Die Zunge – ein Spiegel der Gesundheit

Machen Sie mal Aaaaah!, hören Pati­en­ten höchs­tens noch beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Die­ser möch­te bei geöff­ne­tem Mund und her­aus­ge­streck­ter Zun­ge einen Blick auf die Rachen­man­deln wer­fen. Außer Zahn­ärz­ten inter­es­sie­ren sich nur Ärz­te für Natur­heil­ver­fah­ren für das Aus­se­hen der Zun­ge selbst. Obwohl, so wis­sen Ärz­te in Ost und West seit Jahr­tau­sen­den, kaum ein ande­res Organ so deut­lich Gesund­heits-Ver­än­de­run­gen aus­drü­cken kann wie die Zunge!

Dies hat einen ein­fa­chen Grund: Vier gro­ße Ner­ven durch­zie­hen näm­lich die Zun­ge. Und sind zustän­dig für Geschmacks-Ver­mö­gen, Hitze‑, Käl­te- oder Schmerz-Emp­fin­den sowie die Beweg­lich­keit der Zun­ge. Alle vier Ner­ven sind soge­nann­te Hirn­ner­ven, die direkt im Gehirn begin­nen und gleich­zei­tig auch die inne­ren Orga­ne ver­sor­gen. Die Zun­ge ist also sowohl mit dem Hirn als auch mit inne­ren Orga­nen direkt ver­schal­tet. Des­halb hin­ter­las­sen vie­le Krank­hei­ten ihre Spu­ren auf der Zun­ge. Oft­mals dadurch, dass die Ner­ven ver­än­der­te Wachs­tums-Impul­se an das Zun­gen­ge­we­be und die Schleim­haut geben. Dann kommt es zum Bei­spiel zu wei­chen Ver­hor­nun­gen (Zun­gen-Belä­ge), zu star­ker Durch­blu­tung der Zun­ge (Rot-Fär­bung) oder ande­ren Veränderungen.

Typische Veränderungen

  • Tro­cke­ne Zun­ge Kommt oft bei hohem Fie­ber und Erkran­kun­gen mit star­kem Flüs­sig­keits­ver­lust vor (z.B. schwe­ren Durchfälle)
  • Fal­ten-Zun­ge Fal­tun­gen im vor­de­ren Drit­tel der Zun­ge geben ihr das Aus­se­hen eines Rei­fen­pro­fils oder wie von Blatt­rip­pen. Dies ist fast immer ver­erbt und kei­ne Krankheits-Zeichen.
  • Haar-Zun­ge Die win­zi­gen Schleim­haut-Aus­stül­pun­gen (“Papil­len”) im mitt­le­ren Zun­ge­drit­tel sind ver­grö­ßert und schwärz­lich ver­färbt. Dies kommt häu­fi­ger bei Män­nern im mitt­le­ren Alter vor. Ursa­chen: Län­ge­re Anti­bio­ti­ka-Anwen­dung oder Vitamin-B-Mangel.
  • Him­beer-Zun­ge (Erd­beer-Zun­ge) Pilz­ar­tig ver­grö­ßer­te Zun­gen-Papil­len mit röt­li­cher Ver­fär­bung. Dies ist ein Zei­chen von Infek­ti­ons-Krank­hei­ten wie Scharlach.
  • Land­kar­ten-Zun­ge Rosa bis tief­ro­te Fle­cken mit hel­lem Rand­saum erwe­cken den Ein­druck einer Land­kar­te. Bei schar­fen Spei­sen schmerzt die Zun­ge oft. Die Ursa­che ist unbekannt.
  • Glat­te, blei­graue Zun­ge (Lack­zun­ge) Durch Rück­gang der Zun­gen-Papil­len wirkt die grau ver­färb­te Zun­ge ganz glatt. Dies tritt bei bestimm­ten For­men der Blut­ar­mut (“Per­ni­zio­sa”) auf, ist aber auch ein Anzei­chen eines schwe­ren Eisen­man­gels. Auch Ver­dau­ungs-Krank­hei­ten kön­nen die­ses Sym­ptom erzeu­gen, z.B. wenn kein Magen­saft mehr gebil­det wird oder schwe­re Nah­rungs­mit­tel-Unver­träg­lich­kei­ten vor­lie­gen (“Sprue”).
  • Quer gefurch­te Zun­ge Kommt vor beim Down-Syn­drom (“Tri­so­mie 21”) oder manch­mal bei Vit­amin A‑Mangel.
  • Flei­schig, rot ent­zün­de­te Zun­ge Ursa­chen: Vit­amin­man­gel (Nia­cin), Anti­bio­ti­ka-Ein­nah­me, Blut­ar­mut, Zucker­krank­heit und ande­re Gesund­heits-Stö­run­gen. Oft ver­bun­den mit Bren­nen und Schmerzen.
  • Diph­te­rie-Zun­ge weiß­lich-graue, mem­bran­ar­ti­ge Zun­gen­be­lä­ge, oft süß­lich-faul rie­chend, sind ein typi­sches Zei­chen für die schwe­re Infek­ti­ons-Krank­heit Diphterie.
  • Brau­ne Zun­ge Ist die Zun­ge braun-schol­lig belegt, oft­mals auch geschwol­len, kann eine star­ke Nie­ren­schwä­che vorliegen.
  • Soor-Zun­ge Weiß­li­che, mem­bran­ar­ti­ge und schwer abwisch­ba­re Fle­cken mit roten Rän­dern sind typisch für die Pilz-Erkran­kung Soor. Häu­fig bei schwe­rer Abwehr-Schwäche.
  • Schwar­ze Zun­ge Bei schwe­rer Cho­le­ra-Darm­in­fek­ti­on, auch bei Scharlach

