Neuraltherapie nach Huneke

Baum­wun­de: Aus­tre­ten­des Harz

Unvor­stell­bar: Das Set­zen von Sprit­zen mit einem Lokal­be­täu­bungs­mit­tel ist heil­sam bei vie­len Erkran­kun­gen. Laut Ana­ly­sen erge­ben sich auch ins­ge­samt betrach­tet ver­kürz­te Krank­heits­pha­sen und gerin­ge­re Kos­ten für das Gesund­heits­we­sen. Alle Men­schen ken­nen Schmerz. Er ist manch­mal all­um­fas­send, beherrscht den gan­zen Kör­per und das Bewusst­sein. Dann besteht nur noch der Wunsch nach Befrei­ung oder zumin­dest eine klei­ne Pau­se gewährt zu bekom­men. Unzäh­li­ge Men­schen – Schmerz­pa­ti­en­ten – ste­cken genau in die­ser Lebens­si­tua­ti­on: Es sind Schmerz­kran­ke, die bei­spiels­wei­se an Migrä­ne, Tri­ge­mi­nus-Neur­al­gie, Rheu­ma oder chro­ni­schen, schwe­ren Rücken­schmer­zen lei­den. Oder Pati­en­ten, die mit unkla­ren Schmerz-Sym­pto­men von einem Arzt zum nächs­ten wech­seln, um end­lich eine Dia­gno­se zu erhal­ten. Auch Pati­en­ten gehö­ren dazu, die als “aus­the­ra­piert” gel­ten, weil kei­ne der vie­len schul­me­di­zi­ni­schen Maß­nah­men bis dahin wirkten.

Gute Heilungschancen

Eine Hei­lung oder eine schlag­ar­ti­ge Bes­se­rung einer Erkran­kung erscheint dann nach dem erfah­re­nen Leid wie ein Wun­der: Ani­ta M., Bern,* litt unter einer Migrä­ne mit schwe­ren, wöchent­li­chen Anfäl­len. Wegen der hohen Fehl­ta­ge, über­leg­te sich der Arbeit­ge­ber, ihre Stel­le zu kün­den. “Ihr Lei­dens­druck war also in zwei­er­lei Hin­sicht aus­ser­or­dent­lich hoch”, erin­nert sich Dr. Die­ter Thom­men, Neu­ral­the­ra­peut, Bern. Bei der ers­ten Behand­lung kam die Pati­en­ten mit star­ken Schmer­zen in die Pra­xis. Thom­men ent­schied, sie an meh­re­ren Stel­len des Kop­fes zu behan­deln. “Als ich einen Ner­ven­aus­tritts­punkt über der lin­ken Augen­braue anspritz­te, ver­schwand der Schmerz in der Sekun­de”, so der Arzt.

Thom­men prak­ti­ziert nun seit fast zwan­zig Jah­ren. Als Inter­nist such­te er bald nach sei­ner Pra­xis­er­öff­nung nach neu­en Wegen, weil “ich nicht mehr nur Sym­pto­me bekämp­fen woll­te”, so Thom­men. Durch ein Erleb­nis bei einem Neu­ral­the­ra­peu­ten ent­schied er sich für das alter­na­ti­ve Ver­fah­ren. Denn er durf­te zuse­hen, wie “eine Pati­en­tin, die einen Hexen­schuss erlit­ten hat­te, kurz nach der Ver­ab­rei­chung der Sprit­zen sich wie­der schmerz­frei bewe­gen konn­te – ein beein­dru­cken­des Erleb­nis”, so Thommen.

