Cistus incanus-Tee: Hoher Polyphenolgehalt Grund für hohe antioxidative Wirkung

Cys­tus-Blü­te

Die Arbeits­grup­pe des Lebens­mit­tel­che­mi­kers Prof. Dr. Sascha Rohn von der Uni­ver­si­tät Ham­burg (Insti­tut für Lebens­mit­tel­che­mie) hat 2014 unter­sucht, wel­che phe­n­o­li­schen Inhalts­stof­fe in Cis­tus inca­nus-Tee vor­kom­men, wel­che hier­von gesund­heits­för­dern­de anti­oxi­da­tive Wir­kun­gen haben und ob sie beim Tee­ko­chen erhal­ten blei­ben. In einem Inter­view mit Heilpflanzen-Welt.de berich­tet er über die For­schungs­er­geb­nis­se [1, 2].

? Prof. Rohn, als Lebens­mit­tel­che­mi­ker unter­su­chen Sie – natür­lich – Lebens­mit­tel wie den Gebrauchs­tee aus der grau­be­haar­ten Zist­ro­se (Cis­tus inca­nus) und des­sen Poly­phe­no­le. War­um haben Sie sich gera­de die Zist­ro­se aus­ge­sucht, wel­che Beson­der­heit hat die­se medi­ter­ra­ne Pflanze?

Rohn: Pri­mär sehen wir in der Zist­ro­se nicht ein Lebens­mit­tel, son­dern eine Quel­le für eine hoch­in­ter­es­san­te Ver­bin­dungs­klas­se von sekun­dä­ren Pflan­zen­stof­fen – den Fla­vo­nol­gly­ko­si­den. Von die­sen wis­sen wir, dass ihre che­mi­sche Struk­tur sehr vari­an­ten­reich sein kann und dadurch ihre struk­tu­rell gege­be­ne anti­oxi­da­tive Akti­vi­tät beein­flusst wird. Die­se Eigen­schaft spie­gelt dem­entspre­chend auch die Reak­ti­vi­tät und Sta­bi­li­tät die­ser Ver­bin­dun­gen wie­der: Sie sind sehr reak­tiv und kön­nen schon unter Bedin­gun­gen ein­fa­cher Be- und Ver­ar­bei­tung (des Pflan­zen­ma­te­ri­als, aber auch des Extrakt- und des Tee­zu­be­rei­tens) Ver­än­de­run­gen unter­lie­gen. Bis­he­ri­ge Unter­su­chun­gen haben wir vor allem an Zwie­beln und Grün­kohl durchgeführt.

Poly­phe­no­le sind aro­ma­ti­sche Ver­bin­dun­gen, die natür­li­cher­wei­se in Pflan­zen vor­kom­men. Sie kön­nen als Geschmackstof­fe, Farb- oder Gerb­stof­fe (z. B. Tan­ni­ne) vor­kom­men. Sie haben bio­lo­gi­sche Auf­ga­ben, so z. B. durch Far­be Insek­ten zur Bestäu­bung anzu­lo­cken, oder Fress­fein­de abzu­hal­ten. Vie­le Poly­phe­no­le sind gesund­heits­för­der­lich. Bestimm­te Nah­rungs­mit­tel mit hohem Poly­phe­nol­ge­halt wer­den emp­foh­len: rote Wein­trau­ben, Gra­nat­ap­fel­saft. Bei den Heil­pflan­zen sind es bei­spiels­wei­se Ging­ko, Zist­ro­se, Lär­chen­holz . Etli­che Poly­phe­no­le sol­len – genau­so wie Anti­oxi­dan­ti­en – ent­zün­dungs­hem­men­de oder auch krebs­vor­beu­gen­de Wir­kun­gen haben. Ver­schie­de­ne Stu­di­en haben sich unter ande­rem mit Krebs­vor­beu­gung durch Poly­phe­no­le, Behand­lung von Schlag­an­fall oder Herz­enge (Angi­na pec­to­ris) beschäftigt.

Cys­tus-Tee

? Eine Eigen­schaft der Poly­phe­no­le in Cis­tus inca­nus-Tee stand bei Ihren For­schun­gen im Vor­der­grund – die anti­oxi­da­tive Kapa­zi­tät. Wel­che bio­lo­gi­sche Bedeu­tung könn­ten Tee-Inhalts­stof­fe mit die­ser Eigen­schaft beim Men­schen haben?

