Homöopathie und Selbstmedikation – Heilen mit Komplex-Homöopathie (Teil 2 von 3)

erschie­nen in
DAZ, Deut­sche Apo­the­ker Zei­tung; ZÄN, Zeit­schrift für Naturheilkunde.

Hahnemann: “Doppelmittel sind homöopathisch und echt rationell”

Immer wie­der ist zu hören, dass Kom­plex-Homöo­pa­thie ledig­lich eine Schrot­schuss-The­ra­pie sei. Dabei wird ger­ne über­se­hen, dass es dem Hasen (also der Krank­heit) egal ist, ob er mit einem geziel­ten Schuss (homöo­pa­thi­sches Ein­zel­mit­tel) nie­der­ge­streckt wird oder durch eines aus einer Men­ge von Schrot­kör­nern (Kom­plex­mit­tel).

Hahnemann über Doppelmittel

“Ein­zel­ne zusam­men­ge­setz­te (com­pli­cir­te) Krank­heits­fäl­le gie­bt es, in wel­chen das Ver­ab­rei­chen eines Dop­pel­mit­tels ganz homöo­pa­thisch und echt ratio­nell ist; wenn näm­lich jedes von zwei Arz­nei­mit­teln dem Krank­heits­fall homöo­pa­thisch ange­mes­sen erscheint, jedes jedoch von einer ande­ren Sei­te; oder wenn der Krank­heits­fall auf mehr, als einer der von mir auf­ge­fun­de­nen drei Grund­ur­sa­chen chro­ni­schen Lei­den beruht.”
Orga­non der Heil­kunst, § 274b (Aus­schnitt) [19]

Ähn­lich muss es vor über 170 Jah­ren einer der berühm­tes­ten Schü­ler Hah­ne­manns, Juli­us Aegi­di, gese­hen haben, der nach erfolg­rei­cher Erpro­bung des Dop­pel­mit­tel­ein­sat­zes in eini­gen hun­dert Fäl­len Hah­ne­mann 1833 hier­von berich­te­te [zitiert nach 15] und ein Jahr spä­ter sei­ne Erfah­run­gen auch publi­zier­te [16]. Hah­ne­mann kün­dig­te dar­auf an, die Dop­pel­mit­tel­ver­wen­dung als Erwei­te­rung der bis­he­ri­gen homöo­pa­thi­schen Para­dig­men in der 5. Auf­la­ge sei­nes Orga­nons der Heil­kunst (“Bibel der Homöo­pa­thie”) zu publi­zie­ren. Wohl der von Angst begrün­de­te enor­me Druck sei­ner Schü­ler sowie feh­len­de eige­ne empi­ri­sche Erfah­run­gen mit Dop­pel­mit­teln führ­ten Hah­ne­mann jedoch zu einem plötz­li­chen Rück­zug der Publi­ka­ti­on [17, 18]. So konn­te der ergänz­te Para­graph 274 (Aus­schnitt, sie­he Kas­ten) erst nach sei­nem Tod in der von sei­nem Schü­ler Arthur Lut­ze her­aus­ge­ge­be­nen 6. Auf­la­ge des Orga­nons publi­ziert wer­den [19].

Einzelmittel: Ein an der Erfahrung gescheitertes Paradigma

Alle Ver­su­che im 19. Jahr­hun­dert, den sich in der Pra­xis vie­ler Homöo­pa­then aus­brei­ten­den Ein­satz von Kom­plex­mit­teln durch Unter­drü­ckung empi­ri­scher Unter­su­chungs­er­geb­nis­se (so gab es z. B. 1857 einen “Wider­ruf” von Aegi­di gegen sei­ne eige­ne “gräu­li­che Ket­ze­rei” [20]) oder mit­tels Publi­ka­ti­ons­ver­bo­ten man­cher Fach­zeit­schrif­ten ein­zu­schrän­ken, schlu­gen jedoch fehl [21]. Bereits im 19. Jahr­hun­dert tru­gen zu den wach­sen­den Erfol­gen der Homöo­pa­thie weni­ger die dog­ma­tisch an der sog. klas­si­schen Homöo­pa­thie fest­hal­ten­den Ärz­te und Heil­prak­ti­ker bei, son­dern die Kom­plex­mit­tel ein­set­zen­den Prak­ti­ker, wie der erwähn­te Arthur Lut­ze und vie­le ande­re. Heu­te – rund 170 Jah­re spä­ter – sind die­se Erfol­ge auch (zumin­dest ansatz­wei­se) zu erklären.

