Heilen Pflanzen der Phytotherapie?

Die Pflan­zen­heil­kun­de oder Phy­to­the­ra­pie wird seit Jahr­tau­sen­den welt­weit zum Woh­le und zur Hei­lung der Men­schen eingesetzt.

Bei­fuss (Arte­mi­sia vulgaris)

Schmerz­lin­dern­de Wei­den­rin­de, ent­zün­dungs­hem­men­de Kamil­le, darm­be­ru­hi­gen­der Fen­chel – täg­lich ver­wen­den wir Heil­pflan­zen. Ihre wun­der­ba­ren, scho­nen­den und dabei effek­ti­ven Wirk­wei­sen sind geschätzt und beliebt. So beliebt, dass sich die Schwei­zer in der Volks­ab­stim­mung im letz­ten Jahr ein­deu­tig für kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­sche The­ra­pien ein­setz­ten. Unter ihnen ist die Pflan­zen­heil­kun­de mit Abstand die ältes­te. Ihre Bedeu­tung und Wert­schät­zung lässt sich schon aus Papy­rus­rol­len ent­neh­men: Schrift­kun­di­ge ent­zif­fer­ten, dass die alten Ägyp­ter Heil­pflan­zen gezielt zu medi­zi­ni­schen Zwe­cken ein­setz­ten. Auch die Nach­hal­tig­keit der uralt­ägyp­ti­schen Arbei­ten sind über­zeu­gend wie die Mumi­fi­zie­run­gen ihrer Ober­häup­ter mit Hil­fe von Har­zen und aro­ma­ti­sier­ten Pflan­zen­ölen ein­drucks­voll bele­gen. Das Wis­sen um die Heil­kraft der Pflan­zen ist in allen Kul­tu­ren tief ver­wur­zelt und birgt einen rie­si­gen Schatz. Para­cel­sus sag­te: “Gott ließ über­all genau die Heil­pflan­zen wach­sen, die zur Hei­lung der Krank­hei­ten der jewei­li­gen Regio­nen not­wen­dig sind”.

Pflanzenheilkunde im Wandel

Gold­ru­te (Soli­da­go virgaurea)

Die Erkennt­nis­se rund um medi­zi­nisch ein­setz­ba­re Pflan­zen ver­dan­ken wir heil­kun­di­gen Män­nern und Frau­en. Sie beob­ach­te­ten, pro­bier­ten Wur­zeln, Blät­ter, Rin­den aus, stel­len Rezep­tu­ren zusam­men und tra­dier­ten münd­lich ihr Wis­sen über Jahr­tau­sen­de hin­weg. Spä­ter wur­den die­se Erfah­run­gen schrift­lich nie­der­ge­legt ‑wes­halb der Begriff Erfah­rungs­heil­kun­de ent­stand. Beim Tra­die­ren oder auch jahr­hun­der­te­lan­gen Kopie­ren von Rezep­tu­ren schli­chen sich Feh­ler ein, ein Grund wes­halb die Erfah­rungs­heil­kun­de von moder­nen Wis­sen­schaft­lern kri­ti­siert wird. Die­se nutz­ten jedoch den erfah­rungs­heil­kund­li­chen Schatz als Grund­la­ge ihrer For­schun­gen und Prä­pa­ra­te-Ent­wick­lun­gen. Mit dem Ent­ste­hen der Natur­wis­sen­schaf­ten kamen neue Medi­zin­kon­zep­te auf. Erfin­dun­gen und tech­ni­sche Mög­lich­kei­ten unter ande­rem auch in Labor­tech­ni­ken ermög­lich­ten ab dem 19. Jahr­hun­dert die Erfor­schung che­misch defi­nier­ter Ein­zel­sub­stan­zen. Wis­sen­schaft­ler ver­such­ten den Heil­pflan­zen ihre Wirk­stoff-Geheim­nis­se zu ent­reis­sen, indem sie ein­zel­ne Sub­stan­zen iso­lier­ten. So wur­de zum Bei­spiel der beson­de­re Wirk­stoff der Wei­den­rin­de, das Sali­cin ent­deckt. 1897 gelang dann dem Che­mi­ker Felix Hoff­mann, die Sali­cyl­säu­re in Ace­tyl­sa­li­cyl­säu­re (ASS) umzu­wan­deln und in Rein­syn­the­se her­zu­stel­len. Damit war der Sie­ges­zug des extra­hier­ten Wirk­stoffs der Wei­de, bekannt als Aspi­rin, nicht mehr auf­zu­hal­ten. Es gilt als erfolg­reichs­tes Arz­nei­mit­tel des 20. Jahrhunderts.