Rohn: Wie bereits erwähnt, sehen wir die anti­oxi­da­tive Akti­vi­tät von phe­n­o­li­schen Ver­bin­dun­gen als Indi­ka­tor­ei­gen­schaft für deren Reak­ti­vi­tät und Sta­bi­li­tät. In der Ernäh­rungs­wis­sen­schaft wird die anti­oxi­da­tive Akti­vi­tät von Lebens­mit­tel­in­halts­stof­fen kon­tro­vers dis­ku­tiert. Für eini­ge Sub­stan­zen gibt es posi­ti­ve Kor­re­la­tio­nen zwi­schen ein­zel­nen Inhalts­stof­fen, dem Ver­zehr von kor­re­spon­die­ren­den Lebens­mit­teln und der Reduk­ti­on von dege­ne­ra­ti­ven Krank­hei­ten oder von Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen. Ob hier die anti­oxi­da­tive Akti­vi­tät die Basis der Wirk­me­cha­nis­men dar­stellt ist bis­her jedoch nicht hin­rei­chend belegt.

Cis­tus inca­nus Pan­da­lis (grau­be­haar­te Zist­ro­se): Die­se medi­ter­ra­ne Tee­pflan­ze ent­hält sehr vie­le Poly­phe­no­le (Gerb­stof­fe und Fla­vo­no­ide), äthe­ri­sche Öle und Har­ze (Lada­num). Ihre vor­beu­gen­des und the­ra­peu­ti­sches Poten­ti­al reicht von der Abwehr von Grip­­pe- und Erkäl­tungs­vi­ren über viru­sta­ti­sche, anti­bak­te­ri­el­le, anti­my­ko­ti­sche, anti­oxi­da­tive, wund­hei­lungs­för­dern­de, adstrin­gie­ren­de bis hin zu juck­reiz­lin­dern­den und ent­zün­dungs­hem­men­den Effek­ten. Typi­sche Anwen­dungs­ge­bie­te sind grip­pa­le Infek­te und Grip­pe, Ent­zün­dun­gen des Mund- und Rachen­rau­mes oder Haut­er­kran­kun­gen. Unter­su­chun­gen am Frie­d­rich-Löf­f­­ler-Ins­ti­­tut in Tübin­gen konn­ten zei­gen, dass Cys­­tus052-Extrak­­te aus Cis­tus inca­nus Pan­da­lis das All­do­cken von Influ­en­za­vi­ren an den Schleim­haut­zel­len im Atem­trakt blo­ckie­ren und somit hem­mend auf Influ­en­za­vi­ren wir­ken. Am Insti­tut für Mole­ku­la­re Viro­lo­gie in Müns­ter wur­de eben­falls eine über­ra­schend star­ke anti­vi­ra­le Wir­kung von Cystus052 nach­ge­wie­sen (Lud­wig et al.). In bei­den Unter­su­chun­gen wur­de fest­ge­stellt, dass die im unter­such­ten Cys­­tus052-Extrakt ent­hal­te­nen Poly­phe­no­le die Viren umla­gern und dar­an hin­dern, an Zel­len anzu­do­cken und in die Zel­le ein­zu­drin­gen: “Wenn die Inter­ak­ti­on zwi­schen Zel­le und Virus gar nicht zustan­de kommt, dann kann ein Grip­pe­vi­rus mutie­ren so viel es will, der Weg in die Zel­le bleibt ver­schlos­sen” (Lud­wig). Die Zist­ro­se mit ihren Polypp­he­no­len könn­te folg­lich eine the­ra­peu­ti­sche Opti­on bei den stän­dig mutie­ren­den und zuneh­mend resis­ten­ten Influ­en­za­vi­ren sein. Eine Stu­die des Insti­tuts für Mole­ku­la­re Viro­lo­gie der Uni­ver­si­tät Müns­ter (ZMBE) unter der Lei­tung von Prof. Ste­phan Lud­wig konn­te auf­zei­gen, dass der Cys­­tus-Extrakt sowohl gegen mensch­li­che Grip­pe­vi­ren als auch gegen hoch­pa­tho­ge­ne Vogel­grip­pe­stäm­me wirk­sam ist. Wich­tig für die Wirk­sam­keit ist die pro­phy­lak­ti­sche und loka­le Anwen­dung (Büh­ring U: Pra­xis-Lehr­­buch der moder­nen Heil­pflan­zen­kun­de, Son­n­­tag-Ver­­lag, Stutt­gart, 2009).