Entstehung der Neuraltherapie:

Eine Hei­lung von einer Sekun­de zur nächs­ten mach­te 1925 Furo­re: Dr. Fer­di­nand Hune­ke hat­te sei­ner chro­nisch und schwer an Migrä­ne lei­den­den Schwes­ter ein pro­cain­hal­ti­ges Anti­rheu­ma­ti­kum gespritzt. Aller­dings mach­te der Arzt einen Behand­lungs­feh­ler: Statt in die Mus­keln spritz­te er das Medi­ka­ment ver­se­hent­lich in eine Vene – und schlag­ar­tig von einer Sekun­de zur nächs­ten war die Schwes­ter von ihrer quä­len­den Migrä­ne befreit. Die­ses als “Sekun­den­phä­no­men” bekannt gewor­de­ne Ereig­nis, konn­ten Fer­di­nand und Wal­ter Hune­ke an ande­ren Migrä­ne­pa­ti­en­ten wie­der­ho­len. Beein­druckt von die­sem unge­wöhn­li­chen Heil­ef­fekt ent­wi­ckel­ten die bei­den Ärz­te das spä­ter als Neu­ral­the­ra­pie benann­te Verfahren.

Der Heilimpuls

Vor einer Behand­lung wird eine aus­führ­li­che Ana­mne­se und kör­per­li­che Unter­su­chung durch­ge­führt. Ent­spre­chend der Dia­gno­se (sie­he Kon­zept) wird der neu­ral­the­ra­peu­tisch qua­li­fi­zier­te Arzt dann in spe­zi­el­le Haut­area­le oder für die Erkran­kung bedeut­sa­me Ner­ven­kno­ten (Gan­gli­en) das Lokal­be­täu­bungs­mit­tel Pro­cain ein­brin­gen (Infil­tra­ti­on). Es wird ver­mu­tet, dass die gerin­gen Pro­cain-Men­gen star­ke und anhal­ten­de Heil-Rei­ze auf die den Haut­punk­ten zuge­ord­ne­ten inne­ren Orga­ne aus­üben. Oder anders aus­ge­drückt: Bei Infil­tra­ti­on von Ner­ven­kno­ten wer­den Impul­se auf das vege­ta­ti­ve Ner­ven­sys­tem aus­ge­übt. Dies soll, so die Neu­ral­the­ra­pie, bei funk­ti­ons­ge­stör­ten Orga­nen die Selbst­hei­lung des Kör­pers aus­lö­sen. In der Natur­heil­kun­de wer­den sol­che durch Heil­rei­ze beding­ten Reak­tio­nen als Umstim­mung bezeich­net. Natur­heil­kund­lich Ori­en­tier­te bedie­nen sich ver­schie­dens­ter Umstim­mungs­the­ra­pien. Ihnen allen ist die Vor­stel­lung gemein­sam, dass ein Heil­im­puls dem Orga­nis­mus die Mög­lich­keit bie­tet, sich sei­ner Voll­kom­men­heit zu erin­nern. Der berühm­te Arzt und Theo­lo­ge Para­cel­sus (1493–1541), bezeich­ne­te den Heil­reiz als einen Anruf an den “inne­ren Archeus”. Die­ser, jedem Men­schen inne­woh­nen­de (idea­le) Teil, ent­spricht dem von Gott geschenk­ten, voll­kom­me­nen Lebens­prin­zip. Dazu gehört idea­ler­wei­se Gesund­heit und die opti­ma­le Funk­ti­on des gan­zen Körpers.

Konzept

Die Neu­ral­the­ra­pie fusst auf einer rei­chen prak­ti­schen Arbeit und Beob­ach­tun­gen. Wäh­rend die Seg­ment­the­ra­pie, auch Heil­an­äs­the­sie genannt, in der kli­ni­schen Medi­zin aner­kannt ist, gilt die Stör­feld­the­ra­pie noch als wis­sen­schaft­lich unbe­wie­sen. Neu­ral­the­ra­peu­ten gehen davon aus, dass das Lokal­be­täu­bungs­mit­tel mit sei­nen schmerz­stil­len­den, ent­zün­dungs­wid­ri­gen und betäu­ben­den Wir­kun­gen eine zen­tra­le Rol­le spielt. Mit der Hil­fe des Medi­ka­ments wird

a) der Schmerz­zy­klus durch­bro­chen am Bei­spiel von aku­ten Schul­­ter-Nacken-Schmer­­zen: Die stän­di­gen Schmer­zen haben star­ke Ver­span­nun­gen und eine ver­min­der­te Durch­blu­tung der Mus­ku­la­tur bewirkt. Die gerin­ge­re Blut­ver­sor­gung wie­der­um stei­gert die Schmer­zen. Ein Teu­fels­kreis, der durch die Sprit­ze unter­bro­chen wird (der ers­te Stich ist spür­bar, dann wirkt kurz dar­auf das Betäu­bungs­mit­tel). Dar­aus folgt -> Akti­vie­rung durch ver­mehr­te Durch­blu­tung -> Nor­ma­li­sie­rung des Muskeltonus.