Der Wissenschaft verpflichtet: Rationale Phytotherapie

Bal­dri­an (Vale­ria­na officinalis)

Doch die­ser der Natur nach­emp­fun­de­ne, syn­the­ti­sier­te Natur­stoff ist kein pflanz­li­ches Arz­nei­mit­tel. In der Phy­to­the­ra­pie wer­den nur Arz­nei­mit­tel auf unver­än­der­ter Grund­la­ge von Pflan­zen­tei­len (Blü­ten, Wur­zeln), deren Bestand­tei­len (äthe­ri­sche Öle) oder Zube­rei­tun­gen (Extrak­te, Tink­tu­ren, Press­säf­te) den pflanz­li­chen Fer­tig­arz­nei­mit­teln (Phy­to­phar­ma­ka) zuge­rech­net. Ihre Erfor­schung wird im Rah­men der moder­nen Pflan­zen­heil­kun­de betrie­ben. Wis­sen­schaft­ler wie Prof. Rein­hard Sal­ler, Lehr­stuhl für Natur­heil­kun­de Zürich, arbei­ten dar­an, pflan­zen­heil­kund­li­che Wirk­stof­fe nach natur­wis­sen­schaft­li­chen Prin­zi­pi­en zu unter­su­chen. Die ‚ratio­na­le’ Phy­to­the­ra­pie ver­wen­det natur­wis­sen­schaft­li­che Metho­den, um labor­tech­nisch oder kli­nisch die Wir­kung von Heil­pflan­zen nach­zu­wei­sen. Sie gilt nicht als Alter­na­tiv­me­di­zin, son­dern als Teil der natur­wis­sen­schaft­lich ange­wen­de­ten medi­zi­ni­schen wie bio­lo­gi­schen For­schung und Therapie.

Am Wirksamsten: Die Pflanze als Ganzes

Doch auch die ratio­na­le Phy­to­the­ra­pie hat Kri­ti­ker. Einer unter ihnen war der bekann­te Schwei­zer Alfred Vogel. Der Arzt aus Teu­fen fühl­te sich der Natur tief ver­bun­den und arbei­te­te sein Leben lang mit Heil­pflan­zen, ihren Anwen­dun­gen und mög­li­chen The­ra­pien in sei­nem Sin­ne. Auf­grund sei­ner Beob­ach­tun­gen und Unter­su­chun­gen war ihm klar, dass die groß­ar­ti­gen, viel­fäl­ti­gen Wir­kun­gen von Heil­pflan­zen nicht nur auf ein­zel­nen Sub­stan­zen beru­hen konn­ten. Sein von ihm gegrün­de­tes Unter­neh­men fußt auf ver­schie­de­nen Prin­zi­pi­en. Sein ‚Ganz­heits­prin­zip’ for­mu­lier­te er so: “Jede Pflan­ze stellt etwas Fer­ti­ges, in sich Abge­schlos­se­nes dar; denn es han­delt sich dabei um ein Rezept, dem Intel­li­genz, Vor­aus­sicht und wei­se Pla­nung zugrun­de liegt. Für den Wert der ein­zel­nen Pflan­ze ent­steht ein Risi­ko, wenn man ihr zweck­mäs­sig über­leg­tes Gefü­ge aus­ein­an­der reisst”. Anders gesagt: Die Sum­me der Pflan­zen-Gesamt­wir­kung ist mehr als die Sum­me der Wir­kung von Ein­zel­sub­stan­zen. Genau zu die­ser Erkennt­nis kam, wie vie­le ande­re Wis­sen­schaft­ler auch, ein kana­di­scher Wis­sen­schaft­ler der ratio­na­len Phy­to­the­ra­pie: James B. Hud­son von der Uni­ver­si­tät Van­cou­ver stell­te 2009 sei­ne Unter­su­chungs­er­geb­nis­se bezüg­lich der Wir­kung von Pflan­zen­ex­trak­ten bei Influ­en­za vor: In den Schluss­fol­ge­run­gen fasst er zusam­men, dass die ent­zün­dungs­hem­men­den, anti­vi­ra­len, anti­bak­te­ri­el­len und ‑oxi­da­tiv­en Eigen­schaf­ten von Pflan­zen-Ein­zel­wirk­stof­fen effek­ti­ver in ihrer Gesamt­heit bei der Bekämp­fung von Influ­en­za sind, als ihre Ein­zel­tei­le. [1]