? Trotz die­ser bio­lo­gi­schen Wir­kun­gen anti­oxi­da­tiv wirk­sa­mer Lebens­mit­tel­in­halts­stof­fe wie bei den Poly­phe­no­len bleibt ein phe­nol­rei­ches Lebens­mit­tel doch ein Lebens­mit­tel und wird nicht zum Arzneimittel?

Rohn: Poly­phe­nol­rei­che Lebens­mit­tel blei­ben natür­lich Lebens­mit­tel, selbst wenn eines Tages ent­spre­chen­de phar­ma­ko­lo­gi­sche Wirk­me­cha­nis­men basie­rend auf den Poly­phe­no­len vali­de bewie­sen wurden.

Anti­oxi­dan­ti­en sind che­mi­sche Ver­bin­dun­gen, die Oxi­da­tio­nen – also che­mi­sche Ver­bin­dun­gen mit Sau­er­stoff – ver­hin­dern. Ein Groß­teil aller che­mi­schen Reak­tio­nen im Kör­per sind Oxi­da­tio­nen, also völ­lig nor­mal. In einem Zwi­schen­schritt ent­ste­hen dabei manch­mal soge­nann­te freie Sau­er­­stoff-Radi­­ka­­le. Die­se kurz­fris­tig unge­bun­de­nen, sehr ver­bin­dungs­freu­di­gen Sau­er­stoff­ato­me wer­den viel­fach als bio­lo­gisch uner­wünscht bewer­tet. Sie sol­len unter ande­rem Zell­schä­di­gun­gen her­vor­ru­fen, zur Ent­ste­hung von Krebs oder Erkran­kun­gen wie Arte­rio­skle­ro­se, Mor­bus Alz­hei­mer bei­tra­gen oder für Alte­rungs­pro­zes­se ver­ant­wort­lich sein (oxi­da­tiv­er Stress). Um den ver­mu­te­ten oxi­da­tiv­en Schä­di­gun­gen vor­zu­beu­gen, sol­len Anti­oxi­dan­ti­en ein­ge­nom­men wer­den. Die Ange­bots­pa­let­te ist rie­sig, man­che stam­men direkt aus der Che­mie­fa­brik, ande­re ursprüng­lich aus natür­li­chen Quel­len, z. B. die Vit­ami­ne A, C oder E. Immer wie­der im Gespräch sind “sekun­dä­re Pflan­zen­stof­fe”, die in Obst, Gemü­se, Kräu­tern, Früch­ten, Samen ent­hal­ten sind, und die als gesun­de Nah­rung emp­foh­len wer­den: Caro­ti­no­ide (Beta­ca­ro­tin: Möh­ren), poly­phe­n­o­li­sche Anti­oxi­dan­ti­en (Obst, Oli­ven­öl, Ore­ga­no, Zimt, Kakao, Tee, Kaf­fee, Rotwein).

? Wie den­ken Sie dar­über, dass tra­di­tio­nell ver­wen­de­te Lebens­mit­tel wie Cis­tus inca­nus oder Agro­py­ron repens rein büro­kra­tisch in Arz­nei­mit­tel oder arz­nei­ähn­li­che Kate­go­rien wie Novel Food ein­ge­stuft wer­den und damit Ihrer For­schung künf­tig nicht mehr zur Ver­fü­gung stehen?

Rohn: Der Begriff Novel Food hat zunächst ein­mal nichts mit den phy­sio­lo­gi­schen Wir­kun­gen zu tun. Die­se Ein­stu­fung erhal­ten Lebens­mit­tel, die ent­we­der durch neu­ar­ti­ge Ver­fah­ren be- und ver­ar­bei­tet wur­den oder es nicht hin­rei­chend belegt ist, dass die­se Mit­tel tra­di­tio­nell und signi­fi­kant als Lebens­mit­tel ver­wen­det wur­den. Dem­entspre­chend trifft eine sol­che Ein­stu­fung vor allem Pflan­zen­prä­pa­ra­te, die mehr durch ihre Anwen­dung in der tra­di­tio­nel­len Medi­zin bekannt sind als für ihre, zum Teil doch sehr begrenz­te und oft­mals regio­na­le Ver­wen­dung als Lebens­mit­tel. Die Ein­stu­fung als Novel Food ist nicht als “Abklas­si­fi­zie­ren” zu ver­ste­hen, son­dern bedeu­tet ledig­lich, dass Nach­wei­se erbracht wer­den müs­sen, die bestä­ti­gen, dass ent­we­der kei­ne gesund­heit­li­che Risi­ken durch nicht geklär­te phar­ma­ko­lo­gi­sche Wir­kun­gen vor­lie­gen oder, dass tat­säch­lich eine signi­fi­kan­te, tra­di­tio­nel­le Ver­wen­dung als Lebens­mit­tel besteht.

