2009/​4: Heilpflanzen in einem Naturpark

Olaf Tet­zinski

Unter dem Mot­to “Die Heil­pflan­ze, dein Freund und Hel­fer” steht die Füh­rung des Heil­prak­ti­kers Olaf Tet­zinski. Er hat sich eine beson­de­re Umge­bung dazu aus­ge­sucht: Den “Natur­park Schö­ne­berg Südgelände”.

“Im Natur­park Schö­ne­berg Südgelände”

Der Natur­park ist im Süden des Ber­li­ner Stadt­be­zirks. Auf dem Gelän­de hat sich eine bemer­kens­wer­te Wild­nis ent­wi­ckelt. Das Span­nen­de dabei: Das Gelän­de war Teil des ehe­ma­li­gen Ran­gier­bahn­hofs Tem­pel­hofs und wur­de 50 Jah­re lang sich selbst über­las­sen. Aus einer natur­feind­li­chen, öden Brach­flä­che mit Schot­ter­stei­nen, Schie­nen oder zurück­ge­las­se­nen Eisen­bahn­an­la­gen wur­de ein begehr­tes Natur­ge­län­de. Eine Viel­zahl vom Aus­ster­ben bedroh­ter Pflan­zen und Tie­re hat sich im Lau­fe der Jah­re dort ange­sie­delt. Dank enga­gier­ter Bür­ger wur­de ein 18 Hekt­ar gro­ßes Gelän­de 1999 zum “Natur­park Schö­ne­berg Süd­ge­län­de” umge­wan­delt. Er ist für Stadt­be­woh­ner ein Nah­erho­lungs­ort, für Nicht-Ber­li­ner ein Geheim­tipp. Denn nie­mand ver­mu­tet in einer Groß­stadt ein der­ar­ti­ges Refu­gi­um. Auch Eisen­bahn-Fans kom­men auf ihre Kos­ten: Eine alte Lok ist aus­ge­stellt, Lager­hal­len mit dem typi­schen Maschi­nen­ge­ruch sind begeh­bar oder eine Loko­mo­ti­ven-Dreh­schei­be ist aus nächs­ter Nähe zu bewun­dern (wei­te­re Infor­ma­tio­nen: www.stadtentwicklung.berlin.de/natur_gruen/naturschutz)

Lecker: Ahornblattsalat

Feld­ahorn (Acer cam­pest­re)

Die ange­sie­del­ten Heil­pflan­zen und ‑Bäu­me bewo­gen Tet­zinski dazu, das Gelän­de auch für Pflan­zen­füh­rung zu nut­zen. Er star­tet unge­wöhn­li­cher­wei­se mit der Bestim­mung eini­ger Ahorn­ar­ten. “Auch Blät­ter kön­nen eini­ger Bäu­me kön­nen als gesun­de Ergän­zung für einen Salat genutzt wer­den”, beginnt er. Er zeigt auf einen Berg­ahorn (Acer pseu­do­pla­ta­nus). Vie­len ist der Baum wegen sei­ner typi­schen hand­tel­ler­gro­ßen, fünf­ge­zack­ten Blät­ter­form bekannt. Dass aller­dings der Feld­ahorn (Acer cam­pest­re), ger­ne als Gar­ten­he­cke ver­wen­det, eben­falls eine Sala­tein­la­ge sein kann, löst all­ge­mei­ne Ver­wun­de­rung aus. Auch der Eschen­ahorn (Acer negun­do) ist ess­bar und unter­schei­det sich inner­halb sei­ner Gat­tung: Er hat fünf läng­li­che, lan­zett­för­mi­ge Blät­ter (unpaa­rig gefie­dert) die von einem Stil abge­hen. “Die jun­gen Früch­te sind eben­so ver­wert­bar und wer­den ähn­lich wie Kapern ein­ge­legt”, so Tetzinski.