Selber sammeln:

Beim sel­ber Sam­meln von Heil­pflan­zen soll­te dar­auf geach­tet wer­den, dass die Res­sour­cen geschont wer­den. Dazu gehört auch das Wis­sen: Wel­che Pflan­zen sind geschützt? (Geschütz­te Pflan­zen auch nie ein­zeln pflü­cken!) Im Zwei­fels­fal­le also lie­ber die Pflan­zen ste­hen las­sen, anstatt sie abzu­p­fü­cken, um sie Zuhau­se zu bestimmen.

Nachhaltiger biologischer Heilpflanzenanbau

Erd­rauch (Fuma­ria officinalis)

Für Vogel war das Sam­meln von wild wach­sen­den Pflan­zen, aus denen er sei­ne Frisch­pflan­zen­heil­mit­tel her­stell­te, eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. “Heu­te wird zuneh­mend dar­über dis­ku­tiert, ob man den gewach­se­nen Bedarf an Heil­pflan­zen über­haupt noch auf Wild­be­stän­den decken darf und soll”, so Cle­mens Umbricht, PR-Ver­ant­wort­li­cher des moder­nen Unter­neh­mens von A.Vogel. Her­stel­ler von Phy­to­phar­ma­ka, die sich Nach­hal­tig­keit und Ver­ant­wor­tung gegen­über der Natur auf die Fah­nen geschrie­ben haben, gin­gen neue Wege. Sie bau­en für ihre Arz­nei­mit­tel­pro­duk­ti­on die not­wen­di­gen Heil­pflan­zen ent­we­der selbst oder mit Hil­fe ver­trag­lich ver­pflich­te­ter Bau­ern an. Ein wei­te­rer Vor­teil: Die Fir­men kön­nen den stren­gen gesetz­li­chen Erfor­der­nis­sen nach einer kon­ti­nu­ier­li­chen Wirk­wei­se und – Qua­li­tät von Heil­pflan­zen damit eben­falls bes­ser nachkommen.

Drogerien für die Selbstmedikation

Schaf­gar­be (Achil­lea millefolium)

Etwa 560 Dro­ge­rien schweiz­weit bie­ten ein brei­tes Sor­ti­ment an Heil­pflan­zen-Dro­gen für die Selbst­me­di­ka­ti­on an. “Wis­sen und Nach­fra­ge rund um Pflan­zen­heil­kund­li­ches sind gross”, sagt Eli­sa­beth Huber vom Schwei­ze­ri­scher Dro­gis­ten­ver­band, Biel. “Dro­gis­ten wäh­len ein Sor­ti­ment je nach der jewei­li­gen Nach­fra­ge in ihrer Regi­on aus”, erzählt Huber. Das kann ent­we­der ein viel­fäl­ti­ges Sor­ti­ment an loser oder eher kon­fek­tio­nier­te Ware sein. “Die Palet­te ist umfas­send: Nicht nur Tees aus Wur­zeln, Blü­ten, Blät­tern und Rin­den, son­dern auch äthe­ri­sche Öle wer­den ange­bo­ten. Außer­dem wer­den spa­gy­risch her­ge­stell­te Mit­tel oder Fer­tig­arz­nei­en wie Sal­ben, Sprays, Tablet­ten nach­ge­fragt”, so Huber. Bevor sie für den Ver­band tätig wur­de, absol­vier­te die Dro­gis­tin eine lan­ge Aus­bil­dungs­zeit: Ihr Basis­wis­sen erwarb sie durch eine vier­jäh­ri­ge Leh­re in einer Dro­ge­rie. “Wobei auf eine prak­ti­sche Aus­rich­tung Wert gelegt wur­de”, erin­nert sich Huber. “Der theo­re­ti­sche Teil wur­de in der Berufs­schu­le gelehrt, die zwei­mal in der Woche besucht wer­den muss­te”. Anschlies­send besuch­te Huber die Höhe­re Fach­schu­le für Dro­gis­ten und Dro­gis­tin­nen (Eco­le supé­ri­eu­re de dro­gue­rie) in Neu­en­burg. Das Voll­zeit­stu­di­um (Abschluss: diplo­mier­te Dro­gis­tin) über zwei Jah­re deck­te ein brei­tes Spek­trum ab, bei dem unter ande­rem auch Phar­ma­ko­lo­gie zu den Pflicht­fä­chern gehör­te. Zuletzt arbei­te­te sie noch zwei Jah­re, um prak­ti­sche Erfah­run­gen zu sammeln.