? Gibt es aus Ihrer Sicht eigent­lich eine kla­re Gren­ze zwi­schen Lebens­mit­tel oder Arzneimittel?

Rohn: Aus lebens­mit­tel- und arz­nei­mit­tel­recht­li­cher Sicht bestehen kla­re Abgren­zun­gen zwi­schen Arz­nei- und Lebens­mit­teln: Lebens­mit­tel dür­fen kei­ne Krank­hei­ten hei­len! Ob ein prä­ven­ti­ver Nut­zen von Lebens­mit­teln oder aus­ge­wähl­ten Inhalts­stof­fen eines Lebens­mit­tels vor­liegt, kann nach der­zei­ti­ger Daten­la­ge nicht ein­mal für ein Hand­voll von Lebens­mit­teln gesagt werden.

? Spe­zi­el­le (hoch­po­ly­me­re) Poly­phe­no­le haben auch Gerb­stoff­cha­rak­ter und inhi­bie­ren bei topi­scher Anwen­dung phy­si­ka­lisch die Infek­tio­si­tät von Viren [3, 4], auch jene aus Cis­tus inca­nus [4, 5]. Die von ver­schie­de­nen Autoren in vitro und in vivo gefun­de­nen anti­vi­ra­len Effek­te von Cis­tus inca­nus-Extrak­ten [6] soll­te dem­zu­fol­ge um so höher sein, je höher der Anteil adstrin­gie­ren­der Poly­phe­no­le in Extrak­ten ist. Gilt das auch für die von Ihnen unter­such­ten Tee-Zubereitungen?

Rohn: Wir haben uns bei unse­ren Unter­su­chun­gen mehr auf die klei­ne­ren phe­n­o­li­schen Ver­bin­dun­gen kon­zen­triert als auf die Poly­me­re. Für die anti­vi­ra­len Wirk­me­cha­nis­men ist es aus unse­rer Sicht nicht hin­rei­chend belegt, ob nur die Poly­me­re eine ent­spre­chen­de Wir­kung aus­üben kön­nen oder auch die mono­me­ren phe­n­o­li­schen Ver­bin­dun­gen einen Bei­trag zur anti­vi­ra­len Wir­kung leisten.

? In der Deut­schen Apo­the­ker Zei­tung wird beschrie­ben, dass poly­me­re Poly­phe­no­le “auf­grund ihres Gerb­stoff­cha­rak­ters dena­tu­rie­ren­de Eigen­schaf­ten (besit­zen), die jedem Pro­te­in sei­ne Funk­tio­na­li­tät neh­men” [4]. Ange­sichts die­ser Aus­sa­ge wür­den wir den Ver­zehr von Lebens­mit­teln wie Schwarz­tee, Rot­wein, Kir­schen etc., die die­se Poly­phe­no­le in gro­ßer Men­ge ent­hal­ten, über­haupt nicht über­le­ben. Ist es mög­lich, dass die dena­tu­rie­ren­de Wir­kung im mensch­li­chen Orga­nis­mus gar nicht zur Gel­tung kom­men, die Zel­len bei­spiels­wei­se durch Schleim­stof­fe oder ande­re Mecha­nis­men geschützt sind?