Simi­le­prin­zip und Ein­zel­mit­tel­for­de­rung stell­ten Homöo­pa­then von Anfang an vor Schwie­rig­kei­ten, die auch mit einer stän­dig wach­sen­den Mate­ria medi­ca nicht zu bewäl­ti­gen waren und sind: näm­lich bei jedem Pati­en­ten mög­lichst das Simi­le (oder am bes­ten sogar das Simil­li­mum) zu fin­den. So kri­ti­sier­te schon der renom­mier­te bri­ti­sche Homöo­path James Comp­ton Bur­nett im 19. Jahr­hun­dert: “Die­ses Jagen nach einem Mit­tel für jede Krank­heit ist schlich­te Igno­ranz grund­le­gen­der Prin­zi­pi­en und ver­hin­dert den wirk­li­chen Fort­schritt” [22].

Wäh­rend der Mit­tel-Wech­sel in den Augen von Hah­ne­mann (§ 171 Orga­non 4) und vie­len Homöo­pa­then erlaubt ist (v. a. wenn sie “aus­ge­wirkt” haben [23]), wird die gleich­zei­ti­ge – und durch­aus sinn­voll erschei­nen­de – Gabe meh­re­rer Mit­tel in sol­chen Fäl­len offen­bar als Zuge­ständ­nis an die Begrenzt­heit der Metho­de oder die eige­ne the­ra­peu­ti­sche Unzu­läng­lich­keit auf­ge­fasst. Hier­zu bemerkt Sah­ler: “Es ist anzu­neh­men, dass vie­le Homöo­pa­then Kom­plex­mit­tel anwen­den, ohne sich dazu zu beken­nen. Die Anwen­dung sol­cher Prä­pa­ra­te scheint aber einen sol­chen Vor­teil mit sich zu brin­gen, dass es sich lohnt, sie gleich­wohl ein­zu­set­zen” [18].

Von vie­len Homöo­pa­then mit sehr gro­ßer Pra­xis (hier­zu zähl­te auch Hah­ne­mann [24]) ist zudem bekannt, dass der hohe täg­li­che Pati­en­ten-Durch­satz die Ver­wen­dung von Dop­pel- oder Kom­plex­mit­teln erfor­der­te, um bei dem ekla­tan­ten Zeit­man­gel (= Situa­ti­on in der heu­ti­gen Kas­sen­arzt­pra­xis) über­haupt zu ver­tret­ba­ren the­ra­peu­ti­schen Erfol­gen gelan­gen zu können.

Heu­te brin­gen zahl­rei­che Homöo­pa­then noch das zusätz­li­che Argu­ment vor, die Wirk­sam­keit der “unita­ri­schen” Ein­zel­mit­tel­ho­möo­pa­thie habe sich – selbst bei opti­ma­lem the­ra­peu­ti­schem Vor­ge­hen – immer wei­ter ver­schlech­tert. Sei es durch neue Umwelt­be­las­tun­gen, Ver­än­de­run­gen von Ernäh­rung und Lebens­stil, ver­län­ger­te Lebens­er­war­tung oder ein ver­än­der­tes Krank­heits­spek­trum. Für eine voll­stän­di­ge Hei­lung sei­en Kom­plex­mit­tel des­halb oft die ein­zi­ge the­ra­peu­ti­sche Mög­lich­keit (“com­ple­xa cxis curan­tur” [60]) [25, 26].