b) ein Kör­per­seg­ment bear­bei­tet am Bei­spiel durch Sprit­zen von seg­men­tal zuge­ord­ne­ten Haut­area­len ent­lang der Wir­bel­säu­le: Über die­se Reflex­area­le (ver­sorgt durch eine Viel­zahl von Ner­ven­endi­gun­gen) wer­den über die Ner­ven­fa­sern (im zuge­ord­ne­ten Seg­ment) ent­fernt lie­gen­de inne­re Orga­ne gereizt. Damit kann dann eine ver­bes­ser­te Funk­ti­on ein­her­ge­hen. Auch soge­nann­te über­ge­ord­ne­te Regel­krei­se (unwill­kür­li­che Funk­tio­nen wie Blut­druck, hor­mo­nel­le Steue­rung, Gewicht) kön­nen durch kurz­fris­ti­ge Sti­mu­la­ti­on erreicht und so zu einem “Neu­start” bewegt werden.

c) Stör­fel­der: Soge­nann­te Stör­fel­der kön­nen aus Sicht der Neu­ral­the­ra­pie das Ner­ven­sys­tem mit feh­ler­haf­ten Signa­len über­rei­zen und zu Schmer­zen oder Fehl­funk­tio­nen von Orga­nen füh­ren. Sol­che Stör­fel­der wer­den zum Bei­spiel von chro­ni­schen Ent­zün­dun­gen, Ver­let­zun­gen oder Nar­ben ver­ur­sacht. Sie kön­nen sich am Ort der Schmer­zen (z.B. Kopf, Nacken, Bauch) oder an weit ent­fern­ten Kör­per­stel­len befin­den und Fehl­funk­tio­nen im Kör­per aus­lö­sen. Wird ein sol­ches Stör­feld, zum Bei­spiel eine Ope­ra­ti­ons­nar­be, mit Pro­cain unter­spritzt, wird es dadurch “ent­stört”. Das Lokal­an­äs­the­ti­kum kann so die wei­te­re Stö­rung unter­bin­den und damit eine Fun­k­­ti­ons-Nor­­ma­­li­­sie­rung ein­lei­ten. Ein typi­sches “schul­me­di­zi­ni­sches” Stör­feld sind klei­ne Ver­nar­bun­gen von Hirn­ge­we­be, die zu epi­lep­ti­schen Anfäl­len führen.

Enge Arzt-Patienten-Absprache

Im bes­ten Fall kann ein ein­zi­ger neu­ral­the­ra­peu­ti­scher Heil­reiz aus­rei­chend sein, um eine dau­er­haf­te Umstim­mung zu voll­zie­hen. “Doch die erwähn­te, phä­no­me­na­le oder wun­der­sa­me Wir­kung tritt nicht so häu­fig auf”, so Thom­men. In der Pra­xis sind meis­tens meh­re­re Behand­lun­gen not­wen­dig. Durch­schnitt­lich sind je nach Erkran­kung oder Funk­ti­ons­stö­rung aus­schliess­lich der Ana­mne­se sechs bis zehn Behand­lun­gen nötig. Dabei ste­hen Pati­ent und Arzt in einem engen Dia­log: “Wir sind auf die Mit­ar­beit unse­rer Pati­en­ten ange­wie­sen”, sagt Thom­men. “Sie müs­sen uns genau erzäh­len, ob, wann und wie sie Bes­se­rung emp­fan­den oder sich sons­ti­ge Reak­tio­nen ein­stell­ten. Oft­mals erfolgt eine Behand­lungs­än­de­rung auf­grund der beschrie­be­nen Kör­per­re­ak­tio­nen”. Und wenn ein Pati­ent kei­ne Beschwer­de­ver­bes­se­run­gen ver­spürt, muss die Suche nach einem mög­li­chen Stör­feld (sie­he Kas­ten) erfolgen.