Rohn: Aus ernäh­rungs­phy­sio­lo­gi­scher Sicht scheint es für die Qua­li­tät der Pro­te­ine nur von unter­ge­ord­ne­ter Bedeu­tung zu sein, ob die­se im Lebens­mit­tel oder wäh­rend des Ver­zehrs und dem wei­te­ren Ver­lauf der Ver­dau­ung dena­tu­riert wer­den: In den meis­ten Fäl­len wer­den Sie im Magen bereits in klei­ne­re Pep­ti­de hydro­ly­siert, die dann im Dünn­darm enzy­ma­tisch in die ein­zel­nen Ami­no­säu­ren gespal­ten und ins Blut auf­ge­nom­men wer­den. In den meis­ten Fäl­len unter­stützt eine Dena­tu­rie­rung sogar die­sen Abbau­pro­zess. Kri­ti­scher ist es für die Pro­te­ine, oder auch beson­ders für Enzy­me, die durch eine Dena­tu­rie­rung an Wirk­sam­keit ver­lie­ren könn­ten. Betrach­tet man jedoch das men­gen­mä­ßi­ge Ver­hält­nis bei­der Lebens­mit­tel­in­halts­stof­fe zuein­an­der, so stellt man fest, dass der Pro­te­in­an­teil der Nah­rung deut­lich grö­ßer ist als der von Poly­phe­no­len, d. h. das Auf­tre­ten von “dis­kri­mi­nier­ten” Pro­te­inen hält sich deut­lich in Grenzen.

? Ihre Grup­pe hat rund 32 phe­n­o­li­sche Zist­ro­sen-Bestand­tei­le iden­ti­fi­ziert. Wel­che ste­hen bei der adstrin­gie­ren­den Wir­kung im Vor­der­grund? Wel­che bei den anti­oxi­da­tiv­en Effekten?

Rohn: Die Unter­su­chun­gen zur adstrin­gie­ren­den und pro­te­in­bin­den­den Wir­kung Poly­phe­no­len aus Cis­tus inca­nus wur­den von uns noch nicht abge­schlos­sen. Bei den anti­oxi­da­tiv­en Wir­kun­gen ste­hen Phe­no­le im Vor­der­grund, die auch aus che­misch-struk­tu­rel­ler Sicht als gute Anti­oxi­dan­zi­en ein­zu­stu­fen sind. In Rela­ti­on bei­der Wir­kun­gen bedeu­tet das jedoch lei­der nicht, dass eine Kor­re­la­ti­on ohne wei­te­res mög­lich ist, da es ver­schie­de­ne che­mi­sche Mecha­nis­men der Inter­ak­ti­on zwi­schen phe­n­o­li­schen Ver­bin­dun­gen und Pro­te­inen gibt. Die­se sind nicht nur von der Reak­ti­vi­tät der Phe­no­le abhän­gig, son­dern auch von der Pro­te­in­struk­tur, und die ist bekann­ter­ma­ßen eben­falls recht vielfältig.

? Tee-Zube­rei­tun­gen set­zen Men­schen welt­weit zur Vor­beu­gung oder Hei­lungs-Unter­stüt­zung ein. Opti­ma­le Wirk­stoff­ge­hal­te selbst zube­rei­te­ter Tees sind dies­be­züg­lich wir­kungs­ent­schei­dend. Ihre Ergeb­nis­se zei­gen, dass Was­ser­tem­pe­ra­tur und Zube­rei­tungs­zeit des Tees posi­tiv mit dem Gehalt an poly­me­ren Phe­no­len im Tee kor­re­lie­ren. Ist also ein­stün­di­ges Kochen las­sen von Zist­ro­sen­tee bes­ser als 10minütiges Zie­hen las­sen bei z. B. ca. 70°C?

Arznei- und Gebrauchstees sind nicht dasselbe

Tees tun gut. Sie wär­men auf, bele­ben oder haben hei­len­de Wir­kun­gen. Tees sind in allen mög­li­chen Zusam­men­set­zun­gen zu haben. Mitt­ler­wei­le gibt es Wohl­fühl­tees, Abwehr­tees, Mor­gen­tees. Ver­brau­cher soll­ten den Unter­schied zwi­schen ech­ten Arz­nei­tees und soge­nann­ten Gebrauchs­tees kennen.

Alle Dis­coun­ter, Dro­ge­rien, Lebens­mit­tel­ge­schäf­ten füh­ren ein gro­ßes Sor­ti­ment an Gebrauchs­tees. Die­se Tee­sor­ten haben sämt­lich Lebens­mit­tel­qua­li­tät. Das bedeu­tet am Bei­spiel eines Kamil­len­tees: Der Anteil des äthe­ri­schen Öls der ver­ar­bei­te­ten Kamil­le beträgt nur 0,2 Pro­zent. Die meis­ten Her­stel­ler ver­wen­den zur Her­stel­lung des Kamil­­len-Gebrauchs­­tees das Kraut und die Kamil­le­köpf­chen. Die­ser Tee hat kei­ne arz­nei­lich hei­len­de Wir­kung ‑aber das soll er ja auch nicht. Denn ein Gebrauchs­tee ist nur für den täg­li­chen Bedarf gedacht.

