Chronischer Gelenkschmerz – Neue Studie belegt Wirksamkeit von Akupunktur-Selbstbehandlung

Schmerz­haf­te Gelenk-Erkran­kun­gen füh­ren bei unge­nü­gen­der Schmerz­the­ra­pie zu einem Teu­fels­kreis: Schmerz­ver­mei­dung -> ver­rin­ger­te Bewe­gung -> wei­te­rer Ver­lust von Gelenk­funk­tio­nen. Die medi­ka­men­tö­sen Mög­lich­kei­ten sind unge­nü­gend, weil klas­si­sche anti­ent­zünd­li­che Schmerz­mit­tel (sog. NSAR, nicht-ste­ro­ida­le Anti­rheu­ma­ti­ka) mas­si­ve Neben­wir­kun­gen haben (z. B. Geschwü­re oder lebens­ge­fähr­li­che Blu­tun­gen im Magen) und neue­re Nach­fol­ge­mit­tel (sog. Coxi­be, z. B. Vioxx®) wegen töd­li­cher Herz-Neben­wir­kun­gen weit­ge­hend vom Markt genom­men wur­den. Alter­na­ti­ven sind also mehr als nötig. Eine davon ist die Aku­punk­tur. In einer kürz­lich been­de­ten Unter­su­chung konn­ten deut­sche For­scher zei­gen, dass Aku­punk­tur sogar bei Lai­en-Selbst­be­hand­lung zu Hau­se wirk­sam Schmer­zen lin­dern kann. Und zwar auch bei schwers­ten Arthro­se-Gelenk­schä­den wie sie z. B. bei älte­ren Pati­en­ten mit der Blu­ter­krank­heit (Hämo­phi­lie) auf­tre­ten, wenn kei­ne moder­ne vor­beu­gen­de Behand­lung erfolgt ist.

Die Pilot­stu­die im ein­zel­nen: Die 12 im Durch­schnitt 46 Jah­re alten Pati­en­ten lit­ten an aus­ge­präg­ter Blu­ter­krank­heit (“schwe­re Hämo­phi­lie”). Alle hat­ten chro­ni­sche, schwers­te und schmerz­haf­te Gelenk­schä­den, vor allem von Hüf­te, Knien und Sprung­ge­len­ken des Fußes, berich­te­te der Stu­di­en­lei­ter PD Dr. med. Tho­mas Wall­ny, Ortho­pä­de an der Uni­ver­si­täts­kli­nik Bonn, bei einem Fach­kon­gress in Ham­burg [1]. Sol­che Schä­den ent­ste­hen bei nicht vor­beu­gend behan­del­ten Hämo­phi­len im Lau­fe des Lebens durch immer wie­der neue, star­ke Ein­blu­tun­gen in die Gelen­ke. Doch auch Mil­lio­nen ande­rer Deut­sche sind von schmerz­haf­ter Dau­er-Arthro­se betrof­fen, wie eine gera­de ver­öf­fent­lich­te Stu­die des Ber­li­ner Robert-Koch-Insti­tu­tes des Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­ums mit über 6.000 unter­such­ten Pro­ban­den zeigt [2].