Mehr als 1000 Möglichkeiten

Kapu­zi­ner­kres­se (Tro­paeo­lum maius)

“Dro­gis­ten grei­fen auf ein breit gefä­cher­tes, pro­fun­des Wis­sen bei der Kun­den­be­ra­tung zurück”, so Huber. Die Selbst­me­di­ka­ti­on steht im Vor­der­grund: Ob Hus­ten, Magen-Darm-Ver­stim­mun­gen oder anre­gen­de Stoff­wech­sel-Tees für die belieb­te Früh­jahrs­kur – an Rat fehlt es Dro­gis­ten nie. Huber weist dar­auf hin, dass das Wis­sen von typi­schen pflan­zen­heil­kund­li­chen Mög­lich­kei­ten wie zum Bei­spiel die Her­stel­lung von einem Sud für Umschlä­ge, Wickel oder Kom­pres­sen in den jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen in Ver­ges­sen­heit gera­ten ist. Dabei kön­nen zum Bei­spiel eine Thy­mi­an­öl­kom­pres­se bei krampf­ar­ti­gen Hus­ten, Auf­la­gen bei Mens­trua­tions- oder Mus­kel­schmer­zen lin­dern und hel­fen. Wer sich dafür inter­es­siert, kann zum Bei­spiel Kur­se mit­ma­chen, die man­che Dro­gis­ten anbie­ten. Außer­dem ste­hen für die Reak­ti­vie­rung des wert­vol­len Heil­wis­sens aus der Apo­the­ke Got­tes immer noch Heil­kräu­ter-Erfah­re­ne zur Ver­fü­gung: In Fami­li­en, der Nach­bar­schaft oder im Dorf leben Men­schen, die sich aus­ken­nen mit eini­gen Pflan­zen, ihren Wir­kun­gen und Anwendungen.

Nicht zuletzt steht für die Erwei­te­rung der eige­nen Kom­pe­tenz und des Heil­pflan­zen-Wis­sens eine brei­te Lite­ra­tur zur Ver­fü­gung: Nach­schla­ge­wer­ke, Koch­bü­cher oder prak­ti­schen Rat­ge­ber kön­nen ziel­füh­rend und hilf­reich sein. Aus­ser­dem wer­den Füh­run­gen zu Arz­nei­pflan­zen oder Wild­kräu­tern von Fach­leu­ten, Ver­ei­nen, Volks­hoch­schu­len ange­bo­ten. Mit ihnen macht es macht Spass, draus­sen in der Natur zu sein und mit jedem Spa­zier­gang Neu­es ken­nen zu ler­nen und spä­ter zu Hau­se viel­leicht aus­zu­pro­bie­ren. Genau­so inter­es­sant sind Besu­che von Heil­kräu­ter- wie Bota­ni­sche Gär­ten oder bei­spiels­wei­se das Frei­licht­mu­se­um Bal­len­berg mit sei­nen vie­len inter­es­san­ten Spezialveranstaltungen.

Autorin
• Mari­on Kaden, natür­lich leben (2010).
Quel­le
[1] Hud­son, James. B: The use of her­bal extra­cts in the con­trol of influ­en­za. Jour­nal of Medi­cal Plants Rese­arch Vol. 3(13) pp.1189–1195. Decem­ber 2009.

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