Soll ein Tee hei­lend wir­ken, muss ein Arz­nei­tee her. Beim Inha­lie­ren (ver­stopf­te Nase, Nasen­ne­ben­höh­len­ent­zün­dung) oder Gur­geln ( ent­zün­de­tes Zahn­fleisch) zeigt nur ein ech­ter Arz­nei­tee Wir­kung. Die­ser hat einen gesetz­lich vor­ge­schrie­be­nen Anteil von 0,4 Pro­zent äthe­ri­schem Öl. Im Fal­le vom Kamil­­len-Arz­n­ei­­tee wer­den des­halb nur die Kamil­len­köpf­chen ver­ar­bei­tet (nicht das Kraut), weil vor allem die­se die gewünsch­ten äthe­ri­schen Öle ent­hal­ten. Eine wei­te­re Unter­schei­dungs­mög­lich­keit: Auf der Packung von Arz­nei­tees müs­sen Her­stel­ler (gesetz­lich gere­gelt) immer die Indi­ka­tio­nen und Anwen­dun­gen mit ange­ben. Man­che Her­stel­ler von Arz­nei­tees ver­pa­cken außer­dem die Por­tio­nen luft­dicht. So wird ein Ent­wei­chen der äthe­ri­schen Öle vor Gebrauch ver­hin­dert (rie­chen beim Öff­nen ange­nehm aro­ma­tisch). Das glei­che gilt für Pfef­fer­minz­tee, Lin­den­blü­ten­tee usw.

Apo­the­ken ver­kau­fen auch noch lose Ware. Hier ist das Pro­blem des Wir­k­­stoff-Ver­­lus­­tes durch­aus gege­ben. Klu­ge Ver­brau­cher fra­gen also nach dem Alter des Heil­tees und soll­ten auf fri­sche Ware bestehen. Denn nach einem Jahr sind die Wirk­stof­fe vie­ler Heil­pflan­­zen-Dro­­gen ver­flo­gen. Des­halb hal­ten ange­bro­che­ne Kamil­len­pa­ckun­gen auch nur ein Jahr in der eige­nen Haus­apo­the­ke und soll­ten vor­her ver­braucht werden.

Rezept: Kamil­len­tee: 3 Gramm Kamil­len­tee (1 gehäuf­ter Ess­löf­fel) mit 150 Mil­li­li­ter hei­ßem Was­ser über­brü­hen, zuge­deckt 10 Minu­ten ste­hen las­sen. Danach durch ein Sieb sei­hen. Zum Gur­geln nur lau­war­men oder kal­ten Kamil­len­tee verwenden.

Rohn: Wie bereits erwähnt, ziel­ten unse­re Unter­su­chun­gen vor allem auf die klei­ne­ren phe­n­o­li­schen Ver­bin­dun­gen und nicht so sehr auf die Poly­me­re. Wie bei jedem Extrak­ti­ons­vor­gang ist eine lan­ge, inten­si­ve Extrak­ti­on theo­re­tisch für eine hohe Aus­beu­te einer Sub­stanz güns­ti­ger. Da wir in die­sem Fall jedoch wis­sen, dass die phe­n­o­li­schen Ver­bin­dun­gen, je nach che­mi­scher Struk­tur, Ver­än­de­run­gen unter­lie­gen, müs­sen Zube­rei­tungs­op­ti­ma ermit­telt wer­den, um einer­seits eine hohe Aus­beu­te zu erzie­len und ander­seits einem Abbau der Phe­no­le, mit unbe­kann­ter Ver­än­de­rung der Wirk­sam­keit, ent­ge­gen zu wirken.

? Als Ber­li­ner bin ich von einem sehr hohen Kalk­an­teil im Trink­was­ser betrof­fen. Soll­te ich bes­ser destil­lier­tes, cal­ci­um­frei­es Was­ser zur Zube­rei­tung von Zist­ro­sen­tee ver­wen­den? Wie sieht die Ver­wen­dung von “Was­ser­fil­tern” aus, die behaup­ten, die Men­ge von “tea cream” ver­rin­gern zu können?