Die Ver­such­be­din­gun­gen waren extrem ein­fach gehal­ten: Mit übli­chen kur­zen Aku­punk­tur­na­del wur­den jeweils nur zwei Punk­te auf dem Kopf gena­delt, von denen bekannt ist, dass sie schmerz­lin­dern­de Wir­kun­gen auch bei Arthro­se der unte­ren Extre­mi­tä­ten haben (LG 18, chin. Qiang­ji­an = “Ort der Kraft” und LG 22, chin. Xin­hui = “Schä­del­de­cken­punkt”). Die von der Stu­di­en­lei­tung fest­ge­leg­te Ein­stich­rich­tung leg­te die Kör­per­sei­te der schmerz­lin­dern­den Wir­kung fest. Weder Pati­en­ten noch aus­füh­ren­de Ärz­te wuss­ten von der Bedeu­tung die­ser Sei­ten­zu­ord­nung. Nach dem Set­zen der Nadel soll­ten die Pati­en­ten min­des­tens 30 Minu­ten lang ihre Bei­ne bewe­gen oder spa­zie­ren gehen. Die ein­mal wöchent­lich durch­ge­führ­te, 30-minü­ti­ge Behand­lung wur­de über 15 Wochen wie­der­holt. Wesent­li­che, vor und nach Ende des Behand­lungs­zeit­raums erfass­te Kenn­wer­te neben der medi­zi­ni­schen Unter­su­chun­gen waren unter ande­rem die Schmerz­an­ga­ben der Pati­en­ten sowie ihr täg­li­cher Schmerzmittel-Verbrauch.

Nach Ablauf der 3‑monatigen Behand­lung berich­te­ten 10 von 12 (83%) der Schmerz­pa­ti­en­ten von einer deut­li­chen Ver­bes­se­rung ihrer Schmer­zen. Auf der aktiv mit Aku­punk­tur behan­del­ten Kör­per­sei­te waren die Schmer­zen in den schmerz­haf­tes­ten Gelen­ken um 26% redu­ziert (teil­wei­se sogar um bis zu 50%), auf der nicht-behan­del­ten Sei­te hin­ge­gen nur um 2,4%. Acht Pati­en­ten berich­te­ten zudem über einen deut­lich gesun­ke­nen Schmerzmittelverbrauch.

Die­se Unter­su­chung, so Wall­ny, deu­tet auf ermu­ti­gen­de Mög­lich­kei­ten bei der Schmerz­the­ra­pie von Arthro­se­pa­ti­en­ten hin – ob mit oder ohne Hämo­phi­lie. Denn kei­ner der behan­del­ten Pati­en­ten berich­te­te über irgend­wel­che Neben­wir­kun­gen der Kopf­aku­punk­tur. Zudem ist die Durch­füh­rung der­ar­tig ein­fach, dass eine Heim­be­hand­lung, z. B. durch die Ehe­frau, nach kur­zer Ein­füh­rung pro­blem­los mög­lich ist, wie die Erfah­run­gen an der Bon­ner Uni­kli­nik zei­gen. Wall­ny schlägt vier Behand­lungs­blö­cke pro Jahr vor, bei denen in der ers­ten Woche 3x gena­delt wird, in der zwei­ten 2x und dann für eini­ge Wochen noch jeweils 1x pro Woche. Doch gemäß der chi­ne­si­schen Aku­punk­tur kann auch Dau­er­be­hand­lung zu einem indi­vi­du­el­len Behand­lungs­plan gehö­ren. Die Anlei­tung zu die­ser inno­va­ti­ven Form neben­wir­kungs­frei­er, wirk­sa­mer Schmerz­the­ra­pie für Heim­be­hand­lung soll­te am bes­ten ein mit Aku­punk­tur erfah­re­ner Arzt geben [Adres­sen sie­he 3]. Durch­füh­rung und Erfolg der Selbst­be­hand­lung soll­ten zudem regel­mä­ßig kon­trol­liert wer­den. Tipp: Das Füh­ren eines Schmerz­ta­ges­bu­ches schließ­lich erlaubt sowohl dem behan­deln­den Arzt als auch dem Pati­en­ten eine Über­sicht über die Effek­te der The­ra­pie [aus­druck­ba­re Vor­la­ge 4]. Auch die­se Unter­su­chung zeigt, dass es neben pflanz­li­chen Heil­mit­teln noch wei­te­re Alter­na­ti­ven zur neben­wir­kungs­rei­chen NSAR-Rheu­ma- und Arth­ro­se­the­ra­pie gibt. Und dass Aku­punk­tur selbst bei stärks­ten Gelenk­schmer­zen von Blu­terpa­ti­en­ten eben­so wirk­sam sein könn­te, wie dies schon zuvor im Rah­men der größ­ten, jemals durch­ge­führ­ten Stu­die zur Wirk­sam­keit von Aku­punk­tur auch bei ande­ren Schmerz­for­men belegt wer­den konn­te (GERAC = “Ger­man Acu­p­unc­tu­re Tri­als”) [5].

