“Prophylaxe und Therapie der Influenza: Jetzt ohne Neuraminidasehemmer?”

Inter­view

Das Inter­view führt eine Dis­kus­si­on bei dem Por­tal Heilpflanzen-Welt.de wei­ter, bei der Lud­wig – kurz vor dem Auf­tre­ten der welt­wei­ten “Schwei­negrip­pe” – das anti­vi­ra­le Spek­trum der natur­heil­kund­li­chen und ande­rer Optio­nen gegen sai­so­na­le Grip­pe-Epi­de­mien oder Influ­en­za-Pan­de­mien dar­stell­te (Voll­text).

Prof. Dr. Ste­fan Ludwig

? Erneut kom­men Wis­sen­schaft­ler der Coch­ra­ne Col­la­bo­ra­ti­on zu dem Schluss, dass die für Mil­li­ar­den welt­weit ein­ge­la­ger­ten Neu­r­a­mi­ni­da­se­hem­mer kei­ne der in sie gesetz­ten Hoff­nun­gen im Kampf gegen Influ­en­za erfül­len [1]. Was ist der Haupt­grund für das Ver­sa­gen die­ser Wirkstoffgruppe?

Prof. Lud­wig Der aktu­el­le Coch­ra­ne Report brach­te ja kei­ne neue Erkennt­nis, son­dern nur die Bestä­ti­gung der frü­he­ren Prü­fun­gen. Zudem beschei­nigt der Report nicht eine kom­plet­te Wir­kungs­lo­sig­keit, son­dern besagt, dass eini­ge der zuge­spro­che­nen Wir­kun­gen von Osel­ta­mi­vir, ins­be­son­de­re in Bezug auf eine Reduk­ti­on der Krank­heits­sym­pto­me, nicht wirk­lich durch die Stu­di­en belegt sind. Wenn man berück­sich­tigt, dass Tami­f­lu eigent­lich nie als wirk­lich gutes Medi­ka­ment anzu­se­hen war, über­ra­schen die­se Erkennt­nis­se nicht. Ärger­lich ist natür­lich der Umgang der Her­stel­ler mit den Ergeb­nis­sen der Stu­di­en. Hier muss man in Zukunft viel bes­ser auf Trans­pa­renz achten.

? Ähn­lich den Neu­r­a­mi­ni­da­se­hem­mern zeigt auch das Par­kin­son­mit­tel Aman­t­a­din beim anti­vi­ra­len Ein­satz gegen Influ­en­za erheb­li­che Neben­wir­kun­gen. Wie sieht es mit dem Risi­ko von Resis­tenz­ent­wick­lun­gen bei die­sen Wirk­stof­fen aus?

Prof. Lud­wig Die Resis­tenz­ent­wick­lun­gen sind mei­nes Erach­tens das größ­te Pro­blem. Sowohl Aman­t­a­di­ne als auch Neu­r­a­mi­ni­da­sein­hi­bi­to­ren sind direkt gegen das Virus­par­ti­kel gerich­tet, das sich somit leicht der Wir­kung durch Muta­ti­on ent­zie­hen kann. Dies ist für bei­de Wirk­stoff­ar­ten auch schon in gro­ßem Umfang gesche­hen. Aman­t­a­di­ne wer­den auf­grund der bestehen­den Resis­ten­zen über­haupt nicht mehr emp­foh­len und es ist sehr opti­mis­tisch zu glau­ben, dass Neu­r­a­mi­ni­da­sein­hi­bi­to­ren kurz oder mit­tel­fris­tig nicht das glei­che Schick­sal erlei­den. Ich wage ein­mal die pro­vo­ka­ti­ve Behaup­tung, dass jedes Medi­ka­ment, das direkt gegen ein Virus gerich­tet ist, wegen der Resis­tenz­ent­wick­lung frü­her oder spä­ter wir­kungs­los wird. Des­halb ist es aus mei­ner Sicht sehr ver­wun­der­lich, dass Phar­ma­fir­men wei­ter­hin auf neue Neu­r­a­mi­ni­da­sein­hi­bi­to­ren oder auf ande­re vira­le Angriffs­punk­te set­zen und kei­ne Alter­na­ti­ven auf­ge­grif­fen wer­den. Hier ist ein Para­dig­men­wech­sel nötig.

Cys­tus inca­nus L. Pan­da­lis®

? Welt­weit wird nach alter­na­ti­ven Kon­zep­ten zur Pro­phy­la­xe und The­ra­pie der Influ­en­za gesucht. Kön­nen Sie bit­te erklä­ren, war­um die Imp­fung gegen sai­so­na­le Influ­en­za nur wenig Schutz bei einer mög­li­chen Grip­pe­pan­de­mie bietet?