Rohn: Die Bil­dung der tea cream ist momen­tan schein­bar nur ein “kos­me­ti­sches Pro­blem” von vie­len Tees. Aus­wir­kun­gen der Bil­dung von neu­ar­ti­gen Poly­me­ren auf die Wirk­sam­keit der ein­zel­nen Inhalts­stof­fe oder dem Prä­pa­rat als sol­ches sind nicht hin­rei­chend unter­sucht. Doch auch hier scheint die Men­ge an gebil­de­ten Pro­duk­ten nicht aus­rei­chend zu sein, um das Prä­pa­rat in sei­ner Wir­kung nach­hal­tig zu beeinflussen.

? Ein klas­si­sches Cre­do der Phy­to­the­ra­pie ist die Syn­er­gie vie­ler Extrakt­be­stand­tei­le im Ver­gleich zu che­misch defi­nier­ten Ein­zel­stof­fen [7]. Könn­ten mit Ihrem Ansatz zum Nach­weis der anti­oxi­da­tiv­en Wir­kung eines Phe­nols auch Gesamt­ex­trak­te (ver­glei­chend) geprüft werden?

Rohn: Wir ver­su­chen in unse­ren Unter­su­chun­gen bei­de Wege par­al­lel zu beschrei­ten, um etwa­ige Syn­er­gis­men, aber auch Ver­min­de­run­gen, her­vor­ge­ru­fen durch die Kom­bi­na­ti­on vie­ler Inhalts­stof­fe, “auf die Spur zu kom­men”. Dem­entspre­chend ver­glei­chen wir immer die Akti­vi­tät ein­zel­ner Sub­stan­zen mit der Akti­vi­tät des gesam­ten Produkts.

! Prof. Rohn, vie­len Dank für Ihre aus­führ­li­chen Antworten!

Das Inter­view führ­te Rai­ner H. Buben­zer, Heilpflanzen-Welt.de, August 2014
(in die­ser Form von Prof. Rohn auto­ri­siert, 10. August 2014)

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Mul­ti­Med­Vi­si­on Ber­li­ner Medi­zin­re­dak­ti­on (März 2015).
Quel­len
[1] Rieh­le P, Voll­mer M, Rohn S: Phe­n­o­lic com­pounds in Cis­tus inca­nus her­bal infu­si­ons – Anti­oxi­dant capa­ci­ty and ther­mal sta­bi­li­ty during the bre­wing pro­cess. Food Rese­arch Inter­na­tio­nal. 2013 Oct;53(2): 891–9.
[2] Rieh­le P, Rusche N, Saa­ke B, Rohn S: Influence of the leaf con­tent and her­bal par­tic­le size on the pre­sence and extra­c­ta­bi­li­ty of quan­ti­ta­ted phe­n­o­lic com­pounds in Cis­tus inca­nus her­bal teas. J Agric Food Chem. 2014 Nov 12;62(45):10978–88.
[3] Ehr­hardt C, Hrin­ci­us ER, Kor­te V, Mazur I, Droeb­ner K, Poet­ter A, Dre­schers S, Schmol­ke M, Planz O, Lud­wig S: A poly­phe­nol rich plant extra­ct, CYSTUS052, exerts anti influ­en­za virus acti­vi­ty in cell cul­tu­re wit­hout toxic side effects or the ten­den­cy to indu­ce viral resis­tance. Anti­vi­ral Res. 2007 Oct;76(1):38–47.
[4] Din­ger­mann T, Schu­­bert-Zsi­­la­­ve­cz M, Winck­ler T, Zün­dorf I: Cystus052® gegen die Ame­ri­ka­ni­sche Grip­pe. Dtsch Apoth Ztg. 2009; 149(19): 2160–3.
[5] Rieh­le P, M Voll­mer M, Rohn S: Poten­zi­el­le pflanz­li­che Wirk­stof­fe aus Cis­­­tus-inca­­nus-Tee. Z Phy­to­ther 2013;34:V27.
[6] Hud­son JB: The use of her­bal extra­cts in the con­trol of influ­en­za. J Med Plants Res. 2009;3(13):1189–95.
[7] Wag­ner H: Syn­er­gy rese­arch: approa­ching a new gene­ra­ti­on of phy­to­phar­maceu­ti­cals. Fito­ter­a­pia. 2011 Jan;82(1):34–7.

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