ten, ohne damit unse­re schul­me­di­zi­ni­sche Basis – und deren wun­der­vol­le dia­gnos­ti­sche Mög­lich­kei­ten – in irgend­ei­ner Form abwer­ten zu wollen.

Autoren
Micha­el M. Hadul­la, Hei­del­berg; Dr. med. Olaf Rich­ter, Butz­bach.
Lite­ra­tur
Shang A, Huwi­­ler-Mun­­te­­ner K, Nar­tey L, Juni P, Dorig S, Ster­ne JA, Pews­ner D, Egger M: Are the cli­ni­cal effects of homoeo­pa­thy pla­ce­bo effects? Com­pa­ra­ti­ve stu­dy of pla­ce­­bo-con­­trol­­led tri­als of homoeo­pa­thy and all­o­pa­thy. Lan­cet. 2005 Aug 27-Sep 2;366(9487):726–32 (Med­li­ne).
NN: Ende der Homöo­pa­thie. Spie­gel 35/​​2005 vom 29.8.2005.
WHO-Draft: Home­opa­thy: review and ana­ly­sis of reports on con­trol­led cli­ni­cal tri­als (unver­öf­fent­licht), 2005.
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