Aku­pres­sur Tra­di­tio­nell wer­den Aku­punk­tur­punk­te durch Nadeln oder Hit­ze sti­mu­liert. Fast genau­so gut geht es aber auch mit Strom (“Elek­tro­aku­punk­tur”) oder mecha­ni­schem Druck (“Aku­pres­sur”). Für die Aku­pres­sur­be­hand­lung fin­den Sie im Sit­zen die Punk­te so: Der “Ort der Kraft” liegt auf der Mit­tel­li­nie des Kop­fes (“Mit­tel­schei­tel”) hin­ten, unge­fähr 4 eige­ne Fin­ger­breit ober­halb des nor­ma­len Haar­an­sat­zes (mitt­le­re Schä­del­hö­he). Der zwei­te Punkt, der Schä­del­de­cken­punkt, liegt eben­falls auf der Kör­per­mit­tel­li­nie, jedoch auf der Vor­der­sei­te, etwa zwei eige­ne Fin­ger­breit ober­halb des nor­ma­len Haar­an­sat­zes. Bei chro­ni­schen Rheu­­ma- oder Arthro­­se-Schmer­­zen unter­schei­den sich die Punk­te manch­mal von der Umge­bung – sie sind z. B. leicht druck­schmerz­haft. Zur Behand­lung neh­men Sie am bes­ten eine Fin­ger­kup­pe. Mit die­ser behan­deln Sie jeden Punkt für jeweils 2–3 Minu­ten mit leich­tem Druck, aber nie so stark, dass es stär­ker schmerzt. Die Mas­sa­ge erfolgt abwech­selnd mit Druck (etwa im Rhyth­mus des Herz­schla­ges) auf den gewähl­ten Bereich und klei­nen krei­sen­den Bewe­gun­gen der Fin­ger­kup­pe (im Uhr­zei­ger­sinn). Am bes­ten, wenn Sie locker und ent­spannt z. B. im Ses­sel sit­zen. 1–2 Behand­lun­gen am Tag sind mög­lich, Dau­er-Behan­d­­lung jeden Tag auch. Eine beson­de­re Rei­hen­fol­ge bei der Punkt­mas­sa­ge ist nicht wichtig.

