Medikamente gegen die Virusgrippe – eine Bestandsaufnahme (Teil 3 von 7)

Die Hoffnungen in Neuraminidase-Hemmer sind heute stark gedämpft

Ech­ter Stern­anis (Illi­ci­um ver­um) Aus­gangs­stoff für Neu­r­a­mi­ni­da­se­hem­mer Osel­ta­mi­vir (Tami­f­lu®)

Lud­wig: Die Lösung aller Pro­ble­me schien in den 90er Jah­ren mit der Ent­de­ckung einer neu­ar­ti­gen Wirk­stoff­fa­mi­lie gegen das Grip­pe­vi­rus gekom­men zu sein, den soge­nann­ten Neu­r­a­mi­ni­da­se-Inhi­bi­to­ren. Die­se Sub­stan­zen blo­cken die Akti­vi­tät des vira­len Ober­flä­chen­pro­te­ins Neu­r­a­mi­ni­da­se und füh­ren dazu, dass sich die neu ent­stan­de­nen Viren nicht mehr von der Zel­le lösen kön­nen. Wirk­stof­fe, wie Osel­ta­mi­vir und Zana­mi­vir kennt man heu­te als die akti­ven Kom­po­nen­ten der zuge­las­se­nen Grip­pe-Medi­ka­men­te Tami­f­lu und Relen­za. Die Ent­wick­lung die­ser Grip­pe­mit­tel begann vor mehr als 16 Jah­ren und stellt ein gutes Bei­spiel für das soge­nann­te Ratio­na­le Drug Design dar. Grund­la­ge war die klu­ge Über­le­gung, dass bei Hem­mung eines vira­len Enzyms jede Muta­ti­on zur Ver­rin­ge­rung der Enzym­ak­ti­vi­tät füh­ren soll­te und so für even­tu­ell resis­ten­te Vari­an­ten eine stark ver­min­der­te Patho­ge­ni­tät zu erwar­ten sei. Wis­sen­schaft­ler der Monash Uni­ver­si­ty im aus­tra­li­schen Mel­bourne prä­sen­tier­ten ent­spre­chend am 14. Okto­ber 1992 auf einem Infek­tio­lo­gie­kon­gress in Los Ange­les einen expe­ri­men­tel­len Vor­läu­fer von Zana­mi­vir als ein wirk­sa­mes Mit­tel gegen Grip­pe an Mäu­sen. Zana­mi­vir, das durch Inha­la­ti­on in die Lun­ge ver­ab­reicht wer­den muss­te, wur­de spä­ter wei­ter­ent­wi­ckelt in die oral ver­füg­ba­re Form Osel­ta­mi­vir. Obgleich bei­de Wirk­stof­fe seit Ende der 90er Jah­re zuge­las­sen sind und in kli­ni­schen Stu­di­en bei recht­zei­ti­ger Gabe einen Nut­zen bei Grip­p­e­infek­tio­nen zeig­ten, muss die Hoff­nung, die in die­se Medi­ka­men­te gesteckt wur­den, heut­zu­ta­ge stark gedämpft wer­den. Zunächst zei­gen Stu­di­en, dass Neu­r­a­mi­ni­da­se­hem­mer eine Infek­ti­on mit Influ­en­za­vi­ren nicht ver­hin­dern, son­dern allen­falls den Ver­lauf lin­dern kön­nen. Dies liegt ver­mut­lich dar­an, dass die Prä­pa­ra­te die Ver­meh­rung der Viren im Kör­per zwar behin­dern, die Viren aber nicht abtö­ten. Dar­über hin­aus haben die Grip­pe­vi­ren auch Wege gefun­den, häu­fi­ger als ver­mu­tet Resis­ten­zen gegen Neu­r­a­mi­ni­da­se­hem­mer zu ent­wi­ckeln. Die ursprüng­lich gefun­de­ne Resis­tenz­ra­te bei Osel­ta­mi­vir von weni­ger als einem Pro­zent wur­de bei­spiels­wei­se bei einer Unter­su­chung von Kin­dern in Japan mit 18% aller unter­such­ten Iso­la­te um ein Viel­fa­ches über­schrit­ten. Vor allem bei einer Unter­do­sie­rung des Prä­pa­rats scheint es ver­stärkt zu Resis­tenz­pro­ble­men zu kom­men. In der Grip­pe­sai­son 2007/​2008 beob­ach­te­te man über­ra­schen­der­wei­se das Auf­tre­ten einer hohen Zahl an Resis­ten­zen bei den sai­so­na­len H1N1-Grip­pe­vi­ren in Euro­pa, die im Mit­tel bei 10% lag, jedoch bei­spiels­wei­se in Nor­we­gen bis zu 75% aller unter­such­ten Iso­la­te betraf.