Wichtig: Gesunde Zähne

Bei der ein­gangs erwähn­ten Migrä­ne­pa­ti­en­tin kehr­ten die Kopf­schmerz­at­ta­cken nach der ers­ten beein­dru­ckend, heil­sa­men Reak­ti­on nach län­ge­rer Ruhe­pha­se wie­der. “Wenn sie im Anfall in die Pra­xis kam, konn­te die­ser mit Hil­fe meh­re­rer Sprit­zen immer wie­der sofort besei­tigt wer­den. Doch eine end­gül­ti­ge Hei­lung woll­te sich nicht ein­stel­len”, erin­nert sich Thom­men. Doch dann konn­te der Arzt die noch vor­han­de­nen Weis­heits­zäh­ne als Stör­feld aus­ma­chen. Nach­dem ein Zahn­arzt die Weis­heits­zäh­ne ent­fernt hat­te, wur­de die Behand­lung bei der Migrä­ne­pa­ti­en­tin schon nach weni­gen Sit­zun­gen end­gül­tig abge­schlos­sen. “Die Zahn­ge­sund­heit wird ger­ne unter­schätzt”, so Thom­men. Kran­ke oder tote Zäh­ne wie auch Implan­ta­te kön­nen den gan­zen Kör­per in Mit­lei­den­schaft zie­hen und ver­schie­de­ne Funk­ti­ons­stö­run­gen her­vor­ru­fen. “In sol­chem Fäl­len ist eine enge Zusam­men­ar­beit – am bes­ten mit einem ganz­heit­lich arbei­ten­den Zahn­arzt – nötig, um einen tat­säch­li­chen The­ra­pie­er­folg zu erzie­len”, so Thommen.

Indikationen & Kontraindikationen

Indi­ka­tio­nen: Migrä­ne und ande­re Kopf­schmer­zen, Neur­al­gi­en, rheu­ma­ti­sche Erkran­kun­gen wie chro­­nisch-ent­­zün­d­­li­che Schmerz­zu­stän­de des Bewe­gungs­ap­pa­rats, All­er­gien, Krank­hei­ten mit Ent­zün­dungs­pro­zes­sen (z. B. Man­del­ent­zün­dun­gen), Herz-Kreis­lauf-Erkran­­kun­­gen (z. B. Herz­rhyth­mus­stö­run­gen), Ver­­­dau­ungs- und Schlaf­stö­run­gen, wie auch hor­mo­nell beding­te Stö­run­gen (z. B. Prä­men­struel­les Syn­drom, Wech­sel­jahrs­be­schwer­den), Schmerz­zu­stän­de nach Ope­ra­tio­nen, Schwin­del, Tin­ni­tus und vie­les mehr.

Kon­tra­in­di­ka­tio­nen: All­er­gie gegen das Lokal­be­täu­bungs­mit­tel Pro­cain, Psy­cho­sen, Behand­lung mit Blutverdünnungsmitteln.

Kosten für Patienten

Die Kran­ken­kas­sen sind in Deutsch­land nicht ver­pflich­tet, die Kos­ten für die Neu­ral­the­ra­pie zu über­neh­men. Es gibt jedoch Kran­ken­kas­sen, die die Kos­ten­er­stat­tung in ihrem Leis­tungs­ka­ta­log als Zusatz­leis­tung erbrin­gen. Vor einer Behand­lung soll­ten die Kos­ten­über­nah­me mit der jewei­li­gen Kran­ken­kas­se abge­klärt werden.

* Name von der Redak­ti­on geändert.

Autorin
• Mari­on Kaden, natür­lich leben (2010).

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