Hämo­phi­lie Die Hämo­phi­lie (Blu­ter­krank­heit) ist eine, vor­wie­gend beim männ­li­chen Geschlecht auf­tre­ten­de, erb­lich beding­te Erkran­kung, bei der der kom­ple­xe Ablauf der Blut­ge­rin­nung gestört ist. In den meis­ten Fäl­len fehlt eines der in der Leber gebil­de­ten Blut­ei­wei­ße, ent­we­der der sog. Fak­tor VIII (Hämo­phi­lie A) oder der Fak­tor IX (Hämo­phi­lie B). Typi­sche Krank­heits­zei­chen sind z. B. ver­län­ger­te Wund-Blu­­tun­­gen nach Ver­let­zun­gen, Blu­tun­gen ins Gewe­be nach Zer­run­gen oder Prel­lun­gen (z. B. blaue Fle­cken) und dabei vor allem in die Gelen­ke hin­ein. Beson­ders die­se Gelenk-Ein­­blu­­tun­­gen schä­di­gen auf Dau­er die Gelen­ke (“Blut­erge­lenk”), was zu erheb­li­chen Bewe­­gungs-Ein­­schrän­­kun­­gen oder Gelenk-Ver­­­for­­mun­­gen füh­ren kann. In Deutsch­land leben rund 4.000 behand­lungs­be­dürf­ti­ge Pati­en­ten mit Hämo­phi­lie. Obwohl seit über 2.000 Jah­ren bekannt, kann die Hämo­phi­lie erst seit weni­gen Jahr­zehn­ten über­haupt behan­delt wer­den. Bis in die 90er Jah­re stamm­ten alle Prä­pa­ra­te aus dem Blut von Spen­dern. Die sei­ner­zeit häu­fi­gen Neben­wir­kun­gen und vor allem Infek­tio­nen durch im Blut der Spen­der ent­hal­te­ne Viren (Hepa­ti­tis, HIV) gehö­ren heu­te dank moder­ner, spe­zi­ell gen­tech­no­lo­gisch her­ge­stell­ter Prä­pa­ra­te der Ver­gan­gen­heit an. Die The­ra­pie fußt auf zwei Säu­len: Zum einen kön­nen Situa­tio­nen mit aku­ten Blu­tun­gen (z. B. Ver­let­zung) oder Blu­tungs­ge­fahr (z. B. Ope­ra­ti­on) mit Prä­pa­ra­ten kon­trol­liert wer­den, die kon­zen­triert den jeweils feh­len­den Blut­ge­rin­nungs­fak­tor ent­hal­ten (“Fak­­tor-Prä­­pa­ra­­te”). Zum ande­ren bekom­men immer mehr Hämo­phi­le sol­che Fak­­tor-Prä­­pa­ra­­te vor­beu­gend inji­ziert (1–3x wöchent­lich, Selbst­sprit­zen mög­lich, sog. “pro­phy­lak­ti­sche Sub­sti­tu­ti­on”). Damit nor­ma­li­siert sich ihr Blu­t­­ge­rin­­nungs-Sys­­tem weit­ge­hend. Die­se Pro­phy­la­xe erlaubt es Hämo­­phi­­lie-Pati­en­­ten, in nahe­zu allen Lebens­be­rei­chen nor­mal an den meis­ten Akti­vi­tä­ten teil­zu­neh­men (Aus­nah­me: Akti­vi­tä­ten mit sehr hohem Blu­tungs­ri­si­ko wie z. B. Fußball).

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Heil­pflan­­zen-Welt (Dezem­ber 2005).
Quel­len
1. 36. Hämo­­phi­­lie-Sym­­­po­­si­um, Ham­burg, 18.–19.11.2005. Wiss. Lei­tung: Prof. Dr. I. Schar­rer, Main, Prof. Dr. Dr. h. c. W. Schramm, München.
2. Schnei­der S, Schmitt G, Mau H, Schmitt H, Sabo D, Rich­ter W: Prä­va­lenz und Kor­re­la­te der Osteo­ar­thro­se in der BRD: Reprä­sen­ta­ti­ve Ergeb­nis­se des ers­ten Bun­des­ge­sund­heits­sur­vey. Der Ortho­pä­de. 2005 Aug;34(8):782–90.
3.
Deut­sche Ärz­te­ge­sell­schaft für Aku­punk­tur e.V. (DÄG­fA), München
4. Schmerz­ta­ge­buch der Deut­schen Schmerz­li­ga e. V., Oberursel
5. Pres­se­kon­fe­renz Gerac, Ruhr­uni­ver­si­tät Bochum: Ergeb­nis­se der gerac-Aku­­pun­k­­tur­s­tu­­di­en – Wirk­sam­keit der Aku­punk­tur bei Span­nungs­kopf­schmerz und Migrä­ne. Bochum, 16.11.2005 (www.gerac.de).
wei­te­re Infos
Tra­di­tio­nel­le Medi­zin Chi­nas – Indi­ka­tio­nen von funk­tio­nel­len Erkran­kun­gen bis zur Anästhesie
Manu­el­le Medi­zin – Vom “Kno­chen­bre­chen” und “Ein­ren­ken” der Chirotherapie

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