Heilwirkung gegen Blutergüsse

Dann stellt der Heil­prak­ti­ker einen Spitz­ahorn (Acer pla­ta­noides) vor. Die Blät­ter ent­hal­ten ähn­lich wie Bein­well den Wirk­stoff Allan­to­in. Er eig­net sich zur Behand­lung von Blut­ergüs­sen, erfährt die Grup­pe. “Dazu wer­den meh­re­re Ahorn­blät­ter mit dem Nudel­holz bear­bei­tet, bis sie eine auf­ge­weich­te Ober­flä­che haben. Anschlie­ßend wer­den sie über den Blut­erguss gelegt”, erläu­tert Tet­zinski und “das Alan­tuin bewirkt, dass die zer­stör­ten Zel­len des Blut­ergus­ses leich­ter vom Kör­per abtrans­por­tiert wer­den kön­nen”. Ob es denn sinn­voll sei, Pflan­zen in einer Groß­stadt zu sam­meln und zu ver­wen­den, will eine Besu­che­rin wis­sen. “Ich wür­de nie Pflan­zen von gro­ßen, befah­re­nen Stra­ßen benut­zen. Auch Pflan­zen von Hun­de­wie­sen eigen sich selbst­ver­ständ­lich nicht”, beant­wor­tet Tet­zinski die Fra­ge. Städ­ter müs­sen eben­so beach­ten, dass sie Pflan­zen aus gemein­nüt­zi­gen Parks nicht pflü­cken kön­nen (in Ber­lin 40 € Straf­ge­büh­ren) oder in aus­ge­wie­se­nen Natur­schutz­ge­bie­ten. Dort sind Pflan­zen oder Bäu­me Teil eines geschütz­ten Rau­mes, der Tie­ren als Unter­schlupf oder Nah­rung dient. “Den­noch gibt es inner­halb der Stadt genü­gend Regio­nen, wo das Sam­meln erlaubt und unbe­denk­lich ist”, so Tetzinski.

Warzenkraut

Dann wen­det er sich einer gelb blü­hen­den Pflan­ze zu. Das Schöll­kraut (Cheli­do­nii majus) gilt in der Erfah­rungs­heil­kun­de als Mit­tel gegen War­zen erklärt er. Die Besu­cher betrach­ten die flau­schi­gen, wei­chen Blät­ter. Vie­le ken­nen den gelb-oran­ge-far­be­nen Saft schon, der beim Pflü­cken der Stän­gel aus­tre­ten kann. “Der Saft wird mehr­mals täg­lich über einen län­ge­ren Zeit­raum auf die War­zen auf­ge­tra­gen”, sagt Tet­zinski. Der Saft ent­hält star­ke Alka­lo­ide, wel­che die Ver­meh­rung der War­zen-Viren ver­hin­dern kön­nen. “Bei man­chen Men­schen funk­tio­niert es, bei ande­ren wie­der­um nicht”, so Tet­zinski. Wenn die War­zen­be­kämp­fung durch Schöll­kraut nicht funk­tio­niert, bestehen noch ande­re Metho­den: Die kör­per­ei­ge­ne Abwehr stär­ken, damit der Kör­per die Viren selbst bekämp­fen kann. Ver­ei­sun­gen (vor allem Dorn­war­zen) kön­nen durch Haut­ärz­te vor­ge­nom­men wer­den. “Häu­fig kön­nen War­zen etwas Vor­über­ge­hen­des sein, die von allei­ne wie­der weg­ge­hen”, so Tet­zinski. Vor dem Ope­rie­ren von War­zen warnt er jedoch ein­dring­lich. Denn War­zen ent­ste­hen durch Viren, die sich über das Blut über­all im Kör­per ver­brei­ten können.