Die­se Resis­tenz­phä­no­me­ne sind mitt­ler­wei­le welt­weit zu beob­ach­ten, ohne dass dies mit einer erhöh­ten Ein­nah­me von Osel­ta­mi­vir in den ent­spre­chen­den Län­dern kor­re­lier­bar wäre. Auch bei Infek­tio­nen mit H5N1-Vogel­grip­pe­vi­ren wur­de ver­schie­dent­lich das Auf­tre­ten von Resis­ten­zen beob­ach­tet, wobei Pati­en­ten trotz Tami­f­lu-Behand­lung ver­stor­ben sind. Obwohl hier durch die klei­ne Fall­zahl kei­ne gene­ra­li­sier­ten Aus­sa­gen mög­lich sind, zei­gen neue­re Labor­un­ter­su­chun­gen, dass resis­ten­te H5N1-Vari­an­ten im Tier­ex­pe­ri­ment nicht in ihrer Patho­ge­ni­tät abge­schwächt waren. Die Viren schei­nen also Mit­tel und Wege gefun­den zu haben, sich dem anti­vi­ra­len Angriff durch Ver­än­de­rung effi­zi­ent zu ent­zie­hen. Falls ein sol­ches resis­ten­tes aber immer noch hoch­pa­tho­ge­nes H5N1-Virus die Fähig­keit erlan­gen soll­te, sich frei von Mensch zu Mensch zu ver­brei­ten, wür­de Osel­ta­mi­vir kei­ner­lei Schutz mehr vermitteln.

Influenza: Eine relevanter Gesundheits-Indikator

Buben­zer: Ver­lässt man zusam­men mit der Natur­heil­kun­de das Schlacht­feld des kal­ten Kriegs gegen die Mikro­ben und sucht nach dem Wesen­haf­ten der Influ­en­za, dann stellt sich vor allem die Fra­ge nach ihren “auf­fal­len­den, son­der­li­chen, unge­wöhn­li­chen und eigen­heit­li­chen (cha­rak­te­ris­ti­schen) Zei­chen und Sym­pto­men” (Samu­el Hah­ne­mann, Orga­non §153, 1833). Wis­sen­schaft­lich drängt sich unmit­tel­bar und für jeden natur­heil­kund­li­chen Milieu­theo­re­ti­ker sofort erkenn­bar auf: Die Grip­pe schlägt oft nur dann zu, wenn Men­schen in beson­de­rer Wei­se geschwächt sind. Wenn näm­lich die immu­no­lo­gi­schen Schutz­vor­keh­run­gen an der Grenz­flä­che zwi­schen Innen und Außen nicht mehr wie vor­ge­se­hen funktionieren.

Sei es bedingt durch schwe­re Trau­ma­ti­sie­run­gen (1. Welt­krieg), durch Hun­ger und Elend, durch jah­res­zeit­lich beding­ten Licht­man­gel [5] oder durch unse­li­ge, mit chro­ni­scher Fehl­ernäh­rung ein­her­ge­hen­de Alte­rungs­pro­zes­se (40–60% aller Senio­ren in Alten­hei­men sind man­gel­er­nährt [6]). Der Befall mit Influ­en­za­vi­ren ist also – auf die Spe­zi­es Mensch bezo­gen – ein Indi­ka­tor sys­te­misch und nicht indi­vi­du­ell beding­ter, erheb­li­cher Miss­stän­de bei den natür­li­chen Lebens­um­stän­den. Dass die­se nicht allei­ne bio­lo­gi­sche Ziel­grö­ßen betref­fen, son­dern auch psy­cho­so­zia­le Pro­ble­me, zeigt die Inter­pre­ta­ti­on der rela­tiv gro­ßen Wir­kungs­lo­sig­keit der Grip­pe­schutz­imp­fung. Als Ursa­che der sta­tis­tisch beleg­ba­ren Wirk­sam­keit wird heu­te zuneh­mend der Healt­hy User-Effekt ange­nom­men [7], der durch den feh­len­den Ein­schluss von Men­schen mit gro­ßem Erkran­kungs­ri­si­ko in die Stu­di­en zur Wirk­sam­keit der Grip­pe­schutz­imp­fung zustan­de kommt. Dies sind zum Bei­spiel in den USA vor allem Men­schen, die ohne­hin krank, sozi­al depri­viert oder vom Zugang zu medi­zi­ni­schen Res­sour­cen aus­ge­schlos­sen sind (die sie sich aber wegen ihrer Armut ohne­hin nicht leis­ten könnten).

zurück vor

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Heil­pflan­­zen-Welt (2008).

Bitte Ihre Frage, Anmerkung, Kommentar im folgenden Feld eingeben