Schlange Hausfreund, Ludwig Bechstein (aus Ludwig Bechstein: “Deutsches Märchenbuch”, 1846)

Lud­wig Bechstein

Es war ein­mal ein altes Ehe­paar, das war sehr arm, wenn noch so flei­ßig, und der Mann nähr­te sich und sei­ne Frau, mit der er ein klei­nes Häus­chen nahe einem Wal­de bewohn­te, von Wald­ar­beit. Er half Bäu­me fäl­len, Holz ein­fah­ren, Holz zer­sä­gen und spal­ten, und so sam­mel­te er auch das Holz, das er zu sei­nem eige­nen Gebrau­che nötig hat­te, im Wal­de und führ­te es auf einem Schie­be­kar­ren jede Woche ein oder eini­ge Male heim. Das darf aber nach den Forst­ge­set­zen nur mit dür­rem Hol­ze gesche­hen, fri­sches, noch grü­nen­des dür­fen die armen Leu­te nicht von den Bäu­men abhau­en oder mit ihren Hip­pen abrei­ßen, sonst wer­den sie in die Wald­bu­ße geschrie­ben und gestraft, und das ist ein sehr wei­ses Gesetz, denn ohne das­sel­be gäbe es schon lan­ge kei­ne grü­nen­den Wäl­der mehr. Wie nun ein­mal der arme Holz­hau­er in den Wald kam, sah er mit gro­ßer Freu­de schon von wei­tem, daß ein star­ker Sturm­wind in der Nacht auch von einer statt­li­chen Eiche einen gro­ßen dür­ren Ast abge­bro­chen und her­ab gewor­fen hat­te, und woll­te sich als­bald die­ses Astes bemäch­ti­gen. Aber näher kom­mend, gewahr­te der Mann mit Schre­cken, daß vom Bau­me her nach dem Aste sich eine gro­ße Schlan­ge rin­gel­te, daher er zur Sei­te wich und sich ande­res Holz sam­mel­te. Am fol­gen­den Tage ging der Mann wie­der in den Wald, und woll­te nun den Ast mit sich neh­men, aber da hat­te die Schlan­ge den­sel­ben mehr­fach umschlun­gen, und hob ihr Köpf­chen auf dem schlan­ken Hal­se ihm ganz mun­ter ent­ge­gen, als wenn sie ohne Furcht vor ihm sei­ne Bekannt­schaft machen woll­te. Leicht hät­te der Mann die Schlan­ge töten kön­nen, er durf­te ihr ja nur mit dem schar­fen Holz­bei­le, das er mit sich führ­te, den Kopf abhau­en, allein die­ser Mann war einer von den weni­gen ver­stän­di­gen Land­leu­ten, die in ihrem schlich­ten Sin­ne es für eine Sün­de erach­ten, ohne Not und ohne Bedürf­nis ein Geschöpf Got­tes zu töten, aus rei­nem Fre­vel und Lust am Mor­de, wie so vie­le aus Unver­stand, und was noch viel schlim­mer und ärger ist, aus Bos­heit tun. Er gab lie­ber den Ast auf, und such­te sich klei­ne­res Lese­holz zusammen.

Wie nun der Mann mit sei­nem Rei­sig­bün­del nach Hau­se kam, sag­te er zu sei­ner ihm im Hofe behül­f­li­chen Frau, indem er das Holz abwarf: “Ich brin­ge lei­der den schö­nen Ast wie­der nicht mit, von dem ich dir ges­tern schon erzählt habe, die Schlan­ge hat­te sich ganz dar­um her­um geringelt.”

“Geh mir mit dei­ner Schlan­ge!” sprach die Frau. “Ich bin froh, daß ich sie nicht gese­hen habe, ich wäre des Todes gewesen.”

Kaum hat­te des Holz­hau­ers Frau dies gesagt, so stieß sie einen gel­len­den Schrei aus, und sprang ent­setzt zurück – denn aus dem Rei­sig­bün­del her­vor kroch plötz­lich die Schlan­ge, und ihr Anblick jag­te der Frau einen töd­li­chen Schreck ein.

“Aber lie­be Frau!” rief der Mann. “Wie du dich gleich stel­len kannst! Was erschrickst du denn? Es ist ja kei­ne gif­ti­ge Schlan­ge, es ist eine unschul­di­ge Unke, die Frö­sche und Mäu­se frißt. Man sagt, Unken brin­gen Glück ins Haus, viel­leicht bringt die­se es uns, Zeit dazu wär’ es, denn des Elen­des haben wir lan­ge genug gehabt. Man hat auch Bei­spie­le, daß Men­schen in sol­che Lint­wür­me ver­wan­delt wor­den sind, wel­che Schät­ze ver­gru­ben, und nun in Schlan­gen­ge­stalt das glei­ßen­de Gold hüten müs­sen, viel­leicht ist uns ein sol­cher Schatz beschert, wir wol­len daher der Schlan­ge kein Leid zufügen.”