Vieles spricht für Komplex-Homöopathie 

Unschädlichkeit

Malabarnuss (Adhatoda vasica syn. Justicia adhatoda)

Mala­bar­nuss (Adha­to­da vasi­ca
syn. Jus­ti­cia adhatoda)

Die glei­che Angst vor uner­wünsch­ten Neben­wir­kun­gen, uner­kann­ten Inter­ak­tio­nen oder unbe­kann­ten Wirk­me­cha­nis­men wie sie “all­o­pa­thi­sche” Phar­ma­ko­lo­gen und Ärz­te bei der Pro­pa­gie­rung der Mono­the­ra­pie vor rund 25 Jah­ren umtrieb, ist ein Impuls vie­ler Homöo­pa­thien (gewe­sen), mit einem gewis­sen – aber ange­sichts der Erfol­ge der Kom­plex-Homöo­pa­thie jedoch merk­wür­dig anmu­ten­den – Dog­ma­tis­mus die als “rein” ange­se­he­ne Leh­re Hah­ne­manns zu pro­pa­gie­ren bzw. gegen eine befürch­te­te homöo­pa­thi­sche Poly­prag­ma­sie zu ver­tei­di­gen. Bele­ge für Schad­wir­kun­gen durch Kom­plex­mit­tel sind jedoch – mit weni­gen Aus­nah­men [27] – nie­mals vor­ge­legt worden.

Obwohl ein im indi­vi­du­el­len Fall unwirk­sa­mes homöo­pa­thi­sches Kom­plex­mit­tel­ele­ment theo­re­tisch durch­aus zu Arz­nei­sym­pto­men füh­ren könn­te, kon­sta­tie­ren vie­le Homöo­pa­then immer wie­der die Unschäd­lich­keit die­ser Medi­ka­men­te [z. B. 28]. Einer der Grün­de könn­te sein, dass Homöo­pa­thi­ka über­haupt nur dann phy­sio­lo­gisch wir­ken, wenn sie das kor­rek­te Sub­strat – im Sin­ne moder­ner Rezept­or­theo­rien – vor­fin­den, und ansons­ten völ­lig unwirk­sam blei­ben [29, 30].

Studien

Der Nach­weis der kli­ni­schen Wirk­sam­keit der klas­si­schen Homöo­pa­thie war und ist pro­ble­ma­tisch, wie viel­fach dar­ge­legt wor­den ist [31 – 33], denn das Kon­zept der ran­do­mi­sier­ten, dop­pel­blin­den, pla­ze­bo­kon­trol­lier­ten, kli­ni­schen Stu­die ist nicht oder nur ein­ge­schränkt auf die Rea­li­tät der klas­sisch-homöo­pa­thi­schen Inter­ven­tio­nen nach Hah­ne­mann anwend­bar [34 – 36]. Dage­gen kön­nen sol­che Stu­di­en mit fixen homöo­pa­thi­schen Kom­plex­mit­teln, die für klar defi­nier­te medi­zi­ni­sche, auf defi­nier­te Orga­ne oder Funk­ti­ons­krei­se bezo­ge­ne Indi­ka­tio­nen kon­zi­piert sind, eher durch­ge­führt werden.

Einstieg in die Homöopathie

Blauer Eisenhut (Aconitum napellus)

Blau­er Eisen­hut
(Aco­ni­tum napellus)

Auf der Suche nach wirk­sa­men The­ra­pie­prin­zi­pi­en, die neben­wir­kungs­är­mer als vie­le Optio­nen der “all­o­pa­thi­schen” Medi­zin sind, wer­den vie­le Ärz­te bei der Nied­rig­po­tenz-Kom­plex-Homöo­pa­thie fün­dig. Kom­plex­mit­tel kön­nen die übri­ge Behand­lung sinn­voll ergän­zen (das ist der Wort­sinn von “Kom­ple­men­tär­me­di­zin”). Dar­über hin­aus dient die Kom­plex-Homöo­pa­thie zahl­rei­chen Ärz­ten auch immer wie­der als Ein­stieg in die klas­si­sche Ein­zel­mit­tel-Homöo­pa­thie [37]. Zur­zeit haben rund 4500 Ärz­te die Zusatz­be­zeich­nung Homöo­pa­thie erwor­ben [38], ins­be­son­de­re All­ge­mein­me­di­zi­ner, Kin­der­ärz­te und HNO-Ärz­te; die Homöo­pa­thie­kur­se aller Aus­bil­dungs­ein­rich­tun­gen sind kon­stant gefüllt.