Die­se typi­schen Zei­chen tre­ten oft zusam­men mit aku­ten, schwe­ren Erkran­kun­gen auf. Ande­re Zun­gen­be­lä­ge sind hin­ge­gen oft­mals Anzei­chen von eher chro­ni­schen Stö­run­gen im Ver­dau­ungs-Appa­rat. Je nach dem, wo sie auf der Zun­ge auf­tre­ten, kön­nen auch die betrof­fe­nen Orga­ne zuge­ord­net wer­den. Gene­rel­le Regel: Die Zun­gen­spit­ze kenn­zeich­net den Rachen, dann kom­men Magen, Bauch­spei­chel­drü­se und Dünn­darm. Im mitt­le­ren Zun­gend­rit­tel bil­den sich Milz, Leber, Gal­le und ein Teil des Dick­darms ab. Das hin­te­re Zun­gend­rit­tel (“Zun­gen­grund”) wider­spie­gelt den Rest des Dick­darms bis zu sei­nem Aus­gang. Die Zun­gen-Fär­bung kann zusätz­li­che Hin­wei­se auf die erkrank­ten Orga­ne geben.

  • Chro­ni­sche Magen-Ent­zün­dung weiß­lich-gel­ber Belag
  • aku­te Magen-Ent­zün­dung geschwol­le­ne Zun­ge mit Zahn­ein­drü­cken an den Rän­dern und einem dicken grau­en Belag
  • Magen-Blu­tung blas­se und feuch­te Zun­ge (vor­her: Belag und Trockenheit)
  • Leber- und Gal­len-Erkran­kun­gen dicker, gelb­li­cher bis bräun­li­cher Belag
  • Dünn- und Dick­darm-Ent­zün­dung tro­cken, in der Mit­te braun, Rän­der feucht und rot
  • Darm-Geschwür tro­cken, Zun­gen­grund wie mit Lehm belegt
  • gesun­der Ver­dau­ungs­trakt rei­ne Zun­ge ohne Auffälligkeiten