Der Frau zit­ter­ten lan­ge die Glie­der, sie ver­moch­te kaum, ihrem Man­ne etwas zu ant­wor­ten, denn es besteht ein Wider­wil­le der Frau­en gegen die Schlan­gen vom Anbe­gin­ne her, die Schlan­ge aber war gleich in das Haus geschlüpft, und hat­te dort im Vor­flur die Kat­ze ange­trof­fen, und ihr guten Tag gesagt. Die Kat­ze hat­te einen hohen Buckel gemacht und ange­fan­gen zu pfau­chen, die Schlan­ge aber hat­te gezischt und den Rachen auf­ge­ris­sen, was die Kat­ze bewog, nicht feind­se­lig gegen die Schlan­ge vorzugehen.

“Was issest du?” frag­te die Schlan­ge. – “Ich esse Mäu­se” – ant­wor­te­te die Katze.

“Ich esse auch Mäu­se”, sag­te die Schlange.

Die­ser zar­te Zug über­ein­stim­men­der Nei­gung begü­tig­te die Kat­ze, und sie frag­te nun die Schlan­ge: “Was trinkst du?”

“Ich trin­ke Milch, wenn ich deren haben kann!” ant­wor­te­te die Schlange.

“Ei ich trin­ke auch Milch!” sag­te die Kat­ze. “Das ist ja schön! da pas­sen wir eigent­lich gut zusammen.”

Dar­auf schlos­sen die Kat­ze und die Schlan­ge Frie­den und Freund­schaft mit­ein­an­der, und die Haus­frau gewöhn­te sich all­mäh­lich an die letz­te­re, und wenn sie der Kat­ze Milch gab, so trank die Schlan­ge, die sehr wenig bedurf­te, mit der Kat­ze aus einem Näpf­chen, und die Mäu­se fin­gen bei­de gemein­schaft­lich weg, die Schlan­ge die im Stal­le und im Kel­ler, und die Kat­ze die auf dem Boden und in der Stube.

In dem Wald­häus­chen aber kehr­te Segen ein, seit die Schlan­ge bei dem alten Ehe­paa­re leb­te und gedul­det ward; der Tage­lohn wur­de dem Man­ne erhöht, die Wald­bee­ren, eßba­ren Schwäm­me und Heil­kräu­ter, wel­che die Frau sam­mel­te und in die Stadt zum Ver­kau­fe trug, wur­den ihr viel bes­ser, als sonst bezahlt, und so leb­ten die armen Leu­te in glück­li­cher Zufrie­den­heit, die ihnen viel­mehr zum Bes­ten gedieh, als wenn sie unver­se­hens reich gewor­den wären. Am Aben­de, wenn die Arbeit ruhe­te, saßen die bei­den Alten bis­wei­len som­mers vor der Türe und win­ters am war­men Ofen, und die Frau spann, neben ihr saß die Kat­ze und spann auch, aber lei­der kei­nen Faden, und die Schlan­ge hat­te Schlupf­gän­ge, wel­che die Mäu­se aus­ge­ar­bei­tet hat­ten, und kam her­auf, und da hör­ten Mann und Frau zu, wie die bei­den Tie­re ein­an­der Geschich­ten erzähl­ten, in denen Kat­zen oder Schlan­gen stets die Haupt­rol­len spiel­ten. Die Schlan­ge inson­der­heit war schon ziem­lich alt und sehr erfah­ren, und konn­te sehr vie­les erzäh­len, teils was sie selbst erlebt hat­te, teils was sie von ihrer Mut­ter und Groß­mutter gehört.

“Ich weiß nicht, ob du die Geschich­te von jener Frau kennst”, sprach eines Abends die Schlan­ge zu ihrer Freun­din, der Kat­ze: “wel­che lan­ge Zeit eine Schlan­ge an ihrer Brust trug?”

“Nein, die ken­ne ich nicht; ich wer­de dir sehr dank­bar sein, wenn du sie mir erzählst” – ant­wor­te­te die Kat­ze, und strich sich mit ihrer rech­ten Pfo­te über den Kopf, wor­auf die Schlan­ge das fol­gen­de Mär­chen erzählte.

Autor
• Lud­wig Bech­stein (1846).

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