Kosten-Nutzen-Relation

Bei vie­len Indi­ka­tio­nen erschei­nen homöo­pa­thi­sche Kom­plex­mit­tel oft­mals als kos­ten­güns­ti­ge­re Vari­an­te gegen­über den Mit­teln der natur­wis­sen­schaft­lich ori­en­tier­ten Medi­zin. Nicht zuletzt gilt dies auch im Bereich der Selbst­me­di­ka­ti­on, in dem noch deut­li­che Zuwachs­ra­ten bei homöo­pa­thi­schen Kom­plex­mit­teln zu erwar­ten sind [18].

Kundenzufriedenheit

Kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­sche Metho­den wie die Kom­plex-Homöo­pa­thie haben bei den Pati­en­ten eine hohe Akzep­tanz [38]. Vie­le Stu­di­en und Umfra­gen kom­men immer wie­der zum glei­chen Schluss: Ein Groß­teil der Bevöl­ke­rung wünscht als “natür­lich” bezeich­ne­te Behand­lungs­me­tho­den, vor allem wegen ihrer ange­nom­me­nen “Sanft­heit” bzw. feh­len­den “Aggres­si­vi­tät” und der erhoff­ten “Neben­wir­kungs­ar­mut” [39]. Ver­ord­ner und Apo­the­ker, die ihre Pati­en­ten und Kun­den ent­spre­chend die­sem Wunsch behan­deln und bera­ten, kön­nen die­se bes­ser an sich binden.

Wirksamkeit

Berberitze (Berberis vulgaris)

Ber­be­rit­ze (Ber­be­ris vulgaris)

Seit über 150 Jah­ren befin­den sich homöo­pa­thi­sche Kom­plex­mit­tel im täg­li­chen Ein­satz [40]. Dies kann nur zwei­er­lei bedeuten:

  • Ent­we­der die Prä­pa­ra­te waren/​ sind unwirk­sam; dann muss ihre Neben­wir­kungs­ar­mut ein so über­aus attrak­ti­ver Vor­teil gegen­über der jeweils herr­schen­den “all­o­pa­thi­schen” Medi­zin (gewe­sen) sein, dass die­se allein die Beliebt­heit der Prä­pa­ra­te erklärt.
  • Oder die Prä­pa­ra­te haben die gewünsch­ten the­ra­peu­ti­schen Effekte.

Nach unse­rer Mei­nung sind Wirk­sam­keit, Neben­wir­kungs­ar­mut und trans­pa­ren­te Anwen­dung bei einer Viel­zahl von All­tags­in­di­ka­tio­nen die ent­schei­den­den Kri­te­ri­en für den Nut­zen homöo­pa­thi­scher Kom­plex­mit­tel. Das gilt auch in Pro­blem­fäl­len, wo Ver­tre­ter der klas­si­schen Homöo­pa­thie nicht weit kom­men (s. o.).

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, für DAZ/​​2003 und ZAEN/​​2004.
Quel­le
• Adler M, Buben­zer RH: Homöo­pa­thie und Selbst­me­di­ka­ti­on – Hei­len mit Kom­­plex-Homöo­­pa­­thie. DAZ – Deut­sche Apo­the­ker Zei­tung. 143 (25), 19.6.2003: 47–58 (Nach­druck mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Verlages).
Bild­nach­weis
• Klos­ter­frau Gesundheitsservice

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