Tipps

  • Zun­gen­be­lä­ge bestehen vor­wie­gend nicht aus Nah­rungs­res­ten. Son­dern aus ver­hor­nen­den Schleim­haut-Schich­ten. Das viel­fach emp­foh­le­ne Abbürs­ten mit einer Zahn­bürs­te kann die Zun­ge also gar nicht rei­ni­gen. Aber: Ähn­lich wie bei der Fuß-Reflex­zo­nen-Mas­sa­ge führt die Mas­sa­ge der Zun­gen-Ober­flä­che zu einer Wech­sel­wir­kung mit inne­ren Orga­nen. Und dies kann durch­aus Hei­lungs-Vor­gän­ge unterstützen.
  • Die Zun­gen­rei­ni­gung mit einer wei­chen Zahn­bürs­te ver­hin­dert Mund­ge­ruch und för­dert fri­schen Atem. Grund: Die rei­ni­gen­den Spei­chel­drü­sen wer­den akti­viert. Nach Unter­su­chung des Infor­ma­ti­ons­krei­ses ‘Mund­hy­gie­ne und Ernäh­rungs­ver­hal­ten‘ (IME) in Bonn dient die Zun­gen­rei­ni­gung auch der Vor­beu­gung von Kari­es, Zahn­be­lag und Par­odon­to­se. Vie­le Zahn­ärz­te emp­feh­len es auch zur Vor­beu­gung von Mund- und Hals­in­fek­tio­nen. In der asia­ti­schen Medi­zin wird die Mas­sa­ge der Zun­gen-Ober­flä­che wegen der Wech­sel­wir­kung mit inne­ren Orga­nen emp­foh­len. Ähn­lich wie bei der Fuß-Reflex­zo­nen-Mas­sa­ge. Dies soll Hei­lungs-Vor­gän­ge unter­stüt­zen. In vie­len Apo­the­ken gibt es spe­zi­el­le Zun­gen-Rei­ni­ger aus der Ayur­ve­da-Medi­zin. Grund­sätz­lich gilt: Min­des­tens zwei­mal täg­lich nach dem Zäh­ne­bürs­ten auch die Zun­ge rei­ni­gen – anschlie­ßend den Mund gut mit kla­rem Was­ser ausspülen.
  • Ach­ten Sie beson­ders auf stär­ke­re Zun­gen-Ver­fär­bun­gen, dicke Belä­ge, Geschwürs-Bil­dun­gen (auch des Wan­gen-Inne­ren) sowie ein­sei­ti­ge Ver­än­de­run­gen. Las­sen Sie sich dann ärzt­lich bera­ten. Dies gilt auch und vor allem für Kinder.
  • Die Selbst-Beob­ach­tung der Zun­ge ist sinn­voll, wenn sie regel­mä­ßig prak­ti­ziert wird. Nur dann sind – viel­leicht krank­heits­be­ding­te – Ver­än­de­run­gen von nor­ma­lem Aus­se­hen unter­schie­den wer­den. Die bes­te Zeit ist nach dem Auf­ste­hen, vor jeg­li­chem Essen und Trin­ken und vor der ers­ten Ziga­ret­te. Ach­tung: Bei Neon­licht im Bade­zim­mer ist die Ori­gi­nal­fär­bung nicht kor­rekt erkennbar.
  • Zahl­rei­che natur­heil­kund­lich täti­ge Ärz­te und Heil­prak­ti­ker sowie Ver­tre­ter der tra­di­tio­nel­len chi­ne­si­schen Medi­zin (TCM) und der indi­schen Ayur­ve­da-Medi­zin prak­ti­zie­ren Zun­gen-Dia­gnos­tik. Adres­sen sol­cher The­ra­peu­ten gibt es beim “Zen­tral­ver­band der Ärz­te für Natur­heil­ver­fah­ren e.V.” (ZAEN, www.zaen.org) in 72250 Freu­den­stadt, Am Pro­me­na­den­platz 1.

TCM-Exper­ten in Chi­na haben es mitt­ler­wei­le mit Ver­fah­ren der com­pu­ter­ge­stütz­ten Bild­ana­ly­se geschafft, die Zun­gen­dia­gno­se (Far­be, Dicke von Belä­gen u. a.) zu auto­ma­ti­sie­ren [1]. Dies ist beson­ders wich­tig, um Krank­heits­ver­läu­fe exakt mit den dabei zu beob­ach­ten­den Ver­än­de­run­gen der Zun­ge zu ver­glei­chen. Und so den Wert und die täg­li­che Anwend­bar­keit der Zun­gen­dia­gnos­tik in der Pra­xis zu verbessern.

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, (Dezem­ber 2005).
Quel­len
Strobl, Anton: Die Zun­gen­dia­gnos­tik als Hilfs­mit­tel des prak­ti­schen Arz­tes. Haug, Ulm, 1957.
Weber, Tho­mas: Zahn­me­di­zin. Chap­man & Hall, Lon­don, 1997.
1. Chiu CC: A novel approach based on com­pu­te­ri­zed image ana­ly­sis for tra­di­tio­nal Chi­ne­se medi­cal dia­gno­sis of the ton­gue. Com­put Methods Pro­grams Bio­med. 2000 Feb;61(2):77–89 (Med­li­ne).

Bitte Ihre Frage, Anmerkung, Kommentar im folgenden Feld eingeben