Seifenkraut und Waldrebe

Sei­fen­kraut (Sapo­na­ria offi­ci­na­lis)

Der Heil­prak­ti­ker führt die Grup­pe wei­ter zu einem Süd­hang. Zahl­rei­che Heil­pflan­zen füh­len sich auf dem tro­cke­nen, san­di­gen Boden, der die Mit­tags­hit­ze abstrahlt offen­sicht­lich wohl: Es scheint, dass Johan­nis­kraut (Hyperi­cum per­fo­ra­tum) , Nat­tern­kopf (Echum vul­ga­re), Sei­fen­kraut (Sapo­na­ria offi­ci­a­lis), Mal­ven (Mal­va sil­vestris), Wald­re­be (Cle­ma­tis vital­ba) um die Wet­te blü­hen. Sie wer­den von Bie­nen, Schmet­ter­lin­gen umschwirrt. Tet­zinski wen­det sich dem rosa blü­hen­den Sei­fen­kraut zu. “Aus dem Kraut der Pflan­ze wird Tee gewon­nen, der uns in der Erkäl­tungs­zeit wei­ter­hilft”, sagt er. Der Tee wird ein­ge­setzt bei Bron­chi­tis oder hef­ti­gen Erkäl­tun­gen, bei denen der Bron­chi­al­schleim gelöst und abge­hus­tet wer­den soll. “Die Pflan­ze ent­hält Sapo­nine, also Schaum bil­den­de Stof­fe”, so der Heil­prak­ti­ker. Die Pflan­ze war frü­her auch Bestand­teil zur Sei­fen­her­stel­lung und lös­te die Ober­flä­chen­span­nung des Was­sers. “Das was mit der Ober­flä­chen­span­nung aus­ge­löst wird, pas­siert auch in uns. Der Schleim, der sich in den Bron­chi­en gebil­det hat, wird durch die Sapo­nine gelöst”, erklärt Tetzinski.

Waldrebe: Die deutsche Liane

Wald­re­be (Cle­ma­tis vital­ba)

Dann wen­det er sich dem schön blü­hen­den Nat­tern­kopf zu. Die lila-blau­en Blü­ten wer­den mit pur­pur­nen Blät­tern unter­bro­chen. Tet­zinski weist auf die vie­len zar­ten Haa­re der Pflan­ze “sie geben einen Hin­weis auf den star­ken Mine­ral­stoff­ge­halt der Pflan­ze”, sagt er. “Sie ist in den Ver­ruf gekom­men, krebs­er­re­gend zu sein”. Die Pflan­ze eig­net sich geschmack­lich nicht zur Her­stel­lung eines Salats nur aus den Blät­tern oder Blü­ten. “Doch als Bei­werk – also ein paar deko­ra­ti­ve Blü­te zur Wür­ze- schon”. Der Heil­prak­ti­ker deu­tet auf die üppig wuchern­de Wald­re­be, einem Ran­un­kel­ge­wächs. Die Grup­pe erfährt, dass sie ist eine wich­ti­ge Pflan­ze in der Bach­blü­ten­the­ra­pie ist. Tet­zinski erläu­tert, dass Edward Bach sei­ne Leh­re durch Beob­ach­tung ent­wi­ckel­te. Am Ende hat­te Bach 35 Pflan­zen aus­ge­sucht, aus denen Extrak­te her­stellt wur­den, die ein­zu­neh­men sind. “Die Wald­re­be wird Men­schen ver­ab­reicht, die ger­ne tag­träu­men. Die Pflan­ze bringt sie wie­der zurück in die Rea­li­tät”, so Tet­zinski. Die Ver­wen­dung der Wald­re­be ist schon alt. Die Bett­ler des Mit­tel­al­ters hat­ten für sie eine beson­de­re Ver­wen­dung: Sie rie­ben sich mit dem Saft der Wald­re­be ein. Die­ser ver­ur­sacht Haut­ek­ze­me und ‑Bla­sen. Bett­ler wand­ten die­sen Kunst­griff an, weil sie fest­ge­stellt hat­ten, dass ihre Mit­men­schen offen­sicht­lich mehr Mit­leid emp­fin­den und spen­den­freu­di­ger sind, wenn ande­re ver­un­stal­tet oder an beson­de­ren Erkran­kun­gen leiden.