Prof. Lud­wig Impf­stof­fe wer­den immer auf der Basis der gera­de aktu­ell im Umlauf befind­li­chen Virus­stäm­me her­ge­stellt. Gegen ein plötz­lich auf­tre­ten­des voll­kom­men neu­es Virus sind sie daher wir­kungs­los. Bei der soge­nann­ten “Schweingrippe”-Pandemie in 2009 haben wir die­ses Dilem­ma ein­drucks­voll erlebt. Trotz effek­ti­ver Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen braucht es immer noch unge­fähr 6 Mona­te, bis genü­gend Impf­stoff gegen ein neu­es Virus zur Ver­fü­gung steht. Man muss daher ganz klar sagen, dass Imp­fun­gen der­zeit kei­ne Opti­on für die Früh­pha­se einer Pan­de­mie darstellen.

? Sie for­schen an Alter­na­ti­ven zur Vor­beu­gung der Influ­en­za bzw. zur ver­bes­ser­ten Kon­trol­le ihrer Aus­brei­tung. Was sind viel­ver­spre­chen­de Ansät­ze hierbei?

Prof. Lud­wig Wir ver­fol­gen ver­schie­de­ne Ansät­ze, die sich nicht mehr spe­zi­fisch auf das Virus rich­ten, son­dern auf die Wirts­zel­len. Jedes Virus braucht Zel­len des Orga­nis­mus um sich zu ver­meh­ren. Wir ent­zie­hen den Viren die Ver­meh­rungs­grund­la­ge in den Zel­len. Dies hat nicht nur den Vor­teil einer brei­ten Wirk­sam­keit, son­dern auch, dass sich kei­ne Resis­ten­zen aus­bil­den kön­nen, da das Virus die blo­ckier­te zel­lu­lä­re Funk­ti­on nicht erset­zen kann. Mit einem der von uns gefun­de­nen Wirk­stof­fe wer­den der­zeit kli­ni­sche Stu­di­en der Pha­se II durch­ge­führt. Auch mit pflanz­li­chen Wirk­stof­fen haben wir viel­ver­spre­chen­de Ergeb­nis­se erhalten.

? Exper­ten für Phy­to­the­ra­pie von der kana­di­schen Uni­ver­si­ty of Bri­tish Colum­bia in Van­cou­ver beschrei­ben eine Rei­he von Pflan­zen bzw. Pflan­zen­ex­trak­ten mit anti­vi­ra­ler Wir­kung gegen Influ­en­za [3]. Wel­che Pflan­ze ist in die­ser Hin­sicht am bes­ten erforscht und wie ist das Wirkprinzip?

Prof. Lud­wig Wie bereits erwähnt, haben wir uns auch mit Pflan­zen­ex­trak­ten als Anti-Grip­pe-Wirk­stof­fe inten­siv befasst und hier über­ra­schend gute Wirk­ef­fi­zi­en­zen gefun­den. Ich set­ze gro­ße Hoff­nun­gen auf pflanz­li­che Wirk­stof­fe, ins­be­son­de­re sol­che, die aus der tra­di­tio­nel­len Medi­zin bereits bekannt sind. Dies steht im übri­gen im Ein­klang mit einer Emp­feh­lung der WHO, die in ihrer Influ­en­za-For­schungs­agen­da 2010 die bes­se­re Erfor­schung von tra­di­tio­nel­len Arz­nei­mit­teln ins­be­son­de­re zu Ver­sor­gung der Drit­ten Welt anmahnt. Breit, aller­dings recht unsys­te­ma­tisch als Anti-Infek­ti­va erforscht sind poly­phe­nol­hal­ti­ge Extrak­te, bei­spiels­wei­se aus grü­nem Tee, wobei hier mecha­nis­ti­sche Unter­su­chun­gen meist noch feh­len. In Bezug auf die Wirk­me­cha­nis­men sind Extrak­te aus der grau­be­haar­ten Zist­ro­se umfas­send unter­sucht. Hier waren wir mit Arbei­ten zu dem Extrakt CYSTUS052 auch betei­ligt und konn­ten eine sehr gute anti­vi­ra­le Wirk­sam­keit zei­gen, ohne dass Resis­ten­zen auf­tra­ten. Der Mecha­nis­mus beruh­te dabei nicht auf einer phar­ma­ko­lo­gi­schen Auf­nah­me der Wirk­sub­stanz in die Zel­le, son­dern auf einer phy­si­ka­li­schen Blo­cka­de der Bin­dung von Viren an Zel­len, was zwar eine topi­sche Ver­ga­be vor­aus­setzt, in Bezug auf das Feh­len von Neben­wir­kun­gen aber eine idea­le Situa­ti­on ist.

? Ist die topi­sche on demand-Appli­ka­ti­on eines anti­vi­ra­len Extrak­tes bei Influ­en­za im Ver­gleich zu sys­te­mi­schen Phar­ma­ka über­haupt pro­phy­lak­tisch oder the­ra­peu­tisch rele­vant? Wie sieht es mit der Anwen­dungs­freund­lich­keit und Adhä­renz, dem Neben­wir­kungs­spek­trum und der Resis­tenz­ent­wick­lung aus?