In der moder­nen Homöo­pa­thie ist die Pflan­ze eben­so bekannt. Gemäß des Lehr­grund­sat­zes des Begrün­ders der Homöo­pa­thie Samu­el Hah­ne­mann “Glei­ches wird durch Glei­ches geheilt” wird die Wald­re­be dazu ein­ge­setzt, Ekze­me zu lin­dern oder zu hei­len. “Die ‚deut­sche Lia­ne’ ist auch etwas Schö­nes für Ihren Gar­ten. Denn sie ent­wi­ckelt am Abend einen wun­der­schö­nen, zar­ten Duft”, erzählt Tet­zinski. “Sie kön­nen Hecken durch Zwi­schen­pflan­zen bele­ben. Vie­le Insek­ten bekom­men dadurch Nah­rung, was wie­der­um Vögel anzie­hen wird”, sagt Tetzinski.

Dornbewehrter Lattich

Bei der Vor­stel­lung der nächs­ten Pflan­ze, schau­en die meis­ten der Grup­pe eher skep­tisch: Der Kom­pass­lat­tich (Lac­tu­ca serio­la) hat nicht nur pfeil­för­mi­ge, abwei­sen­de Blät­ter­for­men, son­dern wapp­net sich an deren Unter­sei­te sogar mit dor­nen­ar­ti­gen Nadeln. “Den Lat­tich kön­nen Sie als Radic­cio-Ersatz ver­wen­den”, erklärt Tet­zinski unbe­irrt. Die Nadeln wer­den mit einem Nudel­holz flach gewalzt, die Blät­ter sehr klein geschnit­ten. Eini­ge pro­bie­ren die Blät­ter vor­sich­tig und ver­zie­hen das Gesicht. Gro­ße, älte­re Blät­ter schme­cken sehr bit­ter. “Bit­ter macht schlank”, meint Tet­zinski dar­auf hin lachend. Denn die Bit­ter­stof­fe wir­ken über die Gal­le stoff­wech­sel­an­re­gend. “Mit Hil­fe von Bewe­gung und einer stoff­wech­sel­an­re­gen­den Kost, kön­nen Sie die Pfun­de pur­zeln las­sen”, so der Heilpraktiker.

Lein­kraut (Lina­ria vul­ga­ris)

Dann wen­det er sich der Feld­kres­se (Ber­te­roa incar­na) zu. Die weiß blü­hen­de, vita­le Pflan­ze ent­wi­ckelt im Ver­lau­fe eines Som­mers stän­dig Blü­ten. Wer­den die­se abge­pflückt wach­sen immer wei­te­re nach. Die gesam­te Pflan­ze, Kraut, Stän­gel, Blü­ten kön­nen zum Bei­spiel im Salat Ver­wen­dung fin­den. “Das gewöhn­li­che Lein­kraut (Lina­ria vul­ga­ris) hin­ge­gen muss gekocht wer­den. Gewa­schen, klein­ge­schnit­ten, lässt es sich wie Spi­nat ver­wen­den und schmeckt auch ähn­lich”, sagt Tet­zinski. Zum Schluss kommt er zum Nel­ken­wurz. Der Name ver­rät schon ein wenig von der Ver­wend­bar­keit: Das Kraut ent­wi­ckelt äthe­ri­sche Öle, die den Gewürz­nel­ken­öl nicht unähn­lich sind. Eben­so der medi­zi­na­le Ein­satz: Die Blät­ter ent­hal­ten Gerb­säu­re, die zusam­men­zie­hend auf offe­ne, wun­de Stel­len im Mund wir­ken. Von den Blät­tern wird ein Sud berei­tet, um bei­spiels­wei­se Par­odon­ti­tis zu behan­deln. Auch als Küchen­ge­würz ist Nel­ken­wurz geeig­net: Die Wur­zeln wer­den gewa­schen, fein gehackt und lie­fern eine lecke­re Wür­ze für einen Salat.

Die Repor­ta­ge ent­stand im Rah­men der “lan­ger Tag der Stadt­Na­tur” (www.langertagderstadtnatur.de). Die­se Ver­an­stal­tung wird all­jähr­lich Anfang Juli von der Stif­tung Natur­schutz Ber­lin ausgerichtet.

Autorin
• Mari­on Kaden, Heil­pflan­­zen-Welt (2009).

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