Prof. Lud­wig Topi­sche Anwen­dun­gen sind aus mei­ner Sicht einer sys­te­mi­schen Ver­ga­be eigent­lich immer vor­zu­zie­hen. Wenn ich einen Erre­ger in der Lun­ge sit­zen habe, brau­che ich den Wirk­stoff dort und nicht in der Leber oder der Nie­re. Das ist ins­be­son­de­re auch in Bezug auf Neben­wir­kun­gen ein wich­ti­ger Punkt. Lei­der spielt der Ver­brau­cher dabei nicht mit, oder zumin­dest glaubt dies die Phar­ma­in­dus­trie. Der Pati­ent wirft lie­ber eine Pil­le ein, anstatt umständ­lich Sub­stan­zen zu inha­lie­ren. Ein­drück­lich wur­de die­ses Pro­blem bei den Neu­r­a­mi­ni­da­sein­hi­bi­to­ren belegt. Das oral ver­ge­be­ne Tami­f­lu war sozu­sa­gen “in aller Mun­de” wäh­rend das inha­lier­ba­re Relen­za gefloppt ist.

Cys­tus inca­nus L. Pan­da­lis®

? Inhalts­stof­fe der bis­lang geprüf­ten Pflan­zen, bei­spiels­wei­se Poly­phe­no­le, haben ja kei­ne spe­zi­fi­sche anti­vi­ra­le Wir­kung. Wir­ken sie dann auch bei ande­ren Viren als Influ­en­za A, oder viel­leicht auch bei Bakterien?

Prof. Lud­wig Für den Extrakt Cystus052 konn­ten wir auch eine Wir­kung gegen ande­re vira­le Erre­ger, bei­spiels­wei­se Schnup­fen­vi­ren oder Erkäl­tungs­vi­ren, auf­zei­gen, was mit der eher unspe­zi­fi­schen Blo­cka­de der Virus­ober­flä­che mit den Extrakt­be­stand­tei­len zusam­men­hängt. Auch gegen Bak­te­ri­en wur­de mei­nes Wis­sens eine Wirk­sam­keit gezeigt. Die Fra­ge, war­um die Extrakt­be­stand­tei­le mit Ober­flä­chen klei­ner Erre­ger, nicht jedoch mit zel­lu­lä­ren Ober­flä­chen blo­ckie­rend inter­agie­ren, ist noch ungeklärt.

? Wäre es aus Ihrer Sicht sinn­voll gewe­sen, wenn der Natio­na­le Pan­de­mie­plan 2005 auch die Ein­la­ge­rung von alter­na­ti­ven, z. B. aus Pflan­zen gewon­ne­nen Phar­ma­zeu­ti­ka vor­ge­se­hen hätte?

Prof. Lud­wig Die Fra­ge, ob eine sol­che Ein­la­ge­rung von Medi­ka­men­ten über­haupt sinn­voll ist, habe ich für mich noch nicht end­gül­tig ent­schie­den und ich bin froh dar­über, die Ver­ant­wor­tung für eine sol­che Ent­schei­dung nicht tra­gen zu müs­sen. Wenn man sich aller­dings für eine sol­che Ein­la­ge­rung ent­schei­det, wäre es aus mei­ner Sicht bes­ser, sich nicht nur auf ein Prä­pa­rat zu beschrän­ken, son­dern alle Alter­na­ti­ven mit zu berück­sich­ti­gen. Das Pro­blem der Gesund­heits­be­hör­den ist hier aber, dass man sich auf zuge­las­se­ne Prä­pa­ra­te mit kli­nisch bestä­tig­ter Wir­kung beschrän­ken muss, so dass es schwie­rig wäre, viel­ver­spre­chen­de Alter­na­ti­ven, die die­se Kri­te­ri­en nicht erfül­len, mit aufzunehmen.

! Prof. Dr. Lud­wig, vie­len Dank für Ihre Antworten!

Die Fra­gen, die Prof. Dr. Ste­phan Lud­wig – Insti­tut für Mole­ku­la­re Viro­lo­gie (IMV) am Zen­trum für Mole­ku­lar­bio­lo­gie der Ent­zün­dung (ZMBE) der West­fä­li­schen Wil­helms-Uni­ver­si­tät Müns­ter, beant­wor­te­te, stell­te der Medi­zin­jour­na­list Rai­ner H. Buben­zer, Berlin.

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Mul­ti­Med­Vi­si­on Ber­li­ner Medi­zin­re­dak­ti­on (2014).
Quel­len
[1] Jef­fer­son T, Jones MA, Doshi P, Del Mar CB, Hama R, Thomp­son MJ, Spen­cer EA, Onak­poya I, Mahtani KR, Nun­an D, Howick J, Heneg­han CJ: Neu­r­a­mi­ni­da­se inhi­bi­tors for pre­ven­ting and trea­ting influ­en­za in healt­hy adults and child­ren. Coch­ra­ne Data­ba­se Syst Rev. 2014 Apr 10;4:CD008965.
[2] Bar­tens W: Grip­pe­mit­tel – Sarg­na­gel für Tami­f­lu. Süd­deut­sche Zei­tung. 10. April 2014 (https://sz.de/1.1933656).
[3] Hud­son JB: The use of her­bal extra­cts in the con­trol of influ­en­za. J Med Plants Res. 2009; 3(13):